Digitalisierung: Was soll bitte UBER sein?

by Gastbeitrag on 11. August 2016

Gastbeitrag von Jan Kalbfleisch*

Ehrlich, nicht mal mehr Spatzen mit einem Minimum an Ehre im kleinen Leib pfeifen es noch von den Dächern, so profan erscheint es uns mittlerweile: das Dogma der allgegenwärtigen Digitalisierung. Dass der Schnelle den Langsamen alsbald vertilge, scheint sich bereits auf die Tafeln der 10 Gebote geschlichen zu haben. Aufgrund der unfassbaren Geschwindigkeit liegt die Befürchtung nahe, dass dies unter größten Schmerzen für den Unterlegenen erfolgen wird – wer hätte denn bitte noch Zeit für eine fachgerechte Schlachtung oder zumindest vorherige Betäubung. Und dass kreative Disruptoren über die siechenden Verfechter des Analogen herfallen werden, wie die Wildlinge von nördlich der großen Mauer – ich hoffe Sie sind Game of Thrones-Fan –, um ihnen die althergebrachten Prozesse und Businessmodelle aus den unternehmerischen Eingeweiden zu reißen, scheint ebenfalls unausweichlich.

Kritischer Diskurs zur Digitalisierung bitte!

Den Vormarsch der digitalen Wertschöpfung möchte ich keinesfalls bestreiten. Auch nicht die Möglichkeiten der neuen Technologien. Was mir allerdings etwas fehlt in letzter Zeit, ist der kritische Diskurs über so mache – angeblich mindestens fundamentale, wenn nicht gar epochale – Neuerung in diesem Sektor. Dabei, dass möchte ich gleich zu Anfang gestehen, bin ich zwar eifriger Nutzer allerlei digitalen „Tinnefs“ (ein tolles Wort), doch sicher nicht allumfassend und höchst aktuell gebildet auf diesem Gebiet. Einfach nur ein normaler Manager mit den gleichen Fragen zur – digitalen – Zukunft im Kopf, wie Sie wohl auch. Ach und noch etwas: Um den Text einigermaßen lesbar zu halten und zu Reaktionen und Diskussion anzuregen, erlaube ich mir bisweilen den Rückgriff auf das Stilmittel der Überspitzung. Sehen Sie mir das bitte nach.

Der eigentliche Anlass für meinen Beitrag war ein Artikel in einem Newsletter eines – selbst ernannten – Serviceexperten. Nebenbei war eben dieser auch Experte für Unternehmensführung, Mitarbeitermotivation, Verhandlung, Unternehmensgründung, Kreativität und sicher noch einiges mehr. Die Liste der Disziplinen, in denen der Autor sich selbst keinen Expertenstatus zugestehen würde, wäre wohl die bei weitem Kürzere gewesen. Und als wäre das nicht bereits schlimm genug, kamen noch „leidenschaftlicher Zigarrenraucher“ und „Whiskey-Kenner“ hinzu. Kurz gesagt: ein nahezu universal-intellektueller und kreativ-freidenkender Genussmensch. Wer könnte sich den Ergüssen dieses Newsletters überhaupt noch verweigern wollen.

Der Mitfahrservice UBER

Neben allerlei Weisheiten zu vielen seiner Expertenfelder, die allerdings selbst bei wohlwollender Würdigung als eher flach einzustufen sind, lobte er – hiermit auch klar als Eingeborener der digitalen Welt entlarvt – den amerikanischen Mitfahrservice UBER. Denn über dessen App ließen sich ganz einfach Fahrzeuge buchen, man würde transportiert und könne am Ende sogar bargeldlos bezahlen, Geld würde man ohnehin sparen, und – man höre und staune – wenn das bestellte Fahrzeug beim Ankommen nicht gefällt, könne man es einfach ablehnen und ein neues bestellen. Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht beseelt lächelnd vor dem Altar der Digitalisierung kniet, hat die Sensation – so wie ich – schlicht nicht verstanden oder sich – so wie ich – eine grundsätzlich kritisch hinterfragende Haltung zu manchen Segnungen der Moderne bewahrt.

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Fahren wir in Zukunft noch Taxi? © Dirk Elsner

Warum nicht einfach klassisch Taxi fahren?

Ich bin für den FAMAB viel unterwegs. Mittlerweile zu 85% mit dem Zug. Im Großen und Ganzen bin ich mit der Deutschen Bahn im Reinen. Zumindest möchte ich nicht in das hipp gewordene Bashing einsteigen. Auf meinen Reisen bin ich für die letzten Kilometer auch immer wieder mit dem Taxi unterwegs. Deswegen darf ich mir ein wirklich profundes Urteil über die Taxis in deutschen Großstädten erlauben. So, nun bin ich selbst ernannter Taxi-Experte. So schnell geht das. Probleme hatte ich dabei noch nie. Sofortige Verfügbarkeit, saubere Autos, gute Ortskenntnis und freundliche Fahrer. Ok, das gilt nicht für Berlin, aber wir wollen ja auch realistisch bleiben.

Ganz im Ernst – sämtliche von unserem Serviceexperten ins Feld geführten Punkte pro UBER erfüllt das ganz traditionelle Taxigewerbe schon längst – nur eben ohne ein hippes, digitales Start-up zu sein. Und die Mär, dass UBER günstiger wäre, wurde bereits durch FAZ und Süddeutsche wiederlegt. Wenn überhaupt, so die Recherche, handelt es sich um marginale Beträge in sehr engen Nutzungsbereichen.

Wie und wo sollten denn auch bitte so erhebliche Kostenvorteile entstehen?

Denn UBER ist ja in Wirklichkeit kein Hort für frühreife und hyperaktive, amerikanische Wunderkinder, die die Welt verbessern wollen, sondern ein knallhart rechnender Konzern, der bei jeder Fahrt üppig mitverdienen will. Bereits heute klagen die Fahrer dieses Dienstes über kaum ausreichende Margen. „Kreative, digitale Disruption bestehender Modelle!!!“ höre ich die Gläubigen unter Ihnen bereits monoton skandieren. Natürlich kann man das so sehen. Und natürlich gilt, dass das Bessere des Guten Tod ist. Völlig zu Recht übrigens. Aber was bitte ist schlau daran, ein gut – ich sage nicht perfekt, aber gut – funktionierendes Modell Namens Taxi zu zerstören, weil … ja, warum eigentlich?

Für mich hat es auch eine ethische Dimension!

Die Fahrer und Fahrerinnen sind Menschen. Mit Familien, ist zu hoffen. Nicht selten kommt das einzige Einkommen dieser Familie vom Taxifahren. Rechtfertigt da eine marginale Kosteneinsparung die Gefährdung dieser Arbeitsplätze? „Wir haben alle zu kämpfen“, könnte man sagen. Klar, das stimmt. „Und die können ja zu UBER wechseln.“ Ja, könnten sie wahrscheinlich. Aber zu wohl noch schlechteren Konditionen als ihre Jobs ohnehin schon bieten. Eigentlich nicht unser Problem? Direkt sicher nicht, aber was mit Menschen geschieht, die für ihr Einkommen nicht mehr sorgen können, ist wohl hinlänglich bekannt. Wie ist das alles unter dem heute so häufig gebrauchten Begriff der Nachhaltigkeit zu beurteilen?

Meine Haltung ist klar.

UBER kann mir rein gar nichts an substantiellem Nutzen geben, was ich im bestehenden Modell nicht ausreichend hätte. Und nur, weil einige digitale Hippster sich unter dem nur allzu leicht durchschaubaren Sigel der Weltverbesserung die Taschen voll machen wollen – bisher machen sie übrigens die Taschen ihrer potenten Geldgeber um viele Milliarden leichter – mache ich da noch lange nicht mit. Ich habe von Scotty meine Schutzschilde neu konfigurieren lassen. Der Beschuss aus kreativen Disruptoren zeigt kaum Wirkung – die Schilde halten. Aber wie gesagt, dass ist nur meine Haltung.

Übrigens wollte ich eigentlich etwas zum Thema „Veranstaltungs-Apps“ schreiben. Dann kam mir leider dieser Experten-Artikel dazwischen. Das mache ich dann eben demnächst in diesem Theater.

Ihr Jan Kalbfleisch

* Jan Kalbfleisch ist Geschäftsführer bei FAMAB e.V.

Jan Kalbfleisch, Dipl. Wirtsch. Ing., arbeitete – bevor es ihn in die Live-Kommunikation zog – in der Medienbranche sowohl als Unternehmensberater als auch in der Geschäftsleitung von Medienhäusern. Als Geschäftsführer einer Eventagentur setzte er innovative Vortrags- und Weiterbildungsformate in die Tat um. Nebenberuflich dozierte er an der Hochschule der Medien in Stuttgart.

Der Beitrag erscheint hier auf Anfrage des Blick Logs als Crosspost vom  Famab-Blog und mit Zustimmung des Autoren.

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