Demolierte Kriminaltheorie: Trotz Rezession weniger Verbrechen

by Dirk Elsner on 16. Januar 2010

Die aktuelle Rezession hat eine der vorherrschenden sozialen Theorien über die Ursachen der Kriminalität aus den Angeln gehoben. Dies stellte zumindest für die USA das Wall Street Journal fest. Nach der aus den 1960er-Jahren stammenden Theorie liegt die Ursache der Kriminalität in der Ungleichheit der Einkommen und sozialer Ungerechtigkeit.

Die Kriminalitätsrate, sonst ein Anzeichen für wirtschaftlich schlechtere Zeiten, ist in New York auf dem niedrigsten Stand seit Aufzeichnung der Statistik. Nach Zählung der New York Times gab es “nur” 461 Morde in der Stadt. Das bisherige Tief seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1963 betrug 497 im Jahre 2007 (Rekord 1990 mit 2.245). Freilich darf man sich fragen, ob in New York tatsächlich etwas von der Rezession zu spüren ist. Ich habe in dem Artikel Recession de Luxe in New York City daran erhebliche Zweifel geäußert.

Aber die Entwicklung ist nicht nur auf New York beschränkt, wie das WSJ schreibt. Nach Angaben des FBI sanken die Tötungsdelikte bundesweit um 10% in den ersten sechs Monaten des letzten Jahres 2009, die Gewaltkriminalität ging insgesamt um 4,4% und die Beschaffungskriminalität um 6,1% zurück. Autodiebstähle sind um fast 19% zurückgegangen. Die Verbrechen seien sogar am stärksten in den Gebieten zurückgegangen, die besonders stark vom Zusammenbruch der Wirtschaft betroffen sind.

Jedenfalls, so das WSJ weiter, wird die These der Soziologen Richard Cloward und Lloyd Ohlin, dass Kriminalität eine Reaktion auf Armut ist (geäußert in diesem Aufsatz aus dem Jahre 1960), durch die aktuelle Entwicklung nicht bestätigt. Ob sie dadurch tatsächlich widerlegt wird, halte ich für zweifelhaft, denn die Ursache für die aktuelle Entwicklung kann auch in der guten Polizeiarbeit liegen, die in den USA immer stärker Daten getrieben ist. Das WSJ spricht von data-driven policing.

Die sogenannte CompStat-Strategie geht auf die New Yorker Polizei zurück, die intensiv Verbrechensstatistiken nutzte, um darauf die Polizeistrategie auszurichten. Diese Strategie basiert wiederum auf der Broken Window Theorie der US-Sozialforscher George L. Kelling und James W. Wilson (Originalaufsatz hier). Dieses Konzept diente als Erklärung, wie ein zerbrochenes Fenster in einem leerstehenden Auto später zu völliger Zerstörung des Autos durch das Umfeld führen kann. Daraus wurde dann ab 1994 die Null-Toleranz-Strategie, die der durch den damaligen Bürgermeister Rudolph W. Giuliani eingesetzte Polizeichef New Yorks, William Bratton, praktisch und erfolgreich umgesetzt hat.

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