Generation Y: Die Arroganz einer gesamten Generation

by Dirk Elsner on 5. September 2014

Gastbeitrag von Jodie Ann Ernsting*

Angenehm, Jodie.

Ich gehöre zur Generation y.

Ich bin faul, illoyal, spaß- orientiert, habe kein Durchhaltevermögen und sitze 24 Stunden vor einem Bildschirm, sodass ich den Blick für die reale Welt verloren habe.

Foto: (flickr/mmara 2life, Lizenz)

So sieht mich jedenfalls die Generation vor mir, zu der meine Eltern und leider wahrscheinlich auch meine zukünftigen Arbeitgeber gehören.

Ich habe mich immer gegen diese ganzen Vorurteile gewehrt und habe die Bestätigung auch von meiner Familie bekommen, die diese Annahme aus eigener Erfahrung sowohl mit meinem Bruder und mir, als auch mit Leuten meines Alters in ihrem Berufsleben nicht bestätigen konnten.

Aber ich muss gestehen, dass je älter ich werde die eine oder andere Tatsache doch der Wahrheit entspricht.

Nach meinem Abi im letzten Jahr habe ich gesehen, dass ein Großteil meiner ehemaligen Mitschüler ins Ausland gegangen ist, um sich von dem anstrengenden Abitur zu erholen und „sich selbst zu finden“ (hach, wie ich diesen Ausdruck liebe).

Eine erschreckend geringe Zahl, zu der auch ich gehöre, begann sofort mit ihrem Studium oder einer Ausbildung. Einige wenige starteten auch ein längeres Praktikum, aber diese Zahl ist so verschwindend klein, dass sie kaum erwähnenswert ist.

Wie kann das sein?

Natürlich war das Abi kein Zuckerschlecken, aber haben wir uns wirklich ein ganzes Jahr Auszeit verdient, nur weil wir uns einmal 3 Monate anstrengen mussten?

Hochgerechnet: Für jede Prüfungsphase der Uni, die mit Lernaufwand ca. 2 Monate dauert, gönnen wir uns also 1 Jahr Pause.

Zwei Prüfungsphasen im Jahr, da jeweils zwei Semester, heißt pro 1 Jahr studieren, 2 Jahre Pause. Für meinen Bachelor würde ich dann 9 Jahre brauchen und für meinen Master nochmal 6. Gut, dann wäre ich 34, wenn ich mit meinem Studium fertig wäre.

Aber nach diesem ist es ja nicht vorbei. Und Projekte in einem Beruf sind natürlich doppelt anstrengend, also gönnen wir uns doch mal 1 ½ Jahre Pause. Rechnen Sie sich mal selbst aus, wie viele Projekte ich in meinem Leben schaffen würde 😉

Im Studium hat man natürlich die klassischen Stereotypen von Studenten: Die „Dauerchiller“, die „Lernwütigen“ und die ganz Normalen, so wie mich eben.

Ich beschwere mich über Essays, schreibe sie aber trotzdem, stöhne über das Lesepensum, bin am Ende aber dennoch vorbereitet und stehe vor jeder Klausur kurz vor Aufgabe meine Studiums und schaffe es am Ende doch. Obwohl ich sicher war, es diesmal auf gar gar gar keinen Fall zu schaffen.

Als ich meinen Kommilitonen erzählt habe, dass ich meine Semesterferien nicht entspannt irgendwo am Strand verbringe, sondern ein Praktikum mache, war jedes Mal die erste Frage „musst du das für dein Studium machen?“ „Nee, mache ich freiwillig. Sieht gut aus auf meinem Lebenslauf und dann bekommt man mal Praxis.“ „Aber du kriegst doch dafür Geld, oder?“ „Ja, nee. Dafür arbeite ich nebenher.“

Niemand konnte nachvollziehen, wie ich meine gesamten Ferien vom ersten bis zum letzten Tag dafür „opfern“ konnte.

Ich will mich hier nicht heilig sprechen und sagen, wie toll und richtig ich das mache.

Ich fluche jeden Morgen darüber aufstehen zu müssen, während mir auf Facebook ständig angezeigt wird „xy ist hier: Düsseldorfer Flughaben – ab in die Sonne!“

Aber dieses absolute Unverständnis meiner Umgebung verstehe ich nicht.

Wie kann meine Generation erwarten, dass die Welt auf sie wartet?

Was ist an uns so toll, dass der Arbeitsmarkt genau uns für den tollen Job in einer Traumstadt haben möchte?

Genau: Nichts!

Wir sind genau solche „Greenhorns“, wie alle anderen Generationen vor uns, nur sehen wir das nicht.

Uns wurde immer gesagt wie unendlich großartig wir sind und das wir alles schaffen können was wir wollen.

Können wir auch, mit Sicherheit. Nur müssen wir etwas dafür tun.

„Du bist toll! Aber das musst du der Welt auch zeigen.“ Dies war ein Satz, der mich geprägt hat.

Ja, natürlich bin ich toll. Das sagen uns unsere Eltern schon unser ganzes Leben, aber das weiß doch noch niemand. Das muss Ich der Welt zeigen!

Wenn ich meine Freunde höre, wie sie sagen „Ja, es ist zwar der perfekte Studienplatz, aber irgendwie find ich die Stadt doof…“ könnte ich schreien.

Woher nehmen wir uns das Recht immer das Beste zu bekommen? Wieso sollten gerade wir alles bekommen, was wir wollen?

Weil wir die Generation y sind und einfach immer bekommen was wir wollen?

Wir sind der festen Überzeugung, dass wir es verdient haben. Ohne bisher etwas geleistet zu haben, versteht sich.

Meine Genration will nicht bei 0 anfangen und sich langsam hocharbeiten.

Das wäre zu anstrengend und dann bräuchte man schließlich wieder ganz viel Pause – siehe oben.

Aber wie kommt das?

Wie konnten wir so unendlich arrogant werden?

Die einen sagen „einfach weil wir es aufgrund des Fachkräftemangels können“. Aber gibt uns das, das Recht so überheblich zu werden?

Nur weil wir im Vorteil sind, diesen schamlos ausnutzen?

Wenn die zukünftige Welt so funktionieren würde, haben wir in spätestens 10 Jahren ein ganz anderes und weitaus größeres Problem.

Oder rührt es daher, dass die Medien uns tagtäglich sagen, dass wir alles werden können, wenn wir nur die Augen zukneifen und fest daran glauben?

Wir fühlen uns unbesiegbar.

Man kann inzwischen die meisten Krankheiten heilen und wenn wir mal keinen Job haben? Hart VI wird uns schon auffangen – und so ein Sabbatjahr wollten wir ja eh schon immer mal machen.

Wir haben keine Angst mehr.

Keine Angst vor Existenzverlust, vor Krankheiten oder Kriegen.

Wir sind so behütet aufgewachsen, dass wir gar nicht mehr wissen, was es heißt Angst zu haben oder kämpfen zu müssen.

Da möchte ich mich keinesfalls rausnehmen, aber ich glaube, so ist es.

Wir haben nie gelernt für etwas kämpfen zu müssen, da wir mit sehr geringem Aufwand bisher alles in unserem Leben bekommen haben und hat sich dann doch einmal eine Tür geschlossen, öffneten sich sofort zwei andere.

Ich möchte keinesfalls sagen, dass sich an der heutigen Arbeitswelt nichts ändern sollte.

Die hohen Zahlen von „Burn out’s“ sprechen für sich, doch wieso stellen Menschen Ansprüche, deren höchster Verdienst bisher ist, seinen Abschluss gemacht zu haben?

Wir wollen flexible Arbeitszeiten, angemessenes Gehalt und Wertschätzung unserer Leistung.

Alles schön und gut, aber doch erst nachdem wir für das Unternehmen etwas geleistet haben.

Nachdem wir uns bewiesen haben und gezeigt, dass wir diese Privilegien verdienen.

Ich unterstütze die Forderungen meiner Generation an die Arbeitgeber, jedoch erst dann, wenn wir ein Recht darauf haben.

Und das haben wir, meiner Meinung nach, nicht, wenn wir frisch von der Uni kommen.


* Jodie Ann Ernsting hat vor einem Jahr Abitur am Hans Ehrenberg Gymnasium in Bielefeld gemacht und schreibt hier über Impressionen der Jugend nach dem Abitur und auf der Suche nach dem Weg der Generation Y. Jodie studiert in Bielefeld Germanistik. Ihr Beitrag in diesem Blog für die Blogparade zur Vollbeschäftigung erschien in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 5. Mai 2013.

Carina September 12, 2014 um 10:21 Uhr

Man könnte natürlich dagegenhalten, dass wir nie wieder so viele Freiheiten besitzen werden wie während dem Studium – also, außer später in Rente. Wer also während seiner Studienzeit 365 Tage im Jahr an seiner Karriere arbeitet, den Lebenslauf begradigt und optimiert – der verpasst eigentlich das Leben. Das was, Persönlichkeit bildet. Und Erinnerungen schenkt für die Zeit, in der sich der Verstand schon langsam wieder verabschiedet.

‚Frisch‘ von der Uni, im Sinne von ’nie gearbeitet, keine Praktika, nichts geleistet‘ kommt meiner Erfahrung nach heute ohnehin kaum jemand mehr. Zumal das eine Jahr ‚Erholung‘ in den USA von vielen Arbeitgebern als wertvolle Auslandserfahrung gerechnet wird, deren Fehlen im Lebenslauf auch schon wieder Abzugspunkte gibt.

tl;dr:
Natürlich ist es wichtig, auch während Ausbildung & Studium schon etwas über den eigenen Tellerrand zu schauen und Arbeitserfahrung zu sammeln – sich bereits in dieser Zeit schon vollständig in Arbeit zu verlieren, halte ich allerdings für genauso gefährlich wie völliges Nichtstun.

(Der Fachkräftemangel ist übrigens ein modernes Märchen- sprechen Sie mal mit anderen Uni-Alumni darüber, wie lange diese in der Regel nach einer Stelle gesucht haben, wenn Sie nicht schon während des Studiums mit ihrem künftigen Arbeitgeber zusammengearbeitet haben.)

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