Die Finanzkrise 2.0 wird zur ihrer eigenen Realsatire oder wie sich alles im Kreis dreht

by Dirk Elsner on 21. Oktober 2011

Storm Cell Over Evansville WyWenn ich so auf die aktuelle Berichterstattung zu der wieder aufgeflackerten Finanz- bzw. Bankenkrise schaue, dann kommt mir das fast wie eine Realsatire auf die Lage im Herbst 2008/Frühjahr 2009 vor. Nein, dieser Beitrag ist keine Satire, sondern ich nenne hier einfach nur ein paar Punkte, die mir aus der der jüngsten Berichterstattung auffallen und die mich an die Krise 2008/09 erinnerten. Und, das ist das Schöne am eigenen Blog, sich hier auch wiederfinden lassen.

So schrieb vor einigen Tagen etwa das Handelsblatt: „Überall auf der Welt laufen Menschen Sturm gegen die Finanzindustrie, auch die Kanzlerin will „Leitplanken“ einziehen.“ Leitplanken einziehen? Da war doch einmal was. Genau, z.B. ein Gipfel der G20-Staaten im November 2008, der sich in seiner Abschlusserklärung zum Ziel setzte, die Finanzmärkte zu bändigen, um eine Krise vom Lehmanschen Ausmaß zu verhindern.

Damals gab es übrigens auch viel Schelte für die Banken, wie etwa vom damaligen Bundespräsidenten Köhler, der von blinden und berauschten Banken sprach. Lerneffekt seit damals = 0.

Sogar die Strategie, der Öffentlichkeit weiter Sand in die Augen zu streuen, ist die gleiche wie damals. So beklagte sich jüngst der Chef von Morgan Stanley, James Gorman, über die enorme „Verwirrung und Falschinformationen“, die über sein Haus verbreitet werden. Gorman riet seinem Team, nicht darauf zu reagieren und „sich weiter auf euren Job zu konzentrieren“. Spiegel Online schrieb dazu: “Der Chef spielt Gerüchte herunter, denen er aber gleichzeitig neue Nahrung gibt, indem er sie eines Memos für würdig erklärt. Eine klassische Zwickmühle also: Schweigt er, könnte das Problem ausufern. Redet er, wird das Problem real.” Das Verhalten Gorman erinnert zwangsläufig an Richard Fuld, dem letzten Chef von Lehman Brothers.

Damals gab es natürlich ebenfalls eine intensive Debatte über die Vertrauenskrise. “Die Finanzkrise ist aber auch durch einen erschreckenden Mangel an Transparenz ausgelöst worden”, stellte Frank Wiebe 2009 im Handelsblatt einen zentralen Punkt heraus (zitiert über Blick Log). Dieses Problem sahen damals die Banken ebenso, wie etwa Andreas Schmitz, der damalige und heutige Chef des Bundesverbands Deutscher Banken. Er sagte in einem Interview im Mai 2009:

“Ich glaube, es ist unstreitig, dass Banken insgesamt bei den Bürgern und Unternehmen an Vertrauen verloren haben. Dieses Vertrauen können wir nicht heute oder morgen wiedererlangen. Das ist ein langer Weg. Und deshalb sind alle, die in dem Geschäft tätig sind, aufgerufen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Das gelingt sicher nicht nur mit Worten, sondern dem müssen Taten folgen.”

Es war also schon damals ein langer Weg. Schade, dass noch kein einziger Schritt auf diesem Weg gegangen wurde.

Übrigens gab es auch bereits 2008 eine intensive gesellschaftspolitische Debatte über den Ansehensverlust der “Wirtschaftselite” und die Krise der Marktwirtschaft. Letztlich ist es damals etwas für die Feuilletons geblieben und wird es diesmal vermutlich ebenfalls bleiben, wenn die Krise überwunden wird.

Es lassen sich noch zig weitere Beispiele anführen. Und die Diskussionen, sie drehen sich im Kreis, wie der Ex-Wirtschaftsblogger Thomas Strobl in einem Interview mit dem Handelsblatt sagte. Eine Antwort auf die Frage aber, warum sich alles im Kreis dreht, werde ich aber wohl nach lange suchen müssen.

Rainer Oktober 21, 2011 um 16:18 Uhr

Es wäre fair, anzunehmen, dass neben Andreas Schmitz auch andere Banker erkennen, welchen Vertrauensverlust die Finanzinstitute erlitten haben. Ich bezweifele nicht, dass hier viel Arbeit noch vor ihnen liegt. Dass die Diskussion über die Krise sich im Kreise dreht, liegt m.E. jedoch eher daran, dass kaum ein Politiker oder auch Ökonom die „real existierende“ Finanzwelt überhaupt versteht. Ebenso schaffen sie es nicht, die Finanzwelt losgelöst von den eigenen politischen Interessen zu beurteilen, wie die Diskussionen in der Regierungskoalition zeigen. Es wäre ja verwunderlich, wenn die Diskussion sich nicht im Kreise drehen würde. Denn das hieße, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam die Notwendigkeit schmerzhafter Einschnitte erkannt hätten.

Kritiker Oktober 21, 2011 um 13:41 Uhr

Es gibt sicher mehrere Gründe, warum sich die Diskussion im Kreis dreht. Zum einen ist es natürlich die Autopoesis der beteiligten Organisationen Banken, Politik, Wissenschaft und abstrakt die Gruppe der privaten Anleger, verbunden mit der faktischen Macht des Geldes, die eine wirkliche Reform verhindert.

Die Kaste der Volkswirte auch eine ganz unrühmliche Rolle. Die orthodoxe (namentlich die neoklassische) VWL hat darin versagt, das moderne Bankwesen überhaupt in ihre Modelle zu integrieren. Es gibt heute keine, vor allem keine normative Theorie über die Finanzmärkte. Die VWL hat sich immer hinter ihren Dogmen der EMH verschanzt, egal wie offensichtlich auch die Diskrepanzen zur Wirklichkeit waren. Auch 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der japanischen Volkswirtschaft wird zum Beispiel dieses „Phänomen“ als weitgehend „unerklärbar“ ignoriert. Paul Krugman hat in seinem Blog geschrieben, die VWL wüsste heute weniger als vor 20 Jahren. Dem ist beizupflichten, da sich die VWL zu stark einem Mainstream angepasst hat, und offensichtlich einen starken Konsensdruck ausgeübt hat.

Wie der australische Professor Steve Keen es neulich einmal in einem Interview bildhaft beschrieb, braucht die VWL einen Paradigmenwechsel kopernikanischer Dimension: Wenn die Erde nicht mehr Mittelpunkt der Welt ist, dann kann man plötzlich auch nicht mehr erklären, warum ein Apfel zu Boden fällt. Bis dahin war es immer einfach: Alles bewegt sich zum Zentrum. Wenn die Sonne das Zentrum ist, dann hat man plötzlich ein Problem mit dem Apfel. Dieses Problem hat heute die VWL, aber wie die Kirche damals verteidigt sie ihr Dogmen, und ist damit ein Lösungsverhinderer.

Der von mir sehr geschätzte Blog Weissgarnix von Thomas Strobl hat die Soziologie in Thematik eingeführt, und sich aus einer anderen Perspektive mit dem Thema beschäftigt, aber er hat sich letztlich auch nur innerhalb des gängigen Paradigmas bewegt, und er hat daher ebenfalls keine Lösung der inneren Widersprüche der orthodoxen Ökonomie gefunden. Subjektiv hat er sich damit natürlich im Kreis bewegt.

Das ist schade, eine Auseinandersetzung mit den Ideen von Keen oder Richard A.Werner und anderen heterodoxen Ökonomen wäre bei Weissgarnix sicher interessant geworden.

Marsman Oktober 21, 2011 um 08:24 Uhr

Meines Erachtens lassen sich immerhin ein paar Trends erkennen:
Erstens, die Wirtschafts- und Finanzberichterstattung wird anscheinend
für viele wahrnehmbar zusehends dysfunktionaler, für die Medienkonsumenten
schlicht sinnlos. Es gibt ja auch jede Menge Nachrichtenschrott der nur dazu dient
Betriebsamkeit vorzutäuschen. Und es kann abermals zu einer neuen Runde
der Medienkrise, zumindest von den USA ausgehend, kommen.

Zweitens. Die Meinungsmacherei, die immer wieder mal ganz unversehens
Konformität erzwingt zugunsten der diversen Rettungsaktionen wird vielleicht
auch noch mal für viele ein Ärgernis, ein Albtraum.
Es ist schon interessant wie manche ebendieser jetzt zunehmend versuchen
die Anleger zu bevormunden, von denen Gehorsam verlangen. Die Webseite
vom ARD etwa, der Wirtschafts- und Börsenteil davon, ist ein Musterfall von
unendlich weisen Gouvernanten und Oberlehrern und entsetzlich dummen
Kindern. Dumme Kinder, die sich zudem zusehends ungehörig verhalten. Es
wird nicht mehr lange dauern und die Vormünder werden sich über den
Ungehorsam ihrer Zöglinge noch Luft machen (wenn man an den Finanzmärkten
anders reagiert als gewollt und gesollt).
Ich würde fünf bis zehn Euro darauf wetten dass sich innerhalb von zwei Wochen
die Anleger u. Medienkonsumenten Strafpredigten, psychische Diagnosen
und andere Unmutsäusserungen anhören dürfen.

Viertens, die Politiker entwicklen sich zunehmend zu Aussenseitern im Hinblick auf die Finanzmärkte, die kleinen und grossen Anleger, wie auch die real
existierenden Firmen. sich gegen die Finanzmärkte zu stellen war erstens
populär. Bis es dann auf einmal nicht mehr die Finanzmärkte abstrakt sind
sondern sich gewissermassen die Politiker und die Anleger direkt gegenüber
stehen, als Fremde.

Etwas, das offensichtlich nicht vorgesehen wird, weder von den Banken noch
von Politikern, ist der Fall dass sich im Hinblick auf den Rettungsschirm, usw.,
keine Euphorie, keine eigentlich falsche Kursentwicklung an den Börsen
gibt, sondern dies insgesamt Unbehagen auslöst, die Aktienkurse eher
unten bleiben, vielleicht sogar noch sinken. In diesem Fall hängen sowohl
Banken wie Politik in der Luft, weil dann sich mit Versprechungen und
Erwartungen nichts mehr machen lässt. Dann ergeben sich wegen den
Reaktionen an den Finanzmärkten ziemlich bald ganz andere Umstände.
Umstände faktischer Art, die als Bande so manch hübscher Theorie ein
grausiges Ende machen, zumindest aber ordentlich Sand im Getriebe
darstellen.

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