Dioxinskandälchen? Deutsche Empörungsreflexe und Regulierungswut

by Dirk Elsner on 24. Januar 2011

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Seit drei Wochen werden wir über alle Kanäle beschallt mit den (Des-?)Informationen über einen angeblichen “Dioxinskandal”, der einem Teil der Bevölkerung einmal mehr das Essen verdirbt. Freilich steht die durch Medien und Politik angefachte Hysterie im krassen Gegensatz zu der Gelassenheit, die ich unter Freunden, Kollegen und auch sonst in der nicht medialen Öffentlichkeit wahrnehme. Mich langweilt der vermeintliche Skandal, wie viele andere hochgepuschte Ereignisse inklusive der immer wieder gleichen Empörungsreflexe und Rituale.

Und diese Muster sind fast immer identisch. Da wird ein Regelverstoß (beliebt sind neben der Lebensmittelindustrie, die Finanz-, Pharmaka- oder Baubranche) festgestellt, es werden die “schockierenden Auswirkungen” dieses Regelverstoßes auf unseren Alltag in dramatischen Bildern ausgemalt, moralische Empörungsreflexe der Öffentlichkeit durchdringen Kommentare und Talkshows, Aufsichtsbehörden und Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, Gutmenschen fordern strengere Gesetze und eine systemische Neuorientierung unseres Wertesystems, die Regierung kündigt in einem Punkteplan Konsequenzen an, Lobbys wehren sich dagegen und am Ende werden Regeln und Kontrollen (vielleicht) ein wenig verschärft, in jedem Fall aber noch komplizierter. Volk und die nach Skandalen gierenden Medien sind dann beruhigt und es kann sich dem nächsten Thema gewidmet werden. Das ganze erinnert an schlechte Realityshows im Trash-TV.

Während die Empörungswelle noch durch die Landschaft tobt, bemühte sich am Wochenende die FAZ um eine wohltuende Versachlichung in “Die sieben Mythen im Dioxinskandal”. Diese Mythen sind:

1. Die industrielle Landwirtschaft ist schuld!

2. Mit Biolandwirten wäre das nicht passiert!
3. Sicherheit bietet nur der Bauer von nebenan!
4. Vegetarier sind auf der sichereren Seite!
5. Früher waren die Lebensmittel gesünder!
6. Die Umweltgifte wie Dioxin nehmen immer weiter zu!
7. Die kapitalistische Profitgier ist schuld!

Da erfährt man beispielsweise auch, dass Bioprodukte aufgrund der “natürlichen” Nahrungsaufnahme keineswegs weniger, sondern oft sogar mehr Dioxin enthalten als Produkte aus der “industriellen Landwirtschaft”.

Futtermittelskandale (einige sind hier oder hier genannt) rufen in der Regel viel Ekel hervor und eignen sich deswegen hervorragend für die öffentliche Inszenierung. Natürlich ist der Abschreckungscharakter für kriminelle Aktivitäten zu begrüßen. Ob Industrie und Verbrauchern allerdings damit gedient ist, nach jedem Skandal in vorauseilendem Gehorsam die Regeln zu ändern, was meist bedeutet sie zu verschärfen, halte ich für fragwürdig.

Nimmt man das Beispiel Dioxin in Lebensmitteln, dann lernt man aus einem Beitrag der FAZ, dass der Dioxin-Grenzwert für Eier (0,3 Pikogramm) zwar in einer EU-Verordnung festgelegt, jedoch nicht toxikologisch begründet ist. Über verschiedene Lebensmittel differieren die absoluten Dioxinbelastungen ganz erheblich. So darf etwa Kabeljau absolut viel mehr Dioxin enthalten als ein Ei. Daneben sind fettreiche Fische, etwa Hering oder Aal, viel höher belastet als Eier, schrieb die Zeitung am Samstag.

Das klingt verwirrend und zeugt davon, dass entweder das Schutzinteresse bisheriger Regelungen durch interessierte Kreise arg aufgeweicht wurde oder der Skandal eigentlich gar Skandal ist. Hier wünscht man sich als Konsument zunächst einmal Klarheit, bevor neue Regelungen und politischer Aktionismus weitere Verwirrungen schaffen. Über die Informationsdefizite zum Dioxinskandals hatte sich die ZEIT bereits Mitte Januar beschwert und auf die aufwendige Suche gemacht.

Es ist klar, wie die Pharmabranche oder die Finanzindustrie schaden sich Lebensmittelbetriebe ganz erheblich selbst durch fragwürdige Aktivitäten. Für Verbraucher und interessierte Öffentlichkeit wird es aber angesichts des durch Medien, Verbände und Politik angeheizten Desinformationsrauschens immer schwerer zu durchschauen, was eigentlich Sache. Sicher können wir nur sein, dass der nächste Skandal bereits existiert, wir wissen halt nur noch nichts von ihm.

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