Bankenstresstest in Europa: Eine Prüfung mit beschränkter Aussagekraft?

by Karl-Heinz Goedeckemeyer on 4. November 2014

Nach dem am 26. Oktober von der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA veröffentlichten Bankenstresstest dürften die meisten Kreditinstitute gut gerüstet sein, um Marktpreisverwerfungen und konjunkturelle Abschwünge zu verkraften. Die Bilanzprüfung (Comprehensive Assessment) bestand aus zwei Teilen: Einer stichtagsbezogenen Prüfung der Aktiva (Asset Quality Review, AQR), also vor allem der Kredite und des Eigenkapitals, und einem Stresstest, bei dem die Entwicklung der Bilanzgrößen unter normalen und sehr negativen äußeren Einwirkungen simuliert wurde.

Im sogenannten Baseline-Szenario der EBA wurde geprüft, was mit den Bankbilanzen passiert, wenn sich die Wirtschaft in den nächsten drei Jahren so entwickelt, wie es die EU vor einem Jahr prognostiziert hat. Im harten (adversen) Szenario hingegen ging es darum, wie sich die Institute schlagen, wenn es einen mehrjährigen Konjunktureinbruch gibt, die Anleiherenditen steigen und sich die Kreditwürdigkeit der Staaten verschlechtert. Während die Banken im Baseline Szenario eine Kernkapitalquote (CET 1 Ratio) von mindestens acht Prozent aufweisen müssen, dürfen sie im Krisenszenario nicht unter der Schwelle von 5,5% fallen. Aufschluss über die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle der Banken geben die Resultate der EZB-Prüfung jedoch nicht. Vielmehr stellt sich die Frage, wie die Banken vor dem Hintergrund der sich eintrübenden Konjunktur, einem unverändert anhaltenden Niedrigzinsniveau und zunehmendem Wettbewerbsdruck auskömmliche Renditen erzielen wollen.

Der Asset Quality Review hat eine höhere Anzahl an faulen Krediten aufgedeckt

Wenngleich der Stresstest entgegen den Erwartungen vieler Marktteilnehmer überraschend gut ausgefallen ist, dürfte die Wirkung auf die wirtschaftliche Erholung der Eurozone begrenzt bleiben. Denn die schwache Kreditvergabe in der Eurozone liegt nicht so sehr an zurückhaltenden Banken, sondern an der ungenügenden Kreditnachfrage seitens der Haushalte und Unternehmen. Hinzu kommt, dass die Rechtskosten europäischer Finanzinstitute nicht hinreichend im Test reflektiert worden sind, was sich z. B. bei der Deutschen Bank anschaulich zeigt. Zwischen den Erhebungen der EBA bzw. EZB und der Bank selbst klaffen große Unterschiede. Ferner hat sich die EZB für eine großzügige Kapitaldefinition entschieden und die „fully loaded“-Quote nach Basel III nicht angewandt. In diesem Fall hätten einzelne Landesbanken den Test im „Adverse Szenario“ nicht überstanden.

Hinzu kommt, dass die Banken ihre Vermögenswerte um 48 Mrd. Euro zu hoch angesetzt hatten und ausfallgefährdete Kredite in Höhe von 136 Mrd. Euro in den Bilanzen gar nicht als "ausfallgefährdet" klassifiziert haben, was der unterschiedlichen Auffassungen seitens der Bilanzierung dieser Kredite zwischen den Aufsehern und Banken (90 vs. 120 Tage überfällig) geschuldet sein dürfte. Dass viele Banken – auch aus Deutschland – selbst im adversen Szenario den Test bestanden haben, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass viele der notleidenden Assets in sogenannte Bad Banks oder Abbausegmente (Non Core Assets) ausgelagert wurden (u. a. Deutsche Bank, Commerzbank). Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass die Verschuldungsquote nicht Bestandteil des AQR-Tests gewesen ist, obwohl die EZB Leverage Ratios (LR) für die Banken zur Verfügung stellte. Immerhin wiesen 14 Institute, darunter auch deutsche Banken, ein LR unterhalb der im Basel III-System geforderten 3 % aus. Dabei hätte das LR eine höhere Aussagekraft für die Beurteilung der Fragilität von Kreditinstituten als die risikogewichtete Kapitalquote, weil dieser Indikator nicht manipulierbar ist. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass z. B. britische Großbanken gemäß den Anforderungen der Bank of England ab 2016 eine LR zwischen 4-5 % ausweisen müssen. Hinzu kommen Puffer (supplementary buffer bis zu 1,05 % bzw. countercycle buffer zwischen 0 und 0,9%). Für systemrelevante Großbanken könnte sich die LR auf 7% erhöhen.
Llyods hat zum dritten Quartal bereits eine LR von 4,7 % ausgewiesen.

Dennoch ist zu konstatieren, dass der diesjährige Stresstest weitaus aussagefähiger ist als jene aus den Jahren 2010 (Kapitalbedarf: 3,4 Mrd. Euro), 2011 (Kapitalbedarf: 2,5 Mrd. Euro) und dem Blitz-Stresstest aus dem Herbst 2011, wo ein Kapitalbedarf von 115 Mrd. Euro angezeigt wurde. Bei diesen Tests wurden negative Konjunktur-Auswirkungen entweder ungenügend oder überhaupt nicht berücksichtigt. Ausblickend werden sich die Banken auf weitere Stresstests einstellen müssen, die sich noch stärker auf die Portfolios der einzelnen Institute beziehen dürften.

Festzustellen ist, dass die am Stresstest beteiligten Kreditinstitute durch diverse Maßnahmen ihre Eigenkapitalbasis um knapp 200 Mrd. EUR gestärkt haben. Die Erhebungen seitens der EZB stehen im Kontrast zu einer Studie des ZEW. Dessen Wirtschaftsforscher bemängeln, dass vor allem die Großbanken im vergangenen Jahr Eigenkapital (-22,5 Mrd. Euro) abgebaut haben, anstatt es zu erhöhen. So hätten sie ihre Kapitalquoten nur dadurch verbessert, indem sie ihre Bilanzsummen schneller haben schrumpfen lassen als das Eigenkapital, nämlich um durchschnittlich knapp zehn Prozent. Eigentlich wäre es wünschenswert, dass diese Banken absolut gesehen mehr Eigenkapital bilden, statt es zu reduzieren. Der Studie zufolge haben die Banken ihre Bilanzsummen bereits im Jahr 2013 um 2,25 Bio. Euro verkürzt, wovon rund die Hälfte auf die 10 größten Banken der Eurozone entfällt. Ferner hätten die Banken ihre Risikoaktiva um 262 Mrd. Euro erhöht, wobei jene der Großbanken um 77 Mrd. Euro gesunken sind.

Im Krisenszenario wird Großteil des Eigenkapitals vernichtet

Gemäß den EZB-Erhebungen wird im adversen Szenario ein Großteil des Eigenkapitals durch den Stresstest „vernichtet“. Mit 48 Mrd. Euro brutto ist der Effekt der AQR-Adjustierungen nicht zu unterschätzen. Bereinigt um Steuereffekte ergeben sich immer noch rund 34 Mrd. Euro. Absolut gesehen ist dieser Effekt damit genauso hoch wie die geforderten steigenden Volumina an Risikoaktiva im adversen Szenario. Letztlich würden so über 260 Mrd. EUR an Eigenkapital aufgezehrt, sodass der Median der CET1 Quoten von 12,4% um 4,1 %-Punkte auf 8,3% fällt (s. Abbildung 1).

image

Abb. 1: Entwicklung absoluter CET1-Bestand im adversen Szenario in Mrd. Euro

Während die EZB 130 Banken aus der Eurozone überprüft hat, testete die EBA 123 Institute. Großbritannien, Schweden und Dänemark haben am AQR nicht teilgenommen, wohl aber am EBA-Stresstest. Diese Länder unterliegen auch nicht dem künftigen einheitlichen Aufsichtsmechanismus SSM. Zudem will die Bank of England zusätzlich einen eigenen Stresstest durchführen, dessen Ergebnisse im Dezember 2014 veröffentlicht werden.

Im Großen und Ganzen stimmen die Ergebnisse mit denjenigen überein, die bereits am Freitag vor der offiziellen Bekantgabe von Nachrichtenagenturen berichtet wurden. Aus den Bilanzberichtigungen durch den AQR und den Lücken, die sich im Stresstest ergeben, klafft eine Kapitallücke von 24,6 Mrd. Euro. Unter zusätzlicher Berücksichtigung von Maßnahmen, die von den betroffenen Banken bis zum 30. September 2014 durchgeführt wurden, wurde ein Kapitalbedarf von 9,5 Mrd. Euro nachgewiesen. Davon wiederum müssen 5 Banken keine weiteren Maßnahmen einleiten, da sie bereits zusätzliches Kapital aufgenommen haben, ihre Bilanzen bereits ausreichend reduziert haben oder abgewickelt. Somit verbleibt ein noch zu deckender Eigenkapitalbedarf von 6,4 Mrd. Euro. Die größten Kapitallücken wurden in Italien und Griechenland mit 9,7 Mrd. bzw. 9,0 Mrd. aufgedeckt. Nach den inzwischen erfolgten Kapitalmaßnahmen verbleiben noch 3,3 bzw. 2,9 Mrd. Euro. Zu den Bankensystemen mit der stärksten Kapitalausstattung zählen die skandinavischen Banken. Insofern kann nicht verwundern, dass bei Nordea, SEB, Handelsbanken, Swedbank, Danske und DNB selbst im adversen Szenario das CET 1 Ratio über 8 % hinausging. Bemerkenswert sind auch die guten Ergebnisse bei ING, BBVA und Credit Agricole. Commerzbank, Erste Bank und Banco Popular schnitten bei dem Test ebenfalls erstaunlich gut ab, zumal wenn man bedenkt, dass diese Institute im Vorfeld des Tests als mögliche Wackelkandidaten gehandelt wurden.

Disparitäten bei den Südländern

Überraschend ist das gute Abschneiden der spanischen Institute beim Comprehensive Assessment. Sowohl beim Stresstest als auch beim Asset Quality Review (AQR) klafft bei den Großbanken selbst im Krisenszenario keine Kapitallücke. Im Schnitt beläuft sich die Kapitalquote im Baseline Szenario auf 10,8 % und im Adverse Szenario auf 8,96%. Im Schnitt stehen bei den Instituten noch AQR-Anpassungen von brutto 2,9 Mrd. an. Davon entfällt der Großteil auf BBVA und Banco Popular. Bei den italienischen Instituten sind insgesamt neun Institute durchgefallen, wobei die traditionsreiche Banca Monte dei Paschi mit 2,1 Mrd. Euro die größte Kapitallücke unter allen europäischen Instituten aufwies. Des Weiteren muss noch die Bank Carige ihr Kapital um 0,8 Mrd. Euro aufstocken (s. Abb. 2). Gemäß den Erhebungen der EZB müssen die italienischen Banken noch Bilanzanpassungen von brutto 11,8 Mrd. Euro vornehmen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Stresstest insbesondere für das Wirtschaftswachstum von einem ungünstigen Szenario ausgegangen ist.

image

Abb. 2: Banken mit den größten Kapitallücken in Mrd. Euro (Quelle: EZB)

Von den 24 deutschen Banken, die am Stresstest teilgenommen haben, ist am Ende nur eine durchgefallen – die Münchener Hypothekenbank landete im Krisenszenario bei einer harten Eigenkapitalquote von 2,9 %. Da die Münchener ihre Kapitalbasis bereits zum 30. September um 415 Mio. Euro gestärkt hat, konnte dieses Geld im Stresstest noch nicht berücksichtigt wurden. Geradeso durchgekommen im adversen Szenario sind die HSH Nordbank und DZ Bank mit 6,1%. Unter der Annahme, dass die Basel-III-Regeln des Jahres 2019 schon heute gelten würden, sinken im adversen Szenario die Kapitalquoten der Banken auf 7,0% bzw. 6,9 %. HSH Nordbank, DZ Bank und WGZ Bank würden hingegen die 5%-Schwelle nicht erreichen.

Fazit:

Durch den Asset Quality Review wurde die Transparenz über die ab dem 4. November 2014 unter der einheitlichen europäischen Bankenaufsicht (SSM = Single Supervisory Mechanism) der EZB stehenden Banken erhöht. Ferner hat die durch den AQR erzwungene Analyse der Klassifizierung von Problemkrediten deutlich gemacht, dass zum Teil große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und ihren jeweiligen Bankaufsichtsregimen bestehen. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass die gewünschte Verbesserung der Kapitalquoten der Banken weniger durch die Ergebnisse des Tests erreicht wurde, sondern vielmehr durch die bereits im Vorfeld (oder während des AQR) durchgeführten Kapitalmaßnahmen. Da sich die Konjunktur in vielen Ländern der Eurozone inzwischen stärker als erwartet eingetrübt hat, ist davon auszugehen, dass der Bestand an faulen Krediten in den Bankbilanzen im laufenden Jahr zu weiteren Abschreibungen führen wird. Hinzu kommt, dass zwar ein mehrjähriger Konjunkturrückgang – aber kein Deflations-Szenario – im Stresstest simuliert wurde. Das Testergebnis gibt letztlich auch keinen Aufschluss darüber, welche Banken über ein überzeugendes Geschäftsmodell mit nachhaltiger Profitabilität verfügen. Deshalb wird der Sektor weiter durch Unsicherheit über die langfristige Überlebensfähigkeit vieler Kreditinstitute belastet bleiben.


Diese Analyse ist in leicht veränderter Version als gleichnamiger Beitrag in „Mit ruhiger Hand“ Nr. 31 vom 3. November 2014 erschienen.

Karl-Heinz Goedeckemeyer  ist Sektorspezialist für börsennotierte Immobilienunternehmen, Immobilienmärkte sowie Finanzwerte bei der LONG-TERM INVESTING Research AG () . Daneben ist als freier Autor für einzelne Publikationen tätig. Davor hat er rund 10 Jahre als Aktienanalyst börsennotierte Immobilienunternehmen aus dem deutschsprachigem Raum sowie europäische und US-amerikanische Banken analysiert.

Previous post:

Next post: