Blogparade Vollbeschäftigung: Was Babyboomer und Abiturienten dazu denken #afa

by Dirk Elsner on 3. Mai 2013

Von Dirk Elsner (49) und Jodie Ann Ernsting (19)

Das ist eine sehr spannende Blogparade, zu der die FAZ am letzten Sonntag auf Fazit aufgerufen hat . Das Oberthema Vollbeschäftigung, dem die FAS am vergangenen Wochenende immerhin ein eigenes Buch widmete, klingt zwar zunächst nach einem klassischen Makrothema für Volkswirte, aber so wollen wir das hier nicht behandeln. Das können andere viel besser. Wir wollen das aus zwei Sichten betrachten: Aus der Sicht eines Babyboomers (Dirk Elsner), der aber noch weit von der Rente entfernt ist und der Sicht einer Abiturientin (Jodie Ann Ernsting), die in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmarkt ankommen wird.

Ein Blick zurück: Vollbeschäftigung in den 70ern

Dirk: Nur aus meiner Kindheit erinnere ich mich noch sehr dunkel an ein Zeitalter der Vollbeschäftigung, das heute zunehmend mystifiziert wird. 1,2% betrug im Jahr 1973 die Arbeitslosigkeit. Später lernte ich, das Ökonomen dies als Vollbeschäftigung ansehen.

Die Wirtschaftswunderzeit endete dann mit den Ölpreiskrisen und schockte Deutschland mit Massenarbeitslosigkeit.

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Quelle der Grafik: Wikipedia – Arbeitlosenstatistik

Massenarbeitslosigkeit als Dauerbegleiter für Babyboomer

Dirk: Das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit hat uns Babyboomer während der Schul- und Ausbildungszeit stets begleitet. Vielleicht war es sogar ein zentraler Antrieb dafür, immer etwas mehr zu tun als man wollte oder konnte. Über nahezu allen Arbeitnehmern lag eine latente und versteckte Drohung der Arbeitslosigkeit, wenn man nicht “funktionierte”. Eine ganze Generation von Vorgesetzten dürfte das mitgeprägt haben, in dem viele mit dieser Drohung spielten und dadurch zusätzlichen Druck ausüben konnten.

Ist jungen Leute heute eigentlich bewusst und wir wird das in Schule und unter Freunden diskutiert, dass es ein Zeitalter der Vollbeschäftigung geben könnte?

Jodie: Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass wir in der Schule oder im Freundeskreis jemals das Wort “Vollbeschäftigung” benutzt haben. In Deutschland soll ein ausgeglichener Arbeitsmarkt herrschen, in dem jeder Arbeit hat und glücklich und zufrieden ist?

Das widerspricht jeglichen Floskeln, die uns Abiturienten des Jahrgangs 2013 seit 12 bzw. 13 Jahren jeden Tag eingetrichtert werden: “Ihr müsst euch anstrengend!” “Es gibt kaum Jobs!” “Ihr müsst 200% geben, um überhaupt irgendeine Chance zu haben!”. Und plötzlich soll alles super werden? Wie das?

Beim besten Willen, ich kann nicht glauben, dass das funktionieren soll. Wie denn auch?

Immer mehr Abiturienten entscheiden sich gegen ein Studium und beginnen eine Ausbildung, gerne auch eine kaufmännische, die normalerweise die Jugendlichen mit Realschulabschluss angestrebt haben.

Was folgt? Die Abiturienten nehmen den Realschülern ihre Ausbildungsplätze weg, die Realschüler den Hauptschülern, ja und die? Die stehen dann mit leeren Händen da.

Also ist eine Vollbeschäftigung in meinen Augen momentan absolut nicht realisierbar.

Welche Gedanken machen sich heute Einsteiger über Arbeitslosigkeit

Jodie: Wie schon gesagt, wurde uns seit der fünften Klasse jeden Tag erzählt, dass wir eigentlich gar keine Chance auf einen Studienplatz, geschweige denn einen Job haben, also spielt das Thema “Arbeitslosigkeit” in unserem Leben eine sehr große Rolle und das, obwohl wir noch nicht mal ganz mit unserer Schulausbildung fertig sind.

Viele von uns gehen davon aus, dass wenn sie keinen 1er Durchschnitt haben, sie nach dem Abitur eh erst mal mit Nichts oder einem “Freiwilligen sozialen Jahr” (bei Abiturienten auch bekannt als “Ich suche mich dann mal nen Jahr selbst..”) anfangen, erst Recht, da jetzt ein Doppeljahrgang mit G8-Schülern auf den Markt kommt, die, wie man in den 3 gemeinsamen Jahren oft gesehen hat, noch mehr gedrillt wurden, als wir.

Die Zeit des Abiturs sollte doch für uns alle noch eine Zeit des Träumens sein, in der uns alle Türen offen stehen und wir machen können, was immer wir wollen, doch die Realität zeigt uns, dass wir keine Zeit zum Träumen haben, sondern uns den Fakten der Arbeitswelt stellen müssen und die heißen nun mal oft ”Kompromisse eingehen” oder “Arbeitslosigkeit”.

Wie könnte dies die Arbeitswelt verändern?

Dirk: Heute ist noch keineswegs gesichert, dass wir wirklich bald eine Welt der Vollbeschäftigung erleben könnten (siehe dazu aber Patrick Bernau Vollbeschäftigung? Unglaublich, aber wahr). Selbst über der deutschen Wirtschaft hängen durch die europäische Schulden- und weltweite Finanzkrise immer noch tiefe Gewitterwolken, die sich durch einen großen Knall entladen könnten.

Gleichwohl spüren schon heute viele Unternehmen die Folgen eines abnehmenden Arbeitskräfteangebots. Es wird schwerer “qualifizierte Bewerber” zu finden. Der über Jahrzehnte gewohnte Trend bei vielen Stellenausschreibungen aus einem großen Pool anspruchsvoller Kandidaten auswählen zu können, ist längst gebrochen. Mittlerweile fragen sich Unternehmen, was sie bieten müssen, damit sich junge Leute überhaupt bei ihnen bewerben. Das hat z.B. auch Konsequenzen für die Qualifikation. Man wartet nicht mehr auf den Endzwanziger mit 10 Jahren Berufserfahrung, kurzer Studienzeit, ausseruniversitärem Engagement und Top-Abschluss, sondern gibt sich mit weniger Ansprüchen zufrieden und qualifiziert selbst weiter. Lange Zeit zu Unrecht diskriminierte Kräfte, wie Mütter, die zurück in die Berufswelt wollten, oder ältere Arbeitnehmer werden plötzlich entdeckt.

Einen positiven Einfluss dürfte die Vollbeschäftigung auf die Führungskultur in vielen Unternehmen haben. Der Tyrann, der seine Mitarbeiter herunter putzt, ausbeutet und mit Drohungen unter Druck setzt, hat genau so ausgedient, wie der Schwätzer, der sich selbst zu Lasten seine Mitarbeiter in Szene setzt. Unternehmen können sich die Schnacker in den Chefetagen schlicht nicht mehr leisten, wenn sie junge Mitarbeiter motivieren und halten wollen. Des Mitarbeiters Freude ist des Arbeitgebers Last, denn die Unternehmen können nicht mehr aus einer so großen Reserve auswählen. Das dürfte bei steigenden Kosten ihre Produktivität verringern.

Jodie: Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass es so etwas in den nächsten Jahren geben wird, glaube ich, dass es den Jugendlichen oder generell den Menschen einen enormen Druck, der auf ihnen lastet, nehmen würde.

Wir könnten uns wieder mehr darauf besinnen, was wir eigentlich schon immer aus uns und unserem Leben machen wollten und müssten nicht ständig im Hinterkopf haben, ob uns das auch genug Geld und Sicherheit bietet.

Wenn wir wüssten, dass wir immer wieder “zurück” können und die Sicherheit im Rücken haben, dass, wenn wir scheitern, wir doch irgendwo wieder einen Job finden, würden sich viel mehr Menschen trauen ihre Träume wieder versuchen zu realisieren.

Man müsste sich nicht immer Gedanken um Morgen machen, sondern könnte im Heute leben und die Dinge viel mehr genießen.

Ändert sich so etwas wie das Leistungsethos?

Dirk: Das ist schwer zu sagen. Ich nehme aber schon heute in der Zusammenarbeit mit jüngeren Kollegen eine Veränderung der Wertekultur wahr, was immer man darunter auch versteht. Bemerkbar macht sich das an einer geringeren Verlässlichkeit, mehr Unverbindlichkeit und auch einer vielleicht sogar abnehmenden Leistungsbereitschaft bei einem Teil jüngerer Arbeitnehmer. Ein gefühlt höherer Anteil legt mehr Wert auf eine persönliche Live-Work-Balance zum eigenen Gunsten. Auch die Loyalität zu den Arbeitgebern hat deutlich abgenommen. Dies ist für mich allerdings kein durch die Aussicht auf Vollbeschäftigung heranwachsendes Phänomen, sondern ganz klar Resultat bestimmter Managementmethoden, die Kennzahlen über Menschen stellen. Wer sein Unternehmen so führen lässt, dass allein ein ökonomisch rationales Optimum zählt, darf sich nicht wundern, wenn sich die Mitarbeiter ebenso optimieren.

Jodie: Die Veränderung sieht man in meinem Jahrgang ganz deutlich. Wir sind ja aus 2 Jahrgängen G8 und G9 zusammengewürfelt worden (hier nochmal einen herzlichen Dank an die Verantwortlichen) und wenn man in die Räume sah, konnte  jeder auf den ersten Blick erkennen, wer das reguläre Gymnasium machte und wer ein Jahr weniger Zeit hatte.

Während wir (letzter G9 Jahrgang in NRW) herumliefen, laut und kein Stück konzentriert waren, erledigten die G8er still und fleißig ihre Aufgaben. Am Anfang war das für uns doch echt befremdlich, aber nachdem man sich ausgetauscht und sich daran gewöhnt hatte, dass die Jüngeren immer doppelt so lange Aufsätze, bessere Noten und immer doch noch eine extra Aufgabe mehr hatten, klärte sich irgendwann das Geheimnis – die waren von oben bis unten auf Erfolg programmiert worden!

Ob sich der Leistungsethos in den Menschen wirklich verändert, wage ich zu bezweifeln, aber wir werden in der Schule anders erzogen, da wir uns jeden Tag anhören, dass wir eigentlich eh keine Chance haben und besser sein müssen als perfekt.

In der Oberstufe färbte dieser “Kampfgeist” auch auf uns ab und wir wurden ein Stück weit zu Robotern, die die Sprüche unserer Lehrer verinnerlicht hatten und diese weiterführen. Der verbesserte Leistungsethos ist meiner Meinung nach ein Werk der “Gehirnwäsche” des Schulsystems und nicht ein genereller Wandel im Denken der Jugendlichen.

Was könnte Vollbeschäftigung für die Chancengleichheit bedeuten

Dirk: Wer meinen Blog regelmäßig liest, der weiß, dass ich Chancengleichheit für einen großen Mythos halte. Aber hier soll es mehr um die Wirtschaftspraxis gehen. Hier also ein Beispiel, wie wir uns etwas mehr in Richtung Chancengleichheit bewegen könnten: Als ich Anfang der 2000er Jahre für bestimmte qualifizierte Aufgaben im Wertpapiergeschäft keine geeigneten Mitarbeiter fand, sprach ich mit einer im Mutterschutz befindlichen ausgezeichneten Führungskraft, und wir überlegten, wie wir sie zurück in den Job bekamen ohne die Familienbalance zu gefährden. Bei unserem damaligen Arbeitgeber, einer Bank, waren wir Exoten, die mit viel Abstimmungsaufwand an einem Pilotprogramm teilnahmen, um Mütter durch eine Kombination von Teilzeit und Heimarbeit zurück zu bekommen. Das hat sich so gut bewährt, dass ich kurz darauf die nächste Frau über diesen Weg zurückholte und diese Führungsaufgaben übernehmen ließ. Viele wollten damals einfach nicht wahrhaben, wie motiviert und effizient Frauen trotz der Doppelverpflichtung arbeiten, denen die schnelle Rückkehr in den Beruf auf anspruchsvolle Aufgaben ermöglicht wird. Heute hat sich das in vielen Unternehmen zum Standard entwickelt.

Wie leben junge Leute, wenn sie nicht mehr ihren Lebenslauf optimieren müssen?

Dirk: Ich könnte jetzt schreiben, dass ich es immer abgelehnt habe, meine Lebenslauf unter Karrieregesichtspunkte zu optimieren. Bei einer klassischen Bankausbildung und einem angeschlossenen Studium wirkt das allerdings wenig glaubhaft. Tatsächlich gehörten in den 80er Jahren ständig bestimmte Empfehlungen zur Karriereplanung zum Standard aller persönlichen und schriftlichen Ratgeber. Heute würde ich sagen, dass darunter eine ganze Menge oder alles Bullshit war. Ich habe das während des Studium gemerkt, als ich zunächst glaubte mich mit Vorlesungen zu Steuern und Rechnungswesen und Operation Research glaubte quälen zu müssen. Ich habe diese must haves nach wenigen Wochen aufgegeben und mir dann für das Hauptstudium die Fächer ausgesucht, die mir Spaß machten. Meinem Abschluss hat das sehr gut getan und meiner Begeisterung für Wirtschaftsthemen auch.

Jungen Leuten würde ich heute empfehlen, sucht Euch erst einmal das, was Euch interessiert und haltet Euch nicht an Empfehlungen, was “man machen sollte”. Solche Empfehlungen ändern sich permanent. Und selbst wenn heute jemand mit Studien untermauern würde, dass bestimmte Wege im Sinne einer “besseren Karriere” (was soll das eigentlich sein?) vorteilhafter sind, würde ich empfehlen dies zu ignorieren.

Jodie: Ganz einfach: Glücklicher. Und vor allem ehrlicher, weil sie nicht mehr ständig vorgaukeln müssen etwas zu sein, was sie gar nicht sind. Sie müssen sich nicht überlegen “Mache ich jetzt ein Auslandssemester, weil es sich gut auf meinem Lebenslauf macht?” sondern sie müssen sich fragen “Habe ich Bock ein Semester ins Ausland zu gehen?”

Es gibt doch diesen unglaublich altklugen Spruch, den sowohl Eltern als auch Lehrer nur allzu gern nutzen: “Du lernst nicht für uns, du lernst fürs Leben!” Und ohne Lebenslaufoptimierung könnte das tatsächlich mal hinhauen. Man belegt nicht irgendwelche Kurse, wie Dirk schon sagte, weil man sie vielleicht brauchen könnte, sondern weil sie einem Spaß machen.

Und wie wir alle wissen: ”Nur wenn Dinge uns wirklich Spaß machen, sind wir auch gut darin.”

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