Können Vorhersagen vorhersagen?

by Gastbeitrag on 23. Dezember 2008

Das Thema Prognosen, ihre Qualität und ihre Wirkung sind in diesen Wochen häufiger Thema in diesem Blog. Dr. Georg Erber hat den nachfolgenden interessanten Beitrag zum Thema in der Readers-Edition veröffentlicht. Erber arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dürfte daher die Prognosepraxis aus erster Hand kennen. Blick Log übernimmt diesen Beitrag unter den Lizenzbedingungen der Readers Edition.

Prognosen sind schwierig, … besonders wenn sie die Zukunft betreffen

Seit einigen Tagen tobt in der Öffentlichkeit ein Streit über Wirtschaftsprognosen. Aufgrund der dramatischen Entwicklung der letzten Monate insbesondere nach der Pleite von Lehmann Brothers im September zeigt sich, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Weltwirtschaft dramatisch einzubrechen droht bzw. schon zu einem erheblichen Teil eingebrochen ist. Damit sind Prognosen, die vorher für die nähere Zukunft insbesondere das Jahr 2009 vor dem September 2008 abgegeben wurden, weitgehend Makulatur. Aufgrund der sich überstürzenden Ereignisse fällt es den Wirtschaftsprognostikern schwer glaubwürdig die Entwicklung der nächsten Monate vorherzusagen. Sollte man deshalb auf sie ganz verzichten?

Punktprognosen sind immer hochgradig irreführend

Die Öffentlichkeit ist daran gewöhnt, dass man ihnen möglichst auf eine Nachkommastelle genau die zukünftige Entwicklung des Bruttoinlandsprodukte und der wichtigsten anderen gesamtwirtschaftlichen Aggregate als Prozentsatz vorhersagt. Diese Art der Prognose war und bleibt insbesondere unter den besonderen Gegebenheit aus Sicht der Statistik suspekt. Jeder, der ein wenig Grundkenntnisse in Statistik hat, weiß, dass die Wahrscheinlichkeit punktgenau ein Ergebnis vorhersagen zu wollen, praktisch unmöglich ist sobald Zufallsprozesse am Werke sind. Mithin sind Aussagen wie das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wird im Jahr mit einer Veränderungsrate von x Prozent fallen oder steigen von vornherein pure Spekulation. Was damit letztendlich meint, ist, dass man dieses Ergebnis für das wahrscheinlichste, d.h. als den Erwartungswert, ansieht. Gerade in Zeiten hoher Volatilität der Wirtschaftsentwicklung, wo einzelne Ereignisse auf die Gesamtwirtschaft massiv durchschlagen, können derartige Aussagen irreführend sein, da sie eine falsche Sicherheit vorgaukeln, die de facto auch aus Sicht der Prognostiker sowieso so nicht besteht.

Prognoseintervalle wären angemessen

Es ist daher sinnvoller eher mit Prognoseintervallen zu arbeiten, d.h. mit Aussagen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Wert zwischen x bzw. y Prozent erwarten lassen. Je größer die Spannweite eines solchen Intervalls ist, desto größer ist die Unsicherheit über die Genauigkeit der Prognose. Wenn ein solches Intervall alle möglichen denkbaren Zustände überdeckt, dann kann man es auch gleich ganz sein lassen, denn dann wäre man auf dem Niveau einer Aussage angelangt, die da lautet: Morgen ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.

Soweit so gut. Derzeit wird in der Ökonomenzunft eine Schrumpfung von bis zu vier Prozent (ein worst-case-Szenario der DB Research) für die deutsche Wirtschaft für möglich gehalten. Wer weniger vermutet liegt daher innerhalb der Schwankungsbreite der übrigen Prognosen, die mehr oder weniger zwischen -1% und -4% variieren.

Helfen solche Informationen der Politik und breiten Öffentlichkeit weiter? Nun ja, sie signalisieren zumindest eine generelle Tendenz eines mehr oder minder starken konjunkturellen Einbruchs. Insofern zeigen sie einen dringenden konjunkturpolitischen Handlungsbedarf, wenn man eine mehr oder minder schwere Rezession bis hin zu einer möglichen Depression verhindern will.

Self-Fulfilling oder Self-Defeating Prophecies

Nun gilt zumindest in den Sozialwissenschaften, dass Prognosen von den Menschen nicht fatalistisch zur Kenntnis genommen, sondern mit Verhaltensänderungen beantwortet werden. Wenn man daher eine schwere Rezession voraussagt, dann führt eine solche Prognose unter Umständen dazu, dass Maßnahmen, z.B. ein Konjunkturprogramm, dagegen ergriffen werden. Dann könnte als Folge davon die Rezession nicht so schwer ausfallen wie zunächst erwartet. Mithin führte eine Prognose dazu, dass sie am Ende nicht eintrifft, weil man diese Entwicklung verhindert hat. Dies nennt man in neudeutsch dann self-defeating prophecy. Umgekehrt kann eine Prognose auch dazu führen, dass man sich beispielsweise durch Personalabbau in Unternehmen darauf vorbereitet. Dies könnte die Entwicklung sogar möglicherweise herbeiführen. Dies wäre dann der Fall der self-fulfilling prophecy. Beide Reaktionen sind grundsätzlich vorstellbar. Sieht man sich in der Situation, dass eine wirkungsvolle Einflussnahme nicht möglich ist, stellt man sich auf die negative Entwicklung so gut als möglich ein. Sieht man sich in der Rolle eines Handelnden, der die Entwicklung wirkungsvoll zum positiven hin korrigieren kann, dann wird man eben Maßnahmen ergreifen, dass diese Entwicklung weitestgehend verhindert wird. Das ist ein alltägliches Geschäft von der Klimaerwärmung bis hin zu jeglicher Risikovorsorge.

Wenn man ein Feuer in Gebäuden für wahrscheinlich hält, daher ein hohes Risiko für diesen Fall ausschließen möchte, dann installiert man Feuerlöscher, sorgt für Fluchwege und gründet eine Feuerwehr.

Die Bundesregierung versagt beim Krisenmanagement

Die Bundesregierung hat genau in dieser Frage versagt. Weil sie einen Konjunkturelleneinbruch für nicht möglich erachtete, hat sie keine Vorsorge getroffen. Nun wo die Rezession da ist, fehlt es an entsprechenden Vorsorgemaßnahmen. Man hat keine Notfallpläne in der Schublade, sondern fängt an wild herumzuimprovisieren. Das chaotische Krisenmanagement der Kanzlerin mit ihren zwei Ministern Glos und Steinbrück geben ein klägliches Bild ab. Während der eine Steuersenkungen propagiert, versucht sich die Kanzlerin in der ruhigen Hand und nach langem zögern mit einem Investitionsprogramm. Der Finanzminister möchte am liebsten sofort wieder auch die Schuldenbremse treten, um seinen Haushalt in Ordnung zu halten. Dieses polyphone Tohuwabohu im Regierungslager mit ad hoc Entscheidungen trägt neben der durch andere Entwicklungen herbeigeführten Rezession noch zusätzlich zur allgemeinen Verunsicherung der Bürger bei.

Investitionsprogramme sind nicht die Lösung

Die Bundesregierung begeht nun erneut einen gravierenden Fehler, wenn sie jetzt ihr Konjunkturprogramm einseitig auf zusätzliche staatliche Investitionen fokussiert. Es klingt zwar schön, dass nun endlich Schulen oder Straßen saniert werden sollen, die aufgrund der zuvor massiven Einsparungen verrottet sind. Dies ist auch zu einem gewissen Teil nötig und sinnvoll, aber Instandhaltungsinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur sollten bedarfgerecht stattfinden und nicht nur in Krisenzeiten als Konjunkturstütze eingesetzt werden. Die Gefahr hierbei ist, dass erstens die vorhandenen Kapazitäten kurzfristig nicht ausreichen werden. Hinzu kommt, dass leicht unsinnige Projekte plötzlich eine Chance haben genehmigt zu werden, da kurzfristig aufgrund fehlenden Planungsvorlaufs bei anderen schnell Mittel freigegeben werden sollen. Danach stellt man dann unter Umständen fest, dass man teure Fehlentscheidungen getroffen hat.

Investitionen sind nur dann zielführend, wenn sie den beabsichtigten Zweck auch erreichen. Man kann leicht unsinnige Straßenbauprojekte anschieben, man kann der Korruption in der Baubranche zusätzliche Vorschub leisten, in dem im Eilverfahren teure Investitionsprojekte durchgesetzt werden, die sie später als überteuert und unwirtschaftlich erweisen.

Die Kaufkraft der Bürger ist gefragt

Ein Kredo aus der Diskussion der 1970er Jahre über Investitionsprogramme zur Konjunkturstabilisierung war es, dass sie in der Regel zu spät wirksam wurden. Sie wirkten daher nicht antizyklisch, sondern pro-zyklisch. Offenbar hat man daraus nichts dazugelernt.

Was nützt eigentlich der lahmen Automobilindustrie ein Investitionsprogramm in die Instandsetzung von Schulen und Straßen. Unmittelbar überhaupt nichts. Wenn die Nachfrage dort nicht bald wieder in Gang kommt, droht mit oder ohne Konjunkturprogramm den dort beschäftigten Arbeitern die Entlassung. Es ist eine etwas zu sehr aus der Vogelperspektive betrachtetes Konjunkturprogramm, dass mit finanziellen Summen rein rechnerisch die Krise durch Finanzdefizite bekämpfen will. Dabei verfällt man noch gleichzeitig in ein Mikromanagement, denn man will genau kontrollieren, wo im einzelnen Mittel eingesetzt werden. Dies ist kein geeigneter Ansatz.

Statt durch breite Steuererleichterungen wie beispielsweise eine pauschale Mehrwertsteuersenkung die Bürger entscheiden zu lassen, wie sie zusätzliches Einkommen sinnvoll verwenden, möchte man kleinteilig regulierend dem einzelnen vorschreiben, wo die Mittel zweckgebunden eingesetzt werden sollen. Statt einer generellen Kaufkraftstärkung der Bürger will der Staat in der Krise jetzt entscheiden wo, was, wie viel mehr an Mitteln über die direkte staatliche Kontrolle ausgegeben werden soll.

Man darf dann nicht überrascht sein, dass das Staatsdefizit am Ende hoch und die Mittel wenig effektiv an einigen Stellen verplempert werden. Makropolitik und Mikromanagement passen nicht zusammen. Der Staat darf seinen Bürgern nicht kollektiv das Misstrauen aussprechen und glauben er wüsste am besten wo knappe Mittel eingesetzt werden. Die Vergangenheit hat uns immer wieder eines besseren belehrt. Es wäre daher dringend anzuraten auch massive vorübergehende Steuererleichterung über eine pauschale Senkung der Mehrwertsteuer ins Auge zu fassen. Die wirkt gleichmäßig auf alle Konsumausgaben und bestraft nur ein Angstsparen. Genau das wird jetzt gebraucht.


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