Deleveraging: Der Hebel zur Finanzkrise

by Dirk Elsner on 17. November 2008

Aikido leverage

Mit einem Aikido-Hebel den Gegner zu Boden werfen: Ähnlich bezwingt der Hebel die Finanzmärkte

In der aktuellen Marktsituation fahren scheinbar synchron alle Investoren in sämtlichen Anlageklassen ihre Positionen drastisch zurück. Dies führt in der Folge zu massiven Kursabschlägen bei Aktien und Rohstoffen und zu heftigen Kursbewegungen. Eine Erklärung dafür ist das Deleveraging.

Das aktuelle Gutachten der Wirtschaftsweisen erklärt nüchtern und sachlich, was sich hinter dem Begriff Deleveraging verbirgt und was damit im Zusammenhang mit der Finanzkrise ausgelöst wurde.

Eine wichtige Rolle bei der Verstärkung ökonomischer Zyklen spielt der Leverage-Effekt. In Phasen mit niedrigen Zinsen und einer guten Ertragslage ist es für Unternehmen und Finanzinstitutionen attraktiv, die Rendite des Eigenkapitals durch eine steigende Fremdfinanzierung hochzuhebeln. Dies wird ihnen in der Regel durch eine im konjunkturellen Aufschwung steigende Risikobereitschaft der Kreditgeber ermöglicht. Bei steigenden Vermögenspreisen wird dieser Effekt verstärkt, wenn Bilanzierungsregeln so beschaffen sind, dass die Aktiva zum Marktwert (Mark-to-Market) angesetzt werden, da so das Eigenkapital und damit die Beleihungsspielräume ausgeweitet werden.

Beispiel für die Hebelwirkung im Fall von Schocks
Ein Fonds setzt einen Hebel (gemessen an der Relation von Fremd- zu Eigenkapital) von
4 ein. Bei eigenen Mitteln (Eigenkapital) von 20 kann er Fremdkapital in Höhe von 80 aufnehmen
und damit Aktiva in Höhe von 100 erwerben.
Aktiva Passiva
100 Fremdkapital 80
Eigenkapital 20
Jetzt kommt es zu einem Wertverlust der Aktiva von 5 vH, der bei unverändertem Fremdkapital
zu einem Hebel von 5,3 führt.
Aktiva Passiva
95 Fremdkapital 80
Eigenkapital 15
Wenn der Fonds durch seine Kreditgeber gezwungen wird, den ursprünglichen Hebel von
4 wiederherzustellen, muss er Aktiva in Höhe von 20 verkaufen, um damit das Fremdkapital
auf 60 zu reduzieren.
Aktiva Passiva
75 Fremdkapital 60
Eigenkapital 15
Wenn der Kreditgeber aufgrund der größeren Unsicherheit nur noch einen geringeren Hebel,
zum Beispiel von 3, zulässt, muss der Fonds weitere Aktiva veräußern.
Aktiva Passiva
60 Fremdkapital 45
Eigenkapital 15
Insgesamt hat also eine relativ geringe Ausgangs-störung zu einem erheblichen Verkaufsdruck für den Fonds geführt. Konkret ergibt sich in diesem Beispiel ein Rückgang der Aktiva um 40 vH, was sich nach-teilig auf deren Kurs und über die davon wiederum ausgelösten Effekte auch auf das Finanzsystem insgesamt auswirkt.

Diese prozyklischen Effekte spielen auch im Abschwung eine wichtige Rolle, wenn es gleichzeitig zu einem Wertverfall der Aktiva und einer deutlich vorsichtigeren Kreditvergabe der Banken kommt. Schon relativ geringe Preisrückgänge können dann zusammen mit einem geringeren Hebel zu einem massiven Abgabedruck führen, wie das folgende Beispiel zeigt:Für die Vereinigten Staaten kann gezeigt werden, dass ein prozyklischer Leverage – das heißt ein steigender Verschuldungsgrad in Phasen guter wirtschaftlicher Entwicklung – vor allem bei den großen US-amerikanischen Investmentbanken festzustellen war. Dies ist bei den Geschäftsbanken anders, die einen über den Zyklus hinweg im Wesentlichen konstanten Hebel (Leverage) aufweisen, vor allem deshalb, weil sie bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften unterliegen. Für die großen Investmentbanken (mit einer Bilanzsumme von insgesamt mehr als 5 Bio USDollar) waren entsprechende Begrenzungen des Leverage im Jahr 2004 durch die Securities Exchange Commission (SEC) aufgehoben worden.

Akteure, die in guten konjunkturellen Phasen einen prozyklischen Leverage einsetzen, verringern damit ihre Eigenkapitalpuffer. Sie werden deshalb von negativen Schocks besonders stark betroffen. Durch die Hebelwirkung sind sie gezwungen, in größerem Umfang Aktiva abzustoßen, was bei einer schlechten Marktsituation nur mit erheblichen Verlusten möglich ist. Da solche Institute in der Regel über keine eigenständige Einlagenbasis verfügen und sich überwiegend kurzfristig finanzieren, können sie schnell in eine Situation der Illiquidität oder Insolvenz geraten. Die intensive Nutzung des prozyklischen Leverage erklärt, wieso von den fünf großen US-Investmentbanken bis heute nur zwei überlebten (Morgan Stanley und Goldman Sachs), wobei letztere in reguläre Banken umgewandelt wurden, um in Zukunft über einen breiteren Zugang zu finanziellen Mitteln zu verfügen.

Vom Ende der traditionellen Investmentbanken dürften erhebliche negative Auswirkungen auf die
Geschäftstätigkeit der Hedgefonds
ausgehen. In der Vergangenheit erhielten diese ihre Kreditmittel vor allem von den als „Primebroker“ agierenden Investmentbanken. So verwalteten Morgan Stanley, Goldman Sachs und Bear Stearns rund 50 vH der von Hedgefonds investierten Mittel. Da die Hedgefonds ebenfalls mit einem großen Hebel arbeiten, ergibt sich ein weiterer negativer Selbstverstärkungseffekt. Den Daten von Hedge Fund Research zufolge ist es allein im dritten Quartal 2008 zu einem Rückgang der von Hedgefonds verwalteten Aktiva von 1,93 auf 1,72 Bio US-Dollar gekommen.

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