Finanzkrise reloaded (3): Übersehene Warnungen vor der Krise

by Gastbeitrag on 10. Juli 2009

In den ersten beiden Teilen der Serie “Finanzkrise reloaded” ging es um die makroökonomischen und die mikroökonomischen Ursachen der Finanzkrise. Im heutigen Abschnitt geht es um die übersehenen Warnsignale. Der folgende Text stammt von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich aus ihrem aktuellen Jahresbericht (hier Abstract und hier  der volle Text mit weiteren Quellennachweisen).

Einen Überblick über Ursachen und Wirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es in den aktualisierten Mindmaps des Blick Logs.

Alarmzeichen hat es gegeben: Die weitverbreiteten Leistungsbilanzdefizite waren nicht tragfähig, und die privaten Haushalte konnten sich nicht ewig weiter verschulden – irgendwann würden sie ihre Kredite zurückzahlen müssen. In vielen Regionen stiegen die Wohnimmobilienpreise stärker als je zuvor, und das Preisniveau übertraf bei Weitem sowohl die Neubaukosten als auch den Wert, der durch Mieteinnahmen gerechtfertigt gewesen wäre. Eigenheime wurden oft nicht allein zu Wohnzwecken gekauft oder um künftige Belastungen durch steigende Wohnkosten zu vermeiden – was den Boom möglicherweise gebremst hätte –, sondern aus Spekulationsgründen, womit der Boom weiter angefacht wurde.

Zwei konkrete Warnungen, die …

Es gab auch konkrete Warnungen: Beobachter wiesen darauf hin, dass die Risiken sich nicht adäquat in den Preisen niederschlugen und dass Portfoliomanager angesichts der niedrigen Leitzinsen in ihrem Renditestreben zu aggressiv waren. Zudem wurde die Befürchtung geäußert, dass die Geldpolitik die aus der Kombination von Vermögenspreis- und Kreditboom resultierenden Gefahren außer Acht lasse (siehe dazu Asset prices, financial and monetary stability: exploring the nexus). Es wurde davor gewarnt, dass die Zentralbanken durch die ausschließliche Betonung der Preisstabilität (zusammen mit dem engen Fokus der Aufsichtsinstanzen auf einzelne Finanzinstitute) systemweiten Gefahren aus dem Kredit- und dem Vermögenspreisboom nicht genügend Aufmerksamkeit schenkten (siehe z.B. Whither monetary and financial stability? The implications of evolving policy regimes). Kritische Stimmen gab es auch zur Aufweichung der Kreditvergabestandards (insbesondere im Zusammenhang mit Hypothekenkrediten) (siehe Ausschuss für das weltweite Finanzsystem, „Housing finance in the global financial market”, CGFS Publications, Nr. 26, Januar 2006)  und zu den Risiken, die das hohe Tempo der Finanzinnovation mit sich bringe.

… vergebens waren

Viele dieser Warnungen erwiesen sich als begründet, waren aber offensichtlich vergebens. Auch wenn man sich hinsichtlich der Art der Anspannungen im System grundsätzlich einig war, gab es doch wenig Übereinstimmung in Detailfragen. Die Folgen der Löcher im regulatorischen Rahmen – dank denen die Finanzinstitute bestimmte Geschäfte problemlos der Kontrolle der Aufsichtsinstanzen entziehen konnten – oder die Konsequenzen des immer größeren finanziellen Hebels – im Zuge der Verlagerung der Kapitalstruktur hin zu mehr Fremdkapital – waren vielen schlicht nicht klar.

Zwar gab es Forderungen nach einer wirksamen Regulierung von Hedge-Fonds, doch kaum Stimmen gegen die Auslagerung von Krediten aus den Bilanzen der Finanzintermediäre in Zweckgesellschaften und strukturierte Anlagevehikel, die praktisch über kein Eigenkapital verfügten. Letztlich erkannte so gut wie niemand, dass die US-Vermögenswerte, die in der ganzen Welt erworben wurden, sich als toxisch herausstellen würden.

Gründe für die Ignoranz

Es erstaunt nicht, dass Regierungsvertreter und Marktteilnehmer die Warnzeichen weitgehend ignorierten. Gewöhnlich kam die Antwort: „Selbst wenn es stimmt, dass das Finanzsystem in Gefahr ist, was sollen wir denn dagegen tun?“ Die geldpolitischen Entscheidungsträger konnten nur mit ihrem kurzfristigen Zinssatz operieren, wobei weitgehend Einigkeit darüber herrschte, dass dieses Instrument gegen die vermeintlichen Gefahren wirkungslos wäre. Im Hinblick auf die Gesamtwirtschaft wurde erwartet, dass die anhaltende Preisstabilität ausreiche und dass sich Vermögenspreis- und Kreditboom selbst korrigieren würden. Hinsichtlich der mikroökonomischen Ebene glaubte man von staatlicher Seite, dass die Investoren die Risiken ihrer Anlagen aus Eigeninteresse im Auge behalten und sich damit quasi selber überwachen würden. Aufgrund des engen Fokus auf die beaufsichtigten Finanzinstitute und des Glaubens an die Selbstregulierungskräfte wurden systemweite Gefahren nicht genügend beachtet. Zusätzlich bremsten stark voneinander abweichende Auffassungen der einzelnen Länder über den Handlungsbedarf und den Handlungsspielraum die Fortschritte bei der Lösung dieses mittlerweile internationalen Problems beträchtlich.

Ergebnislose Debatten nicht in allen Ländern

Die Debatten darüber, dass eine Instanz die Risiken des Finanzsystems in ihrer Gesamtheit beobachten und kontrollieren sollte, sind weitgehend ergebnislos verlaufen. Zahlreiche Zentralbanken nahmen ihre Finanzstabilitätsziele ernst und veröffentlichten regelmäßig Studien zu diesem Thema. Einige Zentralbanken, insbesondere in Asien, setzten Instrumente ein, die darauf abzielten, starke Steigerungen bei den Vermögenspreisen und bei der Kreditvergabe zu dämpfen. Beispiele hierfür sind die Begrenzung der Kreditkartenausgabe in Thailand, die Steuerung der Beleihungsquote bei Hypothekenkrediten in der SVR Hongkong und die Verschärfung der Eigenkapital- und Rückstellungsbestimmungen in Indien. In vielen Ländern Mittel- und Osteuropas sowie in Spanien und einigen lateinamerikanischen Ländern überwachten staatliche Stellen verstärkt die Kreditbewertungen und Risikovorsorge und ergriffen Maßnahmen zur Durchsetzung der geltenden Vorschriften. Außerdem zwangen sie die Banken, ihr aufsichtsrechtliches Eigenkapital entsprechend den zugrundeliegenden Risiken zu erhöhen. In einigen
aufstrebenden Volkswirtschaften strafften oder lockerten die Zentralbanken auch über die Mindestreservebestimmungen die Liquiditätsbedingungen in Landes- wie in Fremdwährung.

Insgesamt blieben derart konkrete Maßnahmen jedoch eher die Ausnahme. In den Industrieländern – vor allem in den USA, wo die Probleme dann am stärksten sichtbar wurden – gab es kaum Diskussionen darüber, welches Instrumentarium die öffentlichen Entscheidungsträger einsetzen könnten, um gegen den Immobilienpreis- und den Kreditboom vorzugehen und dadurch einen Aufbau systemweiter Risiken zu verhindern. Der Grund dafür ist klar: Eine grundlegende Neugestaltung der geldpolitischen und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen hätte in vielen Ländern nahezu unüberwindbare politische und intellektuelle Hürden mit sich gebracht. Warum sollte jemand einen solchen Schritt riskieren, wenn doch das bestehende System augenscheinlich so gut funktionierte?

*Die Textauszüge sind übernommen gemäß den Lizenzbedingungen der BIZ. Herausstellungen in Fett und Zwischenüberschriften durch Blick Log.

Nachtrag

In der Galerieserie „Die zehn Lehren aus der Finanzkrise“ schreibt das Handelsblatt zum Thema Vorhersagen und Warnungen von Experten u.a.:

„Einem Automatismus gleich werden deshalb dann, wenn der breiten Masse das Ausmaß des Schlamassels bewusst wird, die Thesen jener aus dem Archiv geholt, die das schon vorher gewusst haben. Sie erlangen in Windeseile Welt- oder zumindest nationalen Ruhm und werden überall herumgereicht. Der New Yorker Professor Nouriel Roubini (Bild) zählt dazu, hierzulande hält der Wormser Professor Max Otte diese Position. Dumm nur, dass deren Thesen vor der Krise nur wenige wahr genommen haben.

Fakt ist, dass jeden Tag eine Unmenge von Analysen, Studien, Büchern und Essays durch die Welt geistert und in „normalen Zeiten“ meist nur der „Mainstream“ gehört wird. Weil das Abwegige oft so abwegig erscheint, dass es in der Realität ohnehin nicht eintritt.“

Joss Juli 10, 2009 um 02:01 Uhr

Eine ziemlich bedeutende Rolle in all dem spielten auch die Medien. Da gab es z. B.
die Tagung der Wirtschaftsjournalisten bei der Kompetenz und Versagen der
Medien zur Sprache kam. Es werden allerhand interessante Einblicke geboten:
http://www.mediummagazin.de/magazin-plus/wirklich-zum-lachen/

dels Juli 10, 2009 um 08:07 Uhr

Danke Joss für den interessentan Hinweis. Habe den Link der Artikelsammlung Finanzkrise und Medien hinzugefügt. Dabei ist mehr eingefallen, dass Sie ja schon viele solcher Hinweise gegeben haben und ich es versäumt habe, diese systematisch zu sammeln. Ich werde wohl am Wochenende noch einmal auf die Suche in ihren Kommentaren gehen. Vielen Dank.

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