Mehr Europa ohne mehr Zentralisierung (Teil 3)

by Gastbeitrag on 10. August 2012

Gastbeitrag von Professor Jürgen Kunze*

Europa steht gut da – eigentlich (Teil 1)

Fakten sind mehrdeutig (Teil 1)

Wo liegt das Problem? (Teil 1)

o Problem Banken? (Teil 1)

o Problem Staatsschulden? (Teil 1)

o Problem unterschiedlicher (Teil 1)

Wettbewerbsfähigkeit? (Teil 1)

Transferbasis (Teil 2)

Produktive und konsumtive Defizite (Teil 2)

Die missratene Dekade (Teil 3)

o Produktivitätsdilemma des Südens (Teil 3)

o Schuld des Euro? (Teil 3)

Konvergenz und Divergenz – Transferarchitektur? (Teil 3)

Mehr Europa mit mehr Divergenz und weniger Zentralisierung (Teil 3)

Die missratene Dekade

In den 1990er Jahren war die EU als „Konvergenzmaschine“ erfolgreich. Griechenland, Por­tugal und Spanien hatten Konvergenzdefizite mit Produktivitäts- und Potenzialwachstum und in der Folge steigende Einkommen.

Die folgende Dekade ab 2000 brachte Fehlentwicklungen, die sich kurzfristig kaum auswirk­ten. Ihre Langfristwirkungen zeigen sich jetzt als Finanzierungsprobleme, werden unter dem Stichwort Wettbewerbsfähigkeit diskutiert und haben zu einer Nord-Süd-Frage in der Euro­zone geführt. Im Nachhinein kann von einer makroökonomisch missratenen Dekade gespro­chen werden.

In Deutschland, dem größten Partner im Norden, stagnierten die Einkommen, im Süden stie­gen sie deutlich. Die Lohnstückkostenentwicklung in Deutschland und im Sü­den (aber auch gegenüber anderen Nord-Ländern) ging stark auseinander. Die unterschiedli­che Kaufkraft- und Lohnstückkostenentwicklung begünstigte Handelsungleichgewichte. Der Norden lebte unter, der Süden über seinen Verhältnissen. Reale Wohlstandstransfers von Nord nach Süd waren die Folge.

In Deutschland wird vorrangig die Schuldfrage gestellt und zu Lasten des Südens beantwor­tet. Diese Antwort ist ungenau, gleicht einem Tunnelblick.

Erstens haben Griechenland, Portugal, Spanien und Zypern die Konvergenzdefizite wie Trans-ferdefizite, also wie Geschenke im ökonomischen Sinn, behandelt. Zweitens und ge­wichtiger hat Italien – zweifelsfrei ein leistungs­fähiges Industrieland und kein Konvergenz­land – sich wie ein Transferempfänger geriert. In der Nord-Süd-Frage gibt es deshalb inzwi­schen eine Süd-Gruppe aus Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien und Italien. Drittens hat Deutsch­land diesen Wohlstandstransfer durch eine ungewöhnliche Divergenz zwischen Produktions- und Einkommensentwicklung zu Lasten der Einkommen begünstigt.

Produktivitätsdilemma des Südens

Ein gemeinsames Grundelement der Fehlentwicklungen im Süden betrifft die Arbeitsproduk­tivität.

Die Darstellung der Weltbank (s. Abb.) zeigt die Sonderentwicklung im Zeitraum 2002 bis 2008. Während in der neuen Konvergenzzone EU12 die Produktivität stark stieg, stagnierte sie im Süden nicht nur, sondern ging sogar zurück. Nach der makroökonomischen Konstella­tion war eigentlich ein höherer Produktivitätsanstieg als in der EU15-(Nord/ Kontinental)-Region zu erwarten. Das wäre auch nötig gewesen, um den Konvergenzprozess in Grie­chen­land, Portugal und Spanien fortzusetzen. Die Produktivitätsabnahme im Süden wurde von deutlichen Einkommenssteigerungen begleitet, entsprechend war der Lohnstückkostenan­stieg hoch. Die Wettbewerbsfähigkeit nahm als Folge stark ab. Im Ver­bund mit der höheren Kaufkraft liefen Exporte und Importe auseinander. Die Defizite wur­den wie Transfers kon­sumiert.

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Eine Besonderheit gilt für Spanien. Dort ist zwar ein erheblicher Teil der Defizite für hohe Investitionen i. S. der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung genutzt worden, aber der In­vestitionsschwerpunkt Immobilien war nicht produktiv, sondern im Bereich der Wohnzwe­cke letztlich konsumtiv. Das Beispiel Spanien zeigt auch, dass es auf die Größe und die Kre­ditfinanzierung des Staatsektors für den Erfolg einer Volkswirtschaft viel weniger ankommt als der herrschende politische Diskurs meint. Spanien hatte nur eine geringe Staatsver­schul­dung. Quelle seiner Probleme war ein im Kern kreditfinanziertes Konsumwachstum weit über die eigene Leistungsentwicklung hinaus mit der Folge wachsender externer Verschul­dung (der Volkswirtschaft und nicht des Staates). Dieses Problem hat in der Folgezeit die Form einer Banken- und Staatsschuldenfinanzierungskrise angenommen.

Eine entgegengesetzte Sonderentwicklung gab es in Deutschland. Unabhängig von der Ein­schätzung des Hartz-IV-Komplexes zeigt die makroökonomische Entwicklung Merkmale einer speziellen Form der „beggar-thyself“-Politik (Dani Rodrik). Eine Ökonomie, die auf die Res­source Wissen angewiesen ist, vor Fachkräftemangel steht und Bildungsrückstände be­klagt, hat jede ver­nünftige Spur verlassen, wenn sie über Jahre von ihrer Produktionsleistung mehr für Exportüberschüsse als für Bildung verwendet. (rd. 6 % gegenüber rd. 5 % je nach Abgren­zung). Zwei im deutschen Diskurs verdrängte Sachverhalte sind dazu in Erinne­rung zu rufen. Erstens geht es vernünftigerweise nicht um Kritik hoher Exporterfolge, kritisch ist die Unfä­hig­keit zum Im­port. Zweitens sind hohe Exportüberschüsse reale Wohlstands­ver­zichte, die im Über­maß und auf Dauer ein rationales Kalkül kaum für einen Erfolg halten kann.

Wettbewerbsfähigkeit stärken, steht inzwischen als übergreifendes Mantra im Zentrum. Das meint auf den Handel bezogen, dass eigene Leistungen auf fremden Märkten nach Preis und Menge erfolgreich verkauft werden. Quelle dafür sind Produkt und Preis. Wenn das Produkt nicht zur Nachfrage passt, verhelfen auch eine noch so produktive Herstellung und ein ent­spre­chend günstiger Preis nicht zum Verkaufserfolg. Die aktuelle Wettbewerbsstärke der deutschen Wirtschaft folgt wesentlich aus ihrem Produktportfolio und erst in zweiter Linie aus den Produktpreisen. Für die Erfolgskomponente preisliche Wettbewerbsfähigkeit sind die z.T. sogar sinkenden Lohnstückkosten – abweichend von praktisch allen anderen Industrie­ländern – wesentlich. Die Weltbankdarstellung zeigt, dass dafür der Produktivitäts­anstieg keine Quelle war. Er war eher mäßig, z.B. niedriger als in Frankreich. Maßgeblich für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit sind die geringen Lohnsteigerungen.

Schuld des Euro?

Die Einkommensstagnation in Deutschland war hausgemacht und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt Folge des Euro. Die entsprechend sinkenden Lohnstückkosten und damit die steigende Preiswettbewerbsfähigkeit konnten in der Eurozone nicht durch einen Wechsel­kursmechanismus ausgeglichen werden. Die Einkommensstagnation begünstigte die Exporte und dämpfte wegen der schwachen Nachfragebasis die Importe.

Der Produktivitätsabfall und der Konsum der Importüberschüsse im Süden war ebenfalls hausgemacht und Ergebnis der politisch-ökonomischen Prozesse.

Die deutsche Entwicklung und die Fehl­entwicklungen im Süden haben im Verbund über Jahre Handelsungleichgewichte aufgebaut. Die externe Verschuldung der südlichen Volks­wirtschaften begründete Zinsverpflichtungen ohne Verbesserung der Leistungsbasis, des Produktionspotenzials. Die staatliche oder private Titulierung der externen Verschuldung ist dafür nicht wesentlich.

Ob ohne Euro, also mit einem Wechselkursmechanismus zwischen selbständigen Währun­gen, der Nord-Süd-Prozess wesentlich anders verlaufen wäre, ist fraglich. Flexible Wechsel­kurssysteme in deregulierten Finanzmärkten haben kaum Steuerungswirkungen für reale Leistungstransfers. Stufenflexible Wechselkurssysteme wie Bretton-Woods entfalten Steu­erungswirkungen für reale Leistungstransfers ebenfalls nur sehr verzögert und häufig nur über Krisen. Allein im alten Goldstandard gab es eine verlässliche Steuerung über Goldab­flüsse bzw. das Risiko von Goldabflüssen. Der Goldstandard ist aus vielen Gründen bekannt­lich keine politische Option.

Ob die Eurozone ohne globale Finanzkrise, real wirksam nach 2008, ohne Probleme geblie­ben wäre, ist fraglich. Die wesentlichen Problemquellen wären noch länger ergiebig geblie­ben. Der verdeckte Konflikt – reale Leistungstransfers als Kredit mit Zins- und Tilgungsan­spruch camoufliert – wäre später aufgebrochen.

Insgesamt hat der Euro die Entstehung der Nord-Süd-Frage nicht verursacht, aber begüns­tigt. Nicht-Euro-Konstruktionen hätten diese Probleme jedoch nicht zuverlässig abgewendet, aber viele andere Probleme erzeugt.

 

 

 

Konvergenz und Divergenz – Transferarchitektur?

Die Frage nach der Reichweite von Konvergenz des Wohlstandes und der Akzeptanz von Di­vergenzen in der Eurozone wird nicht gestellt. Eine eigenständige Transferpolitik der Euro­zone gibt es nicht. Als Veranstaltung der EU ist die Eurozone Teil der umfassenden Konver­genzpro­gramme über Kohäsionsfonds, Sozialfonds etc.. Bei allen Erfolgen werden dabei Konver­genz- und Transferzwecke vermischt. Immerhin wird darüber politisch entschieden.

In der Eurozone entstehen größere Transferströme als durch EU-Fonds quasi von alleine, absichtslos und im Nachhinein überra­schend. Der Euro ist unvollständig konstruiert. Es fehlt ein Mechanismus, der die Euro-Verfügbarkeit der Mitgliedsländer – das meint die regionalen Gesamtwirtschaften und nicht nur ihre Staatssektoren – nach ihrer Leis­tungsfähig­keit regu­liert und so die Entstehung ungewollter und über Verschuldungsaufbau camouflierter Transfers unterbindet. In der gegenwärtigen Konstruktion haben die Eurolän­der außerhalb des aktuellen Krisenmodus faktisch freien Zugang zu Eurofinanzierungen auch über ihre Leis­tungsbasis hinaus. Konven­tionell formuliert: Das EZB-System finanziert stan­dardmäßig Im­portüberschüsse unbegrenzt. Nur im gegenwärtigen Krisenmodus werden z.B. griechische Staatsanleihen von der EZB nicht mehr als Sicherheiten akzeptiert.

Die Eurozone geht qualitativ über den Integrationsgrad in der gesamten EU hinaus. Sie hat nahezu den Charakter einer Volkswirtschaft, einer single economy. Die Leistungsunter­schiede in der Eurozone stehen dem, wie die Wirklichkeit in entwickelten Volkswirtschaften zeigt, nicht notwendig entgegen (s.o.). Allerdings benötigt die Eurozone wie jede andere Volkswirtschaft eine passende, akzeptierte und originäre Transferarchitektur.

Die Transferarchitektur muss Bezug zum Basismechanismus der eigenen Währung haben, kann aber als eminent politische Aufgabe nicht der EZB überlassen bleiben. Eine Regulierung der Euroverfügbarkeit mit transferpolitischem Bezug kann die EZB nur operativ umsetzen, nicht aber selbst entscheiden. Dazu ist ein makroökonomischer Rahmen als Anker erfor­derlich, über den politisch entschieden werden muss. Eine Vorform eines makroökonomi­schen Rahmens, der auch diese Ankerfunktion für die EZB haben kann, ist das im Zuge der Krise eingeführte „Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht“ (VMU) oder „Macroeconomic Imbalance Procedure“ (MIP).

(http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/excessive_imbalance_procedure/imbalance_scoreboard)

Im Kern geht es um zwei Elemente. Erstens sind auch in der Eurozone dauerhafte Transfers durch Finanzierung von Transferdefiziten mit Wohlstandssicherungsfunktionen in einem akzeptierten Rahmen nötig. Zweitens werden weitergehende Ansprüche von Anfang an nicht finanziert, bereits ihre Entste­hung in Form eines andauernden Konsums von Importüber­schüssen über den akzeptierten Rahmen hinaus wird unterbunden. So wird die Camouflage von Transfer als Kredit beendet (und im Übrigen ein Funktionselement des Goldstandards nachgebildet).

Technische Ansatzpunkte für die Implementation sind die im MIP aufgeführten Indikatoren insbesondere zu den Leistungsbilanzsalden. Für den hier umschriebenen Zweck müssen sie differenziert werden. Geldpolitisch ist die Umsetzung im EZB-System möglich. Hier geht es u.a. auch um die ursprünglich von Sinn thematisierten Target-2-Salden der Mitgliedsländer. Dieser Sinn-Anstoß hat einen produktiven Streit aus­gelöst, wenn auch die ursprüngliche In­terpretation (vereinfacht: Es wird Geld für Investitio­nen in Deutschland weggenommen) nicht tragfähig war. Die Bundesbank soll einen jährli­chen Ausgleich der Salden vorgeschlagen haben. Das ist sicher noch zu kurz gedacht, weil die transferpolitischen Dimensionen kaum beachtet werden. Für eine Transferarchitektur müssen die Erfahrungen in verschiedenen Volkswirtschaften aufgearbeitet werden. Die Bandbreite reicht dabei von den USA mit gerin­gen Transfers zwischen sehr unterschiedlich leistungsfähigen US-Bundesstaaten und einem, soweit hier erkennbar, wohl rigiden Saldenausgleich zwischen den regionalen Noten­bankein­richtungen bis zum hoch entwickelten deutschen staatlichen Finanzausgleich und ziemlich freizügiger Finanzierung regionaler Leistungssalden durch die Notenbank.

Transfers zur Einkommensstützung als personelle Umverteilung treten typischerweise in der Form von staatlichen Aktivitäten auf. Innerhalb eines Staatsgebiets zielen sie als Ergebnis politischer Willensbildung auf eine Dämpfung personaler Wohlstandsunterschiede durch direkte und indirekte Kaufkraftüber­tragung auf Arme, Alte, Kranke. Im Unterschied dazu geht es hier um Wohlstandstransfers zwischen Regionen in der Quasi-Volkswirtschaft Euro­zone unabhängig davon, welche perso­nellen Umverteilungsgrade in den Mitgliedsstaaten jeweils politisch gewollt werden. Die personellen Umverteilungsgrade in der Eurozone un­terscheiden sich erheblich, die Reich­tumskonzentration z.B. in Griechenland und Spanien ist bekanntlich hoch in Finnland niedrig. Wenn innerstaatliche Transfers nicht (mehr) durch unregulierten Zugriff auf Leistungen anderer Mitgliedsstaaten möglich sind, soll und kann das weiter der Willensbildung in den Mitgliedsstaaten überlassen bleiben und bedarf keiner zentralen europäischen Homogenisierung.

Aus dieser Sicht sind übermäßige Defizite im Staatshaushalt eines Mitgliedslandes nicht das Hauptproblem, sondern letztes Glied einer Verkettung, die mit camouflierten Transferdefizi­ten zwischen den Mitgliedsländern beginnt.

Mehr Europa mit mehr Divergenz und weniger Zentralisierung

Ein Hausbau braucht viele Gewerke. Die Summe der Gewerke ergibt aber ohne stimmige Architektur kein stabiles Haus. Wenn zudem der Architekt nicht so will wie der Bauherr, wird das Haus nie richtig fertig, wird windschief und bleibt eine ständige Baustelle. Nicht zuletzt laufen die Baukosten aus dem Ruder.

Etwas zugespitzt sind die Brüsseler Europaarchitekten in dieser Lage. Sie kümmern sich mit großem Einsatz um die Gewerke (diverse Finanzmäntel), haben aber keine stimmige Architektur und kein Verhältnis zu den Kosten. Auch das Papier des Ratsvorsitzenden van Rompuy vom 26.Juni 2012 (TOWARDS A GENUINE ECONOMIC AND MONETARY UNION), wohl als Blaupause für einen Euro 2.0 gemeint, akzentuiert diesen Weg. Es geht wieder um zentralisieren, homogenisieren und kontrollieren. Die Euro-Architekten geraten damit immer deutlicher in Widerspruch zu den Bauherren, den Europäern. Brüssel ist auf dem Weg, nicht länger ein Teil der Lösung zu sein, sondern zum Teil des Problems zu werden.

Der Horizont der Möglichkeiten für den Weg der Eurozone und der EU wird in Brüssel auf Kopien alter zentralistischer wohlfahrtsstaatlicher Muster verengt. Die Eurozone als Kopie solcher Muster wäre aber ineffizient, instabil und ungewollt.

Solche Kopien fallen noch hinter das Niveau an Dezentralität, an Vielfalt und Eigenständig­keit der Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika, bekanntlich eine effiziente Ökonomie und eine politische Union, zurück. Die USA-Verfassung ist anders und höchst in­novativ gemessen an der Linie der Brüsseler Architekten:

  • eine „Fiskalunion“ mit zentraler Haushaltshoheit über die Bundesstaaten in Washing­ton – in den USA undenkbar,
  • eine zentrale Vergemeinschaftung der Schulden der Bundesstaaten (z.B. Texas für Kali­fornien) – in den USA seit der einmaligen Schuldenbereinigung vor mehr als 100 Jahren nicht vorstellbar,
  • ein Konsum von Importüberschüssen einzelner Bundesstaaten auf Kosten anderer Bun­desstaaten – das finanziert die Notenbank nicht.

Für die Eurozone und die EU kommt auch eine Kopie der USA nicht in Frage. Europa hat an­dere Verhältnisse und will andere haben. Die Markierung Europas durch die Weltbank als Lebensstil-Supermacht (Lifestyle Superpower) ist treffend und soll erhalten bleiben.

Es kommt darauf an, den Horizont der Brüsseler Europa-Architekten zu erweitern. Dazu ge­hört:

  • Vertiefung der Eurozone bedeutet auch Zentralisierung, aber selektiv und intelligent und nicht möglichst flächendeckend.
  • Vertiefung der Eurozone bedeutet auch die Vereinbarung fiskalischer Mindeststan­dards, aber keine Aufhebung der Haushaltsrechte der Mitglieder.
  • Vertiefung der Eurozone bedeutet auch dauerhafte Transfers, aber nicht unbe­grenzte und verdeckte Transferströme.

Orientierungspunkte für ein entsprechend verändertes Leitbild sind:

  • Soviel Dezentralität wie möglich statt immer mehr Zentralisierung
  • Soviel Vielfalt und eigenständige Entscheidung der Mitgliedsländer wie möglich statt immer mehr Homogenisierung
  • Soviel Kontrolle durch intelligente und präventiv wirksame Re­gulie­rungsmechanis­men (Regelbindung) wie nötig statt wachsender Kontrollapparate und Kontrollillusio­nen.

Entscheidend ist die Transferfrage, also die Wohlstandsumverteilung in Europa und insbe­sondere in der qualitativ höher integrierten Eurozone. Transfers sind dauerhaft nötig, brau­chen aber eine akzeptierte und möglichst dezentral wirksame Transferarchitektur. Das ist über ein reformiertes EZB-System möglich. Schwierig ist die Abgrenzung von Transfers als dauerhafte Umverteilung und Konvergenzhilfen für Aufholprozesse. In der Wirklichkeit sind beide verbunden und vermischt. Das zeigt sich am Beispiel Deutschlands. Bayern war 40 Jahre Transferempfänger im deutschen Finanzausgleichssystem, aber zugleich in einem aus heutiger Sicht erfolgreichen Konvergenzprozess. Deshalb muss sich Europa übergreifend darüber klar werden, welche Reichweite und welche Finanzausstattung ihre „Konvergenz­maschine“ (Weltbank) incl. der dauerhaften Transfers haben kann und haben soll.

Divergenzen zwischen den Mitgliedern der Eurozone bei der ökonomischen Leistungsfähig­keit und beim Wohlstandsniveau sind entgegen einem wirklichkeitsverweigernden Tunnel­blick kein Widerspruch zu einer stabilen und für alle Mitglieder erfolgreichen Eurozone. Mehr Divergenz zwischen den Mitgliedsländern zuzulassen, Transfermechanismen in Grenzen zu akzeptieren und effizient zu organisieren und dabei die Marke einer Lebensstil-Super­macht (Weltbank) zu sichern, sind die eigentlichen Herausforderungen für die Eurozone.


* Jürgen Kunze war Professor für Finanzdienstleistungen und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Ich habe den Aufsatz in Abstimmung mit Herrn Professor Kunze in drei Abschnitte aufgeteilt. Der Aufsatz ist bisher unveröffentlicht. Teil 1 ist am 7.8., Teil 2 am 9.8. erschienen.

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