Crowdfunding. Die Zukunft des Geldes!?

by Gastbeitrag on 18. Oktober 2012

Gastbeitrag von Eric Schreyer*

In der Social Media-Welt ist Outsourcing ein Anachronismus. Heute erreicht man via Internet eine Vielzahl gut ausgebildeter Menschen, die Inhalte produzieren, Fachfragen beantworten, Probleme lösen, forschen und entwickeln oder für soziale und kreative Projekte Geld geben – in vielen Fällen erwarten sie dafür keine besondere Gegenleistung. Dieses neuzeitliche Phänomen heißt Crowdsourcing, das vier verschiedene Formen hat:

  • Schwarmintelligenz = Crowd Wisdom,
  • Schwarmkreativität = Crowd Creation,
  • Abstimmung der Vielen = Crowd Voting (GOOGLE ist ein Beispiel für unbewusstes Abstimmen),
  • Crowdfunding.

Crowdfunding wird im Ursprungsland USA definiert als

"the collective cooperation, attention and trust by people who network and pool their money together, usually via the Internet, in order to support efforts initiated by other people or organization" (Keyser, Pascal D.: Succesful Crowdfunding Strategies, 2010)

Spendenaufrufe über Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen sind im Prinzip nichts anderes. Aber durch das Internet wird die Reichweite vergrößert und es ermöglicht den Vielen eine aktive Beteiligung an den unterstützten Projekten.

Auch für das Crowdfunding haben sich vier Erscheinungsformen herausgebildet:

  • Crowddonating = Spenden an gemeinnützige Organisationen.
  • Crowdsupporting = Zuwendungen an Kreative sowie für soziale und kulturelle Zwecke, der Geldgeber erhält eine kleine Aufmerksamkeit als Gegenleistung.
  • Crowdlending = Peer-to-Peer Kredite, der Geldgeber erhält Zinsen.
  • Crowdinvesting = Beteiligungskapital für Startups, der Kapitalgeber erwartet eine finanzielle Rendite.
Macht und Weisheit der Vielen (Crowd Wisdom)

Die Qualität von Gruppenentscheidungen hängt vor allem vom Informationsverhalten der Gruppenmitglieder ab. In räumlich zentralisierten Kleingruppen ist zu beobachten, dass nur die Informationen untereinander ausgetauscht werden, die innerhalb der Gruppe sowieso bekannt sind. Informationen, die nur einzelne Mitglieder einer Gruppe haben, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geteilt. Gruppenentscheidungen, die ausschließlich auf geteilten Informationen beruhen, haben eine geringere Qualität als Entscheidungen, in die auch ungeteilte Informationen eingeflossen sind. Eine hohe Wissensintegration verhindert Fehlentscheidungen. 

Wissensintegration funktioniert gut, wenn die Mitglieder einer Gruppe voneinander unabhängig und räumlich weit verteilt sind. Das Internet kann diese Bedingungen für "Schwarmintelligenz" oder "Weisheit der Vielen" in idealer Weise erfüllen. Ein Geschäftsmodell, das von diesen Phänomenen profitiert, ist das Crowdfunding. Es profitiert die "rauhe Menge" der Kleinanleger, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Fehlentscheidung trifft und es profitieren Projekteigner, deren Vorhaben als erfolgversprechend erkannt werden. Wer keine ausreichenden Mittel einwirbt, ist gut beraten, die Finger von seinem Projekt zu lassen; ein Projekt zu beenden, bevor es scheitert, ist auch ein Gewinn. Für niedrige Kapitalaufnahmen von 1.000 € bis 100.000 € beginnt sich das Crowdfunding zu etablieren. Aber: Wer Geld gibt, möchte es zu 100 % beim Projekteigner ankommen sehen. Kleinanlegern ist nur schwer zu vermitteln, dass ihre Einlage zu Gunsten des Plattform-Betreibers um ein Disagio von 8 – 10 % geschmälert wird. Aus diesem Grunde fällt es den Anbietern des Crowdfunding schwer, die Gewinnschwelle zu erreichen.

Wer eine Crowdfunding-Plattform bereitstellt, muss einen Mehrwert bieten, für den Kleinanleger und Projekteigner gerne bezahlen.

Crowdfunding und Verhaltensökonomie

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beobachtet beim internetbasierten Crowdfunding ein spezifisches Verhalten,  wonach die Anbieter versuchen, Anleger dafür zu gewinnen, sich ohne lange Überlegung an Projekten zu beteiligen (Jörg BEGNER, BaFin, 5. September 2012). Anbieter versuchen also, Anleger emotional zu berühren. Dementsprechend unterteilt der sehr erfolgreiche Crowdfunder Kickstarter mit dem Motto "FUND & FOLLOW CREATIVITY, Kickstarter is a funding platform for creative projects" seine Projekte in die Kategorien:

  • Kunst, Comics, Tanz, Design, Mode, Film & Video, Essen & Trinken, Spiele, Musik, Fotografie, Publizieren, Technologie und Theater.
  • Kickstarter, New York, wurde 2008 gegründet und hat bis September 2012 mit rund 175 Millionen USD über 20.000 Projekte finanziert. 

Der Verhaltensökonom Dan ARIELY zeigt in seinem 2009 neu aufgelegten Buch Predictably Irrational, dass wir uns keineswegs immer rational verhalten, wenn wir Entscheidungen treffen. Unsere Fähigkeit, rational zu entscheiden, wird durch emotionale und ethisch-moralische Beeinflussung sowie durch bloßen Druck erheblich beeinträchtigt, auch bei Entscheidungen, die wir für sehr wichtig halten.

Zudem hat Dan ARIELY erkannt, dass unsere Irrationalität berechenbar ist. Erfolgreiche Crowdfunder nutzen diese Erkenntnisse. Dabei nehmen sie in Kauf, dass für diese Strategie nur Projekte infrage kommen, die Emotionen erzeugen, moralische Auffassungen berühren oder sehr schnelle Entscheidungen erfordern.

Crowdfunding und Neuroökonomie

Der Begriff Neuroökonomie bezeichnet die interdisziplinäre Verknüpfung der Neurowissenschaften mit den Wirtschaftswissenschaften. In Deutschland arbeiten der Wirtschaftswissenschaftler Armin FALK und der Epileptologe Christian ELGER an diesem Thema. Mithilfe der funktionalen Kernspin-Tomographie schauen sie quasi "dem Hirn beim Denken" zu und zeigen, dass der Menschen eben kein homo oeconomicus sei.

Emotionen können gesehen und gemessen werden. Das bedeutet, Neuroökonomen schauen sich mit der funktionalen Bildgebung die Tiefenstrukturen des ökonomischen Entscheidens an. Die Neuroökonomie liefert den Wirtschaftswissenschaftlern Werkzeuge, mit denen sie ein Entscheidungsverhalten verstehen können, dass sich ihnen mit den eigenen Methoden nicht erschließt. Nach den Erkenntnissen der Neuroökonomie basiert unser Entscheidungsverhalten nicht auf absoluten Größen, sondern im Grunde auf relationalen Konzepten, also auf dem Vergleich mit Anderen. Damit liefert diese noch junge Disziplin zahlreiche Anknüpfungspunkte für ein funktionierendes Crowdfunding.

Crowdfunding und Social Payments

Crowdfunding und Social Payments werden unter dem Oberbegriff Alternative Erlösmodelle zusammengefasst. Das Institut für Kommunikation in sozialen Medien grenzt den Begriff Social Payments von Crowdfunding wie folgt ab:

 

"Bestand und Format der Inhalte: Während Crowdfunding für noch nicht existierende Inhalte, oder genauer formuliert, für die in Planung befindlichen Projekte durchgeführt wird, wird bei Social Payments für bereits existierende Inhalte jeglicher Art bezahlt. Bei Crowdfunding müssen die Voraussetzungen eines Projekts erfüllt sein, bei Social Payments kann der Nutzer beispielsweise einen interessanten Blogartikel oder eine ansprechende Netzseite unterstützen.

Zweck: Bei Crowdfunding möchten die Unterstützer hauptsächlich, dass dadurch das Projekt, das sie fördern, zustande kommt, wobei der Erfolg der Crowdfunding-Kampagne keineswegs sicher ist. Bei Social Payments hingegen möchten die Unterstützer den Wert eines Inhalts würdigen.

Gleichbehandlung von Geldbeträgen: Bei Crowdfunding kann der Projektinhaber je nach Umfang der Unterstützung verschiedene Gegenleistungen erbringen. Bei Social Payments werden alle Unterstützungen gleich behandelt."

(Zitiert nach Kaltenbeck, Julia: Crowdfunding und Social Payments, 2011)

image

Quelle: Shalom, Gabriel/Miemis, Venessa/Cousins, Jay: The Future of Money, 2010, www.emergence.cc/futureofmoney

Crowdfunding und Mäzenatentum

Der Begriff Crowdfunding wurde 2006 im Zusammenhang mit der Finanzierung von Musik-Alben geprägt. Die heute noch existierende www.sellaband.com war die erste Netzseite, die es ermöglichte, Musikbands durch nicht rückzahlbare Zuwendungen direkt zu unterstützen. Im Gegenzug erhielten die Musikliebhaber freie Downloads, CDs, T-Shirts usw. 

Dieses "Geschäftsmodell" gab es aber bereits einige Jahre früher. Im Oktober 2003 wurde das erste Projekt durch ArtistShare.com unterstützt. Musiker sammeln dort unter dem Motto "First in Fan Funding" Geld für neue Alben ein, bevor es veröffentlicht wird. Wer Geld gibt, will damit aus Idealismus eine "gute Sache" unterstützen oder zum Ausdruck bringen, dass er an den Erfolg des Albums glaubt. Der Geldgeber erwartet weder eine Rückzahlung noch eine Rendite, er ist ein Mäzen.

Der Schwarm der Mäzene (SPIEGEL 32/2012) ist in Deutschland vergleichsweise klein. Bei uns fließen jährlich etwa 9 Milliarden € staatliche Fördergelder in die Kulturlandschaft. In den USA sind es lediglich rund 150 Millionen US$. Trotzdem steigt in Deutschland die Bereitschaft, Kunst zu finanzieren. Zur Finanzierung des auf einer TV-Serie mit Christoph Maria Herbst basierenden Kinofilms Stromberg wurde innerhalb einer guten Woche ein Betrag von 1 Million € eingesammelt. Die Filmemacher konnten sich dabei auf eine große Fan-Gemeinde stützen. Die Fernsehserie Stromberg läuft seit 2004 erfolgreich auf ProSieben. Stromberg ist eine Ausnahme. In der Regel gibt es keinen Grund zur Euphorie. DER SPIEGEL:

"Knapp 60 % der Projekte, die auf deutschen Plattformen vorgestgellt werden, verfehlen ihr Finanzierungsziel – oft sehr deutlich. Das Scheitern sei vor allem für Künstler schwer zu verkraften, sagt Bartelt. Es ist schmerzhafter, von der Masse abgelehnt zu werden als von einem Fördergremium. Die Crowd ist knallhart, sagt er. Das muss man wissen."

Wer sein Finanzierungsziel erreichen will, muss die Anleger mit viel Einfallsreichtum emotional einbinden. So hat beispielsweise das Team des gegenwärtig produzierten Films Capital C Anleger, die den Höchstbetrag von 7.500 US$ bei Kickstarter einbezahlt haben, persönlich zu Hause besucht. Premieren-Tickets und T-Shirts mit aufgedruckten Filmszenen haben auch geholfen.
In Deutschland startete die erste  Crowdfunding-Plattform, www.startnext.de, im September 2010. Heute finden sich dort folgende Kategorien (nach der Anzahl erfolgreicher Investments in absteigender Reihenfolge): 
Film/Video (153), Musik (117), Events (27), Jounalismus (27), kulturelle Bildung (26), Literatur (20), Performance (20), Theater (19), Fotografie (19), Ausstellung (14), Jugendkultur (14), Hörspiel/Hörbuch (6), Design (5), Games/Software (2), Erfindung (0), Mode (0).

Startnext.de wendet sich an Mäzene, die mit Kleinstbeträgen kulturelle beziehungsweise soziale Projekte unterstützen. Spenden und Investitionen sind dort nicht möglich. So ist es auch bei pling.de geregelt: Ab einer Zuwendung von 10 € erhält der Unterstützer "… kreative Gegenwerte. Das kann von einem handsignierten Videospiel bis hin zu einem Treffen mit Deiner Lieblingsband eigentlich alles sein. Stöber durch die Projekte und schau Dir die unterschiedlichsten Vergütungsstufen an …" schreiben die Betreiber dieser Plattform. Bei 100-day.net heißen die Unterstützer Booster, Geldeinzahlungen erfolgen mittels Kreditkarte, PayPal, Postanweisung oder per Handy.

Das Finden der Vielen (Crowdfinding)

Wer keine große Fangemeinde hat, begibt sich erstmal auf die Suche nach den "Vielen". Der typische Crowdinvestor ist netzaffin und tummelt sich häufig in den diversen Social Media – Kanälen. Startups sind deshalb gut beraten, ihre Projekte frühzeitig im Netz zu präsentieren, um bereits vor dem Markteintritt eine Beziehung zu ihren zukünftigen Kunden aufzubauen. Die frühzeitige Beurteilung der Produktidee durch die "Vielen" und die Mitsprache künftiger Kunden gehört zur Philosophie des Crowdinvesting. Die vernetzte Gemeinschaft (Community) der Investoren beziehungsweise der Kunden muss ein fester Teil des Unternehmens sein. Die typische Gründerfalle, am Markt vorbei zu produzieren, wird dadurch weitgehend vermieden. 

FACEBOOK ist vermutlich der am häufigsten genutzte Social Media – Kanal. Dort können Gründer auf ihr Startup aufmerksam machen, es werden Nachrichten über das Unternehmen gepostet und es wird auf die Netzseite des neuen Unternehmens verwiesen. Am Beispiel von Tampon for You (TFY) wird die Vorgehensweise deutlich: Die auf der Netzseite des Unternehmens registrierte Nutzerin erhält jeden Monat im Rahmen einer Kampagne werbegesponserte Boxen mit standardisierten Tampons kostenfrei zu sich nach Hause. Bei der Registrierung muss die Nutzerin für sich ein Profil anlegen und die monatlichen Kampagnen mitilfe eines Fragebogens bewerten. Das Modell finanziert sich über den Verkauf der jeweiligen Kampagne an den Werbepartner und durch den Verkauf gebrandeter Tampons-Boxen. Die ersten Werbepartner sind WAX IN THE CITY, BLUME 2000.de und PARFUMDREAMS. Weitere Erlösquellen sollen erschlossen werden. TFY startete im April 2012. Bis September 2012 haben sich 15.000 Nutzerinnen registriert. Die Antwortquote der von TFY an die Nutzerinnen versendeten Fragebögen lag bei 85 %.

Crowdinvesting und Unternehmensfinanzierung

Crowdfunding ist bei kreativen und sozialen Projekten erfolgreich, die nicht gewinnorientiert sind, sondern ideelle Ziele verfolgen. Die Geldgeber haben das Gefühl, mit ihrer Unterstützung etwas Sinnvolles zu tun. 

Dagegen werden bei gewinnorientierten Projekten zumeist höhere Finanzierungsbeträge nachgefragt als bei nicht-gewinnorientierten Vorhaben. Außerdem sind diese Projekte in hohem Maße erläuterungsbedürftig. Dadurch ändert sich die Beurteilung. Erwarten die Geldgeber eine finanzielle Rendite, spricht man nicht mehr von Crowdfunding, sondern von Crowdinvesting.
Gewerblich tätige Kleinunternehmer haben häufig ein bestimmtes Finanzierungsmuster:
Kreditkartenlimit ausschöpfen > Freunde und Familie um Unterstützung bitten > Finanzierung durch Business Angel > Kredite der Hausbank > Wagnisfinanzierungskapital.

Crowdinvesting verbreitert die Finanzierungsstufe "Freunde und Familie". Kleinanleger müssen deshalb beachten, dass der Projekteigner (das zu finanzierende Unternehmen) keinen Zugang zu den höheren Finanzierungsstufen (Business Angel, Banken und Venture Capital – Gebern) hat. Einerseits gehen Kleinanleger im Einzelfall ein höheres Risiko ein als Business Angels, andererseits können sie ihr Gesamtkapital auf eine Vielzahl von Projekten verteilen und mindern dadurch ihr Ausfallrisiko. 

In Deutschland können durch Crowdinvesting pro Jahr bis zu 100.000 € pro Einzelfall aufgenommen werden, ohne besondere aufsichtsrechtliche Bestimmungen beachten zu müssen, die zu verhältnismäßig hohen Transaktionskosten des Projektanbieters führen würden. Nach US-amerikanischem Recht ist Crowdinvesting generell nur auf registrierten Plattformen erlaubt, die dazu verpflichtet sind, den Hintergrund der Projekte / Unternehmen sorgfältig zu recherchieren. Außerdem müssen die Nutzer der Plattformen die Möglichkeit haben, Projekte – für andere registrierte Mitglieder sichtbar – zu kommentieren. Kommentare der "Vielen" sind ein ergänzendes Instrument des Anlegerschutzes. Sehr viel wichtiger ist jedoch eine "mit der gebührenden Sorgfalt durchgeführte Prüfung" (Due Diligence) des zu finanzierenden Vorhabens. In den USA gibt es dafür Spezialisten, wie crowdCHECK. CrowdCHECK bietet seine Dienstleistungen Unternehmern, Investoren, Plattformbetreibern und Inkubatoren an. Vergleichbare Strukturen gibt es in Deutschland nicht. Bei uns gehört die Due Diligence zu den berufsüblichen Aufgaben von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Rechtsanwälten und besonders qualifizierten Unternehmensberatern. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass deutsche Crowdfunding – Plattformen externe und unabhängige Berufsträger einschalten, um ihre Anleger bei Projekten mit bis zu 100.000 € Volumen wirksam zu schützen; jedenfalls ist das nicht die Regel.

Bei der deutschen Seedmatch müssen die gewinnorientierten Startups bloß ein internes "Casting" durchlaufen. Wer mit plausiblen Zahlen aufwarten kann und mit seinem Produkt kurz vor der Markteinführung steht, gelangt auf die Plattform:

"Startups bewerben sich mit einem aussagekräftigen Executive Summary (4 bis 8 Seiten) oder einer knackigen Präsentation oder einem kurzen Businessplan."

Übersteigt das Finanzierungsvolumen die Schwelle von 100.000 €, greifen in Deutschland für Plattform-Betreiber und Unternehmer strenge aufsichtsrechtliche Bestimmungen, die dem Anlegerschutz dienen. Gegenwärtig ist in Deutschland niemand in diesem Segment tätig.

Wer diese Lücke schließt, gibt Mikroinvestoren einen direkten Zugang zur Anlageklasse Private Equity. Aus Sicht des Unternehmers könnte dann nicht nur eine Neugründung, sondern auch das Wachstum eines in den Markt erfolgreich eingetretenen Unternehmens mittels Crowdinvesting finanziert werden. 

Man muss sich vergegenwärtigen, dass Crowdinvesting kein Prozess ist, der mit der Überweisung eines Geldbetrags abgeschlossen ist. Mikroinvestoren identifizieren sich in der Regel sehr stark mit "ihrem" Unternehmen, können gleichzeitig Kunden beziehungsweise Lieferanten sein und nutzen alle Möglichkeiten des Crowdsourcings, um das Unternehmen, an dem sie sich beteiligt haben, erfolgreich zu machen. Im Grunde geht es darum, gemeinsam einen "Unternehmenswert" zu schaffen. 

Crowdinvesting und Unternehmensbewertung

Beim Start des Crowdfunding möchten die potenziellen Mikroinvestoren wissen, wie hoch der aktuelle Wert des Startups ist. Zur Beantwortung dieser Frage haben die Plattform-Betreiber die Möglichkeit, sich der etablierten Methoden zur Unternehmensbewertung zu bedienen. Im Einzelfall werden sie sich den Unternehmenswerten anschließen, die Business-Angels oder Venture Capital-Gesellschaften bereits errechnet haben. Vermutlich werden auch die Venture Capital – und First Chicago – Methoden zur Unternehmensbewertung genutzt.

Davon zu unterscheiden ist die zum Zweck der Rückzahlung der stillen Beteiligung beziehungsweise zum Zweck der Renditeberechnung vertragsgemäß vorzunehmende Unternehmensbewertung. Bei Seedmatch ist die jährlich (beziehungsweise nach einer Aktualisierung des Businessplans) durchzuführende Unternehmensbewertung im Vertrag über die typisch stille Beteiligung geregelt: EBIT multipliziert mit dem Faktor 6. Bei einer Mindestbeteiligung von 250 € macht Seedmatch folgende Beispielrechnung auf:

"Sie können in Cosmopol auf Basis der aktuellen Unternehmensbewertung von 600.000 Euro investieren. Laut Finanzplan soll zum frühesten Kündigungszeitpunkt Ende 2015 ein EBIT (engl. für earnings before interest and taxes; also das Ergebnis vor Zinsen und Steuern) von 1,4 Mio Euro erzielt werden. Daraus ergäbe sich ein rechnerischer Unternehmenswert von 8,4 Mio. Euro (EBIT mal 6, Berechnung des Unternehmenswertes gemäß §15 Abs.2 des Beteiligungsvertrages).

Angenommen, Sie investieren heute 250 Euro in Cosmopol und es werden die Ergebnisse aus der im Businessplan dargelegten Finanzplanung erreicht, so würde der Unternehmenswert Ende 2015 um Faktor 14 angewachsen. (Unternehmenswert 2015 in Höhe von 8,4 Mio. Euro geteilt durch die Unternehmensbewertung zum Einstiegszeitpunkt von 600.000 Euro ergibt Faktor 14.) Dementsprechend hätte Ihre Beteiligung zu diesem Zeitpunkt einen angestrebten Wert von 250 Euro x 14 = 3.500 Euro, den Sie, wenn Sie Ihre Beteiligung zu diesem Zeitpunkt auflösen würden, ausgezahlt bekämen.


Erfahrungswerte sagen, dass Finanzplanungen von Startups oft sehr ambitioniert sind und nicht immer die Ziellinie wie ursprünglich geplant erreicht wird. Doch selbst, wenn man pessimistischer heranginge und Cosmopol “nur” zutrauen würde, im Jahr 2015 ein EBIT von 300.000 Euro zu erreichen, bekäme jeder Investor seine Einlage von 250 Euro plus einen Anteil am Wertzuwachs des Unternehmens in Höhe von 750 Euro ausgezahlt. (EBIT von 300.000 Euro mal Faktor 6 ergibt Unternehmenswert von 1,8 Mio. Euro; davon wird der individuelle Anteil in Höhe von 0,0417% ermittelt.)"

Diese vertraglich vereinfachte Form der Bewertung ist zwar einfach, klar und verursacht keine Transaktionskosten, entspricht jedoch nicht den anerkannten Regeln der Unternehmensbewertung. Insoweit besteht Verbesserungsbedarf.

Es spricht auch nichts dagegen, sowohl in der Phase des Crowdfunding, wie auch während der gesamten Laufzeit des Beteiligungsvertrages, dieselbe Methode der Unternehmensbewertung anzuwenden.

Formen des Crowdfunding im Überblick

Eine grobe Übersicht über die gegenwärtig zu beobachtenden Formen des Crowdfunding findet sich hier. Bei Unternehmensfinanzierungen herrscht die typisch stille Beteiligung mit einer Bindungsfrist von vier bis fünf Jahren vor.

"Die Prospektpflicht nach dem WpPG ist zum 1. Juni 2012 durch die Prospektpflicht des Vermögensanlagen-Gesetzes (VermAnlG) ersetzt worden. Ausschlaggebend ist die Art des Angebots, zum Beispiel die Art der Beteiligung, also insbesondere die Rechtsform der Beteiligung (KG-Beteiligung, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, stille Beteiligung, Genussrecht, Aktie), oder das Emissionsvolumen. Die Prospektpflicht trifft immer den Anbieter der Beteiligung. Wer das ist, hängt davon ab, welche Form das Crowdfunding in dem konkreten Einzelfall hat. Grundsätzlich werden zwei Fallgestaltungen  unterschieden:

  1. Ein Anbieter betreibt selbst das Crowdfunding, sammelt also Kapital für ein bestimmtes Projekt ein, in dem er Vermögensanlagen begibt. In einem solchen Fall kann es sich unter anderem um ein öffentliches Angebot von Vermögensanlagen nach dem VermAnlG handeln, so dass grundsätzlich eine gesetzliche Prospektpflicht besteht. Die Frage, ob das konkrete Angebot prospektpflichtig ist, oder eine Ausnahme greift, sollte von einem kundigen Rechtsanwalt geklärt werden.
  2. Das Crowdfunding findet auf einer Plattform statt, auf der Anbieter und Anleger zusammenkommen können. Der Betreiber der Plattform stellt also nur eine Art Forum zur Geschäftsanbahnung bereit, hat aber mit dem Angebot selbst vertraglich nichts zu tun und ist auch kein Anbieter. Der Betreiber einer solchen Plattform ist selbst nicht prospektpflichtig. Vielmehr trifft die Prospektpflicht den Anbieter, der seine Vermögensanlage auf der Plattform zum Verkauf stellt.

Grundsätzlich dürfen in Deutschland Vermögensanlagen nicht ohne einen Prospekt, den die BaFin vorher gebilligt hat, öffentlich angeboten werden. Der Anleger erhält durch die Mindestangaben im Prospekt ein Minimum an Informationen, die er für seine Anlageentscheidung benötigt. Die Prospektpflicht sorgt damit für eine bessere Transparenz. Dies soll es zukünftigen Anlegern ermöglichen, sich selbst ein Bild von den Chancen und Risiken eines Projekts zu machen. Anleger werden durch den Prospekt dazu veranlasst, sich mit dem angebotenen Investitionsvorhaben in Ruhe auseinander zu setzen; spontane Entscheidungen werden also vermieden.

Allerdings regelt insbesondere § 3 Abs. 2 VermAnlG, dass Angebote bis zum bestimmten Bagatellgrenzen von der Prospektpflicht ausgenommen sind.  Der Gesetzgeber geht beispielsweise davon aus, dass der Anleger bei einem Emissionserlös bis 100.000 € in zwölf Monaten nicht besonders geschützt werden muss. Dies soll eine Überregulierung verhindern. Andere Ausnahmen nach dem VermAnlG, wie die Begrenzung auf maximal 20 Anteile oder ein Mindestpreis von 200.000 € je Anteil, kommen normalerweise beim Crowdfunding nicht in Betracht." (BaFinJournal 09/12)

Anwaltliche Erläuterungen zum VermAnlG


* Dieser Beitrag ist ein Crosspost aus dem Blog Valuation in Germany

Eric Schreyer Oktober 18, 2012 um 10:25 Uhr

Moin Renee,

klassisches Crowdfunding und Social Payments sind „alternative“ Erlösmodelle, weil ihre Erlöse keine nennenswerten materiellen Gegenleistungen haben. Es gibt keine Zinsen. Der Geldgeber erhält ein Incentive. Ein gutes Beispiel für Social Payments ist DIASPORA. DIASPORA versteht sich als Rivale von FACEBOOK, indem es den Nutzern die volle Kontrolle über ihre eingestellten Inhalte gibt. DIASPORA hat auf kickstarter.com ein Projekt eingestellt und erklärt, dass 10.000 US$ gebraucht werden, um den DIASPORA-Code quelloffen zu gestalten. 12 Tage nach dem Start waren auf kickstarter.com insgesamt 200.641 US$ zusammen. Wohlgemerkt: Nicht rückzahlbare, nicht verzinsliche, Zuwendungen. Von wem kamen diese Zuwendungen? Von Leuten, die es gut finden, was DIASPORA macht. Weltweit fanden sich 6.479 Unterstützer. Selbst Mark Zuckerberg, FACEBOOK-Gründer, hat für DIASPORA Geld gespendet:

„I donated. I Think it is a cool idea.“

In dem Verb „to donate“ steckt auch die Bedeutung „stiften“. Ein Stifter ist, materiell gesehen, selbstlos.

Die einzelnen Menschen einer Crowd haben Motive, die dem bloßen Geld- und Vermögenserwerb übergeordnet sind. In gewisser Weise sind es Idealisten. Die Crowdfunding-Plattform http://www.betterworld-network.org ist ein gutes Beispiel.

Der Begriff „Crowdfunding“ ist etwas unglücklich gewählt. Wer ein zu finanzierendes Projekt startet, kommuniziert es zunächst auf den diversen Social Media – Kanälen. Dadurch erfährt er, ob seine Idee oder sein Produkt eine ausreichende Basis von Unterstützern bekommt. Dabei geht es also um Crowdinvesting. Das Startup „movinary“ hat sein Produkt auf FACEBOOK präsentiert und erhielt 316 „Gefällt mir“-Angaben. Auf der Funding-Plattform COMPANISTO hat movinary bis heute 328 Mikroinvestoren, die 82.150 € investiert haben. Das Funding läuft noch 43 Tage, um das Finanzierungsziel von 100.000 € zu erreichen. Dies deutet darauf hin, dass es im wesentlichen die Community um movinary ist, die das Startup finanziell begleitet. Movinary ist keine Ausnahme. Statistische Untersuchungen belegen, dass dies eher die Regel ist.

Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass es beim Crowdinvesting das persönliche Umfeld der Gründer ist, das den Kern der Community bildet; also Menschen, die mit den Gründern jahrelang Erfahrungen gesammelt haben und deren Stärken und Schwächen genau kennen. Freunde und Familie sind für gewöhnlich auch die ersten, die neue Produkte oder Leistungen ausprobieren bzw. beurteilen. Dieser Kern der Community sendet Vertrauenssignale aus, die von unabhängigen Dritten, die sich für das Startup interessieren, aufgenommen werden. Ein fremder Investor zieht andere nach. Aus diesen Gründen sollte man, anstatt von „Crowdfunding“ zu sprechen, den Begriff COMMUNITYFUNDING verwenden. Dennoch ist es leicht vorhersehbar, dass der irrationale Begriff „Crowdfunding“ erhalten bleibt, der Mensch ist nämlich ein Gewohnheitstier.

In meinem Beitrag habe ich nicht von einer Intelligenz der Crowd gesprochen, sondern von Macht und Weisheit der „Vielen“.

Die „Vielen“ haben die Macht, eine an sich gute unternehmerische Idee in kürzester Zeit in die Tat umzusetzen, auch wenn das Projekt der Gründer für Banken und VC-Gesellschaften zu unbedeutend ist. Tagelanges Ausfüllen von Formularen von Förderinstituten, auf deren Antwort man nicht selten monatelang wartet, entfällt ebenso. Die „Vielen“ ermöglichen eine unternehmerische Dynamik, die für unseren Mittelstand gut ist und qualifizierte Arbeitsplätze schafft.

Die „Vielen“ haben Weisheit, sofern sie ihr Wissen möglichst vollständig integrieren. Auf den Crowdinvesting-Plattformen ist das möglich. Du siehst das sehr gut auf http://www.seedmatch.de . In der Rubrik „Updates und Fragen“ können potenzielle Investoren Kommentare abgeben und alle möglichen Fragen zum Projekt stellen, sie erhalten umgehend eine Antwort. Wem das nicht reicht, der ruft die Gründer einfach an; deren Gesprächsbereitschaft ist in jedem Fall gegeben. Dadurch entsteht eine Transparenz, die es in keiner anderen Finanzierungsform gibt. Transparenz schafft eine gute Grundlage für rationales Entscheiden. Trotzdem ist der Mensch kein „Homo oeconomicus“, er lässt sich mitunter nicht vom Ziel der Nutzenmaximierung leiten, sondern auch von seinen Emotionen oder von seinen ethisch-moralischen Werten.

Dass irrationales Verhalten vorhersehbar ist, sieht man nicht nur im Wirtschaftsleben, das Dan Ariely analysiert, sondern beispielsweise an dem psychologischen Phänomen der emotionalen Erpressung in Partnerschaftsbeziehungen. Ariely ist kein Scharlatan, sondern einer von „Vielen“ anerkannter Forscher; auch in seinem Fall täuscht sich die Weisheit der Crowd nicht.

Beste Grüße
Eric

P.S.: Du hast Dirk den Schlaf geraubt. Er hat auf Deine Frage von 03:32 Uhr bereits um 04:56 Uhr geantwortet. Rational ist das nicht erklärbar :-))

Dirk Elsner Oktober 18, 2012 um 12:56 Uhr

Moin Eric,
fairerweise muss ich dazu sagen, es war 5:56. Die Uhr in Wordpress ist nicht auf Sommerzeit umgestellt 🙂

Dirk Elsner Oktober 18, 2012 um 04:56 Uhr

Moin Renee,
ich habe keine Ahnung, was Du unter funktionalem Kriterium der Intelligenz verstehst. Es gibt bestimmte Rahmenbedingungen, unter den Crowdsourcing „bessere“ Ergebnisse bringen soll.
Hinter dem Begriff steht ja mehr als nur das einfache „Einsammeln von Ressourcen“ aus einer Gruppe Freiwilliger. Beim Crowdsourcing als Oberbegriff des Crowdfunings werden besonders die interaktiven Elemente, wie insbesondere die Beteiligung und auch Netzwerkeffekte betont. Daneben werden weitere Erfolgsfaktoren benannt
● Crowd benötigt ein funktionierendes Motivations- und Anreizsystem
● Crowd muss technisch, gestalterisch und kognitiv in der Lage sein, die gestellte Aufgabe zu meistern

Letztlich stellt die Crowd dennoch eine neue Form des Marktes da. Vom Herdentrieb u.a. „Phänomenen“ wird sie sicher nicht befreit sein.

renee.menendez Oktober 18, 2012 um 03:32 Uhr

„Crowdfunding und Social Payments werden unter dem Oberbegriff Alternative Erlösmodelle zusammengefasst.“
Was ist daran „alternativ“, Zinsen anders zu benennen?

Egal!

Mich würde mal wirklich interessieren, was das funktionale Kriterium der Intelligenz des Schwarms ist, welches in diesem Artikel vorgestellt wird. Denn das müßte ein anderes sein als das, was Keynes in seinem Beispiel von der Schönheitskonkurrenz besprochen hatte. Letzteres hatte zum Hintergrund, daß jeder sich diejenige aussucht, von der erwartet wurde, daß sie die größte Chance hat, den Geschmack der „Meisten“ zu treffen – was eine Strategiegeschichte war und nicht dem eigentlichen Kriterium – Schönheitsempfinden – entsprach.

Wie weit ist denn die crowd-Intelligenz davor gefeit, in dieselben Fallen des Herdentriebs zu fallen, wie es sozusagen schon fast üblich ist?

Oder: was ist der Grund dafür, daß eine crowd die üblichen Fehler nicht wiederholt? Dafür muß es ein Kriterium geben… Eine Behauptung genügt nicht! Denn wenn tausend Leute etwas Dummes tun bleibt es – Dumm!

BTW: wer wie Arielle tatsächlich meint, daß Irrationalitäten berechenbar sind, ist ein Scharlatan. Sowas nennt man ‚contradictio in adjecto‘! Es gibt keinen Grund, sich davon beeindrucken zu lassen!

Comments on this entry are closed.

Previous post:

Next post: