Gastbeitrag von Mario H. Sladek, TriSolutions GmbH
Basel III verschärft die Gangart
Inzwischen existieren neben CRR, CRD IV, KWG, MaRisk etc. eine Vielzahl an BCBS Konsultationspapieren, Leitlinien und mehr als 100 weitere sogenannte technische Standards (RTS und ITS) der Europäischen Bankenaufsicht (EBA). Was steckt hinter all diesem Papier? In erster Linie steht die Finanzmarktstabilität im Vordergrund. Neue Regeln werden geschaffen, um etwaige Schlupflöcher zu schließen bzw. den Bankern die Lust am zügellosen und unverantwortlichen Umgang mit Risiken und dem ihnen anvertrauten Kapital zu nehmen. Mit Basel III versucht die Bankenaufsicht ein umfassendes Regelwerk zu schaffen, das jedoch nur funktionieren kann, wenn es von allen Beteiligten, nach Größe und Komplexität ihrer Geschäfte gestaffelt (Proportionalität), gleichermaßen auf Akzeptanz stößt. Die Regeln müssen nicht nur von denjenigen, die über alles wachen sollen, sondern auch von Bankern, Aufsichtsräten und Politikern verstanden werden. Letztlich sind wir Steuerzahler betroffen, die das Ganze bezahlen, wenn’s mal wieder nicht funktioniert hat.
Eine Kennzahl für Überflieger
Unter den vielen neuen Anforderungen sticht eine Kennzahl besonders hervor: Die Leverage Ratio. Ein Begriff der ob des finanzwirtschaftlichen Anglizismus komplizierter kling als er ist.
Man stelle sich den neuesten Jet vor. Ausgestattet mit modernster Technik und einer Vielzahl von digitalen und redundanten Instrumenten, die den Piloten alle erdenklichen Informationen zur Steuerung bzw. Beherrschung eines so komplexen Apparates liefern sollen. Einer der Konstrukteure hat jedoch noch einen konventionellen Höhenmesser ins Cockpit integriert. Für alle Fälle, falls denn mal die komplizierte Technik ausfallen sollte und der Pilot auf eine einfache und verlässliche Anzeige zurückgreifen muss. Man kann ja schließlich nie wissen …
Mit dieser Leverage Ratio, auf ‚Neudeutsch‘ Höchstverschuldungsquote, wird ein solcher konventioneller Höhenmesser ins Cockpit der Gesamtbanksteuerung gebaut. Für Aufsichtsräte und Risikovorstände soll diese Ratio eine nachvollziehbare Kennzahl darstellen, für deren Verständnis kein Hochschulabschluss benötigt wird. Keine modellverzerrten Risikoableitungen und Schönrechnereien sollen verschleiern worum es geht: Das Verhältnis von bilanziellem Eigenkapital (Kernkapital) und Geschäftsvolumen (Bilanzsumme sowie außerbilanzielles und derivatives Geschäft). Die Kennzahl ist von der gesamten Basel III Gemeinde einheitlich (Single Rulebook) zu ermitteln und soll zunächst mindestens 3% betragen. Führt man sich vor Augen, dass ein Industrieunternehmen bei einer Eigenkapitalquote von 3% und weniger, was in der Bankenlandschaft bis dato eher die Norm als die Ausnahme darstellte, als sicherer Kandidat für den Insolvenzverwalter gilt, dann sollten wir genauer hinschauen. Den Kritikern dieses Vergleiches möchte man zustimmen, dass Bankgeschäfte anderen Mechanismen unterliegen mögen. Es spricht auch einiges für das Argument, dass ein grundpfandrechtlich gesicherter Kredit risikotechnisch anders zu bewerten ist als eine Investition in eine undurchsichtige Verbriefungstransaktion oder ein zu spekulativen Zwecken gehandeltes Derivat. Es ist nun auch zu befürchten, dass bei einem Engagement in EUR-Staatsanleihen mit der Leverage Ratio keine Privilegierung à la Nullgewichtung mehr möglich ist, was ja im Zuge der Staatsschuldenkrise nur zu plausibel erscheint. Herr Blessing war also nicht der erste, der die ökonomisch völlig zweifelhafte Nullgewichtung von Staatsanleihen zur Disposition stellt. Dies könnte jedoch die Staatsfinanzierung mit Hilfe nahezu unbegrenzter und billiger Liquidität, die die EZB derzeit zur Verfügung stellt, einschränken. Es darf daher vermutet werden, dass es hier wieder zu Ausnahmen kommen wird. Denn ein Ausstieg aus EZB subventionierter Staatsfinanzierung kann ja nicht im Interesse derer sein, die im Moment davon am meisten profitieren, die von der Schuldenkrise betroffenen EU-Staaten und Banken.
Das Umfeld bleibt anspruchsvoll
Für die Adressaten der Leverage Ratio besteht die Herausforderung darin, die ab 2018 verpflichtende Kennzahl bereits schon jetzt einheitlich und nachvollziehbar zu ermitteln und in den Gesamtkontext der Bankrisikosteuerung zu implementieren. Eine methodische Hürde besteht darin, dass die Berechnungsgrundlage unterschiedliche Rechnungslegungsstandards berücksichtigen muss (z.B. US-GAAP, IFRS und HGB/BilMoG) und hier keine Ungleichgewichte und damit Benachteiligungen entstehen sollen. Die Einbeziehung von Derivaten kann beispielsweise je nach Rechnungslegung erheblich abweichen. Dies führte u.a. dazu, dass sich Basel (BCBS) genötigt sah, Abstriche zu machen (z.B. bei kurzlaufenden Derivaten), was insbesondere der Deutschen Bank zu Gute kommt und deren Quote schonen dürfte. Auch bei der Anerkennung von Aufrechnungsvereinbarungen (Netting) und der Verrechenbarkeit von Collaterals gab es zuletzt – sinnvollerweise – Marscherleichterung, da die Risikoabsicherung durch Stellung von Sicherheiten alimentiert und nicht reglementiert werden soll.
Die Banksteuerung muss neu kalibrieren
Im Ergebnis ist die Leverage Ratio neben den anderen Kennzahlen, wie Kapitalquoten (CET1, AT1, AT2) sowie den Liquiditätskennzahlen NSFR und LCR eine weitere Leitplanke. Im Rahmen der risikoadjustierten Ertragssteuerung wird es eine noch stärkere Fokussierung auf die Ressource Kernkapital und Liquidität geben, da nun nicht mehr nur die Höhe des Risikogewichtes für die Auslastung bzw. Verknappung der Ressource Eigenkapital entscheidend ist, sondern auch das Nominal-Volumen. Das bedeutet einen noch präziseren Spagat zwischen risikoreicherem und unter Ertragsgesichtspunkten renditestärkerem Geschäft auf der einen und der Allokation des regulatorischen Kapitals auf der anderen Seite. Da die neuen Liquiditätsanforderungen qualitativ und quantitativ höhere Anforderungen an die Liquiditätsreserven stellen wird sich der Druck auf die Liquiditäts- und Kapitalplanung deutlich erhöhen. Überdies würde risikoreicheres Geschäft zwar weiterhin durch einen höheren Unterlegungsbedarf mit Kernkapital begrenzt, allerdings werden auch Investitionen in sichere Häfen an Attraktivität verlieren, was zu Zielkonflikten führen kann. So simple uns die Leverage Ratio zunächst erscheinen mag umso komplexer wird das Zusammenspiel mit den anderen Kennzahlen und Steuerungsgrößen. In Zukunft werden die Feinmechaniker in der Bankensteuerung die eine oder andere Überstunde schieben müssen, um diesen Konflikt zu lösen. Auch den Aktionären und Aufsichtsräten sollte rechtzeitig erläutert werden, weshalb – ein tragbares Geschäftsmodell vorausgesetzt – das Kreditwachstum und die Rendite ggf. hinter den Erwartungen bleiben könnten.
Fazit des Autors
Um einen Mehrwert für die Bank zu generieren sollte die Ertrags- und Risikosteuerung noch enger mit den regulatorischen, ökonomischen und bilanziellen Zielgrößen abgestimmt werden. Dabei sollten folgende Punkte im Vordergrund stehen, welche sich in der Praxis bewährt haben:
- Analyse der Bilanzstruktur im Hinblick auf das Geschäftsmodell
- Optimierung der mittelfristigen Kapital-, Liquiditäts-, Risiko- und Ertragsplanung entsprechend der Geschäfts- und Risikostrategie
- Analyse relevanter Zielgrößen und KPI’s für eine effektive Steuerung im Hinblick auf Relevanz, Ansätze, Ausprägungen und Bandbreiten
- Angemessenheit des aktuellen Steuerungskonzeptes im Hinblick auf definierte Zielgrößen
- Adjustierung und Optimierung von Prozessen und Gremienstrukturen
- Entscheidungs- und handlungsorientiertes Gesamtbank-Risikoreporting
- Stärkere Integration von Treasury-Management und Kundengeschäft
Der Autor
Mario H. Sladek ist Berater bei der TriSolutions GmbH einer auf Risikomanagement und Gesamtbanksteuerung spezialisierten Unternehmensberatung. Die Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit liegen in der strategischen Gesamtbank- und Risikosteuerung (ICAAP) und bei der ganzheitlichen Umsetzung von regulatorischen Anforderungen (u.a. MaRisk, Basel III). Davor arbeitete Herr Sladek viele Jahre im Risiko- und Auditmanagement international tätiger Groß- und Investmentbanken im In- und Ausland. Sein Betriebswirtschaftsstudium absolvierte er an der Fachhochschule der Deutschen Bundesbank.
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