Aus Vielen wird das Eins gefunden – wie Web 2.0 unsere Kommunikation verändert

by Gastbeitrag on 14. Dezember 2008

Web 2.0 storytelling

Modell Web 2.0

Der folgende Beitrag befasst sich etwas grundlegender mit dem Web 2.0 und wie es unsere Kommunikation verändert. Der Beitrag stammt von Miriam Meckel und ist erschienen in der „Aus Politik und Zeitgeschichte“, Nr. 39 / 22.09.2008.

Einleitung

Web 2.0 beschreibt das Phänomen eines veränderten Internet, in dem sich Vielfalt über die Kreativität der vielen Einzelnen definiert. Das klingt eher technisch, bürokratisch und nach einem Softwareupgrade als nach einer emergenten neuen Form des sozialen Miteinanders. Natürlich steckt all dies auch im Begriff Web 2.0, den Tim O’Reilly im Jahre 2004 prägte, um das neue Internet, die nächste Entwicklungsstufe des globalen Daten- und Kommunikationsnetzes, zu beschreiben. 1 Aber das zugrunde liegende Phänomen einer durch technische Innovationen ermöglichten neuen Form des sozialen Miteinanders mit all seinen Folgen für die Kommunikation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bedarf einer Bestimmung, die nicht nur den Veränderungen der Technik, sondern auch jenen der Kommunikation in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft gerecht wird. 2 Web 2.0 ermöglicht die selbst organisierte Interaktion und Kommunikation der Nutzerinnen und Nutzer durch Herstellung, Tausch und Weiterverarbeitung von nutzerbasierten Inhalten über Weblogs, Wikis und Social Networks. Über kommunikative und soziale Vernetzung verändern die Nutzer die gesellschaftliche Kommunikation – weg von den Wenigen, die für Viele produzieren, hin zu den Vielen, aus denen Eins entsteht: das virtuelle Netzwerk der sozial und global Verbundenen.

Die Netzwerkgesellschaft

Diese Veränderung durch die Vernetzung, die im Internet zwischen einer endlosen Zahl unterschiedlicher Knotenpunkte möglich ist und beispielsweise in der redaktionellen Nutzung des Netzes über Weblogs und andere Contentsysteme qua Verlinkung und Verweis funktioniert, bringt langfristig ein gewandeltes Gesellschaftsmodell hervor, das sich als eine Netzwerkgesellschaft beschreiben lässt. Diese steht für einen veränderten Zugriff auf Informationen, veränderte Wissensstrukturen und neue Kommunikationsstrategien: Lineare werden durch reflexive Strukturen ersetzt, Hierarchien weichen Netzwerken – und dies zum Nutzen aller. In einem Papier der RAND-Corporation über dezentralisierte Netzwerke wurden schon 1964 die Vorteile solch einer Vernetzung beschrieben, die auch derzeitige rapide gesellschaftliche Durchdringungen von Web 2.0-Angeboten erklärt: 3 Solch dezentrale Netzwerkstrukturen, aus denen das Internet – wie wir es heute kennen – entstand, wurden ursprünglich entwickelt, um militärischen Zwecken zu dienen und um im Ernstfall den Ausfall eines Netzteils durch andere Teile kompensieren zu können. Ein dezentrales Netzwerk kann schnell auf Veränderungen im Netzwerk reagieren und Datenströme umleiten. Diese Unsteuerbarkeit und Unangreifbarkeit macht auch im nichtmilitärischen Bereich den Reiz des Netzes aus: Sie erschwert es, Informations- und Kommunikationsströme zu beherrschen oder zu monopolisieren. Natürlich gibt es auch im Netz zeitweilig erfolgreiche Versuche der Zensur, etwa in der Volksrepublik China. Aber sie sind die Ausnahme und werden immer wieder durch clevere Nutzer durchkreuzt. Das Internet erschwert es dem Souverän wie nie zuvor in der Weltgeschichte, seinen Untertanen Kreativität zu verbieten. Wer kommunizieren will, kann dies tun, und wer ein Thema ins Netz einspeisen will, ist auf Dauer nicht daran zu hindern. Er oder sie findet immer einen Zugangs- und Knotenpunkt, über den die Information durchs Netz diffundieren kann. Diese Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten sind durch die Aktivierung der Nutzer über selbst produzierte Inhalte (user generated content) in einem weiteren wesentlichen Schritt egalisiert und damit demokratisiert worden.

Die Vernetzung ist damit weit mehr als eine technische Verbindung zwischen zahlreichen Computern überall auf unserer Welt. Sie stellt vielmehr eine neue Form der kommunikativen Selbstorganisation dar. Die ersten Ansätze dazu hatte bereits Web 1.0 gebracht, das als interaktive Plattform jedem Nutzer über eine IP-Adresse (Internet Protocol) ermöglichte, digitalisierte Informationen zu erhalten und mit anderen zu kommunizieren. Im Web 2.0 können die Nutzer diese Informationen neu zusammensetzen, mit anderen Nutzern teilen und gemeinsam etwas neues produzieren. Mit der durch technische Innovation ermöglichten Kapazitätserweiterung des Internets kann sich so auch das Verhältnis der Wenigen zu den Vielen ändern, und damit unsere ganze Gesellschaft.

Die Analogie zum Wirtschaftssystem drängt sich auf, weil es im neuen Netz um einen anderen Umgang mit Informationsgütern geht, die auf virtuellen Märkten angeboten werden, und zwar nicht mehr allein unter den Bedingungen der Regeln, die wir aus unserem analogen Wirtschaftssystem kennen. Darin unterscheiden wir bislang grundsätzlich zwei Organisationsmodi: das Unternehmen und den Markt. Beide wirken zusammen, wenn auch über unterschiedliche Koordinationsansätze. Unternehmen koordinieren Ressourcen (wie etwa Mitarbeiter, Kapital), was in der Regel durch eine hierarchische Ausgestaltung des Managements erfolgt. Märkte koordinieren Angebot und Nachfrage über den Preis. Web 2.0 bringt nun einen neuen Koordinationsmechanismus in Spiel: die Koordination über die Tauschwerte Aufmerksamkeit und Beachtung. Communities (virtuelle Gemeinschaften) koordinieren die Herstellung informations- und kommunikationsbasierter Güter in einem selbstorganisierenden und emergenten Prozess. Der Wert dieser Güter entsteht aus der ihnen in diesem kollektiven Prozess zugewiesenen Aufmerksamkeit. Sie sind nutzerbasiert und folgen dem Open-Source-Prinzip. Das bedeutet, jeder kann in den Herstellungsprozessen mittun, diese mitgestalten, den „Code“ der Informationsgüter weiterschreiben. Yochai Benkler beschreibt die Netzwerkökonomie als „the rise of nonmarket production to much greater importance“, in der „every (…) effort is available to anyone connected to the network, from anywhere, [which] has led to the emergence of coordinate effects, where the aggregate effect of individual action (…) produces the coordinate effect of a new and rich information environment“. 4 Die neueren Entwicklungen der Netzwerkgesellschaft reichen über die Frage der Teilhabe an Märkten durch technische Anschlussfähigkeit weit hinaus: Es geht also um die Teilnahme am Herstellungsprozess dieser Informations- und Kommunikationsgüter in einer „culture of participation“, 5 und damit um die Veränderungen der Kommunikationssoziologie und -ökonomie unserer Gesellschaft.

Die Gesetze der Peer Production

Diese neuen Koordinationsmechanismen charakterisieren auch die veränderten Kommunikationsverhältnisse in der Netzwerkgesellschaft. Der Netzphilosoph David Weinberger beschreibt, wie das Web in seiner Grundstruktur auch unsere Kommunikationsformen prägt und verändert. Nachdem die zentralen Kontrollpunkte für die Verwaltung von Inhalten entfernt wurden, entsteht im Web eine locker verbundene Sammlung von Inhalten und Verbindungen (Links) in einem Ausmaß, das bislang einmalig und in seiner Entwicklung unabsehbar ist. In diesem Web finden sich unzählige Einzeldokumente („small pieces loosely joined“), die beliebig verbunden und zusammengesetzt werden können. Was das Web mit den Inhalten gemacht hat, das macht es nun auch mit unseren Institutionen und Strukturen – und mit uns selbst: Auch wir Menschen sind flexibel und in vielen Varianten miteinander verbunden in diesem Netz der kommunikativen Verbindungen. 6

Dieser Prozess beschleunigt und verstärkt sich in den letzten Jahren: Das Web 1.0 war noch aus Seiten zusammengesetzt, die in einer bis dahin unbekannten Art und Form über Hypertext verlinkt waren, wodurch sich eine erste Stufe der dreidimensionalen (horizontal, vertikal und räumlich) Vernetzung ergab – im Vergleich zu heute allerdings in statischer Form. Das Web 2.0 konstituiert sich hingegen flexibel daraus, was Menschen im Netz anbieten und wie sie sich miteinander verbinden. Es sind nicht mehr nur die Seiten, die verlinkt sind, sondern auch die Menschen vernetzen sich täglich neu und anders. Sie bilden in diesen Vernetzungsprozessen flexible Communities, die immer neue Inhalte hervorbringen, indem sie Neues einstellen oder Bestehendes anders zusammensetzen.

Ein Beispiel hierfür ist Wikipedia: Die Internet-Enzyklopädie entsteht durch die gemeinschaftliche Produktion von Einträgen zu allen vorstellbaren Themen und Fragen dieser Welt. Eine beliebige Zahl von Autoren schreibt an den einzelnen Einträgen mit und überprüft sie permanent. Dieses Verfahren ist schnell und sehr flexibel; das Produkt ist viel aktueller als es beispielweise die gedruckte Ausgabe der „Encyclopaedia Britannica“ jemals sein könnte. Und die Qualität der Ergebnisse ist – kürzlich belegt durch eine Studie der Wissenschaftszeitschrift „Nature“ – interessanterweise nahezu gleichwertig. 7Dieser Prozess kann als Peer Production 8 bezeichnet werden: die Kooperation Gleichgestellter und Gleichgesinnter in losen Netzwerken zur Herstellung von informationsbasierten Gütern und Dienstleistungen. Sie scheint durch drei Gesetzmäßigkeiten gekennzeichnet: 1. Partizipation: Jeder kann sich an allen Kommunikationsprozessen beteiligen – unabhängig von Hierarchien oder institutionellen Anbindungen. Für viele Macher und Nutzer des Netzes bedeutet das die Demokratisierung der Informations- und Medienwelt; 2. Emergente Vernetzung: Wer etwas Neues ins Netz einbringt, verändert mit seinem Beitrag Inhalt und Qualität des gesamten Angebots für alle Netznutzer. Nach dem Motto: Meine Produktivität wächst, wenn du ins Netz gehst; deine Produktivität wächst, wenn ich ins Netz gehe; 3. Transparenz: Diese Prozesse der Herstellung und Bereitstellung von Informationen und Kommentaren im Netz sind absolut transparent, also nachvollziehbar. Jeder Beitrag kann diskutiert, in seinen Einzelteilen überprüft, bestätigt oder in Frage gestellt werden.

Neu an dieser Veränderung der informationellen Güter in der Netzwerkgesellschaft ist die Kombination individueller Informationen, Bewertungen und Vorlieben zu einem Gesamten – ein Prozess, der unter dem Begriff der „Weisheit der Vielen“ bekannt geworden ist. Ergebnis der kollaborativen Informationsherstellung und -verarbeitung durch ein vernetztes Kollektiv ist eben nicht ein kleinster gemeinsamer Nenner, sondern Exzellenz, die der Einzelne alleine für sich in der Regel nicht herstellen und gewährleisten kann. „Für gewöhnlich bedeutet Durchschnitt Mittelmaß, bei Entscheidungsfindungen dagegen oft Leistungen von herausragender Qualität. Allem Anschein nach sind wir Menschen also programmiert, kollektiv klug und weise zu sein.“ 9

Die Kraft des „kollektiven Wir“ hat sich erst durch die Entwicklung der digitalen Technologien in Verbindung mit dem Internet voll entfalten können und die Kommunikationsprozesse in unserer Gesellschaft sowie deren Produkte, die immateriellen Informations-, Meinungs- und Kulturgüter, enthierarchisiert und dezentralisiert. Das gilt etwa auch für die Art und Weise, in der Themen in den öffentlichen Diskurs eingebracht und auf die aktuelle Agenda dieses Diskurses gesetzt werden.

Weblogs: Agenda Setting im Web 2.0

Kommunikationsplattformen der „Netzwerkgesellschaft“ sind vor allem Weblogs, deren Anzahl inzwischen laut Technorati auf weltweit mehr als 70 Millionen gewachsen ist. Die Blogosphäre (Gesamtheit aller Weblogs) wächst mit 120 000 neuen Weblogs pro Tag ebenso rasant, wie sich das Mitteilungsbedürfnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Blogger) entwickelt hat: Sie stellen weltweit pro Tag etwa 1,4 Millionen Postings ein. 10

Weblogs gelten als eigenständiges Format in der neuen Kommunikationsmatrix der Netzwerkgesellschaft, weil ihre Inhalte in chronologischer Form geordnet und in dialogorientierter Weise auf einer Website dargestellt werden und die Teilnehmer in einem zuweilen sehr persönlichen Kommunikationsstil über persönliche Einstellungen, Bewertungen und Erfahrungen schreiben können. Weblogs sind zwar oftmals hochgradig subjektiv, haben sich aber vielleicht gerade deshalb zu einer nachhaltigen kommunikativen Einflussgröße entwickelt. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass ihre wissenschaftliche Analyse bislang nur kursorisch erfolgt. Viele wissenschaftliche Veröffentlichungen aus den vergangenen Jahren konzentrieren sich auf die Beschreibung des Phänomens (Andrew O’Baoill) sowie dessen Klassifizierung (Ansgar Zerfass/Dietrich Boelter), 11 während die Faszination dieser neuen Kommunikationsplattformen davon ausgeht, dass sie eben nicht klassifizierbar oder steuerbar sind. Dennoch macht die Vernetzung der Teilnehmer über Blogs die „Mundpropaganda“ inzwischen zu einem wichtigen Multiplikations- und Verstärkungsinstrument für das Agenda-Setting im Netz. 12 Ein Beispiel aus der Wirtschaft: Im Juni 2005 beschwerte sich der professionelle US-Blogger Jeff Jarvis in seinem Blog „buzzmachine“ über seinen neuen DELL-Computer. Er hatte beim Kauf zusätzlich für einen Service bezahlt, der garantieren sollte, dass der PC durch einen Techniker im Falle eines Problems bei ihm zu Hause repariert würde. Die Firma DELL war offenbar nicht in der Lage, diesen Service zur Verfügung zu stellen. Nach einigen Auseinandersetzungen mit DELL begann Jeff Jarvis in seinem Blog über das Problem zu berichten. In seinem zweiten Posting über den mangelhaften Kundenservice von DELL kreierte Jeff Jarvis den Begriff „DELL Hell“. Eine Abfrage bei Google ergab vier Wochen nach Beginn der Weblog-Debatte über die Servicequalität von DELL 3,5 Millionen Treffer. Inzwischen hatten sich unzählige weitere unzufriedene Kunden der Diskussion im Blog von Jeff Jarvis, aber auch auf weiteren Kommunikationsplattformen angeschlossen. Eine Diffusionsanalyse der Kommunikationsbeziehungen in der Netz-Community zur Servicequalität von DELL zeigt, 13 dass erstens Weblogs die Kommunikationsstrukturen rund um das Issue Kundenzufriedenheit bei den Produkten und Services des Unternehmens DELL dominieren und zweitens 37 Prozent aller Verlinkungen der Informationsströme rund um dieses Issue auf den Blogger Jeff Jarvis zurückgehen. Fazit: Die beschriebenen Besonderheiten der informations- und kommunikationsbasierten Güter, hergestellt in einem Prozess der Peer-Production, ermöglichen es einem einzelnen Kommunikator, im Netz ein Thema zu setzen und ein Unternehmen zeitweilig kräftig unter Druck zu setzen. In der Politik beobachten wir ähnliche Prozesse: Im US-Präsidentschaftswahlkampf musste sich der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama monatelang für eine auf einer nicht-öffentlichen Fundraisingveranstaltung im April 2008 geäußerte Bemerkung verantworten. Er hatte in San Francisco über Kleinstadtamerikaner gesprochen, die ob ihrer ökonomischen Situation verbitterten und sich an ihre Waffen klammerten, ihre Religion oder ihre Ablehnung gegenüber Menschen, die anders seien als sie selbst. Dies wurde von einer Bloggerin für OffTheBus.net aufgegriffen, eine Website, die vom populären Nachrichten-, Gerüchte- und Blogportal Huffingtonpost.com veröffentlicht wird. Dieses eine Blogposting diffundierte innerhalb von wenigen Stunden in die Medien und geriet zur Sensationsnachricht. 14 Alle traditionellen Medien griffen die Obama-Bemerkung auf und bis zur eigentlichen Entscheidung über die Kandidatur Obamas beherrschte sein Zitat die mediale Berichterstattung.

Social Networking: die Dynamik der Netzwerkkommunikation

Die weitgehend unkontrollierte und unsteuerbare Information und Kommunikation der Vielen scheint folglich ein wesentliches Attraktions- und Funktionskriterium der Netzwerkkommunikation zu sein. Das zeigt die Vielfalt der entsprechenden Angebote im Netz und ihre intensive Nutzung. In der Blogosphäre, aber auch auf vielen anderen Seiten im Internet tummeln sich Milliarden von Menschen, um sich selbst darzustellen, ihren Einstellungen und Meinungen Ausdruck zu verleihen und sie mit anderen zu teilen. Das geschieht in Weblogs ebenso wie auf anderen Plattformen und in anderen Formen des Web 2.0, die für den Einzelnen, für Communities, Unternehmen, Institutionen oder Parteien neue Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten bieten. Diese Plattformen und ihre Vernetzungs- und Kommunikationsangebote werden unter dem Begriff des Social Networking zusammengefasst. Social Networking Websites bieten Nutzern die Möglichkeit, sich in wechselnden virtuellen Communities zusammenzuschließen, indem sie individuelle Nutzerprofile einstellen und sich über verschiedene Kommunikationswege (E-Mail, Chat, Weblogs, Instant Messaging usw.) austauschen, um so Gleichgesinnte zu finden, mit denen sie sich über gemeinsame Interessen austauschen oder mit denen sie einfach kommunizieren können.

Im engeren Sinne zählen dazu vor allem Vernetzungsseiten wie friendster.com, myspace.com, facebook.com. Auf all diesen Seiten stellen die Nutzerinnen und Nutzer persönliche Profile ein, mit denen sie sich selbst sowie ihr Lebens- und Freundesumfeld darstellen. Zu diesen Profilen gehören detaillierte Angaben zur Person, zu persönlichen Vorlieben und individuellen Einstellungen. Auf fast allen Seiten lassen sich dann Fotos, Videos und sonstige Dateien hoch laden und einstellen, die das Bild der Person abrunden und für andere Menschen mit ähnlichen Profilen oder Interessen attraktiv sein sollen. Ziel der aktiven Nutzung dieser Websites ist es, sich mit Menschen zu verbinden, die ähnliche Interessen und Vorlieben haben, um eine virtuelle oder reale Bekanntschaft oder Freundschaft einzugehen, die oftmals nur für eine begrenzte Zeit angelegt ist. Da sich Menschen als soziale und kommunikative Wesen auf diesem Wege unkompliziert und mit globalem Zugriff vernetzen können, wächst die Attraktivität dieser Websites seit ihrem Start ungebremst. So hat Facebook beispielsweise mehr als 80 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer weltweit. Die Seite steht auf Platz 6 der meist genutzten Websites weltweit und ist mit täglich mehr als 14 Millionen hoch geladenen Fotos die wichtigste und meistgenutzte Fotoseite im Internet. 15

Besonders erfolgreich sind weiterhin die Videoportale, auf denen jeder Netznutzer Videos hoch laden und einstellen kann. Auf der Videoplattform Youtube werden täglich mehr als 100 Millionen Videos gezeigt und angeschaut. In jeder Minute werden etwa zehn Stunden neuen Videomaterials auf der Website eingestellt. 16 Das Entwicklungs- und Marktpotential hat auch Google erkannt und Youtube 2006 für rund 1,65 Milliarden US-Dollar gekauft. 17 Das Konzept der Selbstdarstellung im Netz, das Social Networking so attraktiv macht, entwickelt Youtube als audiovisuelle Plattform weiter und reflektiert es in seinem Unternehmensclaim „Broadcast Yourself“.

Diese Angebote im Internet wachsen in quantitativer Hinsicht exponentiell und werden in qualitativer Hinsicht gerade für die jüngeren Generationen (aber nicht nur für sie!) von einer Verständigungs- zu einer Lebensform mit Veränderungspotential für die gesellschaftliche Kommunikation. Kommunikation beschleunigt sich: Ein einzelnes Posting in einem Weblog kann ausreichend sein, um eine Resonanzwelle auszulösen, die betroffene Organisationen oder Personen vor die Herausforderung stellt, schnell und adäquat zu reagieren. Der gezielte Angriff gegen eine Organisation und ihre Marke im Netz („Brand Attack“) oder gegen einzelne Nutzer („virtuelles Mobbing“) sind Bespiele für Gefahren dieser umfassenden und unkontrollierbaren Kommunikationsmöglichkeiten. Diese Beschleunigung lässt sich allerdings auch positiv nutzen. In der viralen Kommunikation 18 bietet die beschleunigte Informationsverbrei- tung im Netz auch die Möglichkeit, eine wichtige Information, eine neues Produkt oder ein Gerücht über die Plattformen des Social Networking in wenigen Stunden oder gar Minuten mehreren hundert Millionen Menschen zugänglich zu machen. So dauerte es beispielsweise keine dreieinhalb Minuten, bis das Gerücht, Apple werde ein eigenes Mobiltelefon auf den Markt bringen, sich seinen Weg durch die Netzwelt gebahnt hatte. 19 Ordnungen und Hierarchien verschwinden: In der Welt des Web 2.0 müssen wir uns daran gewöhnen, dass alte Ordnungen nicht mehr zählen, Hierarchien keine Bedeutung haben und Formen spontan durch dezentrale Vernetzung geprägt werden. Nach Ansicht des Internetphilosophen David Weinberger zählt jede Information und jedes digitale Etwas im Netz zur Kategorie „Verschiedenes“. 20 Dadurch entsteht für den an die Ordnungsdimensionen der analogen Welt gewöhnten Menschen zunächst einmal Chaos, das es zu strukturieren gilt. Ein Beispiel: Wer eine CD kauft, wird sie vermutlich an eine bestimmte Stelle in sein Musikregal stellen. Die CD hat also einen Platz, der geografisch bestimmt ist und in der Regel mit einer thematischen Zuordnung, wie etwa der Musikrichtung, verbunden wird. In der digitalen Welt kann jedes Musikstück verschiedenen Klassifikationen zugehören: dem MP3-Musikarchiv ebenso wie den iTunes, der privaten Partyplaylist ebenso wie dem Musikordner, in dem die Stücke verwaltet werden, die man beruflich für die Vertonung von Hörspielen oder Fernsehbeiträgen braucht. Das Netz offeriert also zunächst einmal Chaos. Daraus kann wiederum Kreativität und Innovation erwachsen, wenn es den Anwendern gelingt, die (Un)Ordnung des Web zu verstehen und produktiv zu nutzen. Information wird zum kollektiven und kollaborativen Gut: Informationen sind im Web 2.0 ein gemeinschaftlich produziertes Gut, das dem Open-source-Prinzip unterliegt. Das bedeutet, jeder kann die Information mitgestalten, an ihrem Code mitschreiben, sie bewerten und weiterverbreiten. Diese kollektiven und kollaborativen Kommunikationsprozesse setzen zuweilen enorme Kreativität und Innovationen frei, indem Informationen mit anderen Informationen verbunden werden („mash ups“), um etwas Neues, Unbekanntes hervorzubringen. So erlaubt beispielsweise die Microsoft-Software „Photosynth“, aus beliebigen Fotos von einem Objekt, die von unterschiedlichen Nutzern aus unterschiedlichen Winkeln mit verschiedenen Objekti- ven gemacht wurden, eine dreidimensionale Ansicht des fotografierten Objekts zusammenzusetzen. 21 So können Fotografen aus aller Welt gemeinsam – und doch getrennt voneinander – dazu beitragen, ein 3-D-Bild des Trevi-Brunnens in Rom oder der Kathedrale Notre Dame in Paris im Netz zu generieren.

Triangulärer Kommunikationsmodus

Social Networking verändert die Rolle und Bedeutung von Informationen im Kommunikationsprozess und räumt endgültig mit den Vorstellungen einer „Sender-Empfänger-Beziehung“ zwischen Kommunikator und Rezipient auf. Unter den neuen Regeln der Peer Production ist jeder, unabhängig von institutioneller Anbindung und Legitimation, ein Kommunikator unter vielen. Er macht Informationsangebote, deren Nutzung im Prozess der sozialen Vernetzung kaum vorhersagbar ist. Er sendet nicht einmalig eine Botschaft, sondern wird zum dauerhaften Kommunikations- und Interaktionspartner mit seinen Communities und einer undefinierten, nicht abgrenzbaren Öffentlichkeit. Dabei scheint sich zunehmend ein triangulärer Kommunikationsmodus herauszukristallisieren, der den einzelnen Kommunikator in drei Funktionen im Netz aktiv zeigt: express: Eine der wichtigsten Funktionen der Netznutzung besteht darin, sich selbst und den eigenen Interessen Ausdruck zu verleihen. Bei einer Befragung US-amerikanischer Blogger geben 52 Prozent der Befragten als Hauptmotiv für die Kommunikation im Web an, sich selbst kreativ mitteilen zu wollen („to express yourself creatively“). 22 Eine Studie über deutsche Blogger kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: 66,8 Prozent der Befragten gaben an, Weblogs zu nutzen, „weil ich was zu sagen habe und selber gerne schreibe“. 23 connect: Die zweitwichtigste Funktion der Web 2.0 basierten Kommunikation ist die Vernetzung und der Austausch mit anderen Nutzern und mit Gleichgesinnten. Wenn das eindrucksvolle Wachstum und die Erfolgsgeschichte der Social Networking Website nicht schon als Beleg dafür reichen, dass Menschen mit Menschen im Internet in Kontakt treten wollen, dann mag die Motivlage der Blogger diese Erkenntnis noch unterstreichen: In den USA wollen 37 Prozent der Blogger über das Netz mit Freunden und Bekannten in Kontakt bleiben, 16 Prozent wollen neue Menschen über das Netz kennen lernen. In Deutschland wollen sich 55 Prozent mit anderen austauschen, 18 Prozent wollen mit neuen Leuten in Kontakt kommen. 24 share: Ein drittes wichtiges Moment in der vernetzten Kommunikation ist die Teilhabe an Informationen, Meinungen und Wissen anderer sowie der Drang, anderen auch die eigenen für wichtig gehaltenen Informationen zur Verfügung zu stellen. Das hinterlegte Grundprinzip dieser Teilhabe- und Verweisfunktion der Netzwerkkommunikation geht auch in die im Web entstandenen und fortgeschriebenen kollektiven Empfehlungs- und Indexierungsprozesse ein, die unter dem Begriff der „Folksonomy“ zusammengefasst werden. 25 Im Web 2.0 wird das relevant, was durch andere, zur eigenen Community gehörige oder aus anderen Gründen wichtige Personen im Netzwerk empfohlen und weiterverbreitet wird. Im Web ist daher der „share-button“, mit dem man Freunden oder der Peer Group Informationen weiterleiten kann, ein wichtiges Instrument, das über Verbreitungs- und Kommunikationserfolg wesentlich mit entscheidet.

Individualisierter Ausdruck, Vernetzung und Austausch als neue Formen der Kommunikation sind wichtige Belege dafür, dass Web 2.0 eben nicht nur eine technologische Veränderung der Netzwerkkommunikation im Sinne eines Softwareupgrades darstellt, sondern eine neue Qualität in die Funktionen und Formen gesellschaftlicher Kommunikation eingeführt hat. Es sind nicht mehr allein die „Biographien großer Männer“, die Weltgeschichte schreiben, wie es der schottische Philosoph Thomas Carlyle im 19. Jahrhundert beschrieben hat. 26 Es ist heute vielmehr jeder Einzelne, der als Teil der Vielen ein Netzwerk ausmacht, der vernetzt kommuniziert und dabei die Geschichte der Mediengesellschaft in die einer Netzwerkgesellschaft umschreibt. Aus Vielen wird das Eins gefunden, das als Prozess der kommunikativen These und Gegenthese die Synthese hervorbringt – das sich wandelnde Eins als die Öffentlichkeit unserer Gesellschaft. In den Worten des Internetphilosophen David Weinberger: „We are the true small pieces` of the Web and we are loosely joining ourselves in ways that we’re still inventing.“ 27

1 Vgl. Tim O’Reilly, Web 2.0: Compact Definition?, in: http://radar.oreilly.com/2005/10/web-20-compact-definition.html (15.7. 2008).
2 Vgl. Howard Rheingold, Smart mobs. The next social revolution transforming cultures and communities in the age of instant access, Cambridge 2002; Tim O’Reilly, Web 2.0 Compact Definition: Trying again, Sebastopol 2006; Raimund Hoegg/Miriam Meckel/Katarina Stanoevska-Slabeva/Robert Martignoni, Overview of business models for Web 2.0 communities. Paper presented at the GeNeMe, Dresden 2006.
3 Vgl. Paul Baran, On distributed communications: Introduction to distributed communication networks, RAND-Corporation Memorandum RM-3420-PR, August 1964, in: http://www.rand.org/pubs/resear ch_memoranda/2006/RM3420.pdf (15.7. 2008).
4 Yochai Benkler, The Wealth of Networks. How Social Production Transforms Markets and Freedom, New Haven 2006, S. 4 f.
5 Erick Schonfeld, The Economics of Peer Production. Could the culture of participation threaten the existence of the firm?, in: http://business2.blogs.com (31.10. 2005).
6 Vgl. David Weinberger, Small Pieces Loosely Joined. A Unified Theory of the Web, New York 2002.
7 Vgl. Jim Giles, Internet encyclopaedias go head to head. Jimmy Wales‘ Wikipedia comes close to Britannica in terms of the accuracy of its science entries, a Nature investigation finds, in: http://www.nat ure.com/news/2005/051212/full/438900a.html (27.8. 2007). Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag von Christian Stegbauer in dieser Ausgabe.
8 Vgl. Yochai Benkler, Coase’s Penguin, or, Linux and The Nature of the Firm, in: The Yale Law Journal, 112 (2002/2003), hier in: http://www.yale.edu/yalelj/112/BenklerWEB.pdf (15.7. 2008).
9 James Surowiecki, Die Weisheit der Vielen. Warum Gruppen klüger sind als Einzelne und wie wir das kollektive Wissen für unser wirtschaftliches, soziales und politisches Handeln nützen können, München 2005, S. 33. Vgl. auch Barry Libert/Jon Spector, We are smarter than me. How to unleash the power of crowds in your business, Upper Saddle River, New Jersey 2008.
10 Vgl. www.technorati.com, siehe auch http://www.sifry.com/alerts/archives/000493.html (15.7. 2008).
11 Vgl. Andrew O’Baoill, Conceptualizing The Weblog: Understanding What It Is In Order To Imagine What It Can Be, in: interfacings – Journal of Contemporary Media Studies, vom 8.2. 2005, http://www. comm.uiuc.edu/icr/interfacings/OBaoillWeblogs020 805.pdf.; Ansgar Zerfass/Dietrich Boelter, Die neuen Meinungsmacher. Weblogs als Herausforderung für Kampagnen, Marketing, PR und Medien, Graz 2005.
12 Vgl. Allan J. Kimmel, Rumors and Rumor Control: A Manager’s Guide to Understanding and Combatting Rumors, Mahway, New Jersey 2004; Emanuel Rosen, The Anatomy of Buzz: How to Create Word-of-Mouth Marketing, New York 2000.
13 Vgl. Market sentinel, onalytica & immediate future, Measuring the influence of bloggers on corporate reputation, in: http://www.marketsentinel.com/files/MeasuringBloggerInfluence612 05.pdf (2.5. 2006).
14 Vgl. Katharine Q. Seelye, Blogger Is Surprised by Uproar Over Obama Story, but Not Bitter, in: New York Times vom 14.4. 2008, hier http://www.nytimes.com/2008/04/14/us/politics/14web-seelye.html?pagewanted=all (15.7. 2008).
15 Vgl. http://www.facebook.com/press/info.php?statistics (15.7. 2008). Bei den quantitativen Angaben zu einzelnen Websites und zur Nutzungsentwicklung ist Vorsicht geboten, da statistische Nachweise und Vergleichbarkeit oft nur schwer prüfbar sind.
16 Angaben nach http://mediatedcultures.net/ksudigg/?p=163 und youtube.com (15.7. 2008), Einschränkung siehe Anmerkung 15.
17 Vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,441 686,00.html (15.7. 2008).
18 Vgl. Sascha Langner, Viral Marketing, Wiesbaden 2005.
19 Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=vXVbxtfJBCk (15.7. 2008).
20 Vgl. David Weinberger, Everything is Miscellaneous. The Power of the New Digital Disorder, New York 2007.
21 Vgl. http://labs.live.com/photosynth/default.html (15.7. 2008).
22 http://www.pewinternet.org/pdfs/PIP%20Bloggers%20Re port%20July%2019 %202006.pdf (15.7. 2008).
23 www.blogstudie2007.de (15.7. 2008).
24 Vgl. Anm. 22, 23.
25 Matthes Fleck/Lars Kirchhoff, Folksonomy und Tags. Oder warum es im Web keine Regale gibt, in: Miriam Meckel/Katarina Stanoevska-Slabeva (Hrsg.), Web 2.0. Die nächste Generation Internet, Baden-Baden 2008, S. 188 – 199.
26 „The history of the world is but the biography of great men“, zit. nach http://www.britannia.com/bios/carlyle.html (15.7. 2008).
27 D. Weinberger (Anm. 6), S. X. &linie78;



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sdfsdfsdfsdfsdfsfsdf Dezember 18, 2008 um 06:05 Uhr

Ist ja toll

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