Die „Lösung“ der europäischen Krise

by Gastbeitrag on 12. Oktober 2012

Von Frank Augustin*

Die sogenannte Krise ist längst zu Europas Normalzustand geworden. Umso erstaunlicher ist es, wie hartnäckig sich die Vorstellung von einer „Lösung“ der Krise hält. Von einer „Lösung“ wird heute, so scheint es, immer dann gesprochen, wenn eine Bewältigung der Probleme so wahrscheinlich ist, wie vom Blitz getroffen zu werden. Dass man Umweltprobleme „lösen“ will, ist ja noch irgendwie verständlich – auch wenn man es sich schwerlich vorstellen kann, wie man beispielsweise in kurzer Zeit den CO2-Ausstoß massiv reduzieren oder mal eben die 126.000 Atommüll-Behälter aus dem einsturzgefährdeten Salzbergwerk Asse bergen will. Aber gut, rein theoretisch ist das vielleicht noch möglich. Sehr bedenklich wird es aber, wenn von einer „Lösung“ der ökonomischen Krise in Europa geredet wird. Was soll das für eine Lösung sein? Kommt eine unsichtbare Hand aus der Himmelsdecke herabgeschossen und schafft in sekundenschnelle beiseite, was in den letzten 40, 50 Jahren an finanziellen Belastungen angehäuft wurde? Oder verzichten plötzlich alle Gläubiger (v.a.: der Staaten) auf das geliehene Geld? Um neue Lösungsansätze zu finden, müsste man in der Lage sein, vieles von dem zu hinterfragen oder zu revidieren, was sich an gesellschaftlichen Strukturen, an gesellschaftlich-ökonomischen Verflechtungen, an Ungleichverteilungen, Eigentumsverhältnissen und Konsumgewohnheiten über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hinweg etabliert hat. Aber wie wahrscheinlich ist dies? Werden die Bürger Europas plötzlich wie Phönix aus der Passivität aufsteigen?

Scheindebatten, allerorten: Da wird beispielsweise wild darüber diskutiert, ob man den Weg in die Transferunion weiter gehen soll oder nicht. Dabei wird es sich im gegenwärtigen Kontext im Ergebnis nicht viel nehmen, für welche der beiden „Lösungen“ man sich entscheidet…

Vieles spricht dafür, dass die Lage inzwischen derart verfahren ist, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Hat sich die Krise seit ihrem Beginn nicht immer weiter zugespitzt? Spricht nicht alles dafür, dass nach einer langen Periode des Fortschritts und des Wachstums in den nächsten Jahrzehnten Rückschritt und Rezession die Richtung vorgeben? Ist nicht offensichtlich, dass die großen Hoffnungen, die den Kapitalismus getragen haben, verflogen sind, dass der Fortschrittsglaube, von dem er gezehrt hat, verloren gegangen ist? Vielleicht wird man nach „Finanz-“, „Wirtschafts-“ und „Schuldenkrise“ bald von der „Großen Krise“ sprechen – angelehnt an den „Großen Krieg“, wie die Franzosen den Ersten Weltkrieg, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, nennen.

Zu schwarz gemalt? Heißt es nicht, es gäbe immer Alternativen und Auswege? Nun, das ist schon richtig. Doch innerhalb des Rahmens, in dem sich das europäische Denken und die europäische Moral – nicht erst seit Ausbruch der Krise – bewegen, ist die Lage tatsächlich ausweglos. Den europäischen Demokratien ist der Geist ausgegangen, die gesellschaftliche Experimentierfreudigkeit abhanden gekommen. Sie haben sich einer betriebswirtschaftlichen Logik untergeordnet. Und nun nähert sich das Niveau der europäischen Wirtschaft unaufhaltsam jenem der Moral an.

Frank Augustin ist Chefredakteur von agora 42, dem Magazin für Ökonomie, Philosophie, Leben

nigecus Oktober 12, 2012 um 20:47 Uhr

Ja sicherlich gibt es „Lösungen“ und „Auswege“, Herr Augustin. Nur muss man sich für jede „Lösung“ erstmal ehrlich die Ursache, das Problem, verständlich machen, und natürlich auch sich über das Ausmaß bewusst werden, um eine „Lösung“ zu entwickeln. In den Weiten der Kreditwelt, gibt es ganz viele Ideen, die hätten an zu einer „Lösung“ zusammengebastelt werden können.

Was ist eigentlich das Problem? Kennen Sie die Simpson Folge wo Bart ein magische Stopuhr erwirbt, mit der er „die Zeit“ anhalten kann? Die ist dann kaputt gegangen, während die Welt stehen blieb, und er braucht ca. 10 Jahre (auf jedenfall war dann erwachsen) bis er die Uhr repariert hat.
In der Eurokrise sind die Politiker als ein bisschen wie Bart. Nur ist die Zeit nicht stehen geblieben, und sie müssten nur die richtigen Uhrenmacher machen lassen. Stattdessen diskutieren sie mit ganz vielen anderen Barts und lassen sich (erfolglos) von Uhrenmachern beraten (die sie eigentlich nicht verstehen).

… es ist mittlerweile egal was die Poltiker machen, weil Zeit irreversibel ist, und das Kind einfach in den Brunnen gefallen ist … (Es gibt nicht mehr viele Optionen)

FDominicus Oktober 12, 2012 um 14:24 Uhr

„Sie haben sich einer betriebswirtschaftlichen Logik untergeordnet“

Wohl kaum.

Nixda Oktober 12, 2012 um 10:12 Uhr

Man kann sicher viel zu dem Thema sagen. Mein zwei Cents wären diese.

Erstens sollte man mal ehrlich zu sich sein und davon wegkommen die Krise als Eurokrise oder Staatsschuldenkrise zu betrachten. Eine Währung kommt dann in die Krise, wenn in den Währungsraum mehr Importiert wird, als das Ausland Güter aus dem Währungsraum nachfragen. Das ist beim Euro nicht der Fall. Wenn ein Teilnehmer, der die Währung verwendet Pleite geht, ist das noch kein Grund für eine Währungskrise. (Allerdings könnte das ganze Thema „Eurokrise“ durch eine irrationale Kapitalflucht zur Währungskrise werden).

Der zweite Punkt, den man sich immer vor Augen halten sollte ist der, dass die Krise nur in der Buchhaltung besteht. Im Grunde haben wir genug Produktionspotenzial und Know-How um alle auf einem sehr hohem Niveau zu leben.

Ihrem letzten Absatz würde ich hingegen zustimmen, Die Krise liegt im System, wie wir die Wirtschaft organisieren, und da insbesondere im Finanzsystem. Ohne eine Reform bestimmter, heute sehr zentraler Themen wird man aus der Krise nicht herauskommen. Aber im Moment ist kein politischer Wille erkennbar – weder in der Führung noch in der Bevölkerung.

Oliver Tausend Oktober 12, 2012 um 09:05 Uhr

Hallo Herr Augustin,

die von Ihnen beschriebenen Parolen über die Probleme, die wir lösen „müssen“, erinnern mich an eine Kombination aus Machbarkeitswahn und negativem Grössenwahn – die gleiche Kombination, die die Probleme auch geschaffen hat. Wie sollten dadurch die Probleme gelöst werden?

Die Hauptakteure – namentlich Staaten und Regierungen – erkennen ja nicht (wollen nicht erkennen), dass sie die Hauptverursacher der Probleme sind. Sie sind mehr Bestandteil des Problems als einer wie auch immer gearteten Lösung. Staaten und Regierungen sind historisch schlecht darin, Probleme zu lösen, die wir ohne sie gar nicht hätten.

Im übrigen finde ich Ihre Sichtweise nicht schwarzseherisch, sie ist einfach eine Perspektive, ein Szenario, dem eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit leider nicht abgesprochen werden kann.

Beste Grüsse

Oliver Tausend

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