EHEC-Panik in Deutschland oder nur medialer Durchfall?

by delsn on 28. Mai 2011

Der Blick Log ist ja kein Gesundheitsblog. Daher können wir vermutlich auch die Berichterstattung über die Verbreitung von Enterohämorrhagische Escherichia coli (= EHEC) nicht wirklich bewerten. Was aber auffällt, ist die “mediale Panik”, die wieder einmal verbreitet wird und die es schwer macht, die vermeintliche Gefahr einzuschätzen.

Noch gut in Erinnerung ist die Informationskernschmelze zur Katastrophe in Japan. Schon fast vergessen scheint der Dioxinskandal mit verseuchten Eiern. Älteren Semestern dürfte aus den Geschichtsbüchern noch die Schweinegrippe in Erinnerung sein, deren Hype wochenlang für Stoff in den Redaktionsstuben sorgte.

Irgendwie scheint mir der Kern des medialen Hypes immer gleich zu sein. Das Geheimnis liegt dabei darin, Formulierungen zu finden, die einen hohen Grad der subjektiven Betroffenheit suggerieren, auch wenn das statistische Risiko für das Individuum gegen Null tendiert.

Der Risikoforscher Professor Ortwin Renn hatte einmal in einem Interview mit dem Deutschlandfunk zu der Angst der Menschen vor unbekannten Krankheiten gesagt.

[“W]enn wir auch Untersuchungen mit Menschen machen, worüber haben sie Angst, was sozusagen als Bedrohung wahrgenommen wird, dann stellen wir immer wieder fest, was sie gar nicht wissen, das macht mich nicht heiß, wie man so schön sagt. Aber wenn sie den Eindruck haben, es könnte auch noch alles viel schlimmer werden, das ist eigentlich das, was sehr viel stärker Angst auslösend ist, und das hat ja auch seinen Sinn. Wenn Sie in der Evolution zurückgehen und sagen, wie sind wir mit Gefahren damals umgegangen, dann hat uns die Natur quasi mit drei Strategien ausgestattet: entweder zu fliehen, zu kämpfen oder totstellen. Das setzt aber voraus, dass man die Situation relativ eindeutig zuordnen kann. Wenn der Tiger vor mir steht, dann weiß ich, ich habe jetzt keine Zeit, lange Berechnungen zu machen, ob der Tiger nun hungrig ist oder nicht, sondern entweder bin ich sofort weg, oder mit dem Tiger nehme ich es auf, oder aber ich stelle mich tot in der Hoffnung, der Tiger merkt es nicht. Das muss sozusagen in einer Zehntelsekunde gehen. Aus dieser evolutiven Grundhaltung heraus sind wir besonders, ich sage mal, besorgt, oder es macht uns auch nervös, wenn wir die Gefahren nicht 100 Prozent richtig einschätzen können. Wir wissen, da ist eine Gefahr, aber wir haben einfach die Unsicherheit.

Denken Sie an ein zweites Beispiel: Wenn es abends ist und es ist kein Licht und Sie laufen über die Straße, haben die meisten Menschen mehr Angst als über Tag, obwohl die Kriminalität so ist, dass tagsüber sehr viel mehr passiert als in der Nacht. Aber es ist halt so: in dem Moment, wo ich das nicht richtig wahrnehmen kann, nicht richtig sehen kann, fühle ich mich einfach bedrohter.”

Renn äußert sich auch zu der Medienberichterstattung, wo vor allem die Boulevard-Schlagzeilen wie “Todesvirus – kommt er schon bald bei uns?” verunsichern wollen:

“Es ist so: Ich meine, wir haben das Problem natürlich, dass die Medien gerne Dinge auch ein bisschen aufbauschen, um letztlich Aufmerksamkeit zu erlangen. Das gilt vor allem für die Überschriften. Die Überschriften müssen etwas signalisieren und wer nur die Überschriften liest, kann natürlich daraus den Schluss ziehen, “Aha, ich bin bedroht, wenn ich jetzt nur zur Arbeit gehe”. Das ist natürlich ein Problem.

Gleichzeitig haben die Medien natürlich sicherlich auch in dieser Situation die Aufgabe, die Menschen auf diese Gefahr hinzuweisen und bestimmte Vorsichtsmaßnahmen, die jetzt gar nicht viel kosten, dass man, wenn man beispielsweise mit Menschen zusammen kommt, von denen man weiß, dass sie aus den Ländern kommen, ein bisschen Abstand hält. All diese Dinge sind ja durchaus nicht falsch. Aber es ist schon so, dass es eine sehr feine Linie gibt zwischen – ich sage mal – einer Sensationsform von Übertragung von Nachrichten, wo ich sagen würde, das schürt sozusagen die Hysterie und baut noch auf dieser Unsicherheitsangst auf, und einer Berichterstattung, die deutlich macht, ja, das ist eine Bedrohung, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es so ausgeht wie bei der Vogelgrippe oder ähnlich ausgeht – ganz wird es nicht so sein -, ist durchaus hoch. Also irgendwo die Kirche im Dorf lassen, das ist einfacher gesagt als getan.”

Übrigens gab es gestern im dradio ebenfalls ein interessantes Interview mit dem Medizinhistoriker Volker Hess unter dem Titel: “Die Urangst vor der Seuche

Was derzeit fehlt sind Informationen darüber, wie hoch eigentlich unter welchen Bedingungen die Wahrscheinlichkeit ist, dass man sich dieses Bakterium einfängt und es dann tatsächlich zu einem Ausbruch der Krankheit kommt. Und wenn die Krankheit tatsächlich ausgebrochen ist, wie hoch ist dann die Wahrscheinlich, irreparabel zu erkranken oder gar daran zu sterben. Derzeit lautet die mediale Schlussfolgerung: Esse eine spanische Gurke und Du stirbst.

Wenn ich der “Theorie des Medienrummels”, die Marsman hier vor einigen Wochen vertrat, folge, dann dürfte in spätestens zwei Wochen das Thema wieder erledigt sein. Ich bin gespannt.

Schlagzeilen zur aktuellen Hysterie

Bild: EHEC-Seuche Horror-Keime wüten immer schlimmer

Spon: Zahl der Ehec-Infizierten steigt rapide

Neue Westfälische: EHEC-Erreger wütet weiter

Berliner Morgenpost: Aggressives Bakterium: EHEC-Gefahr auch in Streichelzoos

Westdeutsche Zeitung: Die deutsch-spanische Gemüsekrise

FAZ: Ehec-ErregerZahl der Toten steigt – Streit um Infektionsquelle: Ehec-Infektionen greifen weiter um sich. Über die Gurke als Keimträger ist ein heftiger Streit entbrannt. Spanien und die Niederlande schieben die Schuld von sich. Aber Spanien schloss nun zwei Betriebe wegen EHEC-Verdachts

SZ: Gefährlicher Darmkeim — Zahl der Ehec-Infizierten steigt weiter – zwei Frauen sterben an den Folgen

FTD: Gefährlicher Darmkeim – Spanien dementiert Betriebsschließungen wegen Ehec: Der Mittelmeerstaat widerspricht den Aussagen der EU-Komission: Die zwei angeblich geschlossenen Agrarunternehmen ernten weiterhin. Zusammen mit den Niederlanden beschwert sich das Land über deutsche Behörden. Währenddessen steigt die Zahl der Toten.

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