Fortsetzung von Teil 1
Gastbeitrag von Professor Jürgen Kunze*
Europa steht gut da – eigentlich (Teil 1)Fakten sind mehrdeutig (Teil 1)Wo liegt das Problem? (Teil 1)o Problem Banken? (Teil 1)
o Problem Staatsschulden? (Teil 1) o Problem unterschiedlicher (Teil 1) Wettbewerbsfähigkeit? (Teil 1) Transferbasis (Teil 2) Produktive und konsumtive Defizite (Teil 2) Die missratene Dekade (Teil 3) o Produktivitätsdilemma des Südens (Teil 3) o Schuld des Euro? (Teil 3) Konvergenz und Divergenz – Transferarchitektur? (Teil 3) Mehr Europa mit mehr Divergenz und weniger Zentralisierung (Teil 3) |
Transferbasis
Der Familienkrach in der Eurozone hat also viele Themen, eigentlich geht es aber um Transfers. Das ist das schwierigste Thema und deshalb wird es vielfältig und phantasievoll camoufliert. Die Camouflage besteht im Kern darin, dass in Teilbereichen Kredite von Kreditnehmern für Transfers gehalten werden, die Kreditgeber das aber so nicht gemeint haben wollen. Auf Dauer hilft es aber nicht, den Fakten auszuweichen: Selbstverständlich war Europa schon immer, schon im Format der römischen Verträge eine Transferunion. Selbstverständlich wird sie das bleiben. Gestritten werden kann und gestritten werden muss über die konkrete Transferpolitik, ihre Bedingungen und ihre Reichweite.
Transferfragen können in einer integrierten Wirtschaft wie der Eurozone durch unausgeglichene Leistungsströme zwischen Mitgliedsländern entstehen. In einem multilateral verfassten Handelsverbund ist das zunächst unproblematisch. Multilateralität ist eine elementare Errungenschaft im internationalen Handel – dort leider auf dem Rückzug – und eine Wohlstandsquelle für alle. Ein Ausgleich der Handelsströme zwischen zwei Mitgliedern der Eurozone wäre also ein gänzlich unvernünfti-ges Ziel. Die Frage ist damit aber nicht erledigt. Wenn Überschüsse und Defizite zwischen den Mitgliedern im Zeitablauf nicht wechseln, sondern sich nach Partner und Dauer verfestigen, ein Teil der Eurozone also strukturell Überschüsse und vice versa Defizite mit dem anderen Teil hat, kommen Transferfragen auf den Tisch. Das ist vereinfacht die Nord-Süd-Frage in der Eurozone.
Die Leistungsströme umfassen Güter und Dienste, Einkommen (hier Zinszahlungen) und Transfers (Leistungen ohne direkte Gegenleistung). Ein dauerhaftes Defizit des Südens gegenüber dem Norden wird über das Eurosystem durch Kredite, also durch Schuldenaufbau und nicht durch Transfers, finanziert. Die Schulden erfordern Zinszahlungen und begründen einen Leistungsstrom von Süd nach Nord in Form von Zinseinkommen für den Norden. Aus einem strukturellen Defizit in der Handelsbilanz (Güter- und Dienste) folgen Schuldenaufbau (privat und staatlich) und zunehmende Zinsverpflichtungen (Defizit in der Einkommensbilanz); das Defizit in der Leistungsbilanz wächst.
Diese Konstellation hat sich in der letzten Dekade in der Eurozone entwickelt und verfestigt Ob dabei die Verschuldung des Südens gegenüber dem Norden staatlich oder privat tituliert ist, hat für den realwirtschaftlichen Grundvorgang keine Bedeutung. Realwirtschaftlich hat ein Wohlstandstransfer von Nord nach Süd bereits in der letzten Dekade stattgefunden. Der Norden hat netto Güter und Dienste an den Süden abgegeben und dafür Schuldscheine erhalten. Wie diese eingelöst werden sollen, also Wohlstand in Form von Zinseinkommen zurückfließt, ist offen. Richtig ist aber auch: Der Norden hat Wohlstand abgegeben und Beschäftigung gewonnen. Ein Exportüberschuss bei den Güter- und Dienstleistungsströmen hat immer diesen diabolischen Effekt: Weniger Wohlstand, aber mehr Beschäftigung (und vice versa). Divergenzen der Nord-Süd-Leistungsströme können ohne Transfers und ohne Schuldenkumulierung auf zwei Wegen finanziert werden. Erstens kann das Nettoauslandsvermögen, soweit und solange vorhanden, genutzt werden (oder auch Goldreserven wie im alten Gold-standard).
Zweitens können Defizite des Südens mit dem Norden durch Überschüsse mit Dritten ausgeglichen werden. In der letzten Dekade hatten Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien Doppel-Defizite, also Defizite im EU27-Raum und gegenüber dem Rest der Welt (z.T. ausgeglichen durch Dienstleistungsüberschüsse). Eine Tendenz zu solchen Doppeldefiziten zeichnet sich zuletzt auch für Frankreich, Italien und Slowenien ab.
Produktive und konsumtive Defizite
Der grundsätzliche wirtschaftliche Zusammenhang zwischen dauerhaften Exportüberschüssen bei Gütern und Diensten einer Region gegenüber einer anderen kann durch Finanzinstrumente nicht aufgehoben werden. Wenn es keine dritten Quellen gibt – Überschüsse der Defizitregion gegenüber anderen Regionen oder Entsparen zu Lasten des Nettoauslandsvermögens – erreicht die Defizitregion zunächst einen realen Wohlstandsgewinn und nimmt eine externe Verschuldung in Kauf. In der Folgezeit wird ein Leistungsstrom in Form von Zinszahlungen an die Überschussregion fällig. Wird die Zinslast zu groß, stellt sich ersatzweise die Transferfrage. Eine Kreditierung von Defiziten hat insoweit immer auch das Merkmal eines Eventual-Transfers. Das gilt auch für die Nord-Süd-Frage in der Eurozone. Entscheidend für die Zweckmäßigkeit und Tragfähigkeit eines dauerhaften Handelsdefizits ist, ob die Defizite produktiv oder konsumtiv verwendet werden.
Das Defizit kann produktiv für höhere Investitionen genutzt werden, ohne die Konsumstandards zu senken. Wenn die Investitionen das Produk-tionspotenzial erhöhen, können die Zinsen für die externen Kredite aus der dann höheren Produktion geleistet werden. Beispielhaft vereinfacht: Wenn der Produktions-strom um 10% wächst und der Zinslaststrom 5% beträgt, rechnet sich das ursprüngliche Defizit. Die Defizitregion erreicht ein höheres Wohlstandsniveau aus eigener Kraft.
Das ist die Grundidee für die globalen Nord-Süd-Beziehungen seit 50 Jahren. Erfolgreich war sie in den letzten 20 Jahren praktisch nur in Europa bei der EU-Süderweiterung und dann bei der EU-Osterweiterung. Diesen Erfolg kennzeichnet die Weltbank zutreffend als Erfindung der „Konvergenzmaschine“. Entwicklungsfortschritte in anderen Regionen folgen im Zuge der Globalisierung und auch nach schlechten Erfahrungen mit dem IWF überwiegend nach dem Münchhausen-Prinzip: Sich selbst aus dem Sumpf wirtschaftlicher Schwäche herausziehen. Ob Brasilien oder China, Exportüberschüsse haben sich als neues Entwicklungsmuster etabliert. Die Erfolge schließen globale Wohlstandstransfers von Süd nach Nord ein. Das bedeutet zugleich niedrigere Einkommen als nach der Produktionsleistung möglich.
Alternativ kann das kreditfinanzierte Handelsdefizit ohne Wirkung auf das Produktionspotenzial den laufenden Konsum erhöhen. Nach einigen Jahren wird die Zinslast für die kumulierte externe Verschuldung der Region untragbar. Dann kommt es – in welchen Finanzmänteln auch immer verpackt – zur Transferfrage.
Handelsdefizite können nach ihrer Funktion typisiert werden:
- Konvergenzdefizite werden produktiv genutzt und rechnen sich. Sie sind vorübergehend und werden durch eine Mischung aus Krediten und Transfers (incl. zinsverbilligter Kredite) finanziert. Konvergenzdefizite sind strapaziös.
- Transferdefizite stützen dauerhaft den Konsum der Defizitregion. Sie werden durch Transfers der Überschussregion an die Defizitregion finanziert. Es gibt keinen Schuldenaufbau. Transferdefizite sind angenehm.
- Stabilisierungsdefizite entstehen durch ungleichzeitige Schwankungen der regionalen wirtschaftlichen Aktivitäten. Sie bestehen zeitweilig und werden durch Marktmechanismen und – wenn nötig – durch makroökonomische Politiken bewältigt. Sie sind notwendig für alle Handelspartner.
Fortsetzung am 10.8.
* Jürgen Kunze war Professor für Finanzdienstleistungen und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Ich habe den Aufsatz in Abstimmung mit Herrn Professor Kunze in drei Abschnitte aufgeteilt. Der Aufsatz ist bisher unveröffentlicht. Teil 1 ist am 7.8. erschienen.
@renee
Grundsätzlich geht die Rechung „mit Investition läßt sich der Kapitaldienst decken““ schon auf. Voraussetzung ist aber, das Unternehmer am Werk sind, nicht Staaten.
Im Falle von GR und SP wurden mit dem vielen Investorengeld aber keine Investitionen in Unternehmen getätigt, sondern in Sozialausgaben und Immobilienspekulation. Wäre mit dem Geld eine vernünftige Produktion finanziert worden, sähe es heute ganz anders aus.
Die Argumentation von Prof. Kunze kann ich nicht wirklich teilen.
Zitat: „Ein Ausgleich der Handelsströme zwischen zwei Mitgliedern der Eurozone wäre also ein gänzlich unvernünfti-ges Ziel. “
Ein dauerhaftes Handelsbilanzdefizit soll nicht schlimm sein? Das gilt aber doch allerhöchstens für den Fall, das das entsprechende Land Handelsbilanzüberschüsse mit einem anderen Land erwirtschaftet, oder?
Eine dauerhaft negative Handelsbilanz bedeutet doch nur, dass man sich mehr leistet, als man könnte, weil man das ja mit gar nichts bezahlen kann (und deswegen Schulden anhäuft). Warum Transferzahlungen daran etwas verbessern können sollen, ist mir nicht ersichtlich. Zumal das konsumieren auf Kredit ja nun auch irgendwo ein Ende hat, wie wir nun sehen….
Ehrlich gesagt, entweder habe ich den Professor mit meinem bescheidenen Intellekt nicht verstanden, oder es handelt sich um einen Aufsatz, der weit ab der Realität ist.
Nun wenn man sich vorstellt, dass es auch Dreieckshandelsbeziehungen geben soll, dann schadet man sich selbst mit einem (periodenweisen) jeweils bilateralen Ausgleich.
Zur Unausgeglichenen Handelsbilanz schreibt er ja auch:
„Alternativ kann das kreditfinanzierte Handelsdefizit ohne Wirkung auf das Produktionspotenzial den laufenden Konsum erhöhen. Nach einigen Jahren wird die Zinslast für die kumulierte externe Verschuldung der Region untragbar. Dann kommt es – in welchen Finanzmänteln auch immer verpackt – zur Transferfrage.“
Womit wir in der laufenden Gegenwart angekommen wären.
Ich freu mich schon auf den morgigen Teil.
„…können die Zinsen für die externen Kredite aus der dann höheren Produktion geleistet werden.“
Sie formulieren auf recht schöne Weise genau die Falle, welche den „Entwicklungsländern“ zum Verhängnis geworden ist. Denn genau die Vorstellung, daß man nur mehr produzieren müsse, um den Kapitaldienst tragen zu können, hat für 50 Jahre Entwicklungspannen gesorgt. Wo war der Fehler? Der besteht darin zu glauben, daß Produktion auch Einkommen bedeutet. Falsch gedacht! Ändern sich die Marktpreise, geht die Kalkulation ins Minus! Da können Sie noch so viele „Rechnungen“ aufmachen, das haut nicht hin. Wenn Sie es nicht glauben wollen, informieren Sie sich einfachheitshalber mal hinsichtlich der tausendfach fehlgeschlagenen „Entwicklungsprojekte“, die – weil sie den „Weltmarkt“ überflutet haben, wofür jeder einzelne nichts kann(!) – so gut wie allesamt in die Hose gegangen sind. Was wollen Sie mit den Prinzipien, die nur auf der ‚ceteris paribus‘ Klausel beruhen? Ich hatte geglaubt, Sie argumentieren volkswirtschaftlich – da ist aber c.p. nicht erlaubt!
Sie sagen es doch selbst:
„Exportüberschüsse haben sich als neues Entwicklungsmuster etabliert.“
Das wußten die Merkantilisten aber auch schon vor 250 Jahren! Und die Chinesen haben es von F. List abgekupfert! Das ist doch so einfach wie simpel! Die haben halt die Theorie von der Auslandsverschuldung nicht geglaubt – und waren erfolgreich!
Und:
Daß man dann, wenn man nur auf Pump lebt irgendwann in die Bedrouille kommt, ist ja nun auch keine so neue Erkenntnis!
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