Gastbeitrag von Professor Jürgen Kunze*
Europa steht gut da – eigentlich (Teil 1)
Fakten sind mehrdeutig (Teil 1)
Wo liegt das Problem? (Teil 1)
o Problem Banken? (Teil 1)
o Problem Staatsschulden? (Teil 1)
o Problem unterschiedlicher (Teil 1)
Wettbewerbsfähigkeit? (Teil 1)
Transferbasis (Teil 2)
Produktive und konsumtive Defizite (Teil 2)
Die missratene Dekade (Teil 3)
o Produktivitätsdilemma des Südens (Teil 3)
o Schuld des Euro? (Teil 3)
Konvergenz und Divergenz – Transferarchitektur? (Teil 3)
Mehr Europa mit mehr Divergenz und weniger Zentralisierung (Teil 3)
Die missratene Dekade
In den 1990er Jahren war die EU als „Konvergenzmaschine“ erfolgreich. Griechenland, Portugal und Spanien hatten Konvergenzdefizite mit Produktivitäts- und Potenzialwachstum und in der Folge steigende Einkommen.
Die folgende Dekade ab 2000 brachte Fehlentwicklungen, die sich kurzfristig kaum auswirkten. Ihre Langfristwirkungen zeigen sich jetzt als Finanzierungsprobleme, werden unter dem Stichwort Wettbewerbsfähigkeit diskutiert und haben zu einer Nord-Süd-Frage in der Eurozone geführt. Im Nachhinein kann von einer makroökonomisch missratenen Dekade gesprochen werden.
In Deutschland, dem größten Partner im Norden, stagnierten die Einkommen, im Süden stiegen sie deutlich. Die Lohnstückkostenentwicklung in Deutschland und im Süden (aber auch gegenüber anderen Nord-Ländern) ging stark auseinander. Die unterschiedliche Kaufkraft- und Lohnstückkostenentwicklung begünstigte Handelsungleichgewichte. Der Norden lebte unter, der Süden über seinen Verhältnissen. Reale Wohlstandstransfers von Nord nach Süd waren die Folge.
In Deutschland wird vorrangig die Schuldfrage gestellt und zu Lasten des Südens beantwortet. Diese Antwort ist ungenau, gleicht einem Tunnelblick.
Erstens haben Griechenland, Portugal, Spanien und Zypern die Konvergenzdefizite wie Trans-ferdefizite, also wie Geschenke im ökonomischen Sinn, behandelt. Zweitens und gewichtiger hat Italien – zweifelsfrei ein leistungsfähiges Industrieland und kein Konvergenzland – sich wie ein Transferempfänger geriert. In der Nord-Süd-Frage gibt es deshalb inzwischen eine Süd-Gruppe aus Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien und Italien. Drittens hat Deutschland diesen Wohlstandstransfer durch eine ungewöhnliche Divergenz zwischen Produktions- und Einkommensentwicklung zu Lasten der Einkommen begünstigt.
Produktivitätsdilemma des Südens
Ein gemeinsames Grundelement der Fehlentwicklungen im Süden betrifft die Arbeitsproduktivität.
Die Darstellung der Weltbank (s. Abb.) zeigt die Sonderentwicklung im Zeitraum 2002 bis 2008. Während in der neuen Konvergenzzone EU12 die Produktivität stark stieg, stagnierte sie im Süden nicht nur, sondern ging sogar zurück. Nach der makroökonomischen Konstellation war eigentlich ein höherer Produktivitätsanstieg als in der EU15-(Nord/ Kontinental)-Region zu erwarten. Das wäre auch nötig gewesen, um den Konvergenzprozess in Griechenland, Portugal und Spanien fortzusetzen. Die Produktivitätsabnahme im Süden wurde von deutlichen Einkommenssteigerungen begleitet, entsprechend war der Lohnstückkostenanstieg hoch. Die Wettbewerbsfähigkeit nahm als Folge stark ab. Im Verbund mit der höheren Kaufkraft liefen Exporte und Importe auseinander. Die Defizite wurden wie Transfers konsumiert.
Eine Besonderheit gilt für Spanien. Dort ist zwar ein erheblicher Teil der Defizite für hohe Investitionen i. S. der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung genutzt worden, aber der Investitionsschwerpunkt Immobilien war nicht produktiv, sondern im Bereich der Wohnzwecke letztlich konsumtiv. Das Beispiel Spanien zeigt auch, dass es auf die Größe und die Kreditfinanzierung des Staatsektors für den Erfolg einer Volkswirtschaft viel weniger ankommt als der herrschende politische Diskurs meint. Spanien hatte nur eine geringe Staatsverschuldung. Quelle seiner Probleme war ein im Kern kreditfinanziertes Konsumwachstum weit über die eigene Leistungsentwicklung hinaus mit der Folge wachsender externer Verschuldung (der Volkswirtschaft und nicht des Staates). Dieses Problem hat in der Folgezeit die Form einer Banken- und Staatsschuldenfinanzierungskrise angenommen.
Eine entgegengesetzte Sonderentwicklung gab es in Deutschland. Unabhängig von der Einschätzung des Hartz-IV-Komplexes zeigt die makroökonomische Entwicklung Merkmale einer speziellen Form der „beggar-thyself“-Politik (Dani Rodrik). Eine Ökonomie, die auf die Ressource Wissen angewiesen ist, vor Fachkräftemangel steht und Bildungsrückstände beklagt, hat jede vernünftige Spur verlassen, wenn sie über Jahre von ihrer Produktionsleistung mehr für Exportüberschüsse als für Bildung verwendet. (rd. 6 % gegenüber rd. 5 % je nach Abgrenzung). Zwei im deutschen Diskurs verdrängte Sachverhalte sind dazu in Erinnerung zu rufen. Erstens geht es vernünftigerweise nicht um Kritik hoher Exporterfolge, kritisch ist die Unfähigkeit zum Import. Zweitens sind hohe Exportüberschüsse reale Wohlstandsverzichte, die im Übermaß und auf Dauer ein rationales Kalkül kaum für einen Erfolg halten kann.
Wettbewerbsfähigkeit stärken, steht inzwischen als übergreifendes Mantra im Zentrum. Das meint auf den Handel bezogen, dass eigene Leistungen auf fremden Märkten nach Preis und Menge erfolgreich verkauft werden. Quelle dafür sind Produkt und Preis. Wenn das Produkt nicht zur Nachfrage passt, verhelfen auch eine noch so produktive Herstellung und ein entsprechend günstiger Preis nicht zum Verkaufserfolg. Die aktuelle Wettbewerbsstärke der deutschen Wirtschaft folgt wesentlich aus ihrem Produktportfolio und erst in zweiter Linie aus den Produktpreisen. Für die Erfolgskomponente preisliche Wettbewerbsfähigkeit sind die z.T. sogar sinkenden Lohnstückkosten – abweichend von praktisch allen anderen Industrieländern – wesentlich. Die Weltbankdarstellung zeigt, dass dafür der Produktivitätsanstieg keine Quelle war. Er war eher mäßig, z.B. niedriger als in Frankreich. Maßgeblich für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit sind die geringen Lohnsteigerungen.
Schuld des Euro?
Die Einkommensstagnation in Deutschland war hausgemacht und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt Folge des Euro. Die entsprechend sinkenden Lohnstückkosten und damit die steigende Preiswettbewerbsfähigkeit konnten in der Eurozone nicht durch einen Wechselkursmechanismus ausgeglichen werden. Die Einkommensstagnation begünstigte die Exporte und dämpfte wegen der schwachen Nachfragebasis die Importe.
Der Produktivitätsabfall und der Konsum der Importüberschüsse im Süden war ebenfalls hausgemacht und Ergebnis der politisch-ökonomischen Prozesse.
Die deutsche Entwicklung und die Fehlentwicklungen im Süden haben im Verbund über Jahre Handelsungleichgewichte aufgebaut. Die externe Verschuldung der südlichen Volkswirtschaften begründete Zinsverpflichtungen ohne Verbesserung der Leistungsbasis, des Produktionspotenzials. Die staatliche oder private Titulierung der externen Verschuldung ist dafür nicht wesentlich.
Ob ohne Euro, also mit einem Wechselkursmechanismus zwischen selbständigen Währungen, der Nord-Süd-Prozess wesentlich anders verlaufen wäre, ist fraglich. Flexible Wechselkurssysteme in deregulierten Finanzmärkten haben kaum Steuerungswirkungen für reale Leistungstransfers. Stufenflexible Wechselkurssysteme wie Bretton-Woods entfalten Steuerungswirkungen für reale Leistungstransfers ebenfalls nur sehr verzögert und häufig nur über Krisen. Allein im alten Goldstandard gab es eine verlässliche Steuerung über Goldabflüsse bzw. das Risiko von Goldabflüssen. Der Goldstandard ist aus vielen Gründen bekanntlich keine politische Option.
Ob die Eurozone ohne globale Finanzkrise, real wirksam nach 2008, ohne Probleme geblieben wäre, ist fraglich. Die wesentlichen Problemquellen wären noch länger ergiebig geblieben. Der verdeckte Konflikt – reale Leistungstransfers als Kredit mit Zins- und Tilgungsanspruch camoufliert – wäre später aufgebrochen.
Insgesamt hat der Euro die Entstehung der Nord-Süd-Frage nicht verursacht, aber begünstigt. Nicht-Euro-Konstruktionen hätten diese Probleme jedoch nicht zuverlässig abgewendet, aber viele andere Probleme erzeugt.
Konvergenz und Divergenz – Transferarchitektur?
Die Frage nach der Reichweite von Konvergenz des Wohlstandes und der Akzeptanz von Divergenzen in der Eurozone wird nicht gestellt. Eine eigenständige Transferpolitik der Eurozone gibt es nicht. Als Veranstaltung der EU ist die Eurozone Teil der umfassenden Konvergenzprogramme über Kohäsionsfonds, Sozialfonds etc.. Bei allen Erfolgen werden dabei Konvergenz- und Transferzwecke vermischt. Immerhin wird darüber politisch entschieden.
In der Eurozone entstehen größere Transferströme als durch EU-Fonds quasi von alleine, absichtslos und im Nachhinein überraschend. Der Euro ist unvollständig konstruiert. Es fehlt ein Mechanismus, der die Euro-Verfügbarkeit der Mitgliedsländer – das meint die regionalen Gesamtwirtschaften und nicht nur ihre Staatssektoren – nach ihrer Leistungsfähigkeit reguliert und so die Entstehung ungewollter und über Verschuldungsaufbau camouflierter Transfers unterbindet. In der gegenwärtigen Konstruktion haben die Euroländer außerhalb des aktuellen Krisenmodus faktisch freien Zugang zu Eurofinanzierungen auch über ihre Leistungsbasis hinaus. Konventionell formuliert: Das EZB-System finanziert standardmäßig Importüberschüsse unbegrenzt. Nur im gegenwärtigen Krisenmodus werden z.B. griechische Staatsanleihen von der EZB nicht mehr als Sicherheiten akzeptiert.
Die Eurozone geht qualitativ über den Integrationsgrad in der gesamten EU hinaus. Sie hat nahezu den Charakter einer Volkswirtschaft, einer single economy. Die Leistungsunterschiede in der Eurozone stehen dem, wie die Wirklichkeit in entwickelten Volkswirtschaften zeigt, nicht notwendig entgegen (s.o.). Allerdings benötigt die Eurozone wie jede andere Volkswirtschaft eine passende, akzeptierte und originäre Transferarchitektur.
Die Transferarchitektur muss Bezug zum Basismechanismus der eigenen Währung haben, kann aber als eminent politische Aufgabe nicht der EZB überlassen bleiben. Eine Regulierung der Euroverfügbarkeit mit transferpolitischem Bezug kann die EZB nur operativ umsetzen, nicht aber selbst entscheiden. Dazu ist ein makroökonomischer Rahmen als Anker erforderlich, über den politisch entschieden werden muss. Eine Vorform eines makroökonomischen Rahmens, der auch diese Ankerfunktion für die EZB haben kann, ist das im Zuge der Krise eingeführte „Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht“ (VMU) oder „Macroeconomic Imbalance Procedure“ (MIP).
Im Kern geht es um zwei Elemente. Erstens sind auch in der Eurozone dauerhafte Transfers durch Finanzierung von Transferdefiziten mit Wohlstandssicherungsfunktionen in einem akzeptierten Rahmen nötig. Zweitens werden weitergehende Ansprüche von Anfang an nicht finanziert, bereits ihre Entstehung in Form eines andauernden Konsums von Importüberschüssen über den akzeptierten Rahmen hinaus wird unterbunden. So wird die Camouflage von Transfer als Kredit beendet (und im Übrigen ein Funktionselement des Goldstandards nachgebildet).
Technische Ansatzpunkte für die Implementation sind die im MIP aufgeführten Indikatoren insbesondere zu den Leistungsbilanzsalden. Für den hier umschriebenen Zweck müssen sie differenziert werden. Geldpolitisch ist die Umsetzung im EZB-System möglich. Hier geht es u.a. auch um die ursprünglich von Sinn thematisierten Target-2-Salden der Mitgliedsländer. Dieser Sinn-Anstoß hat einen produktiven Streit ausgelöst, wenn auch die ursprüngliche Interpretation (vereinfacht: Es wird Geld für Investitionen in Deutschland weggenommen) nicht tragfähig war. Die Bundesbank soll einen jährlichen Ausgleich der Salden vorgeschlagen haben. Das ist sicher noch zu kurz gedacht, weil die transferpolitischen Dimensionen kaum beachtet werden. Für eine Transferarchitektur müssen die Erfahrungen in verschiedenen Volkswirtschaften aufgearbeitet werden. Die Bandbreite reicht dabei von den USA mit geringen Transfers zwischen sehr unterschiedlich leistungsfähigen US-Bundesstaaten und einem, soweit hier erkennbar, wohl rigiden Saldenausgleich zwischen den regionalen Notenbankeinrichtungen bis zum hoch entwickelten deutschen staatlichen Finanzausgleich und ziemlich freizügiger Finanzierung regionaler Leistungssalden durch die Notenbank.
Transfers zur Einkommensstützung als personelle Umverteilung treten typischerweise in der Form von staatlichen Aktivitäten auf. Innerhalb eines Staatsgebiets zielen sie als Ergebnis politischer Willensbildung auf eine Dämpfung personaler Wohlstandsunterschiede durch direkte und indirekte Kaufkraftübertragung auf Arme, Alte, Kranke. Im Unterschied dazu geht es hier um Wohlstandstransfers zwischen Regionen in der Quasi-Volkswirtschaft Eurozone unabhängig davon, welche personellen Umverteilungsgrade in den Mitgliedsstaaten jeweils politisch gewollt werden. Die personellen Umverteilungsgrade in der Eurozone unterscheiden sich erheblich, die Reichtumskonzentration z.B. in Griechenland und Spanien ist bekanntlich hoch in Finnland niedrig. Wenn innerstaatliche Transfers nicht (mehr) durch unregulierten Zugriff auf Leistungen anderer Mitgliedsstaaten möglich sind, soll und kann das weiter der Willensbildung in den Mitgliedsstaaten überlassen bleiben und bedarf keiner zentralen europäischen Homogenisierung.
Aus dieser Sicht sind übermäßige Defizite im Staatshaushalt eines Mitgliedslandes nicht das Hauptproblem, sondern letztes Glied einer Verkettung, die mit camouflierten Transferdefiziten zwischen den Mitgliedsländern beginnt.
Mehr Europa mit mehr Divergenz und weniger Zentralisierung
Ein Hausbau braucht viele Gewerke. Die Summe der Gewerke ergibt aber ohne stimmige Architektur kein stabiles Haus. Wenn zudem der Architekt nicht so will wie der Bauherr, wird das Haus nie richtig fertig, wird windschief und bleibt eine ständige Baustelle. Nicht zuletzt laufen die Baukosten aus dem Ruder.
Etwas zugespitzt sind die Brüsseler Europaarchitekten in dieser Lage. Sie kümmern sich mit großem Einsatz um die Gewerke (diverse Finanzmäntel), haben aber keine stimmige Architektur und kein Verhältnis zu den Kosten. Auch das Papier des Ratsvorsitzenden van Rompuy vom 26.Juni 2012 (TOWARDS A GENUINE ECONOMIC AND MONETARY UNION), wohl als Blaupause für einen Euro 2.0 gemeint, akzentuiert diesen Weg. Es geht wieder um zentralisieren, homogenisieren und kontrollieren. Die Euro-Architekten geraten damit immer deutlicher in Widerspruch zu den Bauherren, den Europäern. Brüssel ist auf dem Weg, nicht länger ein Teil der Lösung zu sein, sondern zum Teil des Problems zu werden.
Der Horizont der Möglichkeiten für den Weg der Eurozone und der EU wird in Brüssel auf Kopien alter zentralistischer wohlfahrtsstaatlicher Muster verengt. Die Eurozone als Kopie solcher Muster wäre aber ineffizient, instabil und ungewollt.
Solche Kopien fallen noch hinter das Niveau an Dezentralität, an Vielfalt und Eigenständigkeit der Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika, bekanntlich eine effiziente Ökonomie und eine politische Union, zurück. Die USA-Verfassung ist anders und höchst innovativ gemessen an der Linie der Brüsseler Architekten:
- eine „Fiskalunion“ mit zentraler Haushaltshoheit über die Bundesstaaten in Washington – in den USA undenkbar,
- eine zentrale Vergemeinschaftung der Schulden der Bundesstaaten (z.B. Texas für Kalifornien) – in den USA seit der einmaligen Schuldenbereinigung vor mehr als 100 Jahren nicht vorstellbar,
- ein Konsum von Importüberschüssen einzelner Bundesstaaten auf Kosten anderer Bundesstaaten – das finanziert die Notenbank nicht.
Für die Eurozone und die EU kommt auch eine Kopie der USA nicht in Frage. Europa hat andere Verhältnisse und will andere haben. Die Markierung Europas durch die Weltbank als Lebensstil-Supermacht (Lifestyle Superpower) ist treffend und soll erhalten bleiben.
Es kommt darauf an, den Horizont der Brüsseler Europa-Architekten zu erweitern. Dazu gehört:
- Vertiefung der Eurozone bedeutet auch Zentralisierung, aber selektiv und intelligent und nicht möglichst flächendeckend.
- Vertiefung der Eurozone bedeutet auch die Vereinbarung fiskalischer Mindeststandards, aber keine Aufhebung der Haushaltsrechte der Mitglieder.
- Vertiefung der Eurozone bedeutet auch dauerhafte Transfers, aber nicht unbegrenzte und verdeckte Transferströme.
Orientierungspunkte für ein entsprechend verändertes Leitbild sind:
- Soviel Dezentralität wie möglich statt immer mehr Zentralisierung
- Soviel Vielfalt und eigenständige Entscheidung der Mitgliedsländer wie möglich statt immer mehr Homogenisierung
- Soviel Kontrolle durch intelligente und präventiv wirksame Regulierungsmechanismen (Regelbindung) wie nötig statt wachsender Kontrollapparate und Kontrollillusionen.
Entscheidend ist die Transferfrage, also die Wohlstandsumverteilung in Europa und insbesondere in der qualitativ höher integrierten Eurozone. Transfers sind dauerhaft nötig, brauchen aber eine akzeptierte und möglichst dezentral wirksame Transferarchitektur. Das ist über ein reformiertes EZB-System möglich. Schwierig ist die Abgrenzung von Transfers als dauerhafte Umverteilung und Konvergenzhilfen für Aufholprozesse. In der Wirklichkeit sind beide verbunden und vermischt. Das zeigt sich am Beispiel Deutschlands. Bayern war 40 Jahre Transferempfänger im deutschen Finanzausgleichssystem, aber zugleich in einem aus heutiger Sicht erfolgreichen Konvergenzprozess. Deshalb muss sich Europa übergreifend darüber klar werden, welche Reichweite und welche Finanzausstattung ihre „Konvergenzmaschine“ (Weltbank) incl. der dauerhaften Transfers haben kann und haben soll.
Divergenzen zwischen den Mitgliedern der Eurozone bei der ökonomischen Leistungsfähigkeit und beim Wohlstandsniveau sind entgegen einem wirklichkeitsverweigernden Tunnelblick kein Widerspruch zu einer stabilen und für alle Mitglieder erfolgreichen Eurozone. Mehr Divergenz zwischen den Mitgliedsländern zuzulassen, Transfermechanismen in Grenzen zu akzeptieren und effizient zu organisieren und dabei die Marke einer Lebensstil-Supermacht (Weltbank) zu sichern, sind die eigentlichen Herausforderungen für die Eurozone.
* Jürgen Kunze war Professor für Finanzdienstleistungen und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Ich habe den Aufsatz in Abstimmung mit Herrn Professor Kunze in drei Abschnitte aufgeteilt. Der Aufsatz ist bisher unveröffentlicht. Teil 1 ist am 7.8., Teil 2 am 9.8. erschienen.
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