
Grafik: Abweichungen der Oberflächentemperatur des Meeres vom Durchschnitt am 11.2.2010 (Quelle: NOAA/Unisys)
Der Text vom vergangenen Sonntag über die Golfstrom Anomalie war der am häufigsten angeklickte Beitrag der Woche. Das Thema ist wohl auch wegen des unerträglich langen Winters gern genommen. Dabei will der Blick Log weder zum Klimablog mutieren, noch eine neue Verschwörungstheorie entwickeln.
Aber passend für ein Follow up hat in dieser Woche Spiegel Online unter dem Titel Ökosysteme können ohne Warnzeichen kollabieren von einer Studie berichtet, nach der die Ökosysteme der Erde sich ab einem sogenannten Kipp-Punkt (“Tipping Point”) sehr schnell und dramatisch ändern können und vor allem ohne Vorwarnung. In dem Beitrag, der die Studie von Alan Hastings und Derin Wysham von der University of California zusammenfasst, heißt es u.a.:
Unbedeutend erscheinende Einflüsse wie langsam steigende Temperaturen können zuweilen unwiderrufliche Kettenreaktionen auslösen: … Manche Ökosysteme gäben keine Vorwarnung, wenn sie nahe des Kollapses seien, … Welche Ökosysteme betroffen sind, lassen die Forscher offen. Ihre Modelle hätten lediglich gezeigt, dass die Natur nicht immer Warnung gebe, wenn sie vor einschneidenden Veränderungen stehe …
Mehrere Ökosysteme von globaler Bedeutung könnten von Kipp-Punkten bedroht sein, berichteten Klimaforscher um Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) vergangenes Jahr in einer Studie im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“: Die Eispanzer von Grönland und der Westantarktis etwa könnten kollabieren und mit ihrem Schmelzwasser die Ozeane meterhoch anschwellen lassen. Auch der Amazonas-Regenwald, der Golfstrom und das Klima rund um den Pazifik könnten binnen weniger Jahre in einen vollkommen anderen Zustand kippen – so die Theorie.
Die Aussagen “einschneidende Veränderungen ohne Vorwarnung” erinnert deutlich an die Chaostheorie, die auch Tipping-Points kennt, und vor allem an die Schwarzen Schwäne von Nassim Nicholas Taleb. Ein Schwarzer Schwan ist bekanntlich ein extrem unwahrscheinliches Ereignis mit erheblichen Auswirkungen. In der Wirtschaft haben wir einen solchen Tipping-Point übrigens mit dem Zusammenbruch der US-Investment-Bank Lehman Brothers erlebt.
In dem Artikel von Spiegel Online fehlt ein Hinweis, was die Studie eigentlich für die bisherigen Klimamodelle bedeutet. Wenn die Aussage, dass “einschneidende Veränderungen ohne Vorwarnung” möglich seien, richtig ist, dann folgt daraus, dass die bisher eingesetzten und immer stärker umstrittenen Klimamodelle (Nachtrag: siehe dazu aktuellen Beitrag auf Schall und Rauch) solche Änderungen nicht oder nur unzureichend vorhersagen. Wenn die bisher eingesetzten Klimamodelle solche Tipping-Point-Ereignisse mit unabsehbaren Auswirkungen aber nicht abbilden, diese Auswirkungen jedoch die Dynamik des Klimas erheblich beeinflussen, dann sind eingesetzten Modelle wertlos. Die Klimaforschungsdebatte müsste ganz anders geführt werden.
Nun bin ich kein Klimawissenschaftler und will auf Basis eines Textes und einer Abbildung über die aktuellen Temperaturanomalien weder spekulieren, noch mir anmaßen, die Klimaforschung in Frage zu stellen. Tatsächlich benötigt man viel mehr Hintergrundwissen, das uns aber die Fachleute vermitteln sollten. Ich stelle den Blick Log dafür natürlich gern zur Verfügung.
Guter Artikel! An einer Stelle möchte ich Deine Folgerung aber hinterfragen:
Wenn die Aussage, dass “einschneidende Veränderungen ohne Vorwarnung” möglich seien, richtig ist, dann folgt daraus, dass die bisher eingesetzten Klimamodelle solche Änderungen nicht oder nur unzureichend vorhersagen.
Ich stelle mir hier als Analogon den Fall eines Lawinenforschers vor. Der Lawinforscher arbeitet ebenfalls an Modellen. Mit Hilfe der Modelle ist es möglich, Aussagen darüber zu treffen, wie Lawinen entstehen, welche Auswirkungen eine Lawine an einem bestimmten Ort hat, und wie hoch das aktuelle Risiko ist. Der Forscher kann dadurch zwar Risiko-Warnungen herausgeben (das Risiko ist hoch, wenn sich ein Hang einem Tipping-Point nähert), aber wenn dann tatsächlich eine Lawine abgeht, gibt es keine Vorwarnung. Der Hang geht plötzlich von einem oberflächlich ruhigen, stabilen Zustand in einen instabilen über: Er rutscht von jetzt auf gleich ab und das wars. Deswegen ist die Arbeit des Lawinforschers trotzdem sinnvoll: die Leute können sich auf die Situation besser einstellen, betroffene Risiko-Gebiete meiden, Massnahmen treffen, um längerfristig das Lawinenrisiko zu senken, usw.
Der Kilmaforscher ist in einer ähnlichen Situation: er kann vor möglichen Risiken warnen, eventuell sogar Tipping-Points identifizieren, und Folgen abschätzen. Was er nicht kann, ist die von einigen Leuten geforderten „eindeutigen Beweise“ für den Klimawandel zu liefern. Bzw er kann das schon, aber eventuell erst, wenn bereits (von heute auf morgen und ohne sichtbare Vorwarnung ausser den Analysen der Wissenschaftler) das Klima ins Rutschen gekommen ist, und einen völlig anderen Zustand annimmt. Trotzdem kann er die Risken analysieren, und anhand dessen Vorsorgemaßnahmen einleiten. Das hilft aber natürlich nur, sofern die Entscheidungsträger (im Idealfall wir alle) nicht weiterhin die Ergebnisse der überwältigen Mehrheit der Wissenschaftler ignorieren, und sich an die ungleich bequemeren Aussagen einer kleinen Minderheit von Aussenseitern oder Lobbyisten klammern.
Deshalb gebe ich Dir schlussendlich doch recht: die Ergebnisse sind wertlos, weil die Leute nur das glauben, was sie konkret erfahren können.
@enigma
Das sehe ich auch so, nur dass ich das Thema Klimawandel auch für ökonomisch relevant halte. Der Preis eine weitere Tonne CO2 einzusparen kostet derzeit 12€. Wenn das Klima plötzlich kippte könnte, dann würde der Preis vermutlich schnell auf Null fallen. Wenn das Kind erst mal im Brunnen ist, dann muss man auch kein CO2 mehr sparen, sondern hat ganz andere Probleme.
k
„Ich stelle den Blick Log dafür natürlich gern zur Verfügung.“
(Fast) alles, nur DAS nicht! Der BlickLog ist ein seriöses, auf Ökonomie orientiertes Informationsportal!!!
Es ist ja schon schlimm genug, daß man als Wirtschaftswissenschaftler auf Kaffeesatzlesereien á la Shiller und Roubini angesprochen wird! IPCC Diskussionen zerfleddern jedes noch so seriöse Informationsportal!
Nicht mißverstehen: dieser Fragenkomplex ist interessant und wichtig. Der BlickLog zeichnet sich aber dadurch aus, daß darin ökonomische Sachfragen kompetent und zukunftsweisend diskutiert werden! Qualität hat eben was mit Beschränkung und nicht mit der Häufigkeit von Klicks zu tun (auch wenn die einem gut tun).
Beste Grüße
@enigma
Danke für die Rückmeldung. Mich interessiert das Thema wirklich sehr. Dieser Klima-Kipp-Punkt wäre ein klassischer Schwarzer Schwan und hätte erhebliche ökonomische Relevanz. Dauer bedauere ich, dass ich so wenig über das Thema weiß und wundere mich, dass sich auch im Netz und erst Recht den Medien so wenig verständlich aufbereitete Informationen darüber finden.
Schönes Wochenende
dels
Tatsächlich muss man ja die Debatte differenzieren. Und ich denke, dass macht der Blick Log sehr gut. Globale Erwärmung bedeutet ja, dass die wie auch immer gemessene Durchschnittstemperatur auf dem Planeten steigt. Lokal schwanken die Werte mehr oder weniger stark.
Das wird genau deutlich am Beispiel des Januar 2010. Der war zumindest der wärmste der letzten 10 Jahre, global gesehen. Der bekannte und anerkannte Klimablogger Jeff Masters spricht sogar vom wärmsten Januar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (siehe hier: http://climateprogress.org/2010/02/08/climate-science-extreme-weather-moisture-precipitation-warmest-winter-satellite-record-deniers-jeff-masters/)
Interesant, dass es die größten Anomalien in der Arktis und in Grönland gegeben hat. Durch die Veränderungen der Meereströmungen war es am Nordpol relativ warm.
Eine interessante Seite, die die globale Temperatur in verschiedenen Höhe trackt, ist diese hier
http://discover.itsc.uah.edu/amsutemps/execute.csh?amsutemps.
Beste Grüße
H.T
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