Gastbeitrag von Mario H. Sladek, TriSolutions GmbH*
Systemrelevanz, Krisen und Derivate
Der Derivatebestand der Deutschen Bank ist mit einem Volumen von 49,6 Bil. Euro (zum Mitschreiben: 49.600.000.000.000) mehr als 18 mal so groß wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt und umfasst außerbörsliche Derivate-Kontrakte (OTC-Derivate) wie Zinstauschgeschäfte (Zinsswaps – IRS) oder Kreditausfallversicherungen (u.a. Credit Default Swaps – CDS) (vgl. FAZ). Die Größe dieser Zahl – also das 50.000 fache einer Mrd. – ist kaum zu greifen und erreicht geradezu galaktische Dimensionen. Aber was steckt hinter dieser Zahl, welche im Vergleich zur Bilanzsumme von 1,6 Bil. Euro oder zum deutschen Bruttoinlandsprodukt in Höhe von ca. 2,7 Bil. Euro alle Maßstäbe zu sprengen scheint?
Derivate sind Finanzinstrumente und erfüllen eine wichtige Funktion im Rahmen der Risikosteuerung einer Bank. Sie sind heute aus keinem Treasury (Management von Marktpreisrisiken) wegzudenken. Marktpreisrisiken aus Kreditgeschäften und Handelsgeschäften können somit beispielsweise gegen Zins-, Fremdwährungs- und Kreditrisiken abgesichert bzw. „versichert“ werden und ermöglichen erst die von Banken zu erfüllende Fristen- und Risikotransformation. In effektiv funktionierenden Märkten erreicht man eine Diversifikation von Risiken bzw. einen gewollten Transfer zwischen Risikogebern (Versicherten) und Risikonehmern (Versicherer). Es gibt da aber auch die „dunkle Seite der Macht“, die Spekulation. Eine der Ursachen der Finanzkrise war sicherlich, dass u.a. Derivate (insbesondere Kreditderivate) als Wertschöpfungsfaktor missbraucht wurden und Modellannahmen das Systemrisiko schlicht und ergreifend nicht oder zu spät bedacht haben. Warren Buffet hat Derivate nicht zu Unrecht als ‚finanzielle Massenvernichtungswaffen‘ bezeichnet, wenn man das Ausmaß an Vermögens- und Wohlfahrtsvernichtung im Ergebnis der Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise betrachtet.
Schlussfolgerungen im Hinblick auf Derivate und den Handel mit Derivaten
Die Aufsichtsbehörden bemühen sich daher kollektiv darum, das Systemrisiko, welches aus dem Umfang der mit Derivaten verbundenen finanziellen Transaktionen resultiert zu kanalisieren und zu begrenzen. Wir leben seit dem 01.01.2014 im Zeitalter von Basel III, einem Regelwerk welches länderübergreifend in Form eines ‚Single Rule Books‘ das Systemrisiko und die Anfälligkeit der Finanzbranche in bestimmten Krisenszenarien thematisiert und präventiv reguliert. Die Auswirkungen zeigen sich insbesondere an höheren Risikokapitalpuffern bzw. Eigenkapitalanforderungen zur Unterlegung von Risiken als auch bei den Anforderungen an die Risikomanagementorganisation und deren Systeme (u.a. Governance und Risikotragfähigkeit – ICAAP). Im Hinblick auf Derivate kam einiges an Verschärfungen hinzu. Mittels der European Market Infrastructure Regulation (EMIR) sollen systemische Risiken im europäischen Derivatemarkt eingedämmt werden. Aus EMIR ergeben sich Pflichten für bestimmte Parteien von Derivatetransaktionen. Dies beinhaltet auch einige Mitteilungen an die BaFin und ESMA. Die Aufsicht verfolgt vehement das Ziel, Herr der Lage zu sein bzw. genügend Informationen im Zusammenhang mit Derivatetransaktionen zu erlangen (Melderegister), um Schlussfolgerungen für die aufsichtsrechtliche Überprüfung und ggf. erforderliche Reglementierung aber auch Alimentierung zu ziehen. Zudem wurden die Anforderungen an die Unterlegung von Kontrahentenausfallrisiken wie bereits erwähnt, deutlich erhöht.
Das Kontrahentenrisiko wird teuer
Banken, die OTC-Derivate nicht über einen qualifizierten Central Counterpart (QCCP) abwickeln, müssen eine gegenüber Basel II erheblich höhere Eigenkapitalanforderung erfüllen. Große Banken greifen bei der Berechnung ihrer Risiken auf Interne Modelle (IMM) zurück, welche von der Aufsicht genehmigt sein müssen. Die allermeisten Banken nutzen bei der Bemessung ihrer unterlegungspflichtigen Derivategeschäfte jedoch noch die sog. Standardmethode (Current Exposure Methode – CEM), bei der der unterlegungspflichtige Risikobetrag auf Basis des aktuellen Marktwertes des Derivats mittels geschäftsrisikospezifischen und laufzeitabhängigen – allerdings pauschalen – Zuschlägen berechnet wird. Basel III verlangt nunmehr zusätzlich einen bonitätsabhängigen Zuschlagsfaktor, das sog. Credit Value Adjustment (CVA), welches entweder nach einem genehmigungspflichtigen Bond VaR-Model „Advanced CVA“ oder nach dem „Standard CVA“ Verfahren zu ermitteln ist.
Banken, die nicht über eine Börse handeln oder nicht über CCP abwickeln und keine bzw. unzureichende Maßnahmen zur Risikominderung ergreifen (Collateral-Management und Netting-Vereinbarungen) unterliegen erheblichen Risikoaufschlägen. Bei bilateral zwischen zwei Banken oder Finanzinstitutionen gehandelten OTC-Derivaten ist das Kontrahenten- und damit das Kreditrisiko offensichtlich. Beim Börsenhandel von Derivaten tritt in der Regel ein von allen Börsenmitgliedern getragenes Clearinghaus als Gegenpartei in Erscheinung, so dass das Ausfallrisiko auf Grund von strengen Anforderungen an die Organisation und das Sicherheitensystem (Margining) erheblich reduziert bzw. eliminiert wird.
Die Bilanzierung zieht nach
Insbesondere Banken, die nach IFRS bilanzieren, werden sich mit der Einführung des Standards IFRS13 (Fair Value Bewertung) ab 01.01.2013 mit der Frage des auch bilanziell zu berücksichtigenden Kontrahentenrisikos auseinandergesetzt haben. Bei Derivaten, die nach IFRS im Gegensatz zur HGB Rechnungslegung ausnahmslos zu Marktwerten zu bilanzieren sind, müssen nunmehr auch sog. Credit Value Adjustements im Hinblick auf Bonitätsveränderungen des Kontrahenten bei aktivischen Positionen (z.B. IRS ist im Geld bzw. hat einen positiven Marktwert) oder Debt Value Adjustements (DVA) bezogen auf die Eigenbonität (z.B. IRS hat einen negativen Marktwert) bei der Berechnung des zu bilanzierenden Marktwertes des Derivates in Ansatz gebracht werden. Da dieses Thema nicht trivial ist und die Handhabung dieser Fair Value Adjustments ggf. hohe methodische und organisatorische Herausforderungen darstellt, hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in seiner Stellungnahme ‚IDW RS HFA47‘ für entsprechende – verbindliche – Klarstellungen gesorgt. Bemerkenswert ist, dass sich das Prinzip der doppelten Proportionalität, wie wir es aus den MaRisk kennen, im jeweiligen Ansatz und Verfahren, nach dem die Bank den CVA bzw. DVA zu ermitteln hat, wiederspiegelt. Für nach IFRS bilanzierende Banken bedeutet dies, wenn sie über ein relevantes bzw. nach Art und Umfang der Transaktionen komplexes Derivateportfolio (sei es im Anlagebuch oder Handelsbuch) verfügen, dass diese Banken ein fortschrittliches Verfahren zur Simulation von Exposure-Verläufen benötigen und anwenden ‚sollten‘.
Fazit des Autors
Entscheidende Impulse entstehen immer auch aus Sicht der Gesamtbank(risiko)steuerung. Die gegenwärtige Praxis hat gezeigt, dass inzwischen immer mehr der großen Institute dazu übergehen bzw. übergegangen sind, fortschrittliche Simulationsverfahren zu implementieren, um zu risikoorientierten und steuerbaren Ergebnissen zu gelangen. Zum einen nimmt der Genauigkeitsgrad zur CVA Ermittlung nach dem Prinzip der doppelten Proportionalität für regulatorische und auch bilanzielle Zwecke zu. Mit Bezug auf die Risikotragfähigkeitsanalyse (ICAAP) resultiert zudem die Feststellung, dass sich CVA und DVA direkt in der GuV als Aufwand bzw. Ertrag niederschlagen und sich folglich direkt auf das regulatorische (CET1), das ökonomische Kapital (RDP) und somit mittelbar auch auf den Kapitalplanungsprozess auswirken. Aus der Perspektive einer integrierten Gesamtbanksteuerung (bilanzielle, ökonomische und regulatorische Perspektive) sollte daher eine gezielte Analyse auf etwaige Optimierungsbedarfe bei den Methoden und Verfahren im Kontrahentenrisikomanagement und bei der CVA Ermittlung (u.a. für RTF, Kapitalplanung, Collateralmanagement, Maktpreisrisiko- und Kontrahentenrisikosteuerung) im Vordergrund stehen.
*Der Autor
Mario H. Sladek ist Berater bei der TriSolutions GmbH, einer auf Risikomanagement und Gesamtbanksteuerung spezialisierten Unternehmensberatung. Die Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit liegen in der strategischen Gesamtbank- und Risikosteuerung (ICAAP) und bei der ganzheitlichen Umsetzung von regulatorischen Anforderungen (u.a. MaRisk, Basel III). Davor arbeitete Herr Sladek viele Jahre im Risiko- und Auditmanagement international tätiger Groß- und Investmentbanken im In- und Ausland. Sein Betriebswirtschaftsstudium absolvierte er an der Fachhochschule der Deutschen Bundesbank.
Die TriSolutions GmbH ist außerdem eine Schwesterfirma der Innovecs GmbH, für die der Herausgeber dieses Blogs, Dirk Elsner, arbeitet.
Richtig interessant:
http://www.ardmediathek.de/radio/radioeins/Der-Crash-ist-die-Lösung/radioeins/Audio?documentId=21823226&bcastId=20121102
Comments on this entry are closed.
{ 1 trackback }