Kleines Lexikon der Euphemismen

by Jakob Wega on 30. Januar 2014

In einer von Public-Relations-Experten und Werbeprofis geprägten Welt hat sich völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit eine Kunst zu höchster Blüte entwickelt: diejenige der Schaffung von Euphemismen.

„Mit einem Euphemismus wird etwas, was eine möglicherweise anstößige oder unangenehm wirkende Bezeichnung hat, beschönigt, verhüllt oder sprachlich gemildert“, schreibt der Duden. Dies ist gerade heutzutage sehr löblich. In unserem Alltag, der durch Shit-Stürme und andere die Stimmung verderbende Aktionen geprägt ist, tut es gut, nicht immer alles so negativ zu sehen. Im Gegenteil, wenn schöne neue Worte geschaffen oder alte mit neuen, positiven Bedeutungen versehen werden, kann dies nur das Lebensgefühl des modernen Menschen verbessern.

Insbesondere Politik, Wirtschaft und Finanzbranche haben sich in den letzten Jahren besonders kreativ gezeigt, schöne Ausdrücke für hässliche Sachverhalte zu finden bzw. umzudeuten. Im Folgenden deshalb wird eine kleine Auswahl von besonders gelungenen Euphemismen vorgestellt, ergänzt um ihre wahren Bedeutungen:

  1. Absicherungsgeschäft: Versuch der Kompensation einer Risikoposition durch eine andere Risikoposition. Die zweite Risikoposition geht meistens auch schief, weshalb man dann doppelt verliert. Besonders beliebt im Risikomanagement (s.u.).
  2. Anlegerschutz: Bürokratische Regeln, die dem Schutz der Finanzindustrie vor Schadensersatzklagen durch Anleger dienen.
  3. Aktienanleihe: Investmentprodukt, welches die Nachteile von Aktie und Anleihe kombiniert.
  4. Bank: Abkürzung von Spielbank. Auch wenn das Wort kürzer ist, dauert es bei der Bank (ohne Spiel-) länger, bis man sein Geld verliert. Futsch ist es so oder so.
  5. Dachfonds: Investmentfonds (s.u.), die Anleger bei den Gebühren gleich doppelt abkassieren.
  6. Deflation: Inflationsrate unter 2% p.a.
  7. Discountzertifikat: Wie Aktienanleihe (s.o.), nur hier suggeriert das Wort dem Anleger, dass er noch was billiger bekommt.
  8. Effiziente Märkte: Ökonomische Theorie von Autisten für Autisten.
  9. Energiewende: Förderprogramm für die Braunkohle, das als Ausbau alternativer Energien getarnt ist.
  10. Experte: Kann mit großer Selbstsicherheit wissenschaftlich aussehende Analysen formulieren und Prognosen (s.u.) abgeben. Diese entstehen zwar meist aus einem Bauchgefühl heraus. Ein qualifizierter Experte ist aber in der Lage, sich aus vielen widersprüchlichen Daten diejenigen herauszusuchen, die zu seinen Ansichten perfekt passen.
  11. Faktorzertifikat: Finanzprodukt für ganz Doofe, welche die Prozentrechnung nicht beherrschen.
  12. Finanzaufsicht: Kafkaesker Apparat, der sich ständig neue Aufgaben ausdenkt, um mehr Beamte zu beschäftigen, die wiederum gerne Banker quälen. Für das Quälen von Bankern werden Finanzaufseher in der Öffentlichkeit hoch angesehen. Wenn sie Milliardenlöcher in Bankbilanzen übersehen, ist es aber nicht weiter schlimm, noch kann man den Steuerzahler ja melken.
  13. Finanzberatung: Ausdenken von Ausreden für schlechte Finanzprodukte
  14. Finanzinnovation: Ein neuartiges Finanzprodukt, mit dem man Kunden das Geld aus der Tasche ziehen kann, ohne dass sie es verstehen oder so schnell merken.
  15. Finanzwissenschaft: Form der Wissenschaft (s.u.). Forscher in diesem Bereich lassen ihre Lehrstühle gerne von Banken sponsorn, mit entsprechenden Resultaten.
  16. Freihandel: Form des internationalen Warenaustausches, bei der Waren aus dem militärisch stärksten Land frei gehandelt werden dürfen; hingegen Waren aus militärisch unterlegenen Ländern grundsätzlich verdächtig sind und deswegen Einfuhrbeschränkungen unterliegen.
  17. Geldwertstabilität: Kontrollierte Geldentwertung von 2% p.a.
  18. Geschlossener Fonds: Fonds, der Risiken nicht streut, sondern konzentriert. Zudem werden Anleger bevorzugt an Verlusten beteiligt und können sich nur ganz schwer von ihren Anteilen trennen.
  19. Grauer Kapitalmarkt: Verkaufsstelle für geschlossene Fonds (s.o.) und dubiose Unternehmensbeteiligungen. Hier gibt es keinen Anlegerschutz (s.o.). D. h. Fondsinitiatoren, die ihre Anleger offensichtlich betrügen, müssen tatsächlich ins Gefängnis. Dies geschieht ziemlich oft, weil das Geld noch ganz klassisch veruntreut und nicht mit wissenschaftlich fundierten Methoden verzockt wird wie bei Banken (s.o.).
  20. Inflation: Beliebte und weltweit geschätzte Methode der Schuldenentwertung.
  21. Investmentfonds: Sammeln das Geld von mehreren Anlegern ein und investieren dies irgendwie irgendwo, wobei Myriaden von verschiedensten Gebühren anfallen.
  22. Mittelstandsanleihen: Lotterielose mit sehr geringer Gewinnchance, dafür aber mit guten Verlustaussichten.
  23. Nachhaltigkeit: Besondere Herausforderung für PR-Profis: Ressourcenverschwendung und Umweltzerstörung so umverpacken, dass sie als langfristig orientierte und sozial nützliche Aktivitäten erscheinen.
  24. Next generation finance: Nutzung neuer sozialer Internetplattformen, um Anlegern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Gibt Teilnehmern ein Gefühl der Fortschrittlichkeit, das Ersparte wird aber noch leichtsinniger verzockt als bei Banken.
  25. Ökonomie: Wissenschaft, die zu jedem Problem eine Lösung hat, die nicht funktioniert.
  26. Prognose: Wissenschaftlich erscheinende Aussage über die Zukunft, die aber so gut wie nie stimmt. Wird von Experten abgegeben (s.o.).
  27. Produktinformationsblatt: Dient dem Anlegerschutz (s.o.). Hat inzwischen eine neue Kategorie von Autoren hervorgebracht, welche die Kunst des schriftlichen Eiertanzes zwischen juristisch unverfänglichen Formeln und Marketingaussagen beherrschen.
  28. Reform: Politischer Prozess, der Veränderung vortäuschen soll. Beschäftigungstherapie für Wirtschaftspolitiker.
  29. Risikomanagement: Aktivität, mit der man vernebeln will, dass man nichts über die Zukunft weiß. Kann auch zur Schaffung mathematisch fundierter Begründungen für grob fahrlässiges Verhalten dienen.
  30. Sichere Geldanlage: Investment, bei dem Risiken gut versteckt sind oder ignoriert werden. Eignet sich vor allem für solche Anleger, die im Grunde ihres Herzens noch an den Weihnachtsmann glauben.
  31. Sparbuch: Anlageform für diejenigen, die ihr Geld nicht so schnell wie mit normalen Finanzanlagen verlieren wollen, sondern lieber zusehen, wie es langsam durch die Inflation aufgefressen wird.
  32. Sport: Inszenierung von Wettkämpfen zwischen medizinisch optimierten Menschen durch die Unterhaltungsindustrie. Überlebenswichtig für Fernsehprogrammplaner, Werber, Markenartikler sowie geltungssüchtige Politiker.
  33. Strukturiertes Produkt: Finanzinnovation (s.o.), die nicht mehr innovativ ist. Gut geeignet für Anleger, die ihre Fehler immer wiederholen.
  34. Wirtschaftswachstum: Resultat der Tatsache, dass das Hamsterrad, in dem wir laufen, sich immer schneller dreht.
  35. Wissenschaft: Scheinaktivität an Universitäten, die vorgibt, dass durch Forschung neue Erkenntnisse über die Welt gewonnen werden können. Wird als Unterkategorie „Finanzwissenschaft“(s.o.) gerne bemüht, um das Verdummen von Geld durch Banken zu begründen und zu rechtfertigen. Neue Erkenntnisse über die Welt kommen aber nur von Querulanten wie Charles Darwin oder Albert Einstein, die von der Wissenschaft zunächst einmal abgelehnt werden, bis sich ihre Relevanz nicht mehr verleugnen lässt.

Falls dem einen oder anderen Leser noch ein schöner Euphemismus einfällt, den ich hier ausgelassen habe, würde ich bitten, diesen unten bei den Kommentaren zu ergänzen. Vielen Dank!

 

FDominicus Februar 6, 2014 um 07:20 Uhr

Direkt aus diesem Blog:
“ Professionell gesteuerter nationaler Pensionsfonds“ Andere können Geld viele besser als ich selbst verbrennen.

Interessanterweise unter dem Eintrag:
http://www.blicklog.com/2014/02/05/burning-other-peoples-money/
zu finden

Das nenne ich mal genial gelungen.

FDominicus Februar 6, 2014 um 06:46 Uhr

Steuergerechtigkeit – Im Unrecht gibt es kein Recht auf Gleichbehandlung
Umfairteilen – Diebstahl
Steuerhinterziehung. Dem Dieb nicht sein ganzes Hab und Gut ausliefern
Zentralbank Wir haben nichts – außer Schulden

mister-ede Januar 31, 2014 um 12:32 Uhr

Oh ja, das ist schön! Wie wäre es noch mit:

Haftungskaskade: Fassade, welche die Haftung der Steuerzahler für marode Banken verschleiert.
Europäischer Stabilitätsmechanismus: System welches die wachsende Ungleichverteilung in Europa manifestiert.
Too big to fail: Unternehmen mit besonders zahlungskräftiger Lobby.
Leveraging: Die Kunst beim Geldverbrennen darauf zu achten, dass es nicht das eigene ist.
Risikogewichtete Aktiva: Kleingerechnetes Überbleibsel einer großen Menge von Risikoposition bei Banken.

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