Seit Jahren spielen internationale Unternehmen mit Politik und Medien ein Spiel um die Verknappung so genannter Seltene Erde (Rare Earth), das man mit Vorsicht bewerten sollte. Dramatisiert wird dies zum globalen Kampf um Rohstoffe zwischen den westlichen Ländern und China. Aktuell eskaliert mal wieder ein Handelsstreit. Die EU, USA und Japan haben vergangene Woche eine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) gegen chinesische Exportbeschränkungen eingereicht.
Dieser Streit ist nicht neu, sondern schwelt schon seit einigen Jahren. So konnte man etwa 2010 in der FAZ lesen, dass sich der Streit mit China um seltene Erden zuspitzt. China soll aktuell immer noch mehr als 95% der als unersetzlich bezeichneten Metalle fördern, die in den Industrieländern für die Herstellung von Hightech-Produkten benötigt werden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie beschwörte bereits 2010 den nahenden Produktionsstillstand der Hochtechnologie. Das ist vollkommen übertrieben und schürt überflüssige Ängste.
Wohltuend sachlich bewies die FAZ erneut guten Wirtschaftsjournalismus und holte das Phänomen um die Seltene Erden auf den Boden zurück. Jan Grossarth schrieb:
“Seltene Erden – also die chemische Gruppe der Lanthanoide – haben auch nichts mit Erde zu tun, sondern sind Metalle, die wiederum geologisch eine Massenware sind. Doch viele Vorkommen blieben in den vergangenen Jahren unangetastet, da China dank niedriger Arbeitskosten, Umwelt- und Arbeitsschutzstandards konkurrenzlos günstig abbauen konnte. Nun aber, da Peking die Exporte des Seltene-Erden-Konzentrats mit dem Namen „Mischmetal“ seit Jahren und 2010 sogar um rund 40 Prozent kürzt, ist der Aufschrei groß. Industrieunternehmen fühlen sich erpresst, Produktionsstandorte nach China zu verlagern. Die chinesische Regierung beteuert jedoch, ihre Macht nicht als Druckmittel einsetzen zu wollen.”
China beliefert derzeit immer noch den weltweiten Bedarfs, Reserven gibt es freilich in diversen Ländern. Dort werden sie allerdings aufgrund des Lohndumpings in China nicht abgebaut. Die Förderung und Aufbereitung Seltener Erden belastet die Umwelt sehr stark. Daher, so Prof, Pierdzioch et al. in Wisu 3/2011, wurden viele Minen in anderen Ländern geschlossen. In China können diese Rohstoffe aufgrund der niedrigen Umweltstandards und der geringen Arbeitskosten besonders günstig gefördert werden, womit das Land nahezu die gesamte Weltproduktion kontrolliert.
Die Unternehmen in den westlichen Ländern, so analysierte Jan Grossarth in der FAZ, “sind daran aber nicht ganz unschuldig: Sie kauften lange Zeit Rohstoffe nur dort, wo sie günstig waren, verfolgten aber keine langfristige Strategie.”
Aus einer leider nicht online erhältlichen Infografik auf Basis verschiedener Quellen nahm die FAZ der Diskussion die Dramatik. Danach beträgt zwar Chinas Anteil an der derzeitigen Weltproduktion 97%, schaut man aber auf die Vorkommen insgesamt, dann könnte sich die Industrie entspannter geben. Danach werden die Gesamtvorkommen derzeit auf 98,6 Millionen Tonnen geschätzt, bei einer Förderungsmenge von 123.730 Tonnen im Jahre 2009. Die größten Vorkommen (freilich nicht differenziert nach Elementen) verteilen sich danach wie folgt:
- China: 36,5%
- Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS): 19,3%
- USA 13,2
- Australien 5,5%
- Indien 3,1%
- Sonstige 22,3%
Darin berücksichtigt sind noch nicht die Prüfungen auf neue Fördermöglichkeiten. Gerade die Erschließung neuer Vorkommen war ja in der Vergangenheit durch die chinesische Dumpingpolitik stark gehemmt. Auch die EU-Kommission kocht mittlerweile den Streit herunter. Tatsächlich soll es nach einer Studie der EU nur bei 14 der von ihr überprüften 41 Rohstoffe eine kritische Versorgungslage geben, darunter Magnesium und Graphit (siehe folgende Abbildung).
Oben sieht man jedoch auch die “Rare Earths”, zu denen die EU folgende Materialien rechnet: Yttrium, Scandium, so genannte Lanthanides (Lanthanum, Cerium, Praseodymium, Neodymium, Promethium, Samarium, Europium, Gadolinium, Terbium, Dysprosium, Holmium, Erbium, Thulium, Ytterbium und Lutetium).
Mit der “künstlichen” Verknappung, die China unterstellt wird, wird es nun aber wieder lukrativ, nach neuen Vorkommen zu suchen und diese zu erschließen. Insoweit sollte der Westen China nicht mit Klagen drohen, sondern dankbar sein. Und tatsächlich zeigt die Verknappung bereits Wirkung, denn immer mehr Anbieter außerhalb Chinas drängen auf den Markt.
Berücksichtigt man diese Fakten, dann ist unklar, warum so gejammert wird und aktuell die Konfrontation mit China gesucht wird. Will man das Aufbauschen um die Knappheit der seltenen Metalle und die damit verbundenen Preiserhöhungen am Weltmarkt als Begründung für Preiserhöhungen nutzen? Überraschen würde mich das nicht. Ebenso springen die Finanzmarktakteure auf diesen Zug auf und propagieren Aktien und erste Indexfonds auf “Seltene Erden”. Ob das ein kluges Investment ist, wage ich zu bezweifeln. Bernd Mikosch entdeckte bereits 2010 Anzeichen einer Blasenbildung bei den “Seltenen Erden”. Tatsächlich stiegen die Preise aber bis Mitte 2011 noch stark an, danach setzte ein starker Preisverfall ein, schrieb die FTD.
Das Handelsblatt warnte im vergangenen Jahr vor “Übertriebene Panikmache um „Seltene Erden“. Tatsächlich haben Exportbeschränkungen und Preisanstieg mittlerweile zahlreichen Aktivitäten initiiert, die Knappheit zu begrenzen. Nach einem Bericht der FTD vom Februar diesen Jahres sollen derzeit mehr als 400 Explorationsprojekte in 36 Ländern laufen. Vorkommen gibt es übrigens auch in Deutschland, wie das Handelsblatt im letzten Jahr berichtete. Vorkommen in Storkwitz (Sachsen, Lizenzen hält die DRAG) werden auf 40.000 Tonnen geschätzt. Daneben soll es weitere kleine Vorkommen in Deutschland geben, die bisher wenig untersucht sind. Kaum öffentlich diskutiert wurde auch, dass Deutschland im Februar mit dem autokratisch regierten Kasachstan eine “Rohstoffpartnerschaft” zur Förderung seltener Erden abgeschlossen hat.
Der Preisanstieg der Seltenen Erden hat also längt dazu geführt, dass die Erschließung und der Abbau alternativer Quellen attraktiver geworden ist und es immer mehr Bestrebungen gibt, durch ein besseres Recyclingsystem die Versorgung zu sichern.
Grund für die aktuelle Eskalation vor der WTO könnten auch in innenpolitischen Gründen liegen, wie Stormy-Annika Mildner auf Zeit Online analysierte. Obama gelte als zu lax in Handelsfragen und mehr als die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner sollen nach Umfragen für ein rigoroseres Vorgehen gegen China in Handelsfragen plädieren.
Hintergrund: Zur Definition Seltener Metalle
Quelle: Studie im Auftrag des Bundesumweltamtes
“Die Ausschreibung verwendet den Begriff „seltene Mineralien“. „Mineral“ ist zwar ein in der Literatur relativ einheitlich verwandter Begriff, aber hierunter werden schätzungsweise zweitausend Stoffe subsummiert. Von diesen wiederum werden ca. 300 als häufig und der Rest als selten beschrieben (Meyers Lexikon 1983: Mineralien). Mineralien werden aber nur selten zur Herstellung von Produkten eingesetzt, sondern es werden fast immer durch metallurgische Verfahren oder chemische Reaktionen zunächst die Reinformen der Stoffe, einfache Salze oder Legierungen der Stoffe hergestellt. Erstere können dann zumeist direkt in Zwischenprodukte (z.B. Drähte, Folien oder Legierungen aus Kupferbarren) zur Nutzung in Produktionsverfahren überführt werden, während letztere entweder zur Herstellung von Reinstoffen (z.B. Silizium aus Siliziumchloriden) oder wieder zur Herstellung von Zwischenprodukten verwendet werden können. Weiterhin ist die Datenlage hinsichtlich der Vorkommen und Verwendung der Mineralien sehr unzureichend, da Stoffregister und Datenbanken zumeist von den Reinformen der Stoffe ausgehen.
„Selten“ sind Dinge, die im Verhältnis zu anderen oder gleichartigen Dingen im geringen Umfange vorkommen. „Selten“ verweist somit auf Relativierungen zwischen Dingen. Es ist jedoch charakteristisch, dass diese Relativierung für spezifische Sachverhalte unterschiedlich gehandhabt werden muss. „Selten“ im Sinne von „im geringen Umfange vorkommend“ ist ein notwendiger Bestandteil der Definition, aber nicht hinreichend. Vergleicht man beispielsweise das Vorkommen der Metalle in der Erdkruste untereinander, so sind die „seltensten“ stabilen Metalle Tantal, Rhenium, Uran, Indium und Antimon mit Anteilen von 10-7% bis 10-8%. Danach folgen Beryllium, Bor, Rhodium, Silber, Cäsium, Hafnium, Wolfram, Gold, Quecksilber, Thallium, Wismut, Niob, Palladium, Cadmium, Iridium, Osmium, Ruthenium und Zinn mit Anteilen von 10-6% bis 10-7%. Zu den seltenen Metallen zählen somit auch wichtige Metalle der Elektro- und Elektronikindustrie wie Antimon, Indium, Gold, Platin, Selen, Silber und Tantal. Trotz ihrer (erdkrustenbezogenen) Seltenheit haben sie einen festen Stellenwert in der Herstellung von Produkten. „Seltenheit“ ist somit ein schwierig zu bestimmender Begriff, der einer genaueren Explikation in bezug auf das Untersuchungsthema benötigt. Im folgenden sollen deshalb verschiedene Ansätze zur Explikation geprüft werden.
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Dieser Beitrag ist ein Update eines im Herbst 2010 erschienen Beitrags
Weitere Literatur und Berichte
Eine etwas kürzere Studie über die wichtigsten Elemente und deren Verwendung hier von Maren Liedtke und Harald Elsner
Abschließend einige Literaturhinweise, gefunden über den Blog Anorganische Chemie
Die Seltenen Erden und wo man sie findet – bei Fischblog
Seltene Erden – Von der Lagerstätte bis zur Verwendung – umfangreiches PDF-Dokument von der Uni Karlsruhe
Seltene Erden – die chinesische Sichtweise – Diskussion der wirtschaftlichen Aspekte bei Boerse-go
Studie Midas Research: Seltene Metalle und Seltene Erden
Deutsche Rohstoff AG: Einziges Seltene Erden-Vorkommen in Westeuropa
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: Rohstoffkonflikte nachhaltig vermeiden: Risikoreiche Zukunftsrohstoffe? Fallstudie und Senarien zu China und seltene Erden (Teilbericht 3.4)
ZVEI: Zur Rohstoffsituation in der Elektroindustrie (Mai 2010)
Presse
FTD: Infografik- Hier stecken die Seltenen Erden: Man braucht sie für Hochleistungsbatterien, sie stecken in Flachbildschirmen und Windkraftanlagen: Für die Produktion zahlreicher High-Tech-Produkte werden Seltene Erden benötigt. Ärgerlich nur, dass China quasi das Monopol besitzt. Doch die übrigen Industriestaaten holen au
FTD: Portfolio- Seltene Werte mit verlorener Erdung: Seltene Erden sind gefragte Nischenmetalle für Spezialanwendungen. Sie erleben gerade einen Höhenflug in den Medien und an der Börse. Jüngste Anzeichen deuten auf eine Blasenbildung hin.
Frankfurter Rundschau: Hintergrund – Seltene Erden
Tagesschau: Debatte um Rohstoffklemme – Warum Seltene Erden so wichtig sind: Effiziente Energiesparlampen, abriebfeste Autoreifen, leistungsstarke Elektromotoren – nur drei Beispiele aus unserem Alltag. Technik, die es ohne die Metalle der Seltenen Erden nicht geben würde. Die Industrie warnt jetzt vor einem Engpass. Was macht sie so unverzichtbar?
Telepolis: Streit um Seltene Erden: Die Energie- und Klimawochenschau: Die Energierevolution hat einen ihrer aktivsten Fürsprecher verloren, just zu einer Zeit, als sie richtig Fahrt aufnimmt. Derweil gibt es Knatsch um strategische Rohstoffe.
FTD: Jäger der seltenen Erden: Wer in Deutschland die begehrten Rohstoffe kaufen will, kommt an Gunther Maassen nicht vorbei. Der Bonner Händler hat beste Kontakte nach China, wo die seltene Erden fast ausschließlich gewonnen werden. Noch gelingt es ihm meist, die Wünsche seiner Kunden zu erfüllen. Noch.
Dazu einfach nur: Danke.
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