Vor einigen Monaten habe ich an dieser Stelle „Das kleine Lexikon der Euphemismen“ vorgestellt. Hiermit hat der interessierte Leser einen kleinen Überblick über die schönsten Sprachschöpfungen bekommen, mit denen unsere graue Welt etwas bunter beschrieben wird; und somit viel angenehmer erscheint.
Inzwischen wird es Zeit für die 1. Nachlieferung, es gab zahlreiche Neuentdeckungen. Ich möchte an dieser Stelle auch den vielen Hobby-Sprachforschern danken, die mich auf Neu-Euphemismen bzw. bisher übersehene Sprachperlen hingewiesen haben.
1. ABS:
Ist entweder
1) Abk. für Automatisches Brems-System: Vermittelt falsches Gefühl der Sicherheit beim Auto fahren, weil angeblich der Computer jeden Fahrfehler ausgleicht; oder
2) Abk. für Asset Backed Securities: Vermitteln falsches Gefühl der Sicherheit an Finanzmärkten, weil Forderungen durch angebliche Sachwerte besichert sind.
2. Asymmetrischer Krieg:
Erfolgloser Versuch einer mit Milliarden von Steuergeldern hochgepäppelten Hightech-Armee, ein paar Fanatiker mit Maschinenpistolen zu bekämpfen.
3. Authentizität:
Inszenierung des Echten, Unberührten und Ehrlichen. Da dummerweise alles irgendwie mit irgendwas anderem zusammenhängt und Menschen sich vorzugsweise selbst belügen, gibt es nichts Menschliches, was in irgendeiner Form authentisch ist. Da wir in unserem tiefsten Inneren aber immer noch von der „Friede-Freude-Eierkuchen-Welt“ träumen, hängen trotzdem wir gerne der Fiktion von etwas Authentischem nach.
4. BaFin:
Abk. für Bundesanstalt für Finanzinkompetenz: deutsches Organ der Finanzaufsicht (siehe erste Ausgabe). Hat die Aufgabe, durch kleinkarierte Bürokratie unabhängige Finanzdienstleister zu behindern, durch oberflächliche Prüfungen das Eingehen irrwitziger Risiken zu erleichtern, sowie intelligente Menschen von Führungsposten im Bankgewerbe fernzuhalten. Wie gegenwärtig zahlreiche Gerichtsverfahren belegen (z. B. um Sal. Oppenheim, Nord LB, Bayern LB, div. Deutsche Bank-Prozesse), ist insbesondere letzteres der BaFin in den vergangenen Jahren bestens gelungen.
5. Bankvorstand:
BaFin (s.o.)-zertifizierter Vollpfosten, der i.d.R. zu doof ist, um sich vor deutschen Gerichten für die Verluste, die er anrichtet, verantworten zu müssen. Ist nach Kindheit, geistiger Behinderung, Wahnsinn und Vollsuff inzwischen als weiterer Grund für fehlende Straffähigkeit (StGB § 19, § 20 und § 21) anerkannt.
Anm.: Für richtig böse Menschen nehmen unsere Richter schon an, dass diese zumindest über minimale geistige Fähigkeiten verfügen. Dies gilt im Ausnahmefall auch für Bankvorstände. Bisher wurden daher – wenn auch sehr selten – nur Bankvorstände mit einer gewissen Mindestintelligenz rechtskräftig verurteilt, wenn man ihnen zu geringe Dummheit aufgrund krassester Selbstbereicherung nachweisen konnte.
6. Betreuungsgeld:
Finanzieller Anreiz, Kinder aus Familien bildungsferner Schichten (s.u.) von frühkindlicher Förderung fernzuhalten.
7. Bildungsferne Schichten:
Asoziale, die man aber nicht mehr als solche bezeichnen darf.
8. CoCo:
1) Umgangssprachlich für Kokosnuss: Fällt selten auf den Kopf. Wenn aber doch, wird es richtig übel.
2) Abkürzung für Contingent Convertible (Pflichtwandelanleihe): Eigenkapitalanleihe einer Bank. Vereint die Zinsen eines Junk Bonds mit den Risiken einer Zockeraktie. Fällt selten aus. Wenn aber doch, wird es richtig übel.
9. Evolution:
Lehre von der Entwicklung der Arten. Endet mit dem Menschen, der Krone der Schöpfung. Weiterdenken ist strengstens verboten, sonst kommt man nach dem Tod nicht in das Paradies (oder viel schlimmer, man kommt im Paradies in eine Gemeinschaftszelle mit Margot Käßmann).
10. Fahrgastrechteformular:
Formular, mit dem man eine Erstattung für eine verspätete Bahnreise beantragen kann, sofern man sich selbst erniedrigt und nach der Verspätung noch stundenlang am sog. Informationsschalter an einem Bahnhof ansteht, um sich die Verspätung bescheinigen zu lassen.
11. Geeignetheitsprüfung:
Wichtiges Instrument der BaFin (s.o.) beim Anlegerschutz (siehe erste Ausgabe). Soll sicherstellen, dass Bankkunden vor der Abzocke ganz viele Formulare unterschreiben müssen, die das Gewinnen von späteren Schadensersatzprozessen verhindern.
12. Geldmenge:
Entsteht durch das Weiterverleihen von Zentralbankgeld (s.u.). Je öfter man es verleiht, um so mehr Geldmenge hat die Gesellschaft. Denkt sie zumindest.
13. Geldpolitik:
Illusion, dass weise Herren (und gelegentlich auch eine Dame) jenseits des sexuell aktiven Alters durch Manipulation der umlaufenden Geldmenge (s.o.) irgendetwas Positives in der Wirtschaft bewegen können.
14. Gemeinnütziger Verein:
Steuersparmodell für Automobilklubs, Fußballverbände, Lobbyorganisationen etc. Diese Rechtsform wird auch gelegentlich von Kleintierzüchtern oder Tischtennisspielern missbraucht zur Beschäftigung von sog. „ehrenamtlichen Kräften“ ohne Rücksicht auf den Mindestlohn.
15. Gender:
Geschlechtsneutrale Bezeichnung von geschlechtsspezifischem Verhalten.
16. Gerechtigkeit:
Wenn anderen Leuten etwas weggenommen wird, was möglicherweise mir zugutekommt.
17. Großprojekt:
Schwarzes Loch für Finanzmittel, weil hier Murphy’s Law (wenn etwas schiefgehen kann, geht etwas schief) immer gnadenlos zuschlägt. Da man mit Fehlern oder Versehen ja auch grundsätzlich nie rechnen kann, und Großprojektverantwortliche ja auch nie irgendeine Art von Verantwortung haben, bleibt dies auch so.
18. Nachrichtensendungen:
Fernsehprogramme, die uns zum Abendessen oder Frühstuck aktuelle Bilder der Opfer von Naturkatastrophen oder menschlichen Wahnsinnstaten (Krieg, Amoklauf, etc.), gestorbenen Schauspielern, nichtssagenden Politikern und siegreichen Sportlern präsentieren. Besonders unappetitliche Bilder werden gerne mit Angaben zu Spendenkonten ergänzt.
19. Insiderhandel:
Nicht ganz legale Möglichkeit der Gehaltsaufbesserung im Finanzgewerbe. Aber auch hier gilt: Man muss schon dümmer als Staatsanwälte und die Finanzaufsicht sein, um erwischt zu werden (was sehr schwierig ist). Einer der Hauptgründe, warum Investmentbanker (s.u.) so gerne mit Top-Managern (s.u.) Golf spielen.
20. Investmentbanking:
Einer der schönsten Euphemismen, den dieser Berufsstand hat weder etwas mit Investment (eher mit dem Gegenteil, dem hemmungslosen Zocken) noch etwas mit dem traditionellen Bankgeschäft zu tun (als noch die irrige Auffassung herrschte, dass Bankkunden von ihrem Institut etwas von dem angelegten Geld zurückbekommen könnten).
21. Investorenschutz:
Geldverdiengarantie für ausländische Investoren. Unentbehrlich für den Freihandel (siehe erste Ausgabe).
22. Krankenhaus:
Ausbildungsstation für Jungärzte und Endstation für woanders gescheiterte Verwaltungsbürokraten.
Vorsicht: Gehen Sie nie ins Krankenhaus, wenn sie wirklich krank sind! Es könnte passieren, dass Sie auf einer Liege im Gang vergessen werden, Sie sich mit Krankenhauskeimen infizieren oder das Essen ihr Magengeschwür zum Durchbruch bringt. Um ein Krankenhaus zu überleben, darf man nicht ernsthaft krank sein.
23. Mobilitätseingeschränkt:
Ist entweder:
a) jemand, der auf die Bahn auch dann angewiesen ist, wenn die Außentemperaturen weniger als -5 Grad Celsius oder mehr als 25 Grad Celsius betragen; bzw.
b) jemand, der eine körperliche Behinderung hat, den man aber auf gar keinen Fall als Behinderter bezeichnen darf, weil das ja ähnlich diskriminierend ist wie „Neger“, „Asozialer“ oder „Banker“; bzw.
c) ein Asylbewerber, der einem Arzt benötigt.
24. Nachhaltigkeit (engl. auch „Green-washing“):
Konzept aus der „Friede-Freude-Eierkuchen-Welt“, nach der man für die Zukunft vorsorgt, wenn man beim sinnlosen Ressourcenverschwenden nicht mehr offensichtlich gedankenlos vorgeht.
25. Öffentlichkeitsarbeit:
Die Kunst, sich in Presse und Medien in den Vordergrund drängeln.
26. Polit-Kabarett:
Unterhaltungsprogramm, das von der Illusion lebt, dass Satire irrwitziger sein kann als die Politik (s.u.), die sie karikiert.
27. Politik:
Absurde Reality Show wahrnehmungsgestörter Wichtigtuer, die sich vorwiegend mit Öffentlichkeitsarbeit (s.o.) befassen.
28. Pressefreiheit:
Journalistisches Konzept, bei der die Zensur nicht durch eine staatliche Behörde, sondern durch die Abteilung für den Anzeigenverkauf erfolgt.
29. Recycling:
Zaubertrick, mit dem man die gleichen Ressourcen gleich zweimal sinnlos verschwenden kann. Zentral für die Nachhaltigkeit (s.o.).
30. Selbstoptimierer:
Menschen, die den Spaß am Leben verloren haben, weil sie ihre ganze Freizeit beim Schönheitschirurgen, Fitnesstrainer, Persönlichkeitscoach, Ernährungsberater oder Mentaltrainer verbringen. Dies machen sie, damit sie ein ganz langes Leben haben und dabei immer jung, dynamisch und erfolgreich aussehen, selbst wenn sie schon längst alt, senil und verlassen sind. Verlassen werden Selbstoptimierer zumeist als Erstes, weil ihr egozentrisches Verhalten für die meisten Mitmenschen unerträglich ist.
31. Staatsanwaltschaft:
Staatliche Finanzierungsbehörde, die möglichst viele Gerichtsverfahren anstrengen soll, die dann gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt werden. Hierbei hat sich München mit dem Ecclestone-Verfahren bisher am effizientesten erwiesen, die Staatsanwälte können mit einem fetten Bonus rechnen. In Hannover hingegen kostet die Staatsanwaltschaft zu viel Geld (Wulff-Verfahren etc.), weshalb sie demnächst durch McKinsey oder Price Waterhouse Cooper geprüft wird.
32. Stresstest:
Beschäftigungstherapie für Finanzaufseher und Risikomanager bei einer Bank. Bei einer Pseudokrisensimulation wird getestet, auf welche Bilanztricks Banken im Fall des Verzockens zurückgreifen müssen, um nicht pleitezugehen. Wird unter den völlig unrealistischen Voraussetzungen durchgeführt, dass sich im Krisenfall 1) weder der Staat noch b) die Notenbank noch c) ein verblödeter arabischer Ölscheich findet, der die Kapitallöcher eines maroden Finanzinstituts stopft.
33. Steuersystem:
Beschäftigungsprogramm für Steuerberater und Finanzbeamte.
34. Top-Management:
Sammelstelle für all diejenigen, die schon im Kindergarten durch zu wenig Sozialkompetenz aufgefallen sind. Als Bankvorstand zusätzlich noch strafunfähig (s.o,).
35. Ungerechtigkeit:
Wenn mir etwas weggenommen wird, was möglicherweise anderen Leuten zugutekommt.
36. Verspätungsalarm:
Email-Service der Bahn, der Sie darüber informiert, dass der Zug, in dem Sie gerade unterwegs waren, Verspätung hatte.
37. Wahrheit:
Oberflächliches Argument, dass gerne herangezogen wird, um zu begründen, warum die anderen immer unrecht haben. Dazu eignet sie sich bestens, weil sie meist immer unklarer wird, je näher man ihr kommt (ähnlich dem Scheinriesen, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt). Deswegen darf man sie auch nur ganz grob und aus der Ferne betrachteten und niemals zu nah und zu differenziert.
38. Zeitgenössische Kunst:
Zusammengekleisterter Schrott, für den sich ein bekiffter Künstler eine abstruse Bedeutung ausgedacht hat und der mit einem unverständlichen Titel versehen an die Wand gehängt wird. Dient dazu, von reichen Leuten gesammelt zu werden, die damit das Gefühl bekommen, endlich mal mit ihrem überflüssigen Geld etwas Sinnvolles zu machen. Denn wenn man sich etwas kauft, bei dem sich keiner zuzugeben traut, dass man es nicht verstehen kann, erhöht es das Sozialprestige.
39. Zentralbankgeld:
Realexistierende Tautologie. Zentralbankgeld ist die Forderung an eine Notenbank, die nur mit Forderungen an diese Notenbank beglichen werden kann, also quasi verbriefte Luft. Es dient uns als Zahlungsmittel, weil dies gesetzlich so festgelegt ist.
P.S.: Zum Schluss noch eine Frage an alle Anhänger von Numerologie und Verschwörungstheorien: Ist es Zufall, dass ausgerechnet in dieser Aufstellung die Geldpolitik die Nummer der Unglückszahl 13 hat? Und dass 3mal13 Euphemismen gefunden wurden, die dann auch noch mit Zentralbankgeld aufhören? Und vor allem, dass dieser Beitrag am 13. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 erscheint?
Ich meine nicht …
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