So ganz konnte ich mich gestern Abend nicht entscheiden, ob ich das Urteil gegen den früheren Händler der französischen Großbank Société Générale, Jerome Kerviel, gerecht oder ungerecht finde. Ich kenne das französische Strafrecht nicht und könnte nicht einmal sagen, welches Strafmaß in Deutschland ein Händler erwarten würde, der entgegen der Bankvorschriften handelt und sich dabei persönlich nicht bereichert.
Das Urteil irritiert eigentlich nur, weil es die alleinige Schuld auf Kerviel abwälzt. Dokumentiert wird dies daran, dass der Soc Gen ein Schadenersatz in Höhe von 4.900.000.000 Euro zusteht. Das ist heftig, zumal Kerviel nicht in seine eigene Tasche gewirtschaftet hat, sondern quasi die Bank für die Bank betrogen hat, wobei das genaue Motiv wohl die Rechtsphilosophen noch lange beschäftigen dürfte. Die Soc Gen hätte vermutlich den Gewinn seiner riskanten Positionen gern mitgenommen und ihm davon maximal eine Bonifikation in Höhe von ein paar Millionen gegönnt. Ist das wirklich Betrug?
Zweifel weckt dieses Urteil, weil die Bank hätte wissen müssen, was dort in den Tiefen ihres Handelsraumes passiert, egal, wie geschickt ein Händler seine Geschäfte verschleiert. “Klar ist:”, so schreibt das Handelsblatt, “Die Société Générale hätte Kerviel früher stoppen können, sogar müssen. 74 Alarmzeichen wurden weitgehend ignoriert. Und Kerviels direkter Vorgesetzter, Eric Cordelle, gab vor Gericht offen zu, „weder die nötigen Mittel noch die nötigen Qualifikationen“ gehabt zu haben, Kerviel und seine Kollegen am Handelstisch Delta One zu überwachen. Die Bank sei „Opfer des eigenen Wachstums“ geworden, so Cordelle; vor lauter Neueinstellungen habe er keine Zeit für Kontrollen gehabt. Und dass Kerviel 2005 sogar schon einmal beim Mogeln erwischt worden war, hielt man bei der Société Générale nicht für nötig, ihm mitzuteilen.”
Die FAZ hat ausgerechnet wie lange Kerviel bei seinem aktuellen Gehalt von 2.300 Euro benötigen würde, um die Strafe abzuzahlen, und kommt auf 177.000 Jahre. Die Zeitung hat dabei offensichtlich die Zinsen vergessen, für die nicht einmal das Gehalt reichen würde.
Um hier nicht missverstanden zu werden. Den Äußerungen von Jerome Kerviel, der sich als als Sündenbock inszenierte, glaube ich kein einziges Wort. Er hat vorsätzlich die Regeln der Bank verletzt und ihr damit einen großen Schaden zugefügt. Aber eine Bank mit den Kapazitäten und Ressourcen einer Soc Gen muss mit der Technik des 21. Jahrhunderts in der Lage sein, solche Risiken aufzuspüren. Daher trägt sie eine Mitverantwortung für den Schaden. Der von Spiegel Online dokumentierte Zorn vieler Bürger in Frankreich über das Urteil ist daher nachvollziehbar.
Bauernopfer ist das richtige Wort.
Ich finde das Urteil absurd und dürfte hier in Deutschland so wohl kaum möglich sein. Einer der Grundsätze bei einer Strafe sollte ja sein, dass der Verurteilte später irgendwann einmal, wenn er diese verbüsst hat, wieder eine zweite Chance bekommt und sich zu resozialisieren. Das wird hier durch die völlig überzogene Schadensersatzforderung zunichte gemacht. Auf legalem Wege kann er diese Summe gewiss nicht auftreiben. Und jede Summe die er auftreiben könnte wäre verglichen mit dem Schaden lächerlich gering. Klar er sollte sein komplettes Vermögen abgeben müssen an die Bank und vielleicht noch 6 Jahre wie bei einer Privatinsolvenz aus seinen Einnahmen abstottern, aber dann sollte man auch ihm einen Neuanfang erlauben.
Bankmanager auf der anderen Seite die auch solch hohe Summen und noch mehr in den Sand gesetzt haben, bekommen dagegen oft noch einen goldenen Handschlag.
@Jörg
ich denke Du hast Recht. Diverse Bankmanager haben deutlich höhere Beträge in den Sand gesetzt bzw. dies wissentlich in Kauf genommen. Sie sind wir Herr Funke von der HRE zwar entlassen worden, haben aber nun die Chuzpe auf hohe Abfindungen zu klagen. Allerdings hat Funke offenbar peinlich genau darauf geachtet, immer im Rahmen der Vorschriften der Bank zu bleiben. Das hat Kerviel nicht getan. Gleichwohl bleibt nicht nur ein Geschmäckle, dass Kerviel hier ein Bauernopfer ist.
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