Otto auf dem Weg in die digitale Wirtschaft?

by Dirk Elsner on 17. Juni 2014

Wenn wir über die “digitale Wirtschaft” staunen, dann reden und meinen wir meistens Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon oder Rocket Internet. Nur selten kommen wir auf die Idee, dass auch klassische deutsche Konzerne die “digitale Kluft” überwinden könnten. Ich gestehe, dass es mir bis vor zwei Jahren ebenso ging, wenn ich von Otto hörte.

Der Otto-Katalog, den es übrigens immer noch gibt, gehört zu den positiven Erinnerungen meiner Jugend wie Ilja Richters Disco oder Otto Rehagel. Als in Bremen Aufgewachsener stand der Slogan “Otto finde ich gut” mehr für den Kulttrainer von Werder Bremen als für den damaligen Versender. Die Marke war jedenfalls positiv besetzt aber irgendwie out. Natürlich hört und liest man viel über die Unternehmensgruppe, insbesondere wenn man wie ich lange in Hamburg gelebt hat. Dennoch, Otto war für mich oldschool und analoge Wirtschaft.

Vor zwei Jahren, als ich eine ausführliche Reihe zum mobilen Bezahlen schrieb, hatte es das erste Mal Klick gemacht, als ich las, dass die Otto-Group das Unternehmen Yapital gründete. Damit wolle der Versandriese PayPal Konkurrenz machen und online und offline “unkomplizierte” Bezahlung anbieten. Nun war das nicht der Augenblick, der mir einen großen Wow-Moment entlockte, denn damals und heute immer noch basteln zig Unternehmen an Lösungen zum mobile payment und warten weiter auf den Durchbruch (siehe z.B. Maik Klotz: Mobile Payment: Der König ist tot. Lang lebe der König).

Ein Gefühl, wie ernst es der Otto-Gruppe mit Yapital ist, erhielt ich auf einem Workshop im Januar dieses Jahres. Natürlich sollte der Termin am Stadtrand von Hamburg ein positives Bild vermitteln. Das gelingt aber nur, wenn man etwas zu bieten hat. Unternehmen, die nicht inhaltlich punkten können, versuchen Beobachter mit einer coolen Location und einem überdrehten Rahmenprogramm von inhaltslosen Hülsen abzulenken. Bei Yapital war es genau umgekehrt. Die Location war ein langweiliger Gewerbepark in Hamburg, das Rahmenprogramm allein auf Inhalte ausgerichtet. Und die waren sehr spannend. Bei mir hat diese Form der Öffentlichkeitsarbeit jedenfalls Wirkung hinterlassen, weil die Präsentationen und Hintergrundgespräche die Tiefe und Ernsthaftigkeit des Handelskonzerns deutlich machten, in die digitale Wirtschaft bzw. sogar das digital Finance investieren zu wollen. Im Januar berichtete Yapital-CEO Nils Winkler von über 200 Mitarbeitern, die mittlerweile an drei Standorten für das Unternehmen aktiv seien. Das Investitionsbudget der Otto-Gruppe in Yapital wollte er damals zwar auch auf Nachfrage nicht verraten. Wir Teilnehmer schätzen es aber auf einen dreistelligen Millionenbetrag.

Jedenfalls sensibilisierte mich der Termin, doch einmal genauer zu schauen, was Otto heute eigentlich sonst noch so macht. Ich fand den Beitrag von Olaf Kolbrück auf etailment, dem es offensichtlich ergangen ist wie mir. Er skizzierte auf Basis der 2013er-Geschäftsdaten den Wandel des Konzerns. Insbesondere die drei Grafiken machen deutlich, dass sich Otto mit seinen über 54.000 Beschäftigten (siehe Wikipedia für Details) der digitalen Wirtschaft schon deutlich angenähert hat und je nach Sicht dieses schwammigen Begriffs sich bereits mitten drin befindet mit den Handelsgesellschaften und dem Versender Hermes.

Im hauseigenen Blog korrigiert man energisch Mediendaten nach denen im E-Commerce Amazon in Deutschland inzwischen 4,2 Milliarden Euro mehr umsetze als die Otto Group, die danach der zweitgrößte Anbieter sind. Danach betrage der Abstand zu Amazon rund 500 Millionen Euro. Allein, der Duktus dieses Blogeintrags macht deutlich, dass man sich hier nicht mehr schüchtern verstecken will hinter den Internetriesen. Auch gegenüber einem anderen neue Player zeigt man sich selbstbewusst. “Stichelei gegen Zalando” titelte jüngst die Fachwebseite W&V. Otto wolle sich keine Marktanteile kaufen, sondern sie erwirtschaften, heißt es dort. Man hat wohl an der Alster gemerkt, dass hanseatischer Unterstatement nicht mehr ausreicht, um in Zeiten des digitalen Rauschens Profil zu zeigen.

Die WELT schrieb im Mai:

“Die Otto Group erwirtschafte 61 Prozent ihrer Handelsumsätze im Online-Handel und habe den Umbau zu einem E-Commerce-Konzern erfolgreich bewältigt, sagte Schrader. Otto sieht sich selbst als weltweit zweitgrößten Online-Händler hinter Amazon und größter Modeanbieter im Netz.

Dies ist kein Werbebeitrag, damit Leser künftig bei Otto statt bei Amazon oder Zalando bestellen. Ich habe mich weder mit den Preisen, der Qualität der Ware noch der Usability der Webseiten und der Zahlungsprozesse befasst. Mir geht es allein darum, die Wahrnehmung auch auf deutsche Spieler in der digitalen Wirtschaft zu lenken. Auch diesseits des Atlantiks passt sich die klassische Wirtschaft an die digitale Welt an.

Besonders spannend finde ich natürlich, dass die Otto-Group neben Yapital noch weitere Eisen im Feuer des digital Finance schmiedet.

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Quelle der Grafik: Geschäftsbericht 2013/14 der Otto Group, S. 12

Aber das werde ich an anderer Stelle vertiefen.

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