Risiko Zombie oder warum es sich lohnt, das Leben zu wagen (2)

by Dirk Elsner on 18. Januar 2013

Gastbeitrag von Ariadne von Schirach*

Direkte Fortsetzung vom 1. Teil, der am 16.1. hier erschienen ist.

Cool sein

 

Und über uns dunkelt farbig der Himmel und am Ende des Universums explodiert eine Galaxie, während die USA fast pleite gehen und Griechenland ebenso und irgendwo jemand ein unerhörtes Bild malt und ein anderer von einer Brücke springt. Wie kann man da meinen, es könne irgendwelche Sicherheiten geben, irgendetwas hier würde Sinn ergeben – als ob das Leben nicht ein unbegreifliches Wunder wäre, herrlich und traurig zugleich. Es geht doch letzten Endes darum, das alles einzusaugen, einen tiefen Zug zu nehmen vom großen Ganzen und zu akzeptieren, dass man selbst nur ein krummes Kleines ist, aus Sternenstaub gemacht, immerhin; den Blick zu heben und zu senken und um sich herumzuschauen und alles zu sehen, was lebendig ist: sich selbst, die anderen Menschen, die Schöpfung. Souveränität ist eine Form der Lebenskunst, der tätigen Anwesenheit im Hellen und Dunklen, im Erhabenen und Niedrigen, verwandt dem, was der amerikanische Essayist Norman Mailer in seinem Aufsatz über den „weißen Neger“  cool genannt hat – diese Eigenschaft, die der Hipster als derjenige, der sein Leben wagt, dem Square, der auf Sicherheit setzt, voraushat. Cool zu sein bedeutet, „(…) eine Situation unter Kontrolle zu haben, weil du dort gewesen bist, wo der Square sich nicht hintraute, weil du dir eines Schmerzes, einer Schuld, einer Scham oder eines Begehrens bewusst geworden bist, die
der andere sich nicht eingestehen kann.“

So fängt es an: den eigenen Ehrgeiz ans Licht zerren, den Größenwahn, die Sehnsucht – nicht ins Licht der Kamera, sondern ins Licht des Bewusstseins. Einatmen. Ausatmen. Sich selbst ansehen, das Ansehen aushalten. Hab’ keine Angst, wir sind alle verrückt, jeder einzelne Mensch ist eine unbegreifliche Welt. Du wirst niemals einem Bild gerecht werden, das du dir von dir machst, es
wird immer etwas schief sein, weil du lebendig bist. Das Leben ist einfach nicht squarezukriegen, auch wenn die immer stärker angstgetriebene Menschheit versucht, sich selbst in einen großen und berechenbaren Datensatz zu verwandeln und die Deals immer brutaler werden und die Zeit immer schneller vergeht.

Die Zombies sind mitten unter uns und es ist kein Zufall, dass Zombiefilme und -bücher und -serien immer populärer werden. Man schöpft Verdacht.

 

Die Zombies sind unter uns

Über Risiken nachdenken. Das größte Risiko ist es, Statist im eigenen Leben zu sein. Das größte Risiko ist es, der aktuellen Erfolgsgeschichte nachzurennen und irgendwann verblüfft festzustellen, dass der Deal leider geplatzt ist. Das größte Risiko ist es, zu existieren, ohne gelebt zu haben. Der Mensch hat einen Hang zur Nichtlebendigkeit. Leben ist anstrengend, Fragen sind anstrengend, den Blick vom Bildschirm aufs Ungewisse zu lenken, ist anstrengend. Vermeidet man jedoch die Anstrengung, wird das Leben immer leerer und sinnloser, werden die Kreise immer kleiner und mickriger und irgendwann ist man einfach gestorben, fast ohne es zu merken. Schau sie dir an, diese Leute mit den leeren Augen. Die Zombies sind mitten unter uns und es ist kein Zufall, dass Zombiefilme und -bücher und -serien immer populärer werden. Man schöpft Verdacht.

Das Problem der Nichtlebendigkeit jedoch, so virulent es auch sein mag, ist uralt und der große Immanuel Kant, der sich seinerzeit schon sehr lustig gemacht hat über all diejenigen, die glaubten, dass etwas von wahrem Wert billig zu haben oder gar käuflich sei, hat dazu in einem
frühen Aufsatz geschrieben: „Die Handlung des Nachdenkens, und der durch die Vernunft aufgeklärten Vorstellung ist ein mühsamer Zustand, darein die Seele sich nicht ohne Widerstand setzen kann, und aus welchem sie, durch einen natürlichen Hang der körperlichen Maschine, alsbald in den leidenden Zustand zurückfällt, da die sämtlichen (gemeint war: sinnlichen) Reizungen alle ihre Handlungen bestimmen und regieren.“

Wenn man nicht nachdenkt, dann kann es passieren, dass man diesen fadenscheinigen Deals auf den Leim geht, dass man in die Knochenpresse der Unterhaltungsindustrie gerät, dass man etwas studiert, was einen nicht interessiert, um Sachen zu kaufen, die man nicht braucht und Leute zu beeindrucken, an denen einem nichts liegt. Dann kann es passieren, dass man das Leben eines anderen lebt. Und irgendwann ist es dann zu spät. Und dieses Bedauern ist so bitterlich, dass man nur davon flüstern kann, ganz leise. Denn trotz der ganzen Ungewissheit und ihrer Verteidigung ist alles kein Spiel – oder besser: Es ist das ernsteste Spiel der Welt und der Einsatz ist dein Leben und alles zählt und auf alles kommt es an und wer feige ist und bequem und ignorant, der hat
schon verloren. Das größte Risiko ist es, das Leben nicht zu wagen, abzuwarten, dass irgendwann irgendetwas geschieht und währenddessen einfach mal in vorauseilendem Gehorsam zu machen, was man eben so macht. Und was heißt es jetzt, das leben zu wagen? Innehalten. Abstand nehmen. Die eigenen Wünsche besehen und sich fragen, ob man das selbst will oder ob man nur  gelernt hat, es zu wollen. So verwandeln sich die Wünsche langsam in Gründe. Und irgendwann kann man vielleicht sagen: „Darum lebe ich.“ An allem schnuppern, sich alles zu eigen machen, selbst urteilen, sich vertrauen, dem Leben vertrauen, aufmerksam bleiben. Die Liebe wagen, es aushalten, ein lächerlicher Idiot zu sein mit einem Schmetterling auf dem Kopf, zu sich stehen, zu seinen Nächsten stehen, alles annehmen, nichts verurteilen, empfindsam bleiben und niemals das Staunen verlernen. So lebt man dort, wo der Square sich nicht hintraut und es stellt sich irgendwann vielleicht echte Souveränität ein, eine Souveränität, die nur entsteht, wenn man es wagt, Mensch zu sein in allen nur erdenklichen Situationen. Oder wie der Science-Fiktion Autor
Robert A. Heinlein es ausdrückt: „Ein menschliches Wesen sollte in der Lage sein, Windeln zu wechseln, eine Invasion zu planen, ein Schwein zu schlachten, ein Haus zu entwerfen, ein Schiff  zu steuern, ein Sonett zu schreiben, Buchhaltung zu beherrschen, eine Mauer zu errichten, einen Knochen zu schienen, einen Sterbenden zu trösten, Befehle zu akzeptieren, Befehle zu erteilen, mit anderen zusammenzuarbeiten, selbständig zu handeln, eine Gleichung zu lösen, ein Problem zu analysieren, einen Stall auszumisten, einen Computer zu programmieren, ein gutes Essen zu kochen, effektiv zu kämpfen und schließlich ritterlich zu sterben. Spezialisierung ist was für Insekten.“


* Ariadne von Schirach ist Philosophin, freie Journalistin und Sachbuchkritikerin bei Deutschlandradio Kultur. Gerade schreibt sie an ihrer Dissertation über Lebenskunst im 21. Jahrhundert. Dieser Beitrag ist in Agora 42, Ausgabe 5/2011 erschienen und von der Redaktion verfasst. Agora ist ein zweimonatlich erscheinendes Print-Magazin für Ökonomie, Philosophie und Leben. Der Beitrag ist urheberrechtlich geschützt und wird mit Erlaubnis der Redaktion und der Autorin hier online gestellt.

Dominic Januar 18, 2013 um 17:56 Uhr

WOW – Klasse Essay! Vielen herzlichen Dank!

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