Psychologie der Schweinegrippe: Mehr Medienfurcht als Gefahr

by Dirk Elsner on 30. April 2009

“Schweinerei!” wird so manch ein Chefredakteur gestern morgen geflucht haben, als er hörte, dass in Mexiko nach neuen Zahlen der Behörden  “nur” 26 Fälle der Mexicogrippe bestätigt wurden und statt über 100  “nur” sieben Infizierte gestorben sind. Mittlerweile sieht auch Spiegel Online erste Zweifel an der Gefährlichkeit der Influenza.

Die angebliche “Hysterie” zur „Seuche“ findet vorwiegend in den Köpfen der Redaktionen statt. Ich kann mir schon vorstellen, wie in diesen Tagen Fotografen die Innenstädte in der Hoffnung durchstreifen, die ersten Bürger mit Mundschutz herumlaufen zu sehen. Dann werden flux die Fotos mit der Überschrift betitelt: “Schweinegrippe: Panik in deutschen Metropolen”. Glücklicherweise sind die Bürger dieses Landes besonnener, als es die um ihre schwindenden Auflagen fürchtenden Redakteure erwartet haben.

Hier zunächst der Hypevergleich in Google-Trends zu Schweinegrippe, Klinsmann und Wirtschaftskrise.

image

Die aktuelle Berichterstattung zur Influenza-Epidemie erinnert an die Zeit als die Vogelgrippe das Thema Nummer 1 war. “Die Menschen waren besorgt, sie versuchten, sich mit dem Medikament Tamiflu einzudecken, das bald ausverkauft war in den Apotheken. Panik, obgleich es am Ende laut Weltgesundheitsorganisation keinen einzigen Toten, noch nicht einmal einen Erkrankten in Europa gegeben hat. Die Vogelgrippe blieb im Wesentlichen auf Südostasien beschränkt.” So die Einleitung zu einem einem aufschlussreiches Interview im Deutschlandfunk zur “Psychologie der Schweinegrippe” mit dem Risikoforscher Professor Ortwin Renn (Podcast dazu hier). Renn hält die Gefahr einer Pandemie in Zusammenhang mit der Neuen Grippe für gering. Renn sagte weiter:

“Das Problem ist halt, dass wir uns mehr vor Unsicherheit fürchten als vor Gefahr, wie das Bertrand Russell mal gesagt hat, und bei den Möglichkeiten von Pandemien kann es sein oder es ist sogar das Wahrscheinliche, dass es an uns schonungslos oder ohne große Probleme vorbeiläuft, aber es gibt immer die Möglichkeit, dass es doch zu einer größeren Ansteckung kommt und dann ist natürlich besser, man irrt auf der Vorsichtseite, als hinterher Nachsicht üben zu müssen. Also ich glaube schon, dass das sinnvoll ist, nur ich denke, es ist auch wichtig, dass den Menschen deutlich wird, die Wahrscheinlichkeit, dass es hier zu einer großen Pandemie kommt, ist relativ gering.

Insofern brauchen wir also nicht in irgendeiner Weise übermäßig besorgt zu sein, aber dennoch: Die Wahrscheinlichkeit ist nicht null. Das ist ja immer beim Risiko so. Es gibt also die Möglichkeit und es ist halt auch so, dass Pandemien – das wussten wir von der Spanischen Grippe, von dem Ersten Weltkrieg, wo Millionen Menschen an Influenza gestorben sind – durchaus die Kraft haben, die zu einer menschlichen Katastrophe werden kann.

…[W]enn wir auch Untersuchungen mit Menschen machen, worüber haben sie Angst, was sozusagen als Bedrohung wahrgenommen wird, dann stellen wir immer wieder fest, was sie gar nicht wissen, das macht mich nicht heiß, wie man so schön sagt. Aber wenn sie den Eindruck haben, es könnte auch noch alles viel schlimmer werden, das ist eigentlich das, was sehr viel stärker Angst auslösend ist, und das hat ja auch seinen Sinn. Wenn Sie in der Evolution zurückgehen und sagen, wie sind wir mit Gefahren damals umgegangen, dann hat uns die Natur quasi mit drei Strategien ausgestattet: entweder zu fliehen, zu kämpfen oder totstellen. Das setzt aber voraus, dass man die Situation relativ eindeutig zuordnen kann. Wenn der Tiger vor mir steht, dann weiß ich, ich habe jetzt keine Zeit, lange Berechnungen zu machen, ob der Tiger nun hungrig ist oder nicht, sondern entweder bin ich sofort weg, oder mit dem Tiger nehme ich es auf, oder aber ich stelle mich tot in der Hoffnung, der Tiger merkt es nicht. Das muss sozusagen in einer Zehntelsekunde gehen. Aus dieser evolutiven Grundhaltung heraus sind wir besonders, ich sage mal, besorgt, oder es macht uns auch nervös, wenn wir die Gefahren nicht 100 Prozent richtig einschätzen können. Wir wissen, da ist eine Gefahr, aber wir haben einfach die Unsicherheit.

Denken Sie an ein zweites Beispiel: Wenn es abends ist und es ist kein Licht und Sie laufen über die Straße, haben die meisten Menschen mehr Angst als über Tag, obwohl die Kriminalität so ist, dass tagsüber sehr viel mehr passiert als in der Nacht. Aber es ist halt so: in dem Moment, wo ich das nicht richtig wahrnehmen kann, nicht richtig sehen kann, fühle ich mich einfach bedrohter.”

Renn äußert sich auch zu der Medienberichterstattung, wo vor allem die Boulevard-Schlagzeilen wie „Todesvirus – kommt er schon bald bei uns?“ verunsichern wollen:

“Es ist so: Ich meine, wir haben das Problem natürlich, dass die Medien gerne Dinge auch ein bisschen aufbauschen, um letztlich Aufmerksamkeit zu erlangen. Das gilt vor allem für die Überschriften. Die Überschriften müssen etwas signalisieren und wer nur die Überschriften liest, kann natürlich daraus den Schluss ziehen, „Aha, ich bin bedroht, wenn ich jetzt nur zur Arbeit gehe“. Das ist natürlich ein Problem.

Gleichzeitig haben die Medien natürlich sicherlich auch in dieser Situation die Aufgabe, die Menschen auf diese Gefahr hinzuweisen und bestimmte Vorsichtsmaßnahmen, die jetzt gar nicht viel kosten, dass man, wenn man beispielsweise mit Menschen zusammen kommt, von denen man weiß, dass sie aus den Ländern kommen, ein bisschen Abstand hält. All diese Dinge sind ja durchaus nicht falsch. Aber es ist schon so, dass es eine sehr feine Linie gibt zwischen – ich sage mal – einer Sensationsform von Übertragung von Nachrichten, wo ich sagen würde, das schürt sozusagen die Hysterie und baut noch auf dieser Unsicherheitsangst auf, und einer Berichterstattung, die deutlich macht, ja, das ist eine Bedrohung, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es so ausgeht wie bei der Vogelgrippe oder ähnlich ausgeht – ganz wird es nicht so sein -, ist durchaus hoch. Also irgendwo die Kirche im Dorf lassen, das ist einfacher gesagt als getan.”

Einen Überblick zur Hysterie

Stern: Schweinegrippe in Deutschland: Experten warnen vor Hysterie

Ärztezeitung: Regierung warnt vor Hysterie wegen Schweinegrippe

Tagesschau.de Virologe: Normale Grippewelle ist schlimmer

SZ: Furcht vor Pandemie Gefährliches Souvenir aus Mexiko

AR: Das Ende der Schweinegrippe

Gulli: Schweinegrippe: Auch in Spam-Mails ein Thema

Ärztezeitung: Schweinegrippe sorgt für Ansturm auf Grippemittel

Blick Log: Schweinegrippe in Bielefeld gibt es doch nicht

Blick Log: Grippewelle in Mexiko, Netzwerke und Theorie der Superspreader

Fudder: Umfrage: Hast du Angst vor der Schweinegrippe?

Focus: Schweinegrippe: Der globale Internetvirus

Spon: Schweinegrippe: Deutschland kämpft besonnen gegen das Virus

CWD: WHO: Swine Flu Pandemic is imminent

Silicon: Schweinegrippe breitet sich auf Facebook aus

Previous post:

Next post: