Positive Schwarze Schwäne mit Rocket Internet suchen

by Dirk Elsner on 29. September 2014

Ich empfinde mein Blog nicht als Aktienblog, dennoch folgt nun nach Alibaba und Zalando bereits der dritte Beitrag innerhalb von 10 Tagen zu Aktienemissionen. Ich habe zwar meinen ersten Aktiengewinn überhaupt mit einem scheinbar risikolosen Emissionsgewinn erzielt (es war damals die Börseneinführung der Porsche AG), aber ich teile eher die Skepsis von Michael Mr. Market Schulte mit Blick auf Neuemissionen. Michael betont aus meiner Sicht vollkommen zu Recht die erheblichen Informationsnachteile der Aktienzeichner im Vergleich zu den Gründern und bisherigen Anteilseignern. Das gilt insbesondere für das für mich weiterhin sehr undurchsichtige Geflecht des deutschen Vorzeige-Inkubators Rocket Internet.

image

Weißer Schwan auf der Alster ist kein positiver Schwarzer Schwan

Rocket Internet bzw. die Samwer-Brüder sind vermutlich ausgesprochen gute Pokerspieler. Jedenfalls ließen sie die Öffentlichkeit in den letzten Jahren nicht in ihre Karten schauen. Nur mit dem glasklaren Kalkül “erfolgreicher Börsengang” starteten sie in den letzten Monaten ein professionell organisiertes Storrytelling (siehe dazu auch “Hype oder Neid? Samwers und Rocket Internet im Blickpunkt der Medien”).

Und dennoch, im Vergleich zu Alibaba und Zalando habe ich mehr Fantasie für die Aktie von Rocket Internet, das die Börseneinführung auf diese Woche vorzieht. Die Preisspanne liegt zwischen 35,50 und 42,50 Euro. Damit will das Unternehmen bis zu 1,477 Mrd. Euro erlösen. Wird die Obergrenze beim Emissionspreis erreicht, ergibt sich bei einer Gesamtzahl von 153.043.432 Aktien, die laut Prospekt zum Handel zugelassen werden, ein Wert von 6,504 Mrd. Euro. Wird die Aktie nach Börseneinführung zu den bereits in der vergangenen Woche gesehenen 56 Euro (siehe hier den Chart des Pre-IPO-Handels) gehandelt, errechnet sich daraus sogar ein Unternehmenswert von über 8,5 Mrd. Euro, eine irre hohe Bewertung, wie Thao Hua für das Wall Street Journal feststellte.

Schon die Bewertung von über 6,5 Mrd. Euro lässt sich nicht aus den Geschäftsdaten ableiten, daher versuche ich das gar nicht erst. Ich habe auch große Probleme mit dem für einigen Beobachtern und Marktteilnehmern schon fast als Gesetz angenommenen Narrativ, im Falle von Internetunternehmen seien nach dem Motto “skaliere jetzt, monetarisiere später” hohe anfängliche Verluste völlig normal. Das Unternehmen verbrennt nach eigener Aussage Geld und zwar sehr viel Geld. Und es kann laut Börsenprospekt “den Gesamtverlust aller Beteiligungen derzeit nicht verlässlich ermitteln.”

Interessant finde ich an Rocket Internet, dass durch die breite Streuung der Investitionen in unterschiedlichste Segmente der Zufall mehr herausgefordert wird. Mit Rocket Internet lässt sich damit die Talebche Strategie der Suche nach “positiven Schwarzen Schwänen”* realisieren. Mir fallen sonst kaum Aktien ein, bei denen so etwas möglich ist. Nassim Taleb schreibt in seinem Vorwort zum Buch “Der Schwarze Schwan”)

“Wir können uns beispielsweise möglichst stark Schwarzen Schwänen vom positiven Typ aussetzen, die günstige Umstände bringen. Auf manchen Gebieten – wie bei den wissenschaftlichen  Entdeckungen und der Investition von Risikokapital – zahlt das, was wir nicht wissen, sich unverhältnismäßig stark aus, da wir dort durch ein seltenes Ereignis gewöhnlich wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen haben.“

Man trägt zwar auch bei dieser Aktie ein hohes Risiko, dafür besteht aber immerhin die Möglichkeit, eines extrem positiven Ereignisses. Rocket Internet ist der deutsche Inkubator. Klar, das Unternehmen wird durch den Medienhype groß aufgeblasen. Aber hier gibt es eine gewisse (allerdings nicht berechenbare) Wahrscheinlichkeit für einen lucky punch. Selbst wenn unter den Beteiligungen kein Unternehmen ist, das irgendwann einmal die Regionen der Apples, Googles, Facebooks oder WhatsApps erreicht, kann dies spannend werden. Die eine oder andere der mehr als 300 Beteiligungen aus dem Portfolio könnte sich vielleicht wirklich zu einer Wert-Rakete entwickeln. Das ist jedenfalls eine weitere Erzählung, für die Aktionäre derzeit riesige Prämien bezahlen. Ein anderes Narrativ fasst Martin Groß-Albenhausen auf bevh zusammen:

Die Rocket Story ist keine Handels-Erzählung, sondern eine Finanz-Wette. Es geht nicht um nachhaltige Geschäftsmodelle, die über Jahre den Investoren aus dem laufenden Betrieb Erträge erwirtschaften. Es geht darum, mit viel Geld und hoher Geschwindigkeit ein Produkt mit dem alleinigen Ziel aufzubauen, es nachher zu einem höheren Wert als den aufgelaufenen Kosten zu verkaufen und so den Anlegern eine hohe Rendite zu erwirtschaften. Kann man Rocket Internet diese Story abkaufen? Zweifellos, denn genau darin sind sie erfolgreich. “

Die Narrative um Rocket und Zalando werden begleitend gegen Kritik immunisiert, in dem die Skeptiker als wenig mutig, nicht zukunftsorientiert und zu zaghaft für wirkliche Erfolgsstorys bezeichnet werden.

Aber zurück zu Taleb.

Taleb arbeitet in seinem Buch “Antifragilität” unser ständiges Bemühen heraus, dass wir versuchen, uns gegen negative Schwarze Schwäne zu schützen. Meistens gelingt uns das nicht. Sein Buch “Antifragilität” ist ein Plädoyer dafür, unsere Gesellschaft und Unternehmen “antifragil” zu gestalten. Er schreibt in seinem Buch (Position 571 ff.):

Das Antifragile steht Zufälligkeit und Ungewissheit positiv gegenüber, und das beinhaltet auch – was entscheidend ist – die Vorliebe für eine bestimmte Art von Irrtümern. Antifragilität hat die einzigartige Eigenschaft, uns in die Lage zu versetzen, mit dem Unbekannten umzugehen, etwas anzupacken – und zwar erfolgreich –, ohne es zu verstehen. Um es noch schärfer zu formulieren: Wir sind im Großen und Ganzen besser, wenn wir handeln, als wenn wir denken, und das verdanken wir der Antifragilität. Ich bin auf jeden Fall lieber dumm und antifragil als hyperintelligent und fragil.”

Weiter schreibt er etwas später (Position 587 ff.)

“Daraus ergibt sich eine Lösung für das, was ich als Problem des Schwarzen Schwans bezeichnet habe:   für die Unmöglichkeit, die Risiken zu kalkulieren, die sich aus seltenen Ereignissen ergeben,sowie die Unmöglichkeit, ihr Eintreten vorherzusagen. Mit der Anfälligkeit für die schädlichen Folgen von Unbeständigkeit, von Volatilität, kann man besser umgehen als mit der Voraussage des Ereignisses, das möglicherweise diese schädlichen Folgen herbeiführen kann.”

Seine Empfehlung  lautet daher, unsere heute übliche Vorgehensweise im Bereich Vorhersagen und Risikomanagement auf den Kopf zu stellen:
”Für jeden Bereich schlage ich Regeln vor, mit denen man sich vom Fragilen weg- und auf das Antifragile zubewegen kann durch Reduktion von Fragilität und Nutzbarmachung von Antifragilität. Dabei lässt sich Antifragilität (und Fragilität) fast immer durch einen einfachen Asymmetrietest erfassen: Alles, was von zufälligen Ereignissen oder Erschütterungen mehr profitiert, als dass es darunter leidet, ist antifragil; das Umgekehrte ist fragil.”

Genau diese “Antifragilität” wird mit Rocket Internet verkauft. Es droht maximal der Verlust des eingesetzten Geldes, es lockt freilich das Mehrfache des Einsatzes.

Dennoch ist Vorsicht angebracht, denn die vorbörslichen Bewertungen zeigen eine krasse Asymmetrie zwischen dem auf Finanzierungsrunden basierenden Marktwerten der Beteiligungsunternehmen von 2,6 Mrd. Euro und dem Wert von Rocket Internet von über 6 Mrd. Euro (bzw. sogar bis zu 8,5 Mrd, Euro). Diese hohe Differenz macht Börsenblogger Marc Schmidt skeptisch.

Aber soweit ich das überblicke, ist die Aktie von Rocket Internet eine der wenigen Möglichkeiten, in positive “Schwarze Schwäne” zu investieren. Ginge es nur nach den reinen betriebswirtschaftlichen Daten, ist die Aktie viel zu teuer, zumal die Beteiligungsunternehmen konsolidiert in der Rocket Bilanz Verluste machen.  Aber mit der Aktie erwirbt man eine sehr lange laufende Option auf Chancen der Beteiligungsunternehmen. Das Geschäftsmodell von Rocket Internet basiert auf Streuung der Investitionen und hoher “Volatiltiät” der investierten Objekte. Ich sehe derzeit keine andere Aktie, bei der so etwas möglich ist. Daher könnte ich btw. nicht mit der üblichen discounted Cash-flow-Methode kalkulieren, sondern man müsste hier mit optionstheoretische Verfahren an die Bewertung gehen.

Das Risiko, nicht von den “positiven Schwarzen Schwänen” profitieren zu können liegt hier freilich darin, dass die Samwers ein vielleicht vielversprechendes Start-up gerade nicht durch Rocket Internet fördern lassen, sondern durch eine Beteiligungsgesellschaft außerhalb der Rocket-Welt (z.B: durch Global Founders Capital) . Dagegen dürfte aber sprechen, dass weiterhin sehr viele Großinvestoren bei Rocket Internet investiert bleiben, die sehr genau schauen, was das Management und die Samwers so treiben.

Ich selbst frage mich abschließend, ob ich hier nicht auch bereits den Narrativen des professionell gesteuerten Storytellings erliege. Die Samwer-Brüder verkaufen mit Rocket Internet die Hoffnung auf das “nächste große Ding”. Diese Hoffnung ist eine sehr teure Finanzwette. Ein Papier für die Altersvorsorge kann Rocket Internet damit nicht werden. Man sollte sich außerdem nicht einreden lassen, dass es mutig sei, sich hier zu beteiligen. Aussagen wie Mut haben nichts mit seriöser Kapitalanlage zu tun. Eher sollte man sich fragen, ob man risikobereit ist und sich genau überlegen, was Risiko hier im Falle eines Investments konkret heißt.

Irgendwann wird sich herausstellen, ob die Erwartungen gerechtfertigt waren oder hier eine Blase geplatzt ist. Je nach Entwicklung werden entweder die Jünger oder die Skeptiker von Rocket Internet mit Häme überschüttet. Je nach Ausgang werden sich anschließend wieder “Experten” damit brüsten, dass die Entwicklung doch klar gewesen sei. Das ist die einzige Vorhersage, die ich zu der künftigen Entwicklung machen kann.


Mit dem Ausdruck „schwarzer Schwan“ bezeichnet Taleb nach der Zusammenfassung von Carsten Dethlefs im INSM-Blog  im übertragenden Sinne Ereignisse, die

  1. vermeintlich unvorhersehbar sind,
  2. nur selten vorkommen,
  3. große Auswirkungen zeitigen und
  4. in der Rückschau eigentlich höchst plausibel sind.
Fritz (@Fritz) September 29, 2014 um 18:23 Uhr

Man kommt nicht umhin, den Samwers Respekt zu zollen. Vor allem für das Tempo und die Zielstrebigkeit. Wie die z.B. sich eine sehr aussichtsreiche Position in Afrika aufgebaut haben, das ist eigentlich mehr als nur „copycat“. Sie haben auch viel dazu beigetragen, dass in D überhaupt ein bisschen Start-up Dynamik aufkam und dass sogar Sequoia mal nach Berlin guckt.
Aber darein investieren? Der Risikostreuung für den Investor stehen Risiken im Konglomerat gegenüber. 1. Risiko: Verzettelung. Die „Bauchladen-Strategie“ funktioniert selten (wann je?) und bringt logischerweise nicht nur Fehlallokationen des Kapitals mit sich. 2. Risiko: Das Management trifft Fehlentscheidungen und brennt dort das meiste Geld nieder, wo am Ende Konkurrenten erfolgreicher sind. Beispiel könnte Zalando werden.
Wie es etwas übersichtlicher und fokussierter ginge (allerdings auf kleinerem Niveau), kann man bei der MIC AG sehen (http://www.mic-ag.eu/de/mic-ag.html ). Da ist Maschmeyer mit 25% dabei (also Vorsicht, das kann schief gehen 😉 ).
Das Interessante ist, dass solche Beteiligungen an der Börse immer deutlich unter Buchwert gehandelt werden, die MIC – wenn ich das noch richtig erinnere – notiert, glaube ich, rund 50% unter dem, was die Einzelteile wert sind, wenn sie buchhalterisch bewertet werden.
Bei Rocket ist übrigens ein Grund zur Skepsis, dass die in den letzten Jahren keinen echten Exit mehr hingekriegt haben, sondern nur noch Kapitalerhöhungen. Logisch erwartbar wäre doch, dass die in den 300 Beteiligungen ein gewisses Kaufen und Verkaufen veranstalten, da scheint aber nichts wirklich zu einem Preis verkauffbar zu sein, was die bisherigen Investitionen ausgleichen würde. Grob über den Daumen geunkt, würde ich daher vermuten, dass locker die Hälfte des heutigen Buchwerts (so der überhaupt feststellbar ist) davon bedroht ist, sich in Luft aufzulösen.
In den letzten Jahren hat Rocket sehr viel (oder sogar ausschließlich?) in E-Shops investiert – Profitmargen wie bei Google oder Facebook werden da nie zu erzielen sein. Wo ein E-Shop ist, gibt es auch immer etliche Konkurrenten, und Rocket ist nirgends globaler Marktführer.
Gegenvorschlag zur Chancenstreuung: Seedmatch. Da können Sie ganz unten einsteigen, ab 250 Euro, selbst in die Business-Pläne schauen und Sie können sich Ihr Portfolio selbst zusammenbasteln. Scheint mir eigentlich schlauer, wenn man denn auf einen weißen Schwan hoffen möchte.

egghat September 29, 2014 um 07:36 Uhr

Ich weiß gar nicht,ob man bei rocket wirklich auf das nächste große Ding spekuliert, sondern eher auf die nächste Kopie eines US-Geschäftsmodells, das dann nach dem Aufpumpen des Geschäfts und der europaweiten Expansion zu Wahnsinnspreisen an das US-Vorbild vertickert wird. Ob die europäische Version profitabel ist oder nicht, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass der Markt besetzt ist und damit ein Kauf des europäischen Clones preiswerter ist als die Markteroberung in Eigenregie. Bedingung dafür ist freilich, dass die US-Vorbilder weiter Zugriff auf frisches Geld durch VC oder noch besser IPOs haben.

Ich glaube, darin steckt die wirkliche Fantasie bei Rocket. Bleibt die Stimmung für Börsengänge aus dem internetsektor gut, wird auch Rocket ein paar gute Exits hinbekommen. Kippt die Stimmung, kippt auch Rocket. D.h. nicht, dass die Firma implodiert, sondern nur der Aktienkurs.

Dirk Elsner September 29, 2014 um 08:18 Uhr

Ich bin mir nicht sicher, ob diese „build and sell“ wie es mit ebay und Groupon funktioniert hat, weiter im Fokus steht. Dieser Teil der Story ist ja zumindest bei Zalando nicht aufgegangen.

Wenn die Stimmung kippt, kann freilich auch Rocket Internet selbst Probleme bekommen, denn das Unternehmen verbrennt ja weiter laufend Kapital. In Zukunft braucht das Unternehmen dafür eine Kapitalerhöhung. Spielen da die Aktionäre nicht mit, dann implodiert zumindest der Aktienkurs und langfristig auch das Unternehmen. Das Geschäftsmodell von Rocket ist zwar nicht mit Unister unbedingt vergleichbar. Aber auch bei den Leipzigern gab und gibt es irre Bewertungen der Beteiligungsunternehmen und eine Rhetorik, die mich an die der Raketenbrüder erinnert. m

Comments on this entry are closed.

{ 4 trackbacks }

Previous post:

Next post: