Am 15. Februar hat Dirk Elsner an dieser Stelle über die Unfähigkeit der traditionellen Finanzinstitute berichtet, auf die aktuellen Trends bei mobilen Zahlungssytemen einzugehen. Der Text war betitelt „Die Angst der Banken vor dem Mobile Payment„, doch stellt sich mir die Frage, ob nicht mehr dahinter steckt als Angst. Im Finanzbereich scheint es eine ausgeprägte generelle Unfähigkeit zu geben, neue Erkenntnisse zu gewinnen und in Handeln umzusetzen.
Symtomatisch für diese allgemeine Lernverweigerung ist insbesondere der Umgang mit der Finanzkrise und ihren Konsequenzen. 2008 herrschte an den Kapitalmärkten das nackte Grauen. Das Weltfinanzsystem war durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers in seinen Grundfesten erschüttert. Vor Kurzem noch als grundsolide angesehene Finanzunternehmen wie AIG, Merrill Lynch, Royal Bank of Scotland oder Hypo Real Estate benötigten Rettungsaktionen im Umfang von Hunderten von Milliarden Euro. Die stark vom Finanzsektor abhängigen Volkswirtschaften in Westeuropa und Nordamerika mussten einen scharfen Einbruch hinnehmen, der die gesamte Weltwirtschaft in die Rezession riss.
Inzwischen hat sich die Lage mit Ausnahme von Südeuropa wieder weitgehend stabilisiert, von einer wirklichen Erholung kann aber auch keine Rede sein. Denn die der Finanzkrise zugrunde liegenden Probleme sind nicht wirklich angegangen worden. Dies ist eigentlich erstaunlich, weil schon bald nach dem Einbruch in der Öffentlichkeit eine umfassende Diskussion über die Gründe der Finanzkrise einsetzte.
Inzwischen ist relativ klar, warum das Desaster kam und warum es viel schlimmer war als bei vorangegangenen Schuldenkrisen. Da war zum einen der sorglose Umgang sowohl von privaten wie staatlichen Schuldnern mit einer Erhöhung ihrer Verbindlichkeiten. Weiterhin hat eine an kurzfristigen Verkaufserfolgen orientierte Bonuskultur Bankmitarbeiter zum Eingehen von unverantwortlichen Risiken ermutigt. Diese Risiken wurden mit Hilfe von neuartigen Finanzinstrumenten „umverpackt“ und damit quasi unsichtbar gemacht. Ratingagenturen und Investmentbanken vermittelten dann mit Hilfe von mathematisch komplexen Risikoansätzen eine Scheinsicherheit für viele Finanzanlagen, die einer Konfrontation mit der Realität nicht standhielt. Eine mangelnde Kapitalisierung bei vielen Finanzinstituten führte dann dazu, dass sie einer plötzlich verschlechterten Risikosituation nicht gewachsen waren. Hinzu kam, dass eine realitätsferne Wirtschaftswissenschaft sich lieber mit abstrakten Modellen als mit konkreten Sachverhalten beschäftigt hatte und den Ereignissen in der wirklichen Welt dann völlig ratlos gegenüberstand.
Nun könnte man meinen, alle diese Erkenntnisse müssten zu grundlegenden Änderungen geführt haben. Wenn man sich aber die Konsequenzen anschaut, die bisher gezogen worden sind, muss man feststellen, dass bisher nur ein Problem angegangen wurde: die Rekapitalisierung der Banken. Damit hat man aber nur die Anfälligkeit des Finanzsektors gegenüber der nächsten Krise vermindert. Die eigentlichen Ursachen der Krise sind nach wie vor vorhanden und werden von vielen Verantwortlichen ignoriert.
Nimmt man den Umgang mit Bonusregeln als Beispiel, so zeigt sich, wie gut es der Finanzbrache bisher gelungen ist, Konsequenzen zu umgehen. Eine der erfolgreichsten Banken der letzten Jahrzehnte – Handelsbanken aus Schweden – hat Boni schon vor Jahrzehnten abgeschafft. Stattdessen werden Mitarbeiter über ein spezielles Programm am langfristigen Erfolg der Bank beteiligt. Dieses Beispiel wird aber von der übrigen Branche geflissentlich ignoriert. Dafür wird immer wieder argumentiert, man benötige Bonuszahlungen, weil man nur so gute Mitarbeiter bekommen und halten kann. Warum angeblich gute Mitarbeiter aber vor allem kurzfristige Leistungsanreize benötigen, bleibt schleierhaft. Vielmehr dürfte das krampfhafte Festhalten an Bonusprogrammen damit zu tun haben, dass sie die Selbstbedienung von Finanzmanagern erleichtern.
Ein besonderes schönes Beispiel für die Vermeidung von Lerneffekten ist das Festhalten an Risikomodellen wie „Value at Risk“ bei der Steuerung von Bilanzrisiken. Die grundsätzlichen Mängel dieses Ansatzes sind schon seit Jahrzehnten bekannt. Speziell 2008 war „Value at Risk“ für gravierende Fehleinschätzungen und enorme Verluste verantwortlich. Dies hat jedoch nichts an der Popularität dieses Ansatzes geändert, was nach wie vor die bekannten Nebenwirkungen mit sich bringt. So musste Morgan Stanley einen Handelsverlust von mehreren Mrd. US$ für das dritte Quartal 2012 bekannt geben, für den vor allem die Risikosteuerung per „Value at Risk“-Modell verantwortlich war. Die Konsequenz: Einige Parameter für das Modell wurden geändert, ansonsten wird weitergemacht wie bisher. Und als Bestätigung für diese Vorgehensweise hat sich das Management von Morgan Stanley auch noch die Genehmigung von den Finanzaufsichtsbehörden hierfür geholt. Die Frage muss erlaubt sein: Wie ignorant kann man eigentlich sein?
Den größten Reformstau gibt es aber wahrscheinlich in den Wirtschaftswissenschaften. Schon vor der Krise hatten viele Kritiker bemängelt, dass eine zunehmende Mathematisierung der Ökonomie auch eine wachsende Realitätsferne mit sich bringt. Und auch heutzutage noch kann ein Student seinen Abschluss in einem wirtschaftswissenschaftlichen Fach machen, ohne das Wort Finanzkrise je gehört zu haben. Stattdessen werden junge Ökonomen vorwiegend darin trainiert, aus hochkomplexen mathematischen Modellen relativ banale Aussagen abzuleiten. Nur ist leider der Erkenntniswert einer solchen Gehirnakrobatik gleich null. Diese Ausbildung führt realitätsfernen Rechenkünstlern, die von der realen Wirtschaft rein gar nichts verstehen. Allerdings sind diese „Wissenschaftler“ dann perfekt dafür geeignet, sich neue Modelle zur Verschleierung von echten Risiken auszudenken.
Eine vom Swiss Finance Institute herausgegebene Studie zeigte 2011, dass die schlechtesten Banken während der Asien- und Russlandkrise 1998 auch die größten Verlierer 2008 waren. Die Prognose liegt nahe, dass genau diese unlängst mit Staatsgeld geretteten Institute auch in der nächsten Finanzkrise wieder Milliardengelder versenken werden.
Ob die mangelnde Bereitschaft, die richtigen Konsequenzen aus grundlegenden Erfahrungen zu ziehen, an ungenügender Lernfähigkeit oder Lernunwilligkeit liegt, weiß ich nicht. Solange man sich aber an den richtigen Schlussfolgerungen vorbeidrückt, bleibt das Weltfinanzsystem inhärent instabil. Mit restriktiveren Eigenkapitalvorschriften für die Banken wurde bisher vor allem eines erreicht: Die Kreditvergabe ist deutlich schwieriger geworden und damit auch die wirtschaftliche Erholung. Zudem werden diese kaum etwas nützen, wenn im Vorfeld der nächsten Krise verquere Risikoansätze und falsche Anreizstrukturen die Banker wieder zu den gleichen Fehlern wie im vergangenen Jahrzehnt verleiten.
Noch ist es nicht zu spät.
Der Text erschien in leicht abgewandelter Form bereits in: Mit ruhiger Hand vom 5. November 2012
Im Text wurde auf die Studie „This Time Is the Same: Using Bank Performance in 1998 to Explain Bank Performance During the Recent Financial Crisis“ von Rüdiger Fahlenbrach, Robert Prilmeier & Rene M. Stulz Bezug genommen
Da stimm ich dir voll und ganz zu. Mit den neuen Regelungen wird es für unsere Wirtschaft nicht wirklich einfacher. Allerdings ist es schwer nach einer solchen Krise den richtigen Weg zu finden. Immerhin lag das vorwiegende Problem bei den Krediten und das diese zu leichtfertig ausgeteilt wurden.
Allein durch diese Regelung wird man Banker und andere allerdings nicht daran hindern irgendwann wieder hohe Risiken einzugehen. Der mögliche Gewinn ist viel zu verlockend und viele sind damals mit einem blauen Auge davon gekommen. Die wirklichen Leittragenden waren in der Regel andere.
Warum es an Lernfühigkeit mangelt und warum es dann immer wieder blankes
Entsetzen gibt kann ich aus rein persönlicher Sicht und Erfahrung anhand
andere Aspekte bestätigen, vielleicht erklären helfen.
Vor vielen Jahren habe ich mir England mal eine Jacke auf dem Flohmarkt (boot fair)
gekauft. Wei sie mir gefiel und weil ich ein entsprechendes Kleidungsstück brauchte wenn ich zur Bank ging, dort zu tun hatte. Ich hatte ein kleines Sparkonto bei einer
britischen Bank in Zeiten als es dort recht nette Sparzinsen gab. Die passende
Kleidung dafür wie schon Räuberzivil. Man kam mit den Angestellten leichter
zurecht, alles war gleich viel entspannter und nicht unwesentlich, mit den recht
hübschen weiblichen Angestellten kam man auch viel leichter ins Gespräch.
Das war natürlich auch ein Witz, eine diskutierte Möglichkeit, unter Bekannten
wie man hübschen Frauen kennen lernen kann.
Für mich wurde die Flohmarktjacke zu einer Art Glücksjacke, auch finanziell.
Ich erhielt immer die besten Konditionen, erhielt oft wirklich gute und ehrliche
Ratschläge, hatte es recht leicht.
Ich behielt diese Methode bei. Wann immer es um Geld ging musste eben
dieses Outfit her. Dann kamen die Nullerjahre. Es kam, von den USA ausgehend,
der Krieg, immer aggressivere Werbung, „conspicous consumption“ a la Thorsten
Veblen wurde teilweise Weltreligion und man wollte irre schnell mittels
Spekulationen immer reicher werden.
Meine Flohmarktjacken erhielten erneute, diesmal nahezu dramatische
Bedeutung. Die Leute im Geldwesen, insbesondere jene die mit Geldanlage
und dergleichen zu tun hatten, waren vollgeblasen mit Lifestyle, Luxusmarken,
und entsprechenden Schicklichkeitswerten. Nicht alle, aber oft genug. Eine
Flohmarktjacke und ensprechene altgediente Jeans genügten um wen aus dem
Konzept zu bringen. Es waren diese Lifestyle – Normen woran sich nur allzuviele
orientierten. Oder drastischer gesagt, jenes Stroh, dass sie im Kopf hatten
dass dann zwangsläufig in der Krise abbrannte und warum an den Finanzmärkten
das blanke Grauen und Entsetzen herrschte.
Da editieren leider nicht geht
„Solange man sich aber an den richtigen Schlussfolgerungen vorbeidrückt, bleibt das Weltfinanzsystem inhärent instabil. Mit restriktiveren Eigenkapitalvorschriften für die Banken wurde bisher vor allem eines erreicht: Die Kreditvergabe ist deutlich schwieriger geworden und damit auch die wirtschaftliche Erholung.“
Das System ist instabil weil es ein Betrugsystem ist. Weil es ein Zellulosezwangszahlungsmittelsystem ist. Was daran schlecht sein kann eine Kreditexpansion einzudämmen, kann mir niemand plausibel erklären. Offensichtlich bevorzugt auch der Autor den totalen Zusammenbruch der Währung. Oder kann er folgendes überzeugend wiederlegen?
„Es gibt keine Möglichkeit, den finalen Zusammenbruch eines Booms zu verhindern, der durch Kreditexpansion erzeugt wurde. Die einzige Alternative lautet: Entweder die Krise entsteht früher durch die freiwillige Beendigung einer Kreditexpansion – oder sie entsteht später als finale und totale Katastrophe für das betreffende Währungssystem. “
Derartige Gesundbeterei geht mir wirklich gegen den Strich. Lernfähigkeit wird gefordert aber wo gezeigt?
„Das Weltfinanzsystem war durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers in seinen Grundfesten erschüttert. Vor Kurzem noch als grundsolide angesehene Finanzunternehmen wie AIG, Merrill Lynch, Royal Bank of Scotland oder Hypo Real Estate benötigten Rettungsaktionen im Umfang von Hunderten von Milliarden Euro. “
Oh ja der Mythos vom weisen Eingriff durch Staaten. Und wie stabil können „grundsolide“ Finanzunternehmen wohl sein, die bis über beide Ohren verschuldet und gehebelt waren. Das ist schon nicht mehr ermüdend sondern „nur“ noch peinlich.
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