Hedgefonds, Logik und Handelsprogramme

by Karl-Heinz Thielmann on 5. November 2014

In den ersten Wochen dieses Oktobers haben wir wieder einen heftigen Kursrutsch an der Börse erlebt. Von Ende September bis zum Tiefststand zur Monatsmitte gerechnet brachen der S&P 500 um 7,7% ein, der DAX um 11,8% sowie der EURO STOXX 50 um 13,5%. Aber nicht nur Aktien, auch der Erdölpreis kollabierte. Brent-Erdöl verlor in US$ zwischenzeitlich bis zu 12,5%, nachdem es schon im 3. Quartal 8% eingebüßt hatte.

Gleichzeitig gab es eine Reihe von nach unten korrigierten Wachstumsprognosen für Deutschland und das übrige Europa. Diese hätten am Markt eigentlich niemanden überraschen sollen. Schon länger war klar, dass Sanktionen und Gegensanktionen im Konflikt mit Russland das Wachstum in Europa beschädigen. Diese eigentlich viel zu späten Vorhersagekorrekturen wurden in der Presse dennoch als Begründung für die allgemeine Stimmungsverschlechterung herangezogen, zumal in Europa die Aktienmärkte schon seit Sommer deutlich unter Druck standen. Umfragen unter Fondsmanagern zeigten ein so negatives Sentiment wie seit dem Höhepunkt der Eurokrise nicht mehr. Dem € hingegen machten die ermäßigten Prognosen nichts mehr aus. Im Gegenteil konnte er sich im Oktober nach den schweren Verlusten seit Mai erstmals wieder stabilisieren.

Als dann in den USA die Berichtsaison begann und die überwiegende Anzahl von Unternehmen gute Zahlen veröffentlichte, aber zu optimistische Ausblicke vermied, kannte der Kursrutsch kein Halten mehr. Panische Anleger schienen ihre Aktien um nahezu jedem Preis loswerden zu wollen, die Kurse brachen teilweise innerhalb weniger Minuten dramatisch ein. Am 15. und 16. Oktober schwankten die Indizes im Tagesverlauf um bis zu 4%. Die Terminbörse CME vermeldete Rekordumsätze. Gleichzeitig begründeten Händler an der New Yorker Börse den Kursabsturz damit, dass die Liquidität in ihren Aktien völlig ausgetrocknet wäre.

Erscheint dies nicht alles ziemlich unlogisch? Hysterische Reaktionen auf längst Bekanntes; Rekordvolumen am Terminmarkt und minimale Liquidität bei den echten Wertpapieren; wie passt das zusammen?

Larry Fink ist der Chef von Blackrock und war einer der wenigen Investmentmanager, die am 15. Oktober den Mut hatten, sich der Öffentlichkeit zu stellen. Er wies in seinem Interview mit CNBC auf eine weitere Absurdität hin: der synchrone Absturz von Öl und Aktien. Niedrigere Energiepreise, speziell bei Rohöl, sind normalerweise hervorragend für die Konjunktur in den USA oder wichtigen Schwellenländern wie Indien. Eigentlich müssten doch jetzt Aktien eher profitieren. Genauso verquer war – so möchte ich ergänzen – der Markt in Deutschland: Warum wurden gerade die Aktien von zyklischen Exportunternehmen im Rückgang besonders abgestraft, wenn doch diese von der Abwertung des € und den fallenden Ölpreisen eigentlich begünstigt werden?

Wie immer in den vergangenen Jahren, wenn es an den Kapitalmärkten zu scheinbar unlogischen und extremen Kursbewegungen kommt, stellen sich hinterher zwei Begründungen als Hauptursachen heraus: Zwangsliquidationen (insbesondere bei Hedgefonds) sowie Handelsprogramme.

Diese Misere begann mit dem Oktobercrash von 1987. In ihm hatte sich zum ersten Mal das fatale Zusammenspiel von massenhaft falsch positionierten Marktteilnehmen, erzwungenen Liquidationen sowie von automatisierten Handelsprogrammen voll entfaltet. Damals war vor allem die sog. „Portfolio-Insurance“ für den Absturz verantwortlich: Diese löste automatisierte Verkäufe von Aktien bzw. Index-Futures aus, sobald die Kurse bestimmte Niveaus unterschritten. Als es damals nach Kursgewinnen im Sommer zur Korrektur kam, führte die Portfolio-Insurance bei vielen Institutionen zu einem Teufelskreis: Sie erzeugte Verkaufsdruck, dieser wiederum fallende Kurse, diese wiederum neue Verkäufe usw. Verschlimmert wurde das Debakel durch zahlreiche Spekulanten, die ihre Aktien auf Kredit gekauft hatten, deren Deckung sich mit fallenden Kursen auflöste. Sie wurden zwangsliquidiert, was den Verkaufsdruck noch erhöhte.

Die Akteure haben sich inzwischen geändert, die Probleme sind ähnlich geblieben. Handelsprogramme sind heute hochkomplexe Algorithmen, die Informationen selbstständig auswerten und in Orders umsetzen. Identifizieren sie eine sich verschlechternde Stimmung oder negative charttechnische Muster, tätigen sie Leerverkäufe in enormen Volumina. Vor allem spielen sie einen Trend, bis er eindeutig endet; und kaufen nicht wie Menschen auch einmal antizyklisch. Dies wirkt trendverstärkend, egal in welche Richtung. Spekulationen auf Kredit sind ein Spielfeld der Hedgefonds geworden, die angesichts niedriger Zinsen riesige und stark gehebelte Wetten eingehen. Im August lagen allein die als Kreditsicherheiten an der New Yorker Börse hinterlegten Gelder bei 463 Mrd. US$; einem äußerst hohen Wert. Wenn der Markt in die falsche Richtung läuft, gibt es schnell heftigste Verluste, die mit Zwangsverkäufen ausgeglichen werden müssen. Dies passiert inzwischen immer häufiger. Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung war der „Flash Crash“ von Mai 2010, als der US-Aktien-Markt in 15 Minuten um 10% einbrach, um am gleichen Tag wieder um 7% zu steigen. Oftmals sind von den Zwangsverkäufen auch anderen Anlagen der jeweiligen Fonds betroffen. Dies erklärt, wenn Kurse gleichzeitig fallen, die sich von der Logik her eigentlich gegenläufig entwickeln müssten.

IIn diesem Herbst haben sich anscheinend einige große Hedgefonds mit dem Ölpreis verspekuliert und mussten daher Aktien liquidieren, auf denen sie noch Gewinne hatten. In Verbindung mit Handelsprogrammen und verschlechtertem Sentiment löste dies den jüngsten Kursrutsch aus. Es war nur eine Marktbereinigung, nicht der Vorbote der nächsten Wirtschaftskrise. Dennoch waren Heftigkeit und Eigendynamik der Entwicklung beunruhigend. Die extremen Kursausschläge zeigen, dass die globalen Kapitalmärkte auch 6 Jahre nach der Finanzkrise nicht richtig funktionieren, sondern inhärent instabil sind. Dies lässt nichts Gutes für wirklich schwierige Situationen in der Zukunft ahnen.

Dieser Artikel erschien in leicht abgewandelter Form ebenfalls in Mit ruhiger Hand“ Nummer 31 vom 3. November 2014.

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