Schwarzer Mittwoch für deutschen Wirtschaftsjournalismus: Wall Street Journal Deutschland wird eingestellt

by Dirk Elsner on 13. November 2014

Eigentlich war es bis zum Abend ein guter Tag gestern in Hamburg auf der Konferenz “Finanzdienstleister der  nächsten Generation”.  Als ich dann auf der Rückfahrt aber die Nachricht von Ralf Drescher erfuhr, war ich wirklich überrascht. Kurze Zeit später brachte Meedia die Meldung: Zum Jahresende: Wall Street Journal Deutschland wird eingestellt. Das ist eine bittere Meldung für den Wirtschaftsjournalismus in Deutschland. Schon der nun fast zwei Jahre zurückliegende Tod der Financial Times Deutschland, deren Texte mittlerweile komplett offline sind, hat gezeigt: In der wichtigsten europäischen Wirtschaftsnation lohnen Wirtschaftsnachrichten offenbar nicht mehr für die  alle Verlage. image

Das Wall Street Journal Deutschland hat mir nicht nur Spaß gemacht, weil es mir eine eigene Kolumne zum Bankenwandel gab, sondern auch weil ich die Artikel von Madeleine Nissen, Isabell Gomez, Stephan Dörner und vieler anderer Leute mochte. Ich mochte die Besuche in den Frankfurter Redaktionsräumen in der Wilhelm-Leuschner-Straße, die mich immer ein wenig an Handelsräume in Banken erinnerten und vor allem auch die Gespräche mit Ralf Drescher, der ein engagiertes Team zusammenhielt. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei Ralf und dem Gründungschefredakteur Knut Engelmann bedanken, dass sie mir diese Möglichkeit für die Kolumne über den digitalen Wandel im Banking ermöglichten.

Stephan Dörner scheint es derweil gelassen zu nehmen. Er hat neue Pläne und strahlt Optimismus aus:

Ich bin gespannt und drücke ihm sehr die Daumen.

Das Wall Street Journal hat dem Wirtschaftsjournalismus in Deutschland gut getan und ihn weiter aufgefrischt. Das Blatt hat den Mitbewerbern von FAZ, Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Manager Magazin, Capital und anderen Verlagen eingeheizt, sie vielleicht auch verbessert aber wohl nicht wehgetan. Am Ende hat es dem Dow-Jones-CEO William Lewis nicht gereicht. Meedia schreibt:

“Beim Großteil der Nutzer sowie bei Werbetreibenden konnte sich das kostenpflichtige Angebot jedoch offenbar nicht durchsetzen, so Newsroom.”

Das ist bedauerlich. Bezahlter Wirtschaftsjournalismus setzt sich immer noch nicht oder nicht mehr durch. Dabei fand ich das Angebot extrem günstig. Zum Start schrieb ich:

Eine Woche Wall Street Journal Deutschland: Latte Macchiato für die Wirtschaft

Damals kostete ein Monat 12,67 Euro. Ich hielt das für die digitalen Inhalte für unschlagbar, zumal man die US-Ausgabe und die anderen internationalen Ausgaben mit ihren jeweiligen Archiven dazu erhielt. Heute zahlt man übrigens 22 Euro. Die Managementluftblasen von der Konzentration auf die Kernkompetenzen kann man wie immer in solchen Fällen zur üblichen Restrukturierungsrhetorik zählen. Was wirklich zählt sind die Daten. Und wenn unter dem Strich drauf gezahlt wird, dann hat das in unserer Wirtschaftsordnung die von William Lewis beschriebenen Konsequenzen.

Ich hoffe nicht nur wegen des Erhalts meiner eigenen Kolumne, sondern auch wegen der vielen Links in meinem Blog, dass Dow Jones wenigsten das Archiv erhält. Mein Blog enthält 2180 Einträge auf WSJ, davon dürften viele Links auf die deutschen Artikel gegangen sein.

Und trotz dieses schwarzen Tags für den Wirtschaftsjournalismus hoffe ich immer noch auf eine deutsche Version von Business Insider. Die aus der Blogkultur entstandene Wirtschaftsnachrichtenseite gehört neben FT Alphaville und dem NYT Dealbook zu den Modellen, für die doch auch in Deutschland Platz sein sollte. Die Seiten transportieren Wirtschafts- und Finanzthemen und oft in anspruchsvoller Tiefe und können dabei auch unterhaltsam sein. In den USA hat Business Insider übrigens gemessen am Alexa Ranking (andere Daten hatte ich gestern Abend nicht) längst die US-Webseite des Wall Street Journals überholt und soll sogar profitabel arbeiten.

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Beitrag aktualisiert am 13.11.2014

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PS 1

Ralf Drescher fand heute in den “Geschichten aus aller Welt” warme Worte:

“Ein Nachricht, die seit gestern auf Twitter und in anderen Medien die Runde macht, ist die von der Einstellung des Wall Street Journal Deutschland. Am 19. Dezember wird unsere Seite zum letzten Mal aktualisiert werden. In der Redaktion herrscht Trauer. Wir haben in den vergangenen fast drei Jahren mit großer Leidenschaft dafür gearbeitet, Ihnen spannende Wirtschafts-Nachrichten aus aller Welt zu liefern und WSJ.de als Marke in Deutschland zu etablieren.

Ich gebe Ihnen mein Wort, dass wir diese Leidenschaft in den nächsten Wochen nicht ablegen werden. Es gibt noch genug Geschichten, die es wert sind, auch auf Deutsch erzählt zu werden. Sie sind herzlich eingeladen, diese bis zum 19. Dezember bei uns zu lesen.

Beste Grüße
Ihr Ralf Drescher.”

PS 2

Und das ist schon fast Ironie:

FDominicus November 13, 2014 um 17:52 Uhr

Ok, soll für mich gut sein. Ich erkenne an, daß für Sie dieser Journal etwas Gutes wahr. Ich für mich stelle nur fest, mir wäre nichts besonderes aufgefallen. Weder eine erhöhte Verlinkung von verschiedenen Blogs noch irgendwelche Einträge die ich dort gelesen habe.

Dirk Elsner November 13, 2014 um 18:03 Uhr

@FDominicus
Das ist vielleicht ein wichtiger Punkt von Ihnen: Es hat für ein Online-Medium zu wenig Verlinkungen aus der Blogszene gegeben. Die Hauptadressaten vieler imho guter Artikel sehe ich im Finanzbereich selbst. Und dort wird im Zweifel eher auf Gedrucktes geschaut und wenn online, dann wird aber nicht kommentiert und erst recht nicht gebloggt. Und online-affine Menschen fühlten sich zu wenig von den Inhalten angesprochen.

Fritz Iv November 13, 2014 um 12:06 Uhr

Ich finde es immer „negativ“ und bedauerlich, wenn Menschen gute, engagierte und vielleicht sogar wichtige Arbeit machen und trotzdem aufhören müssen – zumal wenn weniger gute Arbeit der Megatrend zu sein scheint.
In Business Insider hat voriges Jahr Jeff Bezos investiert. Die Qualität kann ich nicht richtig beurteilen. Es wirkt wie Buzzfeed mit dem Blickwinkel „Wirtschaft“ und „Wealth“. Ein deutscher Verwandter wäre die DWN (vielleicht haben die sich davon inspirieren lassen?)
Interessant ist das Mehrwert-Produkt „Business Insider Intelligence“. Während im Vorderhaus allerhand Quarksorten verschenkt werden, werden im Hinterzimmer relevantes Wissen und handfeste Daten vermarktet. Zielgruppe Profis und Unternehmen. So produziert BI mit Erfolg auf der einen Seite kostenlosen Reichweiten-Journalismus, auf der anderen Seite relevante Qualität. Und für manche macht es eben einen Unterschied, ob sie dieses Wissen haben oder nicht …
Bevor man über Paid Content nachdenkt, muss man über Relevanz nachdenken. Oder anderes gesagt: Was hinter der Paywall liegt, muss nicht nur „gut“ sein, sondern auch relevant. Wenn man die aktuellen Beiträge zur Zukunft des Journalismus verfolgt, scheine viele Journalisten das Heil im „guten“ Beitrag zu suchen (Longread, „schön geschrieben“, „tolle Bilder“ etc.). Das könnte man als Transformation der klassischen „Illustrierten-Strategie“ auf Online bezeichnen. Und damit gerät man mEn immer tiefer in den Konkurrenzdschungel des Internets (dazu zählen auch Youtube, Online-TV, etc.). #
Der wirkliche Bezahlhebel liegt in der Relevanz, die es nicht für generische Angebote gibt, sondern nur spezifisch zu haben ist (Anlässe, Zielgruppen). Es liegt auf der Hand, dass die Themenfelder rund um Wirtschaft genug Möglichkeiten bieten, bestimmten Zielgruppen hohe Relevanz zu bieten.

ElWiegaldo November 13, 2014 um 11:10 Uhr

„Der Markt“ hat das geregelt. Ist doch gut.

Dirk Elsner November 13, 2014 um 09:10 Uhr

@FDominicus
Warum ist was negativ?
Warum ich die Einstellung negativ finde habe ich oben geschrieben.

FDominicus November 13, 2014 um 16:36 Uhr

Die Argumente überzeugen mich nicht wirklich. Nehm‘ ich einfach nur ein Beispiel wo und womit hat der WSJD den anderen eingeheizt? Sie schreiben es wäre so gewesen, für mich der sich durchaus für Wirtschaft interessiert kann ich das nicht feststellen.

Über meine Mißstimmung über die Behandlung von Banken habe ich mich mehr als einmal ausgelassen. Es gibt halt Betriebe und Banken und die Banken sind die gleicheren und was am allerschlimmsten ist. Der Betrug der Banken Sichteinlagen beliebig verleihen zu können ist staatlich sanktioniert.

Und was noch schlimmer kommen könnte, kann man hier nachlesen:
http://www.zerohedge.com/news/2014-11-12/russell-napier-declares-november-16-2014-day-money-dies

Hat sich der Journal das gegen gewehrt? Wenn nein, kann ich nur sagen gut das es weg ist.

FDominicus November 13, 2014 um 08:37 Uhr

Warum ist das negativ?

Dirk Elsner November 13, 2014 um 16:46 Uhr

@FDominicus
Ich will hier niemanden überzeugen.
ICH finde, das Wall Street Journal hat dem Wirtschaftsjournalismus in Deutschland gut getan und ihn weiter aufgefrischt. Das braucht keiner zu teilen.
Und ob das WSJ anderen Medien eingeheizt hat, lässt sich nicht an einzelnen Beiträgen be- oder widerlegen, sondern nur aus Gesprächen, die man führt. Ist halte meine Meinung.

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