Änderung der Insolvenzordnung durch Finanzmarktstabilisierungsgesetz: Überschuldung wird neu bewertet

by Dirk Elsner on 16. Oktober 2008

Ein wenig verwunderlich ist, dass es so wenig Reaktionen gibt auf die Änderung der Insolvenzordnung durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetzt. Offenbar sind die praktischen Auswirkungen vielen Beobachtern noch gar nicht klar, weil alle Blicke auf die Banken gerichtet sind. Dabei gilt die neue Regelung für alle Adressaten der Insolvenzordnung.

Die Auswirkung halte ich für erheblich, denn die 3-Wochenfrist, die bisher von Geschäftsführern für die Insolvenzanmeldung zu beachten war, wird zumindest für die Überschuldung abgeschafft. In der Praxis macht diese Gesetzesänderung einen erheblichen Unterschied aus, da Unternehmen mit schlechter Bilanzlage so mehr Spielraum erhalten, wenn eine positive Fortführungsprognose besteht. Zu beachten ist aber, dass es keine Veränderungen der Vorschriften für drohende Zahlungsunfähigkeit gibt (zu den IDW Prüfungsstandards für Zahlungsunfähigkeit geht es hier).

Hier dokumentiere ich zunächst die Änderungen nebst der Begründung, wie sie im Gesetzentwurf zu finden ist sowie ergänzende Erläuterungen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

§ 19 Abs. 2 Insolvenzordnung nach alter Fassung

(2) Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.

§ 19 Abs. 2 Insolvenzordnung künftiger Fassung nach Artikel 5 FMStG

„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“

Zur Begründung heißt es in der Bundestagsdrucksache 16/10600

Die gegenwärtige Finanzkrise hat zu erheblichen Wertverlusten insbesondere bei Aktien und Immobilien geführt. Dies kann bei Unternehmen, die von diesen Verlusten besonders massiv betroffen sind, zu einer bilanziellen Überschuldung führen. Können diese Verluste nicht durch sonstige Aktiva ausgeglichen werden, so wären die Organe dieser Unternehmenverpflichtet, innerhalb von drei Wochen nach Eintritt dieser rechnerischen Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Dies würde selbst dann gelten, wenn für das Unternehmen an sich eine positive Fortführungsprognose gestellt werden kann und der Turnaround sich bereits in wenigen Monaten abzeichnet.

Nach dem Überschuldungsbegriff des geltenden Rechts bewirkt eine positive Fortführungsprognose lediglich, dass die Aktiva des Unternehmens nicht nach Liquidations- sondern
nach den regelmäßig höheren Fortführungswerten zu bestimmen sind. Gelingt es jedoch dem Unternehmen nicht, auch unter Einbeziehung der stillen Reserven, des Firmenwertes und des „good will“ eine ausgeglichene Bilanz darzustellen, so ist zwingend ein Insolvenzantrag zu stellen (vgl. § 64 Abs. 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG).

Der Gesetzentwurf will das ökonomisch völlig unbefriedigende Ergebnis vermeiden, dass auch Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, zwingend ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen haben. Deshalb wird mit dem neuen § 19 Abs. 2 wieder an den sog. zweistufigenmodifizierten Überschuldungsbegriff angeknüpft, wie er vom Bundesgerichtshof bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung vertreten wurde (vgl. BGHZ 119, 201, 214). Dieser Überschuldungsbegriff hatte den Vorteil, dass das prognostische Element (Fortführungsprognose) und das exekutorische Element (Bewertung des Schuldnervermögens nach Liquidationswerten) gleichwertig nebeneinander standen. Bereits eine positive Fortführungsprognose schloss somit eine Überschuldung im Sinne des § 19 aus. Künftig wird es deshalb wieder so sein, dass eine Überschuldung nicht gegeben ist, wenn nach überwiegender Wahrscheinlichkeit die Finanzkraft des Unternehmens mittelfristig zur Fortführung ausreicht.

Die wichtigste Botschaft für Unternehmen ist einer Pressemitteilung der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zu entnehmen: Die Geschäftsführer von Unternehmen sind nach bisher geltendem Recht verpflichtet, innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der rechnerischen Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Dies gilt selbst dann, wenn für das Unternehmen an sich eine positive Fortführungsprognose gestellt werden kann und der Turnaround sich bereits in wenigen Monaten abzeichnet. Solche Unternehmen sollen künftig nicht mehr verpflichtet sein, sofort einen Insolvenzantrag zu stellen.

„Selbstverständlich profitieren von dieser Neuregelung nicht nur Finanzmarktunternehmen, sondern auch alle übrigen Unternehmen, sie kommt also auch insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen aus anderen Branchen zugute. Damit helfen wir auch einem mittelständischen Handwerksbetrieb in der Rechtsform einer GmbH, der vielleicht im Moment formal überschuldet ist, aber den Zuschlag für einen Großauftrag bekommen hat. Nach geltendem Recht müsste er binnen drei Wochen Insolvenzantrag stellen, obwohl schon heute feststeht, dass nach Abwicklung des Großauftrages nur wenige Wochen später die Überschuldung entfällt „, unterstrich Zypries.

Der insolvenzrechtliche Begriff der Überschuldung soll deshalb so angepasst werden, dass Unternehmen, die voraussichtlich in der Lage sind, mittelfristig ihre Zahlungen zu leisten, auch dann nicht den Gang zum Insolvenzrichter antreten müssen, wenn eine vorübergehende bilanzielle Unterdeckung vorliegt. Mit dieser Regelung wird gerade in Krisenzeiten an sich gesunden Unternehmen der Weg zu einer Sanierung geebnet. Damit werden die Regelungen über den Finanzmarktstabilisierungsfonds wirksam flankiert, die auch systembedingt notleidenden Unternehmen mit einer klaren Restrukturierungsperspektive den Zugang zu diesem Fonds ermöglichen.

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Coien Oktober 18, 2008 um 06:21 Uhr

Danke für die Erläuterungen.
Das mit der zeitlichen Befristung lese ich nicht aus Art. 6, der nur das Inkraftreten regelt.
Im Gegensatz zum Hilfsfonds selbst scheint mir daher die Änderung der Insolvenzordnung nicht zeitglich begrenzt

RA Oktober 17, 2008 um 22:59 Uhr

Zentraler Punkt der Neufassung ist eine belastbare Prognose, dass das Unternehmen fortgeführt werden kann. Nur für diesen Fall greift die Ausnahme, dass ein Unternehmen nicht als überschuldet i.S. der Insolvenzordnung gilt.

Zu beachten ist allerdings, dass die Neufassung vom 17.10.2008 nach Art. 6 FMStG nur bis 31.12.2010 gilt und dann wieder die ursprüngliche Regelung Gesetz sein wird. Daraus ist zu folgern, dass eine positive Prognose in vielen Fällen nur gerechtfertigt ist, wenn die Überschuldung bis Ende 2010 im wesentlichen beseitigt ist, weil andernfalls ab Januar 2011 wieder eine Insolvenzantragspflicht besteht und damit zugleich die Fortführungsprognose für die kommenden zwei Jahre fällt.

Zudem birgt die Neuregelung, die Gefahr einer unkalkulierbaren Haftung für die handelnden Personen, soweit sich herausstellt, dass die Prognose ersichtlich zu positiv war.

Es bleibt abzuwarten, ob durch die Entschärfung das gewünschte Ziel erreicht werden kann oder ob am Ende die Lieferanten, Arbeitnehmer, Sozialversicherungsträger usw. die Zeche für eine zu späte Beantragung der Insolvenz bezahlen müssen. Und die Sanierungsaussichten werden durch eine hinausgezögerte Antragstellung auch nicht verbessert. Nur bei den Hedge-Fonds dürften die Sektkorken knallen, können sie doch im Zusammenspiel mit dem MoMiG nahezu ungehindert liquide Mittel aus dem Eigenkapital abziehen und durch Kredite ersetzen.

Einer Verstärkung der Eigenkapitaldecke deutscher Unternehmen wird die Neuregelung sicherlich nicht dienen.

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