Schirrmachers EGO nach der Walking Dead-Apokalypse oder wenn jeder nur an sich denkt

by Dirk Elsner on 11. März 2013

In letzter Zeit habe ich ja das zweifelhafte Vergnügen, viel mit dem Zug zu fahren. Meist nutze ich die Zeit für die Zeitungs- und Weblektüre. Seit ich aber den Kindle entdeckt habe (meine Frau und Stephan Ewald sind daran schuld), genieße ich es, abseits der Tageshektik damit meinen viel zu groß geworden Stapel ungelesener Bücher zu reduzieren. Das erste Buch, das ich auf meinem Kindle durch gelesen habe war Frank  Schirrmachers neues Werk “EGO-Das Spiel des Lebens”.

Das Buch hat mich fasziniert und deprimiert. Schirrmacher betrachtet darin die Wirtschaftswelt wie hinter dem Schleier einer großen Verschwörungstheorie, die durch diejenigen gesteuert werden, die die EGO-Automaten “programmieren”. EGO-Automaten sind, so übersetze ich einmal frei, die Verhaltensweisen, Strategien und Algorithmen, die den Nutzen der jeweiligen Spieler maximieren. Und Spieler ist hier der passende Ausdruck, denn der FAZ-Herausgeber betrachtet viele aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise durch die spieltheoretische Brille.

Er befeuert damit erneut die Debatte über das Menschenbild in unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Sind wir rationale Wesen, dieaus mehreren Alternativen für uns persönlich immer die optimale Wahl treffen? Denken wir also, wie von der Neoklassik und den Vertretern der Spieltheorie angenommen, nur an uns oder sehen wir auch die Vorteile der Kooperation? Ich finde, Schirrmacher hat ein sehr pessimistisches Buch abgeliefert und betrachtet die Spieltheorie für meinen Geschmack zu einseitig. Er ignoriert die Vorteile, die uns die EGO-Automaten in den letzten Jahrzehnten beschert haben und führt nicht konsequent zu Ende, wohin uns das Spiel eines Tages hinführen könnte. Dies macht für ihn der Comicautor Robert Kirkman. An Schirrmachers Buch musste ich nämlich zwangsläufig denken, als ich den nachfolgenden Filmausschnitt aus der auf Kirkmans Comic basierenden TV-Serien “The Walking Dead” sah.

Die US-Endzeitserie “The Walking Dead”  befasst sich durchgehend mit den Konflikten Kooperation vs. Egoismus oder Vertrauen vs. Opportunismus. Und wohin das führen kann, wenn eine Gesellschaft nicht mehr vertraut und nur noch an das eigene Wohl (hier das Überleben der eigenen Gruppe) denkt, zeigt dieser kurze Trailer zur 12. Folge unter dem Titel “Clear” der 3. Staffel:

Im Auto sitzen drei Hauptcharaktere, die man in üblichen Schwarz-Weiß-Schemata zu den Guten rechnen würde. In dieser genialen Fernsehserie verändern sich aber permanent die Verhaltenslinien in und zwischen den verschiedenen Gruppen. The “Walking Dead” zeigt anschaulicher als jedes Gefangendilemma-Spiel, wohin es führt, wenn man nicht mehr vertrauen kann. Wer jetzt sagt, die Konsequenz daraus ist, wir müssen mehr vertrauen, der sollte sich die dritte Staffel dieser Serie ansehen, denn sie zeigt ebenfalls, dass die einseitige Kooperationsbereitschaft noch mehr Nachteile bringen. Ich habe bisher noch keine TV-Serie erlebt, die so bestechend deutlich mit Grenzüberschreitungen jongliert. Hernán D. Caro schrieb dazu in der FAZ: “Mit der Linie zwischen Leben und Tod verrottet auch die Grenze zwischen Gut und Böse.”

Vor der bedrohlichen Kulisse der Apokalypse der Untoten stellt die Serie die gruppeninternen Konflikte in gesellschaftlichen Extremsituationen dar und die Spannungen mit Außenstehenden. Wikipedia schreibt dazu: “Teilweise gibt es massive Konflikte um weitere Vorgehensweisen, Standpunkte und moralische Werte, darunter Themen wie Selbstmord, Abtreibung, „Präventivtötung“ von Infizierten und potentiell gefährlichen Gefangenen, Rassismus und andere, ebenso brisante Dinge, die die Gruppe stark belasten und die einzelnen Personen im Lauf der Zeit langsam aber sicher verändern. Der Schwerpunkt liegt also auf der Frage, wie sich die Menschen verändern, wenn ihnen ihr gewohntes Leben weggenommen wird und sie plötzlich um Dinge, die sie für selbstverständlich hielten, kämpfen müssen.”

Zugegeben, die Serie, und insbesondere die dritte Staffel, zeichnet ein sehr pessimistisches Bild vom Zusammenleben unter Extrembedingungen und mangelnder Kooperationsbereitschaft. Sie überzeichnet aber auch den Schaden, den man erleiden kann, wenn man dem vermeintlich Guten vertraut. Aber damit baut Kirkmans Serie eine Metapher zu der heutigen Zeit und Schirrmacher Buch. Vertrauen wird unter den EGO-Algorithmen zu einer Ware wird, die dann eingesetzt wird, wenn sie einem selbst nutzt.

The Walking Dead lebt von der Düsternis, die durch die entsättigten Farben eindrucksvoll filmisch umgesetzt wird. Eine ähnliche Beklemmung liegt freilich auch über Schirrmachers Buch, das nebenbei ein Wissensfüllhorn ist, dessen Inhalte ich mir für spätere Blogeinträge bewahre.  Ich weiß nicht, ob Schirrmachers EGO-Automaten zwangsläufig zu der Metamorphose führen, die der Vorstadtpolizist Rick Grimes durchmacht. Abseits von Schirrmacher und Kirkman existieren genügend Belege dafür, dass in Not geratene Menschen auch Fremden gegenüber deutlich hilfsbereiter sind, als dies die Protagonisten dies in diesem Video demonstrieren. Selbst in der Heimatstadt der Wall Street, in New York, soll man das nach dem Wirbelsturm Sandy im vergangenen Jahr gespürt haben.

PS 1

In der Schlussszene der Folge, untermalt von Jamie N Commons Lead Me Home, fahren die Insassen an den körperlichen Überresten eines Menschen vorbei und sehen wenige Meter später den Rucksack des fremden Mannes. Sie stoppen und packen den Rucksack ein.

PS 2

Der von Schirrmacher sehr stark kritisierte John Nash hat gerade als Co-Autor einer Studie festgestellt, dass sich Kooperation langfristig auszahlt. Gut zusammengefasst hat das Johannes Pennekamp im FAZit-Blog der FAZ:

“Im Labor zeigte sich, dass die Probanden sich zwar anfangs eigennützig verhalten und ihre starke Position in hohe persönliche Gewinne ummünzen. Langfristig jedoch führt das demokratische Verfahren zum Ausgleich der Interessen zwischen starken und schwachen Gruppenmitgliedern. Eigennützige Repräsentanten werden abgestraft und von der Gruppe diszipliniert. “Durch ein als fair anerkanntes Wahlsystem können Konflikte entschärft und Kooperation geschaffen werden”, folgern die Autoren. Die Bereitschaft, in einem gewissen Maße auch ungleiche Behandlung zu akzeptieren, steige, wenn das Wahlverfahren gerecht sei.”

Nachtrag

Das Mises Institu befasste sich ebenfalls mit dieser Folge in: Economic Isolationism in The Walking Dead


Weitere Besprechung der Serie The Walking Dead auf ZEIT Online.

Reviews der hier erwähnten Folge (Spoilerwarnung)

Stich März 13, 2013 um 11:05 Uhr

Interessanter Kommentar zu Schirrmachers Buch. Die Debatte um die Balance von Kooperation und Egoismus ist wichtig und hat auch Konsequenzen für die aktuelle Wirtschaftskrise in Europa.

Wenn wir den Befürwortern einer staatlichen Konjunkturpolitik folgen möchten, dann stellt sich die Frage, wie die Mittel möglichst produktiv in den Krisenländern investiert werden können. Und da fehlt es eventuell am gesellschaftlichen Vertrauen ineinander, so dass ironischerweise gerade die als weniger kapitalistisch wahrgenommenen Länder wie Griechenland und Italien möglicherweise am Egoismus der Eliten (und der breiten Bevölkerung) scheitern. Wenn jeder seinen Nutzen möglichst schnell maximieren möchte, kann keiner darauf vertrauen, dass gemeinschaftliche Anstrengungen auch gemeinschaftlichen Nutzen nach sich ziehen. Also stellt sich die Frage, ob man den Aufbau einer Gesellschaft, in der man sich gegenseitig mehr vertraut, beschleunigen kann.

Die Debatte ist interessant, mit Schirrmachers Buch kann ich dagegen nichts anfangen. Ich hoffe, in späteren Blogeinträgen über die Erkenntnisse aus dem „Wissensfüllhorn“ zu lesen.

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