Die Finanzkrise kommt aus der Mitte der Gesellschaft

by Dirk Elsner on 5. Januar 2010

Das ist doch mal ein Satz, der richtig gut sitzt. Gesagt hat ihn Ludwig Poullain, Ex-Chef der WestLB, in einem Interview mit dem Handelsblatt. Poullain ist am 23. Dezember 90 Jahre alt geworden und muss sich weder etwas beweisen noch sich profilieren. Daher lohnt ein Blick in das Gespräch. Hier einige Auszüge:

Der Charakter von Banken hat sich gewandelt – weg vom Dienstleister und Geldversorger der Wirtschaft, hin zu Instituten, die eigene Produkte mit hohen Renditen ersinnen und virtuellen Handel damit betreiben.

[D]ie Süchtigen wurden für ihre Gier bestraft. Als Herstatt abgewickelt wurde, haben zwar die Privatanleger ihr Geld zu 100 Prozent zurückbekommen. Die großen Gläubiger aber haben 30 bis 40 Prozent verloren. Sie sind bestraft worden – zu Recht. Heute wird unsere ganze Gesellschaft für ihre Gier bestraft – und das ebenfalls zu Recht.

Auch viele Kleinsparer wollten sich ja mit herkömmlichen Renditen nicht zufriedengeben. Die Finanzkrise kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Unsere Ansprüche sind immer weiter gewachsen, bis sie beinahe uferlos wurden. Ich selbst kann mich nicht freisprechen: Auch ich bin ein Kind dieser Gesellschaft, wir treiben uns doch alle gegenseitig an.

Ich gehe in meinem Alter mit dem Wort Vertrauen sehr skeptisch um, wenn es um Banken geht. Ich traue denen alles zu, aber ich vertraue ihnen nicht mehr.

Der Begriff der Moral in unserer Gesellschaft wird unscharf, und mein Berufsstand ist da besonders gefährdet.

Ich glaube zu wissen, dass an das Wissen, Können und auch die Weitsicht von Vorständen der Realwirtschaft wesentlich höhere Ansprüche gestellt werden als an Banker.

Und immerhin traut sich das Handelsblatt einem Ex-Banker eine Frage zu stellen, die in Interviews mit noch aktiven Bankern unter den Tisch fällt:

Warum schweigen viele Banker, wenn es um die gesellschaftliche Aufarbeitung der Krise geht? Die Antwort von Poullain:

Aus virtuellem Geld wird auf dem Papier mehr Geld. Dafür braucht es die Gesellschaft im Grunde gar nicht, jedenfalls keine Kunden, die am Bankschalter erscheinen. In dieser Logik ist es fast konsequent, dass sich die Vorstände aus der öffentlichen Diskussion zurückgezogen haben. Sogar dann, wenn es gar nicht um eigene Fehler geht. Oder haben Sie in diesem Jahr jemals ein kritisches Wort von den Banken zu den Konjunkturprogrammen unserer Regierung gehört? Gerade Banker müssten wissen, welche Konsequenzen hohe Staatsdefizite haben. Hier wird ein enormes Inflationspotenzial aufgebaut!

In anderen Passagen äußert sich Poullain zum Teil mit erschreckender Offenheit. Aber vielleicht sind gerade das Worte, die einmal gesagt werden müssen. Ob Poullain diese allerdings während seiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender der WestLB so gesagt hätte, bezweifele ich.

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