Verschläft Deutschland das digitale Zeitalter?

by RalfKeuper on 25. September 2014

In seinem lesenswerten Beitrag Die deutsche Wirtschaft ruht sich auf “Made in Germany” aus äußert Martin Weigert die Befürchtung, Deutschland könne den Anschluss an das digitale Zeitalter verlieren. Zu sehr sei die Wirtschaft hierzulande auf das Ideal deutscher Ingenieurskunst fixiert.

Da ist was dran.

Deutschland hatte vielleicht zu lange Erfolg mit der Herstellung hochwertiger Produkte, für die die Kunden gerne bereit sind, einen Aufpreis zu bezahlen. Die Exporterfolge der letzten Jahre, Jahrzehnte scheinen indes zu belegen, dass diese Erfolgsgeschichte noch lange nicht an ihr Ende gekommen ist.

Bis heute hat die deutsche Wirtschaft in der Internetökonomie und Softwareindustrie keine dem Maschinenbau, der Chemie- oder der Automobilwirtschaft vergleichbare Position erreichen können. Hier liegen die USA deutlich vorne – erwähnt seien nur Google, Amazon, facebook und Apple. Auch in China ist die Wirtschaft, auf den ersten Blick jedenfalls, digitaler ausgerichtet als die großen Volkswirtschaften in Europa. Spätestens seit der Berichterstattung um den bevorstehenden Börsengang von Alibaba, dem nach eigener Aussage weltweit größten Abwickler von Mobile Payments und schärfsten Konkurrenten von Amazon, ist das Unternehmen, das mehrheitlich Yahoo gehört, auch im Westen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Suchmaschine Baidu ist das Google Asiens. In Japan schickt sich der Rakuten-Konzern an, Amazon und Alibaba Paroli zu bieten.

In Deutschland, wie überhaupt in Europa, tut sich auf diesem Gebiet recht wenig. Eine Ausnahme ist sicherlich Rocket Internet, obwohl es auch hier Stimmen gibt, die eine Gleichsetzung mit Alibaba für abwegig halten. Einzig Skandinavien scheint unter den Regionen Europas in Sachen Digitalisierung mit den USA, Asien und (!) Afrika Schritt halten zu können.

Im Banking sieht es nicht viel anders aus, wenngleich hier die USA, anders als bei Suchmaschinen und im E-Commerce, keinen deutlichen Vorsprung gegenüber den Ländern Europas haben. In Europa ist vor allem Großbritannien bemüht, seine noch verbliebene Industrie und seine Banken auf Digitalisierung zu trimmen. Nach dem Wunsch der britischen Regierung soll London die weltweite FinTech-Metropole werden. Im Vergleich dazu ist die Finanzbranche in Deutschland weit abgeschlagen, wenngleich sich auch bei uns in den letzten Jahren einiges getan hat. Berlin zählt mittlerweile zu den beliebtesten Standorten für die Ansiedlung von FinTech-Startups in Europa.

Manchmal kann sich schon der Eindruck einstellen, dass uns in Deutschland der Idealismus einen Streich spielt. Das drückt zum einen dadurch aus, dass Produkte mit dem Gütesiegel „Made in Germany“ in Fragen der Qualität einen ausgezeichneten Ruf genießen. Andererseits ist spöttisch vom german overengineering die Rede. Hin und wieder wäre eine pragmatische Vorgehensweise – in Maßen – die bessere Alternative – auch im Banking. Anstatt auf die ideale Lösung bzw. Konstellation zu warten, wäre es manchmal besser, überhaupt erst einen Anfang zu machen, selbst wenn das Ergebnis den eigenen Vorstellungen von Qualität (noch) nicht entspricht.

Es scheint eine deutsche Eigenart zu sein, neuen Technologien und Verfahren gegenüber zuerst eine skeptische bis ablehnende Haltung einzunehmen. Irgendwann jedoch löst sich Knoten und es kann dann gar nicht schnell und umfassend genug gehen.

Zwei Zitate aus der Zeit um 1900 beschreiben diese Mentalität noch immer zutreffend:

So sagte der Engländer Arthur Shadwell im Jahr 1908:

Die Deutschen sind langsam, zielbewusst, sorgfältig, methodisch und gründlich in ihrer Arbeit. Sie sind kein unternehmendes und abenteuerliches Volk, sie brauchen Zeit zum Nachdenken und Handeln. Aber sie haben eine unerreichte Fähigkeit darin, den richtigen Weg herauszufinden und ihn unbeirrt zu verfolgen.

Und der deutsche Philosoph Rudolf Eucken kam in etwa zur selben Zeit zu dem Schluss:

Wir sind oft weniger rasch wie die anderen Völker, und wir entschließen uns oft langsam, aber was wir ergriffen haben, das suchen wir bis zum Grunde durchzubilden und in Ganzes zu fassen; so kommen wir schließlich doch den anderen voran.

So gesehen besteht kein Grund zu ernster Sorge, entspricht unsere derzeitige Haltung der Erfolgsformel der Vergangenheit, die bis heute, wenn auch mit Einschränkungen, überdurchschnittliche Ergebnisse herbeigeführt hat.

Die Frage ist allerdings, ob Deutschland und weite Teile Europas es sich auch weiterhin leisten können, bei den neuen Technologien die Nachzügler, die Imovatoren zu sein, zumal die Digitalisierung ein anderes Tempo vorlegt als die Industrialisierung.

Solange die Infrastruktur, das Rechts-, Wissenschafts- und Bildungssystem in Deutschland noch aufnahmefähig sind, d.h. uns in die Lage versetzen, die neuen Technologien zu begreifen und zu lehren und das Wissen in der Praxis erfolgreich anzuwenden, besteht kein Grund für Pessimismus.

Ob allerdings die sog. Digitale Agenda diese Funktion erfüllen kann, darf bezweifelt werden.

Mit Blick auf Großbritannien scheint hierzulande noch der Wille zu fehlen, die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen. Dagegen lässt sich einwenden, dass Großbritannien auch keine andere Wahl hat, nachdem die Industrie weitgehend verschwunden ist, und es überdies auch eine Gefahr sein kann, die Wirtschaft komplett auf digital umzustellen. Sollten sich die Erwartungen nicht erfüllen, trifft es die Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes unmittelbar.

Im Ausland blickt man nicht selten mit einiger Bewunderung auf die Leistungen deutscher Ingenieurkunst und ihrer Fähigkeit, Innovationen, wenn auch keine technischen Revolutionen, hervorzubringen. Beispielhaft hierfür ist der Beitrag Why Germany Dominates the U.S. in Innovation von Dan Breznitz, der im Mai diesen Jahres im Harvard Business Review erschien.

Nach meinem Eindruck ist die deutsche Industrie bei der Digitalisierung schon weiter als die Bankenbranche. Erwähnt seien die Industrial-IT und der Spitzencluster Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe. Der deutsche Maschinenbau ist einer der größten Arbeitgeber für Sofwareentwickler, die sich mit Embedded Systems auskennen. Für den Landmaschinenhersteller Claas ist die Digitalisierung erfolgskritisch.

Insofern ist das Bild nicht einheitlich, d.h. die deutsche Wirtschaft hält in wichtigen Bereichen bereits den Anschluss an die Digitalisierung.

Fertigungs- und Informationstechnologie fangen auch in der Industrie an, zu verschmelzen. In den Banken ist das schon lange so. Um so überraschender, dass die Schritte hier häufig noch so zaghaft und unkoordiniert ausfallen.

Aber, was nicht ist, kann ja noch werden.

Weitere Informationen:

Innovationen: Typisch deutsch
BMBF-Großprojekt zum Thema Big Data in der Produktion in Lemgo gestartet


Der Beitrag ist ein genehmigter Crosspost von Ralf Keuper, den er auf seinem Blog Bankstil veröffentlicht hat.

Beate September 25, 2014 um 20:08 Uhr

Eine Volkswirtschaft die mit 0,9% jährlich Produktivitätswachstum zufrieden ist – zur Not werden die Löhne gekürzt geht noch 10 – 20 Jahre – braucht keine neuen Technologien.

Alle Innovationen die im IPhone drin stecken sind irgendwann staatlich mitfinanziert worden, selbst der Google-Suchalgorithmus.

Frau Merkel spart unsere Volkswirtschaft zu Tode.

Die deutschen Ökonomen tragen eine grosse Mitschuld an dem Niedergang.

Es wird zum Crash kommen.

Innovation hat nichts mit der Zahl der Universitätsabschlüsse zu tun.

Pisa ist dumm!

Sondern mit der Chance scheitern zu dürfen und dann etwas neues zu probieren. Oder 20 Jahre an einer Lösung zu arbeiten.

Nixda September 25, 2014 um 12:18 Uhr

Die Ursachen sind natürlich gesellschaftlicher Natur. Eine nicht ganz unwesentlicher Faktor ist, dass der Standort Deutschland von den Industrieverbänden systematisch totgeredet wurde und wird. Häufig genug hört man, „das können Sie in Deutschland gar nicht machen“. Natürlich könnte man, wenn nur alle mitziehen würden. Ein Amerikaner würde nie so ein Argument verwendet.

Und wenn das Deutsche Produkt dann da ist, dann wird es nicht aufgenommen. Wenn das selbe Produkt 2 Jahre später aus den USA kommt, wird es wie wild gekauft (z.B. StudiVZ vs. Facebook)

Etwas verkürzt liegt eine weitere Ursache in der „BWL-isierung“ des Management. Eigentlich sind alle großen erfolgreichen Industrie- uns Softwareunternehmen wie Porsche, Siemens, Mercedes, SAP wurden von Technikern gegründet, Bill Gates, Larry Page, Mark Zuckerberg, Steve Jobs, Larry Ellison (Oracle), Pierre Omidyar (EBay), Jeff Bezos (Amazon) kommen alle aus einer technischen Ausbildung, nicht aus einer wirtschaftlichen. Um einem Produkt eine Seele zu geben, braucht es Menschen, die es wie eigene Kinder großziehen. Das funktioniert nicht mit Menschen, die nur die Marktchancen einer Produktkategorie sehen. Ein solches Retortenprodukt ist selten erfolgreich.

Das Sozialprestige einer technischen Ausbildung in Deutschland ist schlecht, die berufliche Wirklichkeit in den meisten Firmen unbefriedigend, die Bezahlung durchschnittlich, Karriereaussichten in aller Regel nicht existent. In den Unternehmen sitzen die IT-Abteilungen häufig in den unattraktiven Gebäudeteilen wie im Keller. Man muss jedem begabten Jugendlichen von einer Berufswahl in diesem Bereich abraten.

Deutschland hat zu viele Manager (Leute mit BWL Ausbildung) und zu wenige mit kreativen Köpfen und dem Wissen, wie man es umsetzt (Ingenieure und Informatiker). Und die wenigen, die es hat, hält es systematisch klein.

(Die Samwers fallen nicht in diese Kategorie, aber bisher haben die ja auch keine Innvationen erzeugt, sondern bestehende amerikanische Produkte kopiert).

Ralf Keuper (Bankstil) September 25, 2014 um 18:24 Uhr

Stimme weitgehend zu. Ohne hier jetzt oberlehrerhaft sein zu wollen: Jeff Bezos war u.a. Investmentbanker und Steve Jobs sagte, so weit ich weiss, dass sein Kurs in Kalligraphie für ihn die größte Inspiration als Unternehmer gewesen sei. Aldi, Metro und der Otto-Versand wurden von Kaufleuten gegründet. Auch Kaufleute bzw. Nicht-Techniker können ein ausgesprochen intensives Verhältnis zu Produkten entwickeln. Oscar Troplowitz, Erfinder von Niveau und Tesa, hat neben Pharmazie auch Philosophie studiert. Walther Rathenau ,u.a. Chef der AEG, war noch vielseitiger.

Richtig ist, dass in Deutschland die Controller oder das Controller-Denken inzwischen einen zu großen Einfluss haben. Ein Gründer wie Heinz Nixdorf konnte seine Entscheidungen weitgehend alleine treffen, einfach aufgrund seines Instinkts, Gespürs. Controller, wie auch viele Unternehmensberater, argumentieren im Sinne der Verbesserung des Bestehenden, und raten selten bis gar nicht zu Investitionen mit ungewissem Ausgang. Am besten hat dieses Dilemma m.E. Andy Grove in „Nur die Paranoiden überleben“ beschrieben. Als er und sein Kompagnon George Moore einsehen mussten, dass sie mit Intel im Halbleitergeschäft auf Dauer nicht mit den Japanern konkurrieren konnten, haben sie die Entscheidung getroffen, die Sparte auslaufen zu lassen und stattdessen massiv in die Mikroelektronik investiert. Ein Berater oder Controller hätte wohl zu Kosteneinsparungen und einer Vertriebsoffensive geraten. Kaum auszudenken, was die Aktien-Analysten und die Börse zu den Plänen gesagt hätten, wenn man sie vorher dazu befragt hätte.

Volle Zustimmung auch, dass Verbände in Deutschland sich gerne im Jammern hervortun und die Mängel beklagen, die es in Deutschland Gründern so schwer machen. Ein Steve Jobs wäre hierzulande wohl kaum finanziert und auch von Verbänden ignoriert worden. Bei uns ist das Zunftwesen an einigen Stellen noch immer sehr präsent. Schnell ertönt bei größeren Investitionsvorhaben der Ruf nach dem Staat.

Dass das Sozialprestige technischer Berufe in Deutschland einen schlechten Stand hat, würde ich so nicht unterschreiben. Der Ingenieur, quasi eine deutsche Erfindung, genießt in der Gesellschaft ein hohes Ansehen. Womit wir größere Probleme haben, sind Berufe oder Tätigkeiten, die kaum etwas mit „richtiger“ Arbeit zu tun haben, deren Ergebnis unstofflicher Natur ist. Unter der Arbeit eines Informatikers und IT-Beraters können sich nur sehr wenige etwas vorstellen. Das ist irgendwie suspekt. In einer Nation, die Exportweltmeister ist, und Automobile und Maschinen in großer Stückzahl absetzt, hat die digitale Ökonomie daher fast schon zwangsläufig ein Rechtfertigungsproblem. Einzig der Arbeit von Ärzten und, früher wenigstens noch Theologen und Priestern gegenüber, ist bzw. war man großzügiger. Vielleicht auch deshalb, weil die Behandlungserfolge hier für den Patienten wenigstens spürbar, erfahrbar sind. Man kann sich etwas darunter vorstellen.

Wahrscheinlich sind unsere Wirtschaft und Gesellschaft noch zu sehr in den Denkmustern des Industriezeitalters verankert. Vielleicht entspricht diese Denkmuster unserer – insgesamt eher konservativen/risikoscheuen Mentalität. Lass die anderen mal machen. Wenn es sich bewährt, dann schauen wir uns das gerne näher an und übernehmen einiges davon. Die Frage ist nur, ob diese Strategie im digitalen Zeitalter noch aufgeht. Die Industrie scheint mir hier jedenfalls schon weiter zu sein. Embedded Systems bzw. Assistenzsysteme passen anscheinend besser zu unserem Wirtschafts- und Denkstil.

rafa64 September 25, 2014 um 08:41 Uhr

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