Die gesamte Wirtschaftswelt hatte auf eine Senkung der Leitzinsen um 0,5% und mehr spekuliert. Die EZB hat dieser Erwartung eine klare Absage erteilt und den Zins nur um 1/4 Prozent gesenkt. Die Überraschung dabei: Unmittelbar nach Bekanntgabe um 13.46 verlor der DAX zwar, kurze Zeit später schoss er trotzdem in die Höhe. Der Markt hat sich also überhaupt nicht erschrocken. Eigentlich hätte man wegen der enttäuschten Erwartung der Märkte das Gegenteil erwarten können. Aber wie so häufig, reagieren die Märkte anders als erwartet.
Und möglicherweise hat die EZB diesmal ganz anders kalkuliert. Von einer sehr starken Zinssenkung wäre nämlich auch die Botschaft ausgegangen, mit der Konjunktur stehe es sehr schlecht. So haben die Märkte jedenfalls in den vergangenen Monaten jede deutliche Zinssenkung interpretiert und anschließen die Kurse wieder Richtung Süden gesendet. Eine deutliche Zinssenkung enthält somit eine psychologisch negative Botschaft. Ihr Signal könnte damit kontraproduktiv auf die Erwartungsbildung von Unternehmen und Konsumenten wirken, weil der Kontraktionsprozess weiter hätte verstärkt werden können. Der Effekt der günstigeren Refinanzierungsmöglichkeiten wäre schnell verpufft.
So könnte man das Signal der EZB also positiv interpretieren, dass es so schlimm um unsere Wirtschaft gar nicht stehe. Dies wiederum könnte einen positiven Impuls auf die Erwartungsbildung der Unternehmen haben. Aber wenn die EZB tatsächlich so kalkuliert hätte, dann käme das schon fast einem Paradigmenwechsel gleich, weil sie erstmals verhaltenspsychologische Ansätze berücksichtigt hätte. Ich jedenfalls vermag mehr in der Entscheidung zu erkennen als eine kleine Geste. Dennoch bin ich gespannt auf weitere Erklärungsansätze.
@Enigma,
also ich finde diese Vermutung mit der psychologischen Wirkung gar nicht so abwegig. Wir wissen doch mittlerweile, dass die (neo-)klassischen Maßnahmen bisher zumindest keine wirkliche Wirkung entfaltet haben. Da wäre die Psychologie genau richtig. Den Gedanken, den der Blick Log hier verfolgt, kann ich jedenfalls gut nachvollziehen und muss eigentlich auch hier nicht näher begründet werden.
Sollte die EZB den Gedanken tatsächlich gehabt haben, was ich allerdings nicht glaube, so täte sie aber gut daran, dies nicht zu veröffentlichen.
Ich nehme mal an, daß Trichet in die Tischkante gebissen hat, als er die gerade erfolgte Zinssenkung mittragen mußte. Und zwar gerade vor dem Hintergrund, daß die (angesprochenen) klassischen Maßnahmen offensichtlich nicht die gewünschten Effekte erzielen. Bei quasi Null – Zinsen der FED müßte man eigentlich carry – trades beobachten können, aber diesmal hält wohl die Inflationserwartung diese Art von Finanztransaktionen in Grenzen. (US – Dollar nach EURO, schön, aber was ist mit dem Wechselkurs?)
Nein, die EZB macht keine Spielchen. Schon allein die Spekulation, daß der EURO – Raum Risse bekommen könnte, wird sie immer dazu veranlassen, die Stabilität des EURO bis aufs letzte zu verteidigen. Und das hat sie gemacht. Ich würde mich nicht wundern, wenn der nächste Zinsschritt eine Erhöhung wird. Denn einerseits sanieren sich die Banken aufgrund der niedrigen Zinsen und andererseits sind die Kreditzinsen auf dem gleichen Level wie vorher. Nimmt man noch die Kreditausterität der Banken dazu, müssen die Unternehmen auf Eigenfinanzierung umschalten und das heißt tendenziell höhere Preise.
Soll heißen: wenn es sowieso höhere Preise geben wird, dann muß eine EZB nicht die Banken füttern, sondern die Preiseffekte der Kreditverweigerung der Banken im Blick haben. Und außerdem sind ja Franzosen immer ein bißchen mehr rebellisch als andere!
Die Sache mit der Psychologie halte ich für wenig begründet, mal abgesehen davon, daß derartige Befindlichkeiten nicht wirklich einer ökonomischen Analyse zugänglich sind. Im übrigen ist die Wirkung von derartig unscheinbaren Zinsänderungen auf die Wirtschaft wahrscheinlich nur fühlbar, aber nicht meßbar.
Man kann ja sicherlich der EZB unterstellen, daß sie eine ordentliche Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse in Euroland hat, aber es wäre m.E. vermessen zu sagen, daß sie eine zuverlässige Einschätzung der Zukunft abgeben könnte. Was sie aber ziemlich sicher weiß, ist, daß einer Zinssenkung ein Kursfeuerewerk von 1 – 2 Tagen folgt und im weiteren sich die langfristige Abwärtstendenz weiter fortsetzt. Das machen Amis und Briten ja bereits zur Genüge vor, so daß eine EZB vielleicht mal den Kopf eingeschaltet hat und erkannt, daß es konjunkturell gesehen völlig egal ist, wo sich der Leitzins befindet. Dann erinnert man sich daran, daß die EZB eben nicht für die Konjunktur sorgen soll, sondern für die Geldwertstabilität und stellt fest, daß anscheinend eine Bodenbildung bei Rohstoffen und Vermögenspreisen eingetreten ist. Das heißt doch aber letztlich, daß inzwischen wieder ein Preisschritt bei den Rohstoffen als Kostentreiber auf die Inflationsrate drücken wird. So gesehen ist der Zinsschritt der EZB so zu interpretieren, daß sie ihn lieber nach oben gesetzt hätte, weil die Rohstoffpreise inzwischen wieder (leicht) anziehen und nur mit Rücksicht auf den G 08/15 Gipfel noch einmal den Konjunkturretter gibt, was sie garnicht sein kann und sein will.
Comments on this entry are closed.