Risikoanreize aus der impliziten Bestandsgarantie für Finanzinstitute

by Gastbeitrag on 17. Januar 2010

In diesen Wochen und Monaten werden Kreditinstitute ihre Jahresabschlüsse für 2009 veröffentlichen. Trotz Bekanntwerden der Ergebnisse ist nicht immer klar, welche Risiken tatsächlich noch in den Bilanzen der Banken schlummern. Zwar dürfte feststehen, dass die gröbsten Risiken für die meisten Institute überstanden sein dürften, gleichwohl vermuten zahlreiche Marktbeobachter ein Rückschlagpotential.

Mit außergewöhnlichen Ergebnissen wird die Diskussion über die Risiken der Institute wieder aufflammen. Während die Banken selbst gute Ergebnisse allein auf das Geschick ihres Managements und ihrer Mitarbeiter zurückführen, wird gern übersehen, dass auch die Institute, die vom Staat weder Garantien noch Kapital erhalten haben, erheblich von den Staatshilfen profitieren. Fachleute sprechen hier von “impliziter Bestandsgarantie”.

Leider ist das Thema aus dem Blickpunkt der öffentlichen Diskussion verschwunden. Bei dieser impliziten Bestandsgarantie geht es um die Vermutung, dass sich Kreditinstitute selbst, wenn sie keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, im Zweifel auf ein Einspringen des Staates verlassen und daher höhere Risiken eingehen, als wenn sie eine Insolvenz befürchten müssten.

Diese implizite Bestandsgarantie, die Banken letztlich im Vergleich zu anderen Unternehmen unausgesprochen bevorzugt, könnte auch als Rechtfertigungsbasis für eine Sondersteuer für Bankerträge dienen. Dies wäre jedenfalls allemal sinnvoller, als eine Sondersteuer auf Bonuszahlungen.

Der Sachverständigenrat zur Begutachten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat die impliziter Bestandsgarantie in seinem Jahresgutachten 2009/2010 ausgesprochen gut dargestellt. Aus: “Jahresgutachten: 2009/10”: Viertes Kapitel: Finanzsystem am Tropf, S. 133 ff. (Darstellung in Fettschrift zum Teil durch Blick Log):

Es wird noch beträchtliche Zeit dauern, bis der Steuerzahler von allen expliziten Verpflichtungen und Risiken befreit ist, die er zur Stützung des Systems eingegangen ist. Doch selbst wenn der Rückzug aus den Stützungsprogrammen gelingt: Die implizite Versicherung und Bestandsgarantie für Finanzinstitute, die wesentlich zu den verzerrten Anreizen im privaten Sektor beigetragen haben, sind bedeutender als je zuvor.

Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers ist es nur noch schwer vorstellbar, dass sich die Politik dem Vorwurf aussetzen wird, sie hätte nicht alles versucht, die Ansteckungseffekte durch die Insolvenz eines großen Instituts zu verhindern. Durch die Rettungsmaßnahmen sind noch größere Banken entstanden, die in einer Schieflage noch bedeutsamere Ansteckungseffekte auslösen würden. Selbst kleine und nur schwerlich als systemisch einzustufende Institute wie die IKB sind gerettet und als systemisch deklariert worden. Finanzinstitute wie die Landesbanken, deren Geschäftsmodell zu unsolidem Verhalten einlädt, bestehen weiter.

Aus diesen Gründen hat sich das fundamentale Anreizproblem, das die Beziehung zwischen Staat und Finanzinstituten bestimmt, weiter verschärft. Dieses Anreizproblem lässt sich kurz wie folgt beschreiben: Aufgrund der zentralen Bedeutung von Finanzinstituten für die Gesamtwirtschaft ist es für die Vertreter des öffentlichen Interesses nur schwerlich möglich, sich glaubwürdig an eine Politik zu binden, die eng vernetzte Finanzinstitute mit hohem Verschuldungsgrad
den „Sanktionsmechanismen“ des Markts oder der Regulierungsinstanzen aussetzt. Der Staat sieht sich mit einem Zeitinkonsistenzproblem ähnlich dem der Geldpolitik konfrontiert. Um Finanzinstitute ex ante mit Anreizen zu versehen, die Aufnahme von Risiken im Aufschwung im Rahmen zu halten, müsste er glaubwürdig versichern, dass Probleme infolge überhöhter Risikoaufnahme mit einer Schließung oder zumindest Umstrukturierung des verursachenden Instituts einhergehen würden. Sobald jedoch Probleme auftauchen, kann er sein ursprüngliches Versprechen nicht einlösen. Ex post erscheint es immer optimal, systemische Effekte zu vermeiden, eine Rettung durchzuführen und zumindest die Fremdkapitalgeber ungeschoren davon kommen zu lassen.

Dies antizipierend gehen Finanzinstitute Risiken in einem Ausmaß ein, welches das gesamtwirtschaftlich wünschenswerte Maß übersteigt. Mit der Ausdehnung der Bilanzen und Bilanzrisiken steigt aber genau jenes systemische Risiko, das der Hauptgrund für die mangelnde Fähigkeit des Staates ist, die Haftung wirken zu lassen. Die Gefahren, die mit einem ex post konsequenten Umgang mit Finanzinstituten verbunden wären, werden dadurch immer größer: Es kommt zu Dominoeffekten etwa durch den Ausfall von Gegenparteien. Selbst wenn solche Ausfälle zunächst ausbleiben, können weitere indirekte Ansteckungseffekte auftreten. In der Tat haben solche indirekten Ansteckungseffekte über die Austrocknung von Refinanzierungsmärkten und den Anstieg von Bewertungsunsicherheiten in der aktuellen Krise die wohl größere Rolle gespielt.

Doch die Gefahr von Ansteckungseffekten ist nicht der alleinige Grund, weshalb Aufsichtsbehörden in einer Krise meist zu einem wenig konsequenten Durchgreifen neigen. Zwei weitere Probleme treten auf. Zum einen können sich sowohl die Regulierungsinstanzen wie auch die Finanzinstitute in einer Krise immer auf die Position zurückziehen, dass es gar nicht das eigene Fehlverhalten im Vorfeld der Turbulenzen, sondern die Krise selbst ist, die die Probleme verursacht. Zum anderen herrschen in diesem Zusammenhang Rechtsunsicherheiten: Wird ein Institut aufgrund einer Herabsetzung des Werts seiner Aktiva abgewickelt, werden im Nachhinein Beschwerden der betroffenen Eigen- und Fremdkapitalgeber nicht ausbleiben. Man spricht von unvollständigen Verträgen: Die Bedingungen, unter denen eine Abwicklung oder Restrukturierung von Finanzinstituten vorgenommen werden soll, können meist nicht zeitnah von Gerichten überprüft werden. So ergibt sich die Möglichkeit für Rückverhandlungen von Seiten des angeschlagenen Instituts, die ein wesentliches Element des in der Politik inzwischen geflügelten Worts des Erpressungspotenzials systemischer Institute darstellt.

Entscheidend verschärft wird das Problem mangelnder Disziplinierung, wenn politökonomische Motive sowie das enge Beziehungsgeflecht zwischen einzelnen Finanzinstituten und der Politik berücksichtigt werden. Besonders offensichtlich wird dies im Fall von Finanzinstituten, die sich ganz oder teilweise in staatlicher Hand befinden. Die Schließung oder Umstrukturierung einer Landesbank oder Sparkasse hat eben nicht nur negative Wohlfahrtseffekte,
sondern birgt auch erhebliche politische Kosten für die betroffenen Landes- und Kommunalpolitiker. Ähnlich verhält es sich mit privaten Instituten, denen als nationale Champions oder anderweitig besondere Bedeutung für einzelne Finanzplätze zugesprochen wird.

Veränderungen im Finanzsystem können ebenso zu einer Verschärfung des grundlegenden Problems einer im Nachhinein zu laxen Eingriffspolitik beitragen. So hat die Bedeutung von Finanzinnovationen, von denen direkte und indirekte Ansteckungseffekte ausgehen, stark zugenommen. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der erhöhten Komplexität der Produkte, vor allem im Bereich von Over-The-Counter Derivaten, also Finanzprodukten, die nicht auf geregelten Märkten, sondern zwischen einzelnen Akteuren bilateral gehandelt werden. Die in einer Krise auftretenden Bewertungsunsicherheiten werden so entscheidend verschärft. Auch die Komplexität von Unternehmensstrukturen innerhalb eines Finanzinstituts sowie die Komplexität der weltweiten Verflechtung zwischen Instituten hatten gerade in den letzten Jahren weiter zugenommen. Während diese Entwicklungen teilweise auf technologische Fortschritte zurückgehen, besteht bei den Akteuren an den Finanzmärkten ein Anreiz, die Komplexität immer weiter zu steigern. Mit zunehmender Komplexität und Intransparenz der Märkte und der Institute steigen gleichermaßen die Erträge wie auch die Wahrscheinlichkeit, in der Krise gestützt zu werden.

Möglichkeiten zur Reduktion von Anreizverzerrungen

Die zentrale Herausforderung besteht nun darin, den rechtlichen und institutionellen Rahmen derart zu justieren, dass Anreizverzerrungen so weit wie möglich reduziert werden. Dies erfordert mehrere ineinander greifende Maßnahmen, die sich an den folgenden vier Leitlinien für eine Reform der Finanzmarktordnung ausrichten sollten:

  • Der Umgang mit systemischen Instituten, Märkten und Instrumenten muss grundsätzlich neu geregelt werden, sodass Ansteckungseffekte im Fall einer Krise weitestgehend vermieden werden. Hierzu ist es einerseits notwendig, systemische Institute, Märkte und Instrumente zu identifizieren
    und einer besonders intensiven und stringenten Aufsicht zu unterwerfen. Andererseits müssen Steuerungsinstrumente eingeführt werden, die dem Anreiz, systemisch und so im Falle einer Krise unangreifbar zu werden, effektiv entgegenwirken.
  • Neben dem üblichen Insolvenzrecht benötigt das Finanzsystem ein effektives Eingriffs- und Restrukturierungsregime, das Anreizverzerrungen aus einem in der Krise zu laxen Umgang mit Probleminstituten entgegenwirkt. Um Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber, Vorstände und Aufsichtsräte in Haftung zu nehmen, ist es notwendig, Eingriffsmöglichkeiten zu schaffen, die bei einer drohenden Schieflage frühzeitige Korrekturmaßnahmen erzwingen und bei einer Unterschreitung regulatorischer Vorgaben zu einer Abwicklung des entsprechenden Instituts, optimalerweise im Sinne einer Good-Bank/Bad-Bank-Lösung führen. Um das Zeitinkonsistenzproblem abzuschwächen, muss das Regime Selbstbindungsmechanismen für die Aufsicht in Form von Schwellenwerten beinhalten.
  • Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften, das Spektrum der Aufsicht sowie die Geldpolitik müssen so ausgerichtet werden, dass Anreize zu prozyklischem Verhalten und zur Verlagerung von Risiken auf neue Produkte und außerbilanzielle Vehikel abgeschwächt werden. Viele der bereits beschlossenen Regulierungsreformen gehen in die richtige Richtung. Allerdings wird es jetzt darauf ankommen, zu verhindern, dass Maßnahme an Maßnahme gereiht wird, ohne dass die hierbei entstehenden Wechselwirkungen ausreichend gewürdigt werden. Zudem steht die wahre Herausforderung noch bevor, sobald Vorschläge für die Kalibrierung der Anforderungen vorliegen. Erst dann werden sich die Interessengruppen formieren und gegen eine Verschärfung vorgehen können.
  • Es muss zu einer grundsätzlichen institutionellen Neuausrichtung der Aufsichtskompetenzen kommen, sodass Eingriffsrechte dort angesiedelt sind, wo nicht nur die Kompetenzen, sondern auch die Anreize zu resolutem Eingreifen liegen. Auf der nationalen Ebene wird es insbesondere darauf ankommen, die Überleitung der Aufsichtskompetenzen auf die Deutsche Bundesbank konsequent voranzutreiben und durch die Schaffung einer Einlagensicherungsbehörde zu ergänzen. Zudem muss die Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene intensiver vorangetrieben werden.  Eine einheitliche europäische Aufsicht für systemische Institute muss das Leitbild sein, an dem sich auch die nationalen Reformbemühungen ausrichten.

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