Deutschland sucht den Superpolitiker

by Karl-Heinz Thielmann on 22. September 2013

Geschafft, heute ist es vorbei: Um 18.00 schließen die Wahllokale, und danach wird klarer, wer uns in den nächsten Jahren regiert.

Ich wusste auch vor früheren Bundestagswahlen nicht so genau, welche die bessere Partei ist und wie ich wählen soll. Meistens habe ich mich dann kurz vorher für diejenige Gruppierung entschieden, die ich für das kleinste Übel hielt, wie wahrscheinlich viele Wähler. So auch diesmal.

Bisher ist mir aber noch kein Bundestagswahlkampf so skurril erschienen wie dieser. Dies lag aber nicht an den absurden Versprechungen oder Unterstellungen, mit denen die in den Meinungsumfragen zurückliegenden Kandidaten noch kurz vor Schluss punkten wollten. Das war schon immer so.

Verändert hat sich, dass von den bisher im Parlament vertretenen großen Parteien inhaltlich 4 nur noch in Nuancen unterscheidbar sind, über die fünfte will ich mich hier lieber nicht äußern. Außerparlamentarisch gibt es immerhin zwei größere Gruppen, die aber im Prinzip nur zu jeweils einem Thema etwas zu sagen haben (auch hier enthalte ich mich einer Bewertung).

Wählen ist daher weniger zur inhaltlichen als zur Geschmacksfrage geworden, und unangenehmerweise spiegelte sich dies auch darin wieder, dass dieser Wahlkampf immer mehr die Züge des Trash-TV trug. Symptomatisch war die Berichterstattung über die Finger– bzw. Handhaltung der Spitzenkräfte der großen Parteien sowie die darauffolgenden Diskussion.

Die Kandidaten wurden wie Protagonisten einer Fernehshow inszeniert und agierten wie in einer Seifenoper. Polit-Talkshows mit ihren Casting-Ritualen haben sich zumindest zeitweise als fester Bestandteil der Abendunterhaltung etabliert. Lediglich eine Politversion des Dschungelcamps blieb uns als Wahlentertainment noch erspart. Sie war aber auch nicht notwendig, da einige Wahlkämpfer in Eigeninitiative durch (unfreiwillige oder inszenierte) Peinlichkeiten die Sensationsgier befriedigten. Der Tiefpunkt war die Posse um die versehentliche Fasterpressung wegen einer geschenkten Putzfrau, womit selbst das Niveau der Vorabendunterhaltung auf Privatsendern deutlich unterboten wurde.

Vielleicht denken 2017 einige Kandidaten, dass sie Kakerlaken essen müssen, um sich für ein Amt zu qualifizieren; oder Dieter Bohlen moderiert dann die Diskussion der Spitzenkandidaten. In Österreich ist man jedenfalls schon weiter, dort zogen einige Kanditaten mit Badehosenfotos oder nachhaltigen Kondomen in den Wahlk(r)ampf zur Nationalratswahl am nächsten Wochenende. Vor einigen Monaten hat das Satiremagazin Extra 3 einen Beitrag gesendet, indem die Bewerbung eines Spitzenkandidaten als Medieninszenierung dargestellt wurde. Ich glaube, den Machern war noch nicht ganz klar, inwieweit sie nur konsequent zu Ende denken, was eigentlich schon durch die Realität vorgezeichnet ist.

Ich will jetzt nicht in das bildungsbürgerliche Klagelied vom allgemeinen Niveauverfall einstimmen, muss aber zugeben, dass mir diese Entwicklung Unbehagen bereitet. Bewegt sich die politische Entscheidungsfindung in Deutschland jetzt dahin, dass wir alle vier Jahre eine mehrwöchige „Bad-Taste-Party“ feiern, die sich Bundestagswahlkampf nennt? Erleben wir mit der aktuellen Politikvermarktung die konsequente Vollendung der Spaßgesellschaft? Oder ist diese Entwicklung nur die andere Seite einer zunehmenderen Entideologisierung der Politik: Wenn man auf die wichtigen Fragen – den gleichen Sachzwängen gehorchend – sehr ähnliche Antworten findet, muss die politische Auseinandersetzung eben über andere Faktoren erfolgen als Inhalte.

Vielleicht werde ich zu aber auch nur zu alt und verstehe die neue Zeit nicht mehr. Da es für diese Wahl schon zu spät ist, würde ich mir zumindest für die nächste Folgendes wünschen: ein bisschen mehr inhaltliche Differenzierung, ein bisschen weniger Politzirkus und vor allem viel mehr guten Geschmack. Wahrscheinlich passiert genau das Gegenteil, ich gebe aber die Hoffnung trotzdem nicht auf.

Comments on this entry are closed.

Previous post:

Next post: