An der Frage nach dem Sinn und Zweck des Bargelds in der digitalen Ökonomie scheiden sich die Geister. Gerade in Deutschland hat diese Frage eine fast schon religiöse, existenzielle Bedeutung. Während in anderen Ländern die bargeldlose Gesellschaft voranschreitet, halten wir uns hierzulande mit (übereilten?) Schritten zurück. Die Devise scheint zu lauten: Abwarten.
Die Skepsis in Deutschland gegenüber Bestrebungen, das Geld abstrakter, unstofflicher zu gestalten, hat eine lange Tradition.
Wolfram Weimer beschreibt dieses Phänomen in seinem informativen Buch Geschichte des Geldes am Beispiel des Papiergeldes:
Nur im historischen Zeitlupentempo finden die >Zettel<, wie sie anfangs genannt werden, ihren Weg in die deutschen Geldbeutel, Kontore und Markthallen. Alle Noten bis weit ins 19. Jahrhundert sind gar einzeln handsigniert. Erst an der Schwelle zum 20. Jahrhundert avancieren die Papiere zum echten Zahlungsmittel.
Kaum hatte sich die Bevölkerung an das Papiergeld gewöhnt, da brach mit der Einführung des Giroverkehrs im Jahr 1876 bereits ein neues Zeitalter an. Fortan eroberten Überweisungen, Schecks und Lastschriften den Zahlungsverkehr.
Trotz der Neuerungen im Zahlungsverkehr während der letzten Jahrzehnte, die das Geld immer abstrakter haben werden lassen, sind Papiergeld und Münzen nicht völlig verschwunden. Bei allen Nachteilen, so haben Papiergeld und Münzen doch einige nicht zu unterschätzende Vorteile:
Für die herkömmlichen Noten und Münzen spricht auch ihr vermeintlicher Nachteil – der dingliche Charakter. Technisches Geld leidet dagegen am technischen Zwang. Da es nur durch die Maschine zum Geld wird, verliert es an Beweglichkeit. Es verliert aber auch an Vertrauen, das für die Wertillusion von Geld unterlässlich ist. Denn Vertrauen verdichtet sich vor allem in der Konkretion. Die Abstraktion des elektronischen Geldes kann daher nach den Regeln der Geldpsychologie den vielfältigen Hortungs- und Tauschbedürfnissen, dem Schmuck- und Sakralerlebnis, dem Vertrauenswunsch der Menschen nur schwer gerecht werden. (ebd.)
Weimer erwähnt in dem Zusammenhang auch den u.a. als Geldpsychologen bekannt gewordenen Günter Schmölders.
Alles in allem sei in Deutschland, so Weimer, die monetäre Nostalgie besonders stark ausgeprägt. Wie die Geschichte jedoch gezeigt hat, war diese Resistenz nicht imstande zu verhindern, dass das Geld abstrakter wurde. Der Weg in die bargeldlose Gesellschaft sei daher, so Weimer, vorprogrammiert.
Mit dieser Ansicht stand und steht Weimer nicht alleine. Ähnlich argumentierte Volkmar Muthesius:
Demnächst werden wir es vielleicht erleben, dass das Buchgeld in seiner heutigen Form seinerseits gewissermaßen abstirbt und ersetzt wird durch Datenspeicher, durch elektronische Vorgänge in Speichergeräten, womit ein weiteres Stadium der Entstofflichung, also einer speziellen Art von Abstraktion sich vollziehen wird – wer vermöchte zu sagen, ob es das letzte sein wird? (in: Leistungsfähige Deutsche Banken. 100 Jahre Commerzbank)
Demgegenüber unternimmt Birger Priddat in Kleingeld. Die verborgene Seite des Geldes, frei von Nostalgie, eine Ehrenrettung des Münzgeldes.
Münz- und Papiergeld wirken in einer Zeit, in der digitale Währungen ebenso wie digitale Geldbörsen bald Realität werden könnten, zunehmend anachronistisch. Erstaunlich ist jedoch, dass sie sich, wie im Fall der Münzen, über die Jahrhunderte, Jahrtausende haben behaupten können.
Geld wie überhaupt Zahlungsmittel haben neben der reinen Transaktionsfunktion auch eine wichtige soziale und psychologische Funktion. Diese lässt sich m.E. nicht völlig von der Stofflichkeit trennen. Form braucht Inhalt und umgekehrt.
Geld als Medium: Kaum jemand hat zu diesem Verhältnis so tiefsinnige Gedanken formuliert wie Marshall McLuhan.
Als Folge des modernen Preissystems, das von Abstraktion und Distanzierung gekennzeichnet ist, verändert sich auch die Rolle des Geldes:
Heute, da durch die in jedem Augenblick gegebenen elektrische Interdependenz aller Menschen auf diesem Planet neue Machtströmungen entstehen, verliert der visuelle Faktor in der Gesellschaftsorganisation und persönlichen Erfahrung an Bedeutung, und Geld wird immer weniger als Mittel zur Speicherung und zum Austausch von Arbeit und Fähigkeiten verwendet. Die Automation, die ihrem Wesen nach elektronisch ist, stellt nicht so sehr körperliche Arbeit als vielmehr programmiertes Wissen dar. Wenn Arbeit durch bloße Informationsbewegung ersetzt wird, verschmilzt Geld als Arbeitsspeicher mit den informationsartigen Formen des Kredits und der Kreditkarte. (in: Die magischen Kanäle. Understanding Media)
Automation und Beschleunigung schaffen neue Formen des Gelderwerbs durch Spekulation:
Eine der unvermeidlichen Auswirkungen der Beschleunigung der Informationsbewegung und der umwandelnden Macht des Geldes ist die Gelegenheit einer Bereicherung für jene, welche diese Umwandlung nur ein paar Stunden oder Jahre, ja nach Fall, vorwegnehmen. Wir kennen heute besonders gute Beispiele von Bereicherung durch im voraus erhaltene Informationen bei Aktien, Obligationen und Grundstückskäufen. (ebd.)
Diese Aussagen erhalten vor dem Hintergrund des neuesten Buches von Michael Lewis Flash Boys wohl neues Gewicht.
Geld, so McLuhan, kann gerade in der Informationsgesellschaft nicht mehr isoliert betrachtet werden:
.. Geld ist Teil eines dynamischen Systems; isoliert hat es keine sinnvolle Bedeutung. Als Übertragungs- und Verstärkungsmittel hat es außergewöhnliche Kraft, etwas durch etwas anderes zu ersetzen. Informationstheoretiker sind zu dem Schluss gekommen, dass das Ausmaß, in dem ein Mittel durch ein anderes ersetzt werden kann, zunimmt, wenn die Information an Umfang zunimmt. (ebd.)
Da stellt sich die Frage: Gibt es (fundamentale) Grenzen der Informationsbewegung? Vielleicht brauchen wir das Bargeld auch deshalb, um nicht völlig den Bezug zum Geld und damit die Bodenhaftung zu verlieren; obschon auch dies wohl nur eine Illusion ist.
Vielleicht greift aber auch beim Geld das Rieplsche Gesetz. Der Weg in die bargeldlose Gesellschaft wäre demnach nicht zwangsläufig.
Dieser Beitrag ist ein erlaubter Crosspost von Ralf Keupers Blog Bankstil
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Es wird hierbei nicht beachtet, das nur die Euro-Scheine in Deutschland ein gesetzliches Zahlungsmittel darstellt, Geldmünzen und Giralgeld zählt nicht dazu!
Kreditauszahlungen auf Konten sind somit keine gesetzliche Auszahlungen und Sie sollten
bei der Rückzahlung nicht die geforderten Zinsen zahlen.
Die Adaption des bargeldlosen Bezahlens wird zumindest hierzulande noch Jahre dauern. Schließlich ermöglicht es eine signifikante Datensammlung, primär durch Anbieter von Kreditkarten und elektronischen Wallets, sekundär auch durch das Finanzamt, denn das wird sich diese goldene Möglichkeit sicher nicht entgehen lassen. Daher bring das bargeldlose Bezahlen nicht nur Vorteile mit sich, und eine gewisse Skepsis ist durchaus angebracht.
Es spricht vieles gegen die bargeldlose Gesellschaft: Giralgeld ist schlechtes Geld. Bargeld ist ein Schuldschein der Zentralbank, jede Form Giralgeld ist ein Schuldversprechen einer privaten Bank. Und welche Bank ist heute noch ernsthaft kreditwürdig?
Der Weg in die bargeldlose Gesellschaft hat praktische Probleme. Wie soll ich einem Freund oder Kollegen einmal mit 10 Euro Aushelfen, wenn er seine elektronische Geldbörse vergessen hat? Meinen Kindern ihr taschengeld geben? Muss ich dann erst einmal zum Computerterminal laufen um die Transaktion auszuführen?
Zudem gibt es zahlreiche Risiken, denen man sich bewusst sein sollte. Zum Beispiel sind bargeldlose Transaktion in aller Regel Kredit- und geldschöpfende Vorgänge. Kreditkarten sind bereits ein Teil eines Schattenbankensystems, das zum veritablen Systemrisiko werden wird, wenn es eine kritischen Größe erreicht. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Kreditkartenfirmen nicht einmal Banklizenzen benötigen, also nicht einmal unter die zaghaften Regulierungen des Bankensystems fallen.
Zweitens wird eine privatwirtschaftliche Organisation eines bargeldlosen Systems, wie es heute bereits durch Kreditkartenfirmen und EC-Karten bereist besteht nicht umsonst zu haben sein. Wollen wir uns wirklich darauf einlassen, dass die Betreiber dieser Systeme eine Art zweite Umsatzsteuer kassieren? Und das in einem Markt, der wegen seiner Netzeigenschaften fast ein Lehrbuchbeispiel für ein natürliches Monopol ist? Wollen wir das profitorientierten Unternehmen überlassen, die zwangsweise in kurzer Zeit über Macht und Einfluss verfügen werden? Werden wir dieses Monster wieder einfangen können, wenn wir es erst einmal in Welt gesetzt haben?
Drittens würde ein rein bargeldloses System bei denen Grundrechte der Bürger nur noch bedingt von der Politik gegen Geheimdienste und Wirtschaftstreibende durchgesetzt werden, nicht nur umfassende Überwachung ermöglichen. Die Regierung wird über kurz oder lang jede Flasche Wein, die sie im Leben gekauft haben kennen, wann sie Tanken waren, wo sie Einkaufen, wie oft sie nachts in der Kneipe waren, usw.
Wenn man das noch einen Schritt weiterdenkt, sind die auch die staatlichen und privaten Repressionsmöglichkeiten durch Sperren der Karten im System enorm. Man kann einen Menschen komplett vom Leben ausschließen. Wer nicht glaubt, das es soweit kommen kann, der sei eines bessern belehrt, denn es passiert bereits. Man kann einen Blick auf unseren Big Brother in den USA werfen, wo den Darstellern und Produzenten der Adult Film Industrie auf Druck der Politik von den Banken die Konten gekündigt werden.
Es wäre eine Schöne Neue Welt in der wir wären, wenn das Wirklichkeit werden würde.
Das entspricht in etwa einer Argumentation gegen Automobile zur Zeit der Pferdedroschken, weil diese Automobile viel zu schnell wären, um beherrscht werden zu können, dadurch Menschen zu Schaden kommen könnten und außerdem ihr Gestank unerträglich wäre. Alles grundsätzlich richtig, aber dennoch hat die Entwicklung des Automobils uns nicht ins Verderben geführt sondern einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaft geleistet. Warum? Weil wir es einigermaßen gut geschafft haben bzw. schaffen, die passenden Rahmenbedingungen und Regeln für diesen Fortschritt zu schaffen – von der Straßenverkehrsordnung bis zu Emissionsauflagen.
Dasselbe wird rund um’s Bargeld passieren, denn es gibt einfach zu viele Anwendungsfälle, in denen es Nachteile gegenüber einer bargeldlosen Transaktion hat. Das bedeutet NICHT, dass Bargeld völlig verschwinden wird – es gibt ja trotz CDs, iTunes und Streams auch immer noch Vinyl – aber es wird nicht mehr in 70% aller Transaktionen zum Einsatz kommen, sondern evtl. nur mehr in 10%.