Risikofest in die nächste Finanzkrise?

by Dirk Elsner on 7. Oktober 2009

Eigentlich mag sich kaum jemand noch mit der Finanzkrise beschäftigen. Dabei nehmen die Beiträge, die mittlerweile veröffentlicht werden, deutlich an Qualität zu. Mit der notwendigen Distanz kommt mehr Tiefe in die Gedanken. Dabei mehren sich die Beiträge, die sich Gedanken zum Risikomanagement machen.

Zunächst die Vogelperspektive

Das beste Essay der “Lehman-Gedenkwoche” hat Torsten Riecke im Handelsblatt unter der übrigens unglücklichen Überschrift “Gordon Gekko kehrt an die Wall Street zurück” geschrieben. Riecke fasst hier Positionen zusammen, die der Blick Log seit Monaten vertritt:

“Egal, wem man die historische Schuld für den Zusammenbruch des Brokerhauses gibt, den Bankern oder der US-Regierung, entscheidend ist, dass die Pleite der Investmentbank und das Zusehen des Staates dabei einer breiten Öffentlichkeit schlagartig in Erinnerung gerufen hat, dass selbst die moderne Finanzwelt des 21. Jahrhunderts nicht vor extremen Katastrophen gefeit ist. Quasi über Nacht wurde vielen bewusst, dass man hochgefährliche Ereignisse selbst dann nicht ausblenden darf, wenn sie statistisch eine kaum mehr messbare Eintrittswahrscheinlichkeit haben. Der Untergang von Lehman Brothers war jener „Black Swan“, den es statistisch gar nicht geben darf und der, so hat uns der Bestseller-Autor Nicholas Taleb in seinem gleichnamigen Buch gelehrt, doch hinter jeder Ecke lauern kann.”

Diese Herausstellung ist nicht deswegen wichtig, weil sie von Taleb kommt, sondern weil wir gerade vor dem Hintergrund des G-20-Gipfels wieder der Illusion erliegen könnten, wir können die Risiken beherrschen und künftige Finanzkrisen verhindern. Das Gefühl, vor Risiken sicher zu sein greift Riecke auf.

Diese Erkenntnis mag heute banal klingen. Tatsache ist jedoch, dass man nach den goldenen 90er-Jahren in der Finanzwelt und darüber hinaus glaubte, die Wirtschaft habe den ewigen Wachstumspfad gefunden. Selbst das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 konnte diesen Glauben nur kurzzeitig erschüttern. Trotz der enormen Wertvernichtung durch den Absturz der Aktienmärkte gelang es der US-Notenbank mit ihrer Niedrigzinspolitik, die Realwirtschaft vor den Folgen der gescheiterten Internet-Träume abzuschirmen. Die Rezession von 2001 dauerte nur acht Monate und gehörte damit zu den kürzesten aller Zeiten. Als die Weltwirtschaft dann auch noch die Terroranschläge vom 11. September ohne größere Blessuren wegsteckte, fühlten sich Banker und Ökonomen vollends krisensicher. Das Lehman-Debakel hat jedoch nicht nur diese Illusion zerstört. Spätestens seit der schicksalhaften Woche im September 2008 wissen wir wieder, dass selbst Profis es mit der Angst zu tun bekommen, wenn das Vertrauen in Märkte, Banken und den Staat verlorengeht und die Unsicherheit zurückkehrt.

Damit bestätigt Riecke das, was Taleb in seinem Buch Narren des Zufalls (2. Aufl., S. 158) schreibt: “Wir werden sehen, dass die Einschätzungen, die wir aus Merkmalen der Vergangenheit ziehen können, gelegentlich relevant sind. Aber sie können auch bedeutungslos sein, und manchmal führen sie einen sogar in die Irre beziehungsweise genau in die entgegengesetzte Richtung.”

Riecke schreibt dann weiter Passagen, die schon fast in die 3. Auflage von Talebs Buch passen könnten:

“Diese beiden Lehren aus der Lehman-Geschichte, dass wir die Unsicherheit nicht mit Risikomodellen überlisten können und dass Menschen, wenn sie einmal das Vertrauen in eine sichere Zukunft verloren haben, nicht mit ökonomischer Vernunft, sondern mit Panik reagieren, erklären nicht nur, wie es zur Beinahekatastrophe kommen konnte. Sie geben uns auch Hinweise, wie wir die Welt krisenfester, wenn auch nicht krisensicher machen können. …

Kann sich ein Schock wie der Zusammenbruch von Lehman Brothers wiederholen? Jederzeit. Der Historiker Ferguson hält einen zweiten Fall Lehman in den kommenden Monaten für durchaus möglich. „Schwarze Schwäne“ können überall auftauchen. Es kann also nicht darum gehen, jegliches Risiko auszuschließen. Selbst dann würde die Welt nicht krisensicher. Besser ist es, dass wir uns dieser Unsicherheit bewusst werden und die nicht-ökonomischen Motive einkalkulieren, die das menschliche Verhalten auch in der Wirtschaft weitaus stärker bestimmen, als uns die herrschende Lehre weismachen wollte.”

Riecke ruft weiter Ferguson, Ackerlof, Kahnemann und Shiller auf und versucht eine Zusammenfassung ihrer Maßnahmen gegen eine Finanzkrise:

“Fragt man Ferguson, Taleb und Kahnemann, so bekommt man zwar recht unterschiedliche Vorschläge, wie sich Finanzkrisen künftig im Zaum halten lassen. Der Historiker verordnet den Bankern eine Geschichtsstunde über das von menschlicher Gier und Panik getriebene Auf und Ab der Finanzmärkte. Der Buchautor und Bondhändler will die Verschuldung der Banken drastisch begrenzen, und der Psychologe hegt die Hoffnung, dass die Menschen aus der Krisenerfahrung lernen und die Risiken stärker im Blick behalten. Allen drei gemeinsam ist aber, dass sie sich nicht nur auf die Selbstheilungskräfte der Märkte verlassen, sondern wie Akerlof und Shiller die „animal spirits“ der Menschen als treibende Kräfte in der Wirtschaft anerkennen. Es ist doch grotesk, dass einige Unbelehrbare die Rückkehr der „animal spirits“ jetzt als Zeichen für das Ende der Krise feiern, aber immer noch auf eine Marktlehre vertrauen, die nicht-ökonomische Motive wirtschaftlichen Handelns außer Acht lässt.

Das lässt sich freilich kaum in konkrete Vorschläge umsetzen, eignet sich aber zur Vermessung der Regulierungsvorschläge.

Der Blick in die Praxis

Wesentlich praxisnäher wird David Bogoslaw in der FAZ, der sich in seinem Beitrag “Wie Banken Risiken handhaben sollten” mit verschiedensten praxisnahen Ursachen und Maßnahmen befasst. Darin ist u.a. zu lesen:

“Einer der Gründe für die zeitliche Verzögerung zwischen der Kreation von Finanzinnovationen und der Einführung geeigneter Risikostrategien sei die mangelnde Bereitschaft von Händlern, die als Vorsprung betrachteten Informationen mit anderen Akteuren – mitunter sogar innerhalb desselben Unternehmens – auszutauschen.

Risikoexperte Rick Bookstaber sagte … die Kreditkrise voraus und sieht die Verantwortung dafür vor allem bei Fehlern im Risikomanagement der Banken und weniger in der Verwendung fehlerhafter Risikomodelle. „Wenn man keine Risikomanager hat, die Positionen durchleuchten, Risiken verstehen und diese auch kommunizieren können, oder keine Unternehmensführung, die [auf Daten hin] zu handeln bereit ist, dann ist es gleichgültig, welche Risikomodelle man einsetzt“, sagt er.

Michael Heise, der Chefökonom der Allianz, hat sich in einem Gastbeitrag im Handelsblatt (online nicht verfügbar) ebenfalls Gedanken zum Risikomanagement gemacht:

Wirtschaftswissenschaftler haben “die neuen Techniken und Instrumente an den Finanzmärkten nicht kritisch genug hinterfragt: etwa die komplexen Derivativprodukte, mit denen Risiken weltweit in höchst intransparenter Weise verteilt wurden und die es überhaupt erst ermöglichten, an bonitätsschwache Immobilieninvestoren oder Unternehmen Kredite zu verleihen; oder die Risikomodelle von Banken und die Bewertungsmodelle von Ratingagenturen, die allesamt mit den Daten aus Boomzeiten gefüttert wurden und deshalb grünes Licht für weitere Risikonahme gaben, obwohl viele Märkte bereits restlos überhitzt waren. Die Ökonomie sollte sich mit diesen Fragen in Zukunft intensiver auseinandersetzen.

Die Botschaft lautet: Wer als Prognostiker die Bedeutung von Unsicherheit oder auch Stabilität in Zukunftserwartungen vernachlässigt, wird weder die Dynamik von Rezessionen noch von Aufwärtskorrekturen richtig erfassen. Alle wirtschaftlichen Dispositionen beruhen nun mal auf Planungen für die Zukunft, und eine tiefgreifende Verunsicherung über die Zukunft, wie wir sie nach Lehman erlebt haben, kann die Wirtschaft lähmen. ”

Bogoslaw ruft Prof. Bookstaber auf, der u.a. folgenden sehr praxisnahen Vorschlag macht:

“Für Rick Bookstaber beginnt Risikomanagement mit der Identifizierung der Vermögenswerte und der gehebelten Positionen großer Marktteilnehmer. Ein entscheidender Schritt in Richtung einer veränderten Vorgehensweise beim Management systemischer Risiken wäre eine Aufsicht mit Zugang zu Unternehmensdaten auf Mikroebene, um besser nachvollziehen zu können, welchem Gesamtrisiko Banken und Hedge-Fonds ausgesetzt sind.

Durch Zusammenführung dieser Informationen ließen sich „Problempunkte und Anhäufungen von Risikofaktoren“ identifizieren. Bookstaber schlägt vor, die Konzentration von Investoren in bestimmten Vermögenswerten oder Strategien zu überwachen, indem Finanzprodukte mit Strichcodes versehen werden, ähnlich jenen, die von der Gesundheitsbehörde FDA verwendet werden, um kontaminierte Produkte bis in die Verkaufsregale zurückzuverfolgen.”

Ernüchterung in der Realität?

Angesichts dieser und weiterer Vorschläge ernüchtert der Blick in die Praxis, den die Wirtschaftswoche versucht unter dem Titel “Die waghalsigen Spekulationen der Investmentbanken”:

“Die Investmentbanken kaufen riskante Wertpapiere – Derivate und Aktien – und treiben damit die seit Februar laufende Rally an. … Verstärkt kaufte die hungrige Meute in den Handelsräumen auch wieder Ramschpapiere wie Anleihen von Schuldnern, die als wenig kreditwürdig gelten. Diese so- genannten High-Yield-Bonds haben ähnlich wie der Aktienmarkt in diesem Jahr eine Rally hingelegt. Der Merrill Lynch Euro High Yield Index ist allein im zweiten Quartal um 28 Prozent gestiegen. Die Ramschanleihen locken mit Zinsen von zum Teil mehr als 20 Prozent, gelten aber als hochgradig ausfallgefährdet. Laut der Ratingagentur Standard & Poor’s fiel bis Mitte Juli schon fast jede Zehnte dieser Anleihen aus, das waren 179 Anleiheschuldner mit Schulden von 424 Milliarden Dollar. Und das dürfte – die Rezession lässt grüßen – erst der Anfang sein.

Geschäfte mit Anleihen, Währungen und Kreditversicherungen im Auftrag von Kunden stellen die Banken gern als nahezu risikolos dar. Doch das sind sie nicht. Oft sichert die Bank sich über ein Gegengeschäft mit einer anderen Bank ab. Falls die zusammenbricht, steht sie selbst im Risiko. Bei der Deutschen Bank etwa stecken immerhin 29,7 Milliarden Euro im Geschäft mit Kreditderivaten. Es sind Ansprüche der Bank an Kunden, mit denen sie Derivate-Geschäfte eingegangen ist. Falls der alte Kunde ausfällt, müsste eine Bank einem neuen Kunden diesen Betrag bezahlen, damit der das Geschäft zu den alten Bedingungen übernimmt. Das heißt: Wenn Geschäftspartner bei Derivaten zahlungsunfähig werden, ist nicht das gesamte Geld verloren.“

Allerdings weiß angesichts dieser und vieler weiterer als riskant bezeichneter Geschäfte kaum jemand, was die Banken unternehmen, um sich risikofest zu machen.

„Die Branche selbst trägt wenig zur Aufklärung bei. Banken hätten damit aufgehört, der Gesellschaft ihre komplexen Geschäfte zu erklären, sagte Alexander Dibelius, Deutschland-Chef von Goldman Sachs, bei einer … Finanzkonferenz: „Da ist fast ein Paralleluniversum entstanden.“

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