Hype oder Neid? Samwers und Rocket Internet im Blickpunkt der Medien

by Dirk Elsner on 1. September 2014

Überall stolpert man derzeit über die Samwer-Brüder und ihr Unternehmen Rocket-Internet. Das sicher von PR-Profis inszenierte Storytelling läuft auf Hochtouren, vielleicht oder wahrscheinlich um das Interesse an den Börsengängen von Zalando und Rocket-Internet hochzuhalten. Aktuell befeuern Medien unter Berufung auf  „Insider“ täglich die Gerüchte um die Börsen-Listings der beiden Unternehmen nebst Kapitalerhöhung.

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Der Tenor der Beiträge wiederholt sich und lässt sich mit folgenden Stichworten zusammenfassen:

  • größter deutscher Inkubator
  • herrischer Führungsstil
  • zweifelhafte Geschäftsmethoden oder clevere Verhandler
  • geschickte Umsetzer
  • Copycats

Mir ist aber zum Beispiel schleierhaft, warum man sich seitenlang mit den Beispielen des Führungsstils befasst. Über das z.B. in einem ausführlichen Artikel des Handelsblattes beschriebene Führungsverhalten, mag sich manch einer aufregen. Die meisten werden darin aber ein Verhalten erkennen, dass sie mindestens von einem ihrer Chefs in der eigenen Berufslaufbahn ebenfalls erfahren haben. Ähnliche Geschichten gibt es ganz sicher aus allen Unternehmen zu berichten. Aber anscheinend ist es hier nicht so spannend.

Harte Geschäftemacher findet man überall

Ein anderer Grundtenor scheint zu sein, die Samwers verhalten sich nicht gerade zimperlich im Umgang mit ihren Geschäftspartnern um. “Ethisch und moralisch gehen die Zalando-Macher an die Grenzen,” schrieb das Handelsblatt. Was soll man daraus ableiten? Es sieht freilich nicht so aus, als werde von Rocket jemand mit illegalen Methoden über den Tisch gezogen. Harte Verhandlungen sind im Großen und Kleinen üblich, egal ob man mit einem Finanzinvestor über den Kauf eines Unternehmens, mit einem Freelancer über den Tagessatz für Projekte verhandelt oder den Schlüsseldienst beauftragt, der am Wochenende horrende Gebühren nimmt für das Öffnen einer Autotür. Die jeweils andere Seite sucht ihre Vorteile. Und wenn die andere Seite, eine Schwäche entdeckt, dann wird diese oft genug (manchmal auch aus-)genutzt.

Sorry, aber ich frage mich, warum man das bei den Samwers stets so auswalzt, während man das sonst akzeptiert oder besser ignoriert. Anschauungsmaterial liefern dazu derzeit jeden Dienstag auf Vox in der Sendung “Die Höhle der Löwen” die fünf Investoren. Mal abgesehen davon, dass die Dialoge merkwürdig geschnitten und viele Begründungen für Absagen schlicht oberflächlich sind, halte ich den Grundtenor für sehr realistisch, jedenfalls entspricht er meinem Erfahrungshorizont. Die Investoren verhalten sich hier nicht als die vom Sender inszenierten “Gutmenschen”, die Gründern einen Gefallen tun wollen, sondern als sehr in der Realität stehende Geschäftsleute. So funktioniert die Wirtschaftspraxis, auch wenn viele gern eine andere Seite sehen würden. Und auch die Spieltheorie und die Evolutionsbiologie zeigen, dass ein durchgängig kooperatives und gutmütiges Verhalten, den eigenen Untergang eher beschleunigt. Etwas Härte und die Durchsetzung eigener Interesse gehören (wie übrigens auch die Kooperation) zu unseren biologischen Programmen.

Wer wirft Apple Copycat-Methoden vor?

Den Copycat-Vorwurf finde ich übrigens mittlerweile abgestanden und langweilig, denn dieser reine Neidvorwurf lässt sich auf 99,9% aller Unternehmensgründungen anwenden. Ich kann den ökonomischen Sinn eines solchen Vorwurfs nicht erkennen. Ich glaube eher, hier haben die Samwers ein Imageproblem, weil sie zu wenig kommunizieren. Ich habe nicht einmal den Vorwurf gehört, dass Apple mit dem iPad die viel früher auf dem Markt befindlichen Tablets von Microsoft kopiert hat. Im Gegenteil Apple wird weiter unkritisch bewundert und geliebt. Und btw, wer die Isaacsons herausragende Biografie über Steve Jobs gelesen und daraus über seinen Umgang mit Mitarbeitern und Geschäftspartner erfahren hat, der muss die Samwer-Brüder eigentlich für Chorknaben halten.

In vielen Äußerungen über die Samwers und Rocket Internet spürt man einen unterschwelligen Neidfaktor über das Vermögen, was die drei Brüder sich mit vergleichsweise unspektakulären Produkten erwirtschaftet haben. Manchmal klingt das so, als würden die Neider denken, sie hätten das auch mit diesen Methoden gekonnt. Nein! Sie hätten das nicht gekonnt, sonst hätten sie es ja gemacht und nicht die Samwers.

Pflegen die Samwers absichtlich ihr krudes Image?

Lieben muss man weder die Samwers noch Rocket Internet. Das wollen die Brüder auch sicher nicht. Aber haben die Samwers wirklich ein Imageproblem? Oder hat Deutschland ein gestörtes Verhältnis zu seinen Gründern, wie das Stephan Dörner im Wall Street Journal vermutet. Ich denke ja. Das macht sich auch deutlich an Häme und Spott, den Gründer immer wieder ertragen müssen, wenn große Ankündigungen floppen. Und nicht auszudenken, welche Spott-Kübel über die Samwers ausgegossen werden, wenn sie ihre Börsengänge versemmeln.

Vielleicht pflegen die Samwers aber sogar dieses krude Bild von sich, denn mit dem Blick auf die mutmaßlichen Börsengänge signalisieren die kritisierten persönlichen Merkmale geschäftliches Geschick. Vielleicht passt es ihnen daher sogar gut in den Kram, wenn alle Welt über erfolgreiche Copycats, autoritären Führungsstil und abgezockte Geschäftspraktiken spricht. So etwas bringt Aktienkurse zum Anstieg. Insbesondere wenn neue Aktien einem breiten Publikum angeboten werden sollen, spielen “weichen Faktoren” für die Kaufentscheidung eine viel wichtigere Rolle als die möglicherweise gar nicht so guten Geschäftszahlen.

Geschäftsdaten zählen

In diesem Zusammenhang regt sich Lothar Lochmaier sich über die Selbstgerechtigkeit vieler Kritiker auf und fordert:

“Wie wäre es mal, statt nur selbstgerecht und eitel über die Finanzhaie Zalando & Co. herzuziehen, jenseits von einem Schwarz-Weiß-Abziehbild wirkliche Inneneinsichten in die vielschichtige Philosophie eines Investors zu offerieren.

Ihr aber wisst nicht, wie man Geld produktiv investiert, weil Ihr die Risiken in Eurer Versorgungsmentalität scheut und darüber die Chancen verkennt. …

[W]arum schreibt Ihr nicht mal drüber, wie die drei Samwer-Brüder, die ihr Handwerk angeblich so kalt und herzlos ausführen, sich den Bereich Finanztechnologie erschließen und dies mit dem eigenen Börsengang verbinden. Dazu habe ich noch nichts wirklich Erhellendes, gerne auch Kritisch-Konstruktives gelesen, das auf die feinen Zwischentöne achtet.”

Auf mich wirkt die gesamte Debatte ziemlich inszeniert. Thomas Voigt schreibt im Unterwegs Blog der Otto Group sogar die Medien gehen den Samwers auf den Leim. Vermutlich stimmt das, denn das künstlich aufgeputschte Storytelling ist mit Blick auf den Börsengang eher nützlich.

Muppet-Problem bei den Aktien?

Ich persönlich werde mit hoher Wahrscheinlichkeit die Finger von den Aktien lassen. Wirklich Erhellendes kann ich den aktuellen Berichten weder über die Daten von Zalando noch Rocket Internet entnehmen. Beide potenziellen Börsenkandidaten bleiben eine große und tiefe Black Box, die für Kleinanleger gefährlich sein kann. Hier droht ein massives Muppet-Problem ähnlich wie bei Börsengang von Alibaba.

Insgesamt rund 1.500 Einzelgesellschaften umfasst das Gebilde von Rocket Internet nach Informationen der Wirtschaftswoche. Teilweise seien Gesellschaften in Luxemburg und im US-Bundesstaat Delaware angesiedelt. Hier hätte ich gern einmal Mäuschen bei der Due-Diligence von United Internet gespielt, die 435 Millionen Euro in Rocket Internet gesteckt und damit die Gesellschaft mit 4 Milliarden Euro bewertet haben.

Aber mit Börsengang befasse ich mich in einem Beitrag, wenn es tatsächlich dazu kommen sollte und ich Lust dazu habe. Außerdem müssen handfeste Informationen vorliegen. Die derzeitige Debatte ist eher von einem Neidfaktor bestimmt und ökonomisch für potenzielle Aktienkäufer irrelevant.

rafa64 September 1, 2014 um 13:01 Uhr

Sehr hörenswert – vor allem das zur Ukraine und Krieg:

http://sr-mediathek.sr-online.de/index.php?seite=7&id=15794&pnr=0

Fritz (@Fritz) September 1, 2014 um 08:32 Uhr

Familie Samwer kann man durchaus bewundern für ihre Fähigkeiten, Businesspläne zu exekutieren. Ich würde sagen, sie haben da sogar weltweit einen gewissen Standard gesetzt.
Kritiker „Neid“ zu unterstellen, halte ich aber trotzdem für zu kurz gesprungen. Zum einen gibt es ja andere deutsche Internet-Gewinnler, die nicht unter ähnlichen Kritikattacken leiden, zum Zweiten ist nicht einmal genau bekannt, was von den Exit-Millionen noch effektiv da ist, zum Dritten hört man auch viele kritische Stimmen aus den USA, wo Leute, die was aus sich machen, ja generell eher auf Bewunderung als auf Neid stoßen.
Mir sind die Samwers immer vorgekommen wie Investmentbanker und nicht als „Internet-Unternehmer“. Ihre einzige Geschäftsidee war, US-Ideen früher in Europa zu starten, als das den ursprünglichen amerikanischen Gründern möglich war (Xing ist übrigens auch so entstanden). Das Ziel jedes Investments war und ist allerdings der fette Exit, nicht das Großziehen und Halten eines Unternehmens, wie das den Lebensentwürfen von Unternehmern traditionellerweise entspricht und wie es in den USA viel Internet-Stars handhaben.
Dieser Exit-Fokus beruht sicherlich auch auf einem Learning der „New Economy“-Investmentbanker-Orgie – „Verkaufen, wenn die Fantasie am dollsten ist“, und auf der Tatsache, dass E-Geschäftsmodelle unglaublich schnelllebig sind. Wie sagte Hal Varian vor ein paar Tagen in der FAZ: Du musst in parnoider Art und Weise ständig Gegner und Gefahren wittern, sonst bist du wieder schneller weg vom Fenster, als du glaubst.
Den illusionslosen Fokus auf die Geld-Verzigfachung durch Verkauf an dumme Leute ist das, was die Samwers von anderen Internetunternehmern unterscheidet, was sie erfolgreich macht und was sie in die Nähe von „activist investors“ rückt.
Mit den Ausflügen in den Internethandel haben sich die Samwers jetzt möglicherweise verkalkuliert, finden aber über die Börse noch einen glänzenden Abgang. Verkalkuliert insofern, als sie hier keine unique Idee nach Europa geholt haben, sondern lediglich ein Me-too-Modell über diverse Sortimente und Länder auswalzten, also einfach ihre enorme Umsetzungsstärke ausspielen wollten. Aber sie wissen längst, dass hier eine unendliches Heer an Konkurrenten den Fuchs jagen, dass Otto oder ein anderer Großer kein Interesse hat (das war ja die erste Option), und dass der Netz-Handel sowieso nicht so lukrativ ist, wie er sich auf dem Papier rechnet, weil die Preistransparenz so hoch, dass sie mit dem Wort gandenlos fast noch unzureichend beschrieben ist.
Also nichts wie raus – und wenn die Samwers keinen Ausweg mehr wissen, als die Börse, dann nehme ich an, dass die Prognosen nicht so toll sind.
Ein simples Indiz: Ich habe mir vorgestern die Preise von Marken-Sneakers bei Zalando angeschaut und dann verglichen. Das Ergebnis ist erschreckend: Zalando ist „Preisführer“ – man kann das gleiche Paar Schuhe 40% bis 50% preiswerter woanders bekommen. Preisführerschaft beruht aber hier nicht auf der „Kraft der Marke“ (die liegt beim Schuhhersteller), sondern spiegelt wohl einfach die negative „Kostenführerschaft“. Ich habe nur eine Marke verglichen, vielleicht hat Zalöando auch irgendwo Preisvorteile zu bieten, aber es steht doch zu vermuten, dass Zalando kurzfristig Profit vor Markteroberung stellt, sich hübsch rechnet für die Börse und anschließend in den Miesen versinkt.
Moralisch muss man das wirklich nicht betrachten. Ich finde es aber schade um die Samwers. Sie scheinen einen völlig leeren Kopf zu haben, wenn sie darübernachdenken, welchen Sinn sie ihrem Tun und ihrem Vermögen geben könnten. Ihnen fällt immer nur die gleiche Stanze ein: mehr Geld, um damit noch mehr Geld zu machen. What a thrill! Keine persönliche Identifikation mit irgendetwas.
Kann gut sein, dass 2 der 3 Brüder inzwischen genug davon haben und künftig ein ruhigeres Leben führen wollen. Irgendwann hört der Spaß der Rastlosigkeit ja auf. Die Rakete wird also langsam gelandet, Samwers gucken künftig zu und die neuen Eigner und Aktionäre sind die Dummen, die das „Imperium“ kontrahieren dürfen.

klm (crowdstreet.de) September 1, 2014 um 06:21 Uhr

soviel Neid, wie den Deutschen immer unterstellt wird, gibt es in der ganzen Welt nicht. Aber die Überschrift gefällt mir dennoch.

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