Warum sind Menschen ehrlich? Diese viele Menschen bewegende Frage versucht Florian Meyer in dem Beitrag “Das große Rätsel Ehrlichkeit” anhand wissenschaftlicher Untersuchungen zu beantworten. Das Schöne ist, dass Experimente zeigen, dass die meisten Menschen sich nicht so verhalten, wie es die einige Wirtschaftswissenschaftler vermuten. Dazu schreibt Meyer:
“Menschliches Handeln, so die übliche Annahme des Fachs, unterliegt der Nutzenmaximierung. Wer so agiert und sicher sein kann, nicht erwischt zu werden, der hätte keine Hemmungen, beschädigte Ware anzubieten, seinen Kunden zu täuschen oder seinen Geschäftspartner zu betrügen. In der Realität jedoch, das haben verhaltensorientierte Ökonomen seit Mitte der 90er-Jahre festgestellt, agieren viele Menschen ganz anders.”
Längst nicht nur die Angst vor der Strafe macht den Menschen ehrlich. Ginge es nur um die Frage, wie hoch das Risiko ist, entdeckt zu werden, und wie hoch eine mögliche Strafe ausfällt, würden sich weit mehr Menschen unredlich verhalten…. Menschen aus Fleisch und Blut sind viel ehrlicher, als es rein egoistische Nutzenmaximierer wären, stellte auch der Chicagoer Ökonom Steven D. Levitt in einer Fallstudie fest. … Als entscheidend dafür, wie ehrlich ein Mensch ist, erweist sich sein soziales Umfeld. So stellte Levitt fest: In kleineren Büros gab es weniger Diebstahl als in Abteilungen mit einigen Hundert Beschäftigten. Je persönlicher die Umgebung, desto höher offenbar der soziale Druck.“
Die Feststellung, dass sich Menschen selbst umso ehrlicher Verhalten, je ehrlicher sich ihr Umfeld verhält, ist beruhigend. Sie erinnert mich aber an die Broken Window Theorie der US-Sozialforscher George L. Kelling und James W. Wilson (Originalaufsatz hier). Dieses Konzept diente bekanntlich als Erklärung, wie ein zerbrochenes Fenster in einem leerstehenden Auto später zu völliger Zerstörung des Autos durch das Umfeld führen kann. Daraus wurde dann später die erfolgreiche Null-Toleranz-Strategie der New Yorker Polizei abgeleitet.
Denkt man etwas über die beiden Ansätze nach, dann könnte man befürchten, dass moralische Verwerfungen weitere Verwerfungen nach sich ziehen könnten. Ich denke dabei z.B. an den Skandal um MAN und viele andere Regelverstöße (ich will heute einmal nicht die Bonuspraxis herausgreifen), mit denen Menschen in Unternehmen „Fenster“ einschlagen und damit die Hemmschwellen senken könnten.
Aber man braucht gar nicht in die Gesetzeswidrigkeit von Handlungen zu schauen. Broken Windows funktioniert auch an anderen Stellen, wie z.B. bei Staatshilfen. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass Regierungen weltweit so intensiv stützend in Wirtschaftsabläufe eingreifen? Mittlerweile regen sich selbst ordnungspolitische Ästheten kaum auf, wenn Arcandor um Staatshilfe ersucht, die Regierung für die Autoindustrie Beteiligungspartner sucht oder die Banken durch Bad Banks stabilisiert werden.
@Nixda,
dieser Aussage „Im Rückblick würde ich den moralischen Wendepunkt, das erste zerbrochene Fenster, in der damals so genannten “Geistig Moralischen Wende” der 80er Jahre lokalisieren.“ stimme ich zu – und möchte daran erinnern, daß sie ( die geistig moralische Wende ) vom damaligen Kanzler Kohle proklamiert wurde. Einem Manne, von dem sich später zeigte, daß er selbst über die Maßen unmoralisch war.
Die Meldung, dass Arcandor jetzt auch Staatshilfen beantragt, ist mir auch negativ aufgefallen. Hier sind erste Zeichen eines Dammbruchs zu erkennen.
Die Unternehmen (oder die Unternehmer?) und die bürgerlichen Parteien haben den Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsleben auch immer nur dann mit Monstranz vor sich hergetragen, wenn es andere betroffen hatte. Beim Thema Subventionsabbau oder dem Abbau von staatlicher Regulierung zB bei den hochregulierten Märkten von Handwerkern, Rechtsanwälten und Steuerberatern gab es noch nie einen Handlungsbedarf. Im Sinne einer Ehrlichkeit wäre das aber auch angezeigt gewesen.
Um den Bogen zum Thema ihres Beitrags zu spannen: Ich glaube nicht, dass der Skandal um MAN jetzt der Wendepunkt in Form des Broken Windows darstellt. Dazu ist die Kette von Skandalen (Infineon, Telekom, Bahn, Post, Siemens, Lidl etc) schon zu lang. Meine Berufserfahrung, in der ich u.A. als Berater Einblick auch in soziologischen Handlungsstrukturen auch diverser DAX-Unternehmen nehmen konnte (auch wenn sie nicht Gegenstand meiner Beratertätigkeit waren). zeigten mir doch deutlich, dass eine kleptokratische Grundtendenz des Managements sich schon vor Jahren anfing in den Unternehmen breit zu machen, und durchaus nicht mehr die seltene Ausnahme ist. Was sichtbar ist, ist eher die Spitze des Eisbergs.
Je größer das Unternehmen, desto stärker sind diese Strömungen, wahrscheinlich weil der Geschädigte bei der Angelegenheit immer weniger personifiziert und damit gesichtslos anonymisiert wurde. Einer wirklichen Führungselite, als die sich die Managerschaft im ihrem Selbstbild ja gerne versteht, hätte es gut zu Gesicht gestanden, und vielleicht wäre das sogar ihre eigentliche Führungsaufgabe gewesen, diesen Versuchungen entgegenzuwirken.
Im Rückblick würde ich den moralischen Wendepunkt, das erste zerbrochene Fenster, in der damals so genannten „Geistig Moralischen Wende“ der 80er Jahre lokalisieren. In dieser Wortfindung ist bereits die andere, nicht-bürgerliche Seite der Gesellschaft mit ihren Ansprüchen an das Unternehmen als unmoralisch stigmatisiert worden, und das eigene Handeln unabhängig von Anstand und Gesetz moralisch legitimiert worden. Das fehlende Schuldbewusstsein der Managerelite bei der Bespitzelung der eigenen Mitarbeiter, bei Steuerdelikten und der Externalisierung von Kosten des eigenen Handelns ist Ausdruck dieses langsamen moralischen Verfalls, die Selbstgerechtigkeit bei dem Anspruch auf Bezüge und Abfindungen sind Ausdruck dieser Haltung.
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