Schattenbanken: Schatten ist nur dann, wenn Sonne ist

by Gastbeitrag on 5. Dezember 2014

Seit einigen Jahren geistert ein Begriff durch die Finanzwelt, der sich bis heute einer zutreffenden Charakterisierung entzieht. Man findet zu dem Begriff “Schattenbank” lediglich eine Vielzahl von Beschreibungen, deren gemeinsamer Nenner darin besteht zu konstatieren, dass eine Schattenbank von einer normalen Geschäftsbank dadurch zu unterscheiden wäre, dass die eine einer staatlichen Regulierung unterliegen würde und die andere eben nicht. Die regulierten Banken hätten daher das Privileg des Zugangs zur Zentralbank, während den anderen der Zugang zur Zentralbank verweigert bleibt. Interessanterweise wird dabei meist darauf Bezug genommen, dass die Einlagen, die von den Schattenbanken angenommen werden sich keiner staatlichen Besicherung erfreuen und somit irgendwie die Unsicherheit der Einlagen die Bezeichnung als im “Schatten” liegend nahelegt, was wohl irgendwie bedeuten soll, dass die staatliche Sicherung von Einlagen denen einen “Platz an der Sonne” garantiert.

image

Dabei wird üblicherweise keine grundsätzliche funktionale Differenzierung beider Banktypen vorgenommen, denn in beiden Fällen wird das zentrale Geschäftsfeld darin gesehen Kreditintermediation zu betreiben. Es wird dann versucht diese fehlende Differenz wird dann durch viele Einzelaspekte zu motivieren, indem die Art der Bankgeschäfte zum zentralen Kriterium wird, obwohl es keineswegs naheliegt, diese Unterscheidung für maßgeblich zu halten. Es sieht eher so aus als würde das Kriterium Nicht-Regulierung dazu benutzt zu begründen, dass in diesem Sektor Geschäfte abgewickelt würden, die mit einem “normalen” Bankbetrieb nicht vereinbar seien. Man hat das unbestimmte Gefühl in einer Einführungsvorlesung für Geldtheorie zu sein, wo nach der Deklaration der vermeintlich wesentlichen Eigenschaften von Geld ohne weitere Diskussion zu den diversen Geldmengenaggregaten übergegangen wird, obwohl man sich durchaus mal fragen könnte, was es denn ist, was da so alles “aggregiert” werden soll. Auch hier wird der eigentliche Erklärungsnotstand durch eine künstliche Verkomplizierung (oder behauptete Verkomplexierung) überspielt und durch phänomenologische Detaildiskussion der Eindruck erzeugt, man wisse ja durchaus, womit man es dabei zu tun hätte.

Dabei liegt eigentlich eine Differenzierung nahe, die sich auf das Kriterium “Zugang zur Zentralbank” orientiert, selbst wenn vordergründig die Regulierung durch die Zentralbank das vermeintliche Kriterium zur Unterscheidung liefert. Der essentielle Unterschied liegt nämlich darin, dass normale Banken mit einer Kreditvergabe gleichzeitig in gewissem Umfang einen Zuwachs an Zentralbankgeld generieren, mit dem sie den gewährten Zahlungsvolumina durch Zahlung in Zentralbankgeld nachkommen können – und müssen.

Dies müssen die Banken im “Schatten” natürlich auch, der Unterschied besteht eben darin, dass diese ihre Zahlungsverpflichtungen aus vorgegebenen Beständen begleichen müssen, die ihnen von privaten Anlegern zufließen und insofern hier genau das stattfindet, was die Bankbetriebslehre nicht müde wird als Funktion des Bankgewerbes zu postulieren. Denn die traditionelle Liste der Bankfunktionen ist es ja gerade “Einlagen” (die man sonst in den Schuhen hat) zu Krediten zu transformieren, sei es als Fristen-, Losgrößen- oder Risikotransformation.

Es sieht demnach eher so aus als hätte sich die Bankbetriebslehre ausschließlich der Funktion der Schattenbanken gewidmet und den wesentlichen Aspekt des Bankensystems, nämlich tatsächlich Geldschöpfung generieren zu können, komplett übersehen. Das wird vermutlich damit zusammenhängen, dass die Differenz von dem was als “Bankgeld” bezeichnet wird und dem, was Zentralbankgeld wirklich ist weitgehend ignoriert wird. Es ist ja heutzutage chic geworden zu behaupten Banken könnten “Geld” schaffen was auch schon dazu führt zu fordern den Banken das Privileg der Geldschöpfung zu entziehen. Jeder Kommentar dazu erübrigt sich – eigentlich. Doch in einer Publikation der Bundesbank zu diesem Thema versteigen sich die Verfasser zu der sachlich unhaltbaren Aussage:

“Im Vergleich zu Geschäftsbanken weisen Schattenbanken einige grundsätzliche Unterschiede auf. So können sie im Gegensatz zu Geschäftsbanken keine Giralgeldschöpfung betreiben…” (Seite 3 PDF; Seite 17 Seitenzählung)

Offenbar unterliegen auch Bundesbank-Ökonomen der Falschvorstellung, dass Bank-Forderungen etwas anderes sind als “normale” Forderungen, nämlich Geld. Das wird daran liegen, dass die ständig verwendete fehleranfällige Bezeichnung von Bankschulden als “Giralgeld” auch dort geeignet ist das analytische Verständnis des grundsätzlich vorhandenen Unterschieds von Forderung und Forderungserfüllung zu vernebeln. Denn da die Einräumung eines Kredites gleichbedeutend mit einer Bilanzverlängerung ist, wobei dann die Bankschulden entstehen, die dann irgendwie “Geld” bedeuten sollen, ist nicht zu sehen, was der kategoriale Unterschied sein soll, ob eine Bank an der Sonne oder eine Bank im Schatten eine Schuldzusage macht. Denn soweit diese Schuld beglichen werden muss (nennt sich Überweisung oder Auszahlung) sind Schattenbank und Sonnenbank gleichermaßen dazu gezwungen ihre Zahlungsverpflichtung in einem Standard zu leisten, den sie eben nicht selbst schaffen können – nämlich in Zentralbankgeld.

Viel spannender als diese Fehlleistung ist an dieser Stelle jedoch der Umstand, dass schon vor bald 100 Jahren diese Differenz zwischen Banken, welche die Möglichkeit zur passiven Generierung von Zentralbankgeld besitzen und Banken, die auf vorhandene Geldvolumina zurückgreifen müssen in klar differenzierender Weise funktional aufgegriffen wurde. Dies ist umso interessanter, als hier die übliche oberflächliche Betrachtungsweise anhand der “Eigenschaften” von “Schattenbanken” durch eine Sichtweise ersetzt wird, die das strukturell entscheidende Merkmal eines hierarchisch aufgebauten zweistufigen Bankensystems nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern auch als valides Strukturmerkmal erkennt:

“Rein deduktiv, aus dem Wesen der Krediteinräumung in der modernen Wirtschaft, ergibt sich sonach, dass es zweierlei Arten von Banken geben muss: Solche Banken, die man als Primärbanken oder als Kreditschöpfungsbanken bezeichnen kann und solche Banken, die man am besten Sekundärbanken oder auch Krediterscheinungsbanken nennen wird.” Denn es ist immer möglich, dass es “doch eine gewisse Anzahl von Fällen gibt, in denen die Sekundärbanken direkt mit dem kreditsuchenden Publikum in Berührung kommen und in denen sie zweifellos krediteinräumend auftreten. … Die Hypothekenbanken, Sparkassen … schöpfen nämlich keine neuen Forderungsrechte zum Zwecke der Krediteinräumung, sondern benutzen hierzu die ihnen zufließenden bereits bestehenden. Da nun dieser Zufluss wiederum abhängig davon ist, dass in der Volkswirtschaft etwelche Subjekte ihnen gehörige Überweisungsguthaben nicht mehr für den eigenen Bedarf verwenden, sondern darauf verzichten, d.h. also sparen, so bedeutet dies, dass die krediteinräumend auftretenden Sekundärbanken insoweit von dem – von der herrschenden Meinung mit Unrecht bei allen Krediteinräumungen für maßgeblich gehaltenen – Vorhandensein von Ersparnissen abhängen.” (Hahn, A. 1920)

Damit man nun nicht meint, das sei eine Einzelmeinung eines abgedrehten Bankiers hier die analoge Formulierung eines Lautenbach, dessen Diktion ähnlich wie bei Hahn nahezulegen scheint die stets als unschuldig und solide auftretenden Sparkassen als gerade diejenigen zu charakterisieren, die heutzutage quasi die unsittliche Art der Bankgeschäftsführung als Geschäftsmodell für sich erfunden hätten:

“Wir haben nun in unserem Kreditsystem eine Funktionsteilung, nämlich Geschäftsbanken … auf der einen Seite und Sparkassen auf der anderen Seite. Für die Sparkasse gelten dabei etwas andere Spielregeln, andere Liquiditätsgrundsätze; für eine Sparkasse ist die Zunahme des Einlagenbestandes immer erwünscht und Zeichen ihrer Kraft und Gesundheit; allerdings wird sie bei wechselndem Einlagenbestand auch entsprechend mehr Liquiditätsvorsorge treffen, immer eine gewisse Quote der zufließenden Mittel liquide anlegen. … Die Art, wie eine reine Sparbank ihr Geschäft betreibt, führt in der Tat dazu, dass der Zufluss von Einlagen bei ihr den Grad ihrer Anlagetätigkeit bestimmt. Bei ihr gehen also wirklich die Einlagen den Anlagen voraus. Es sieht mithin so aus, als wenn hier das Sparen tatsächlich die Investition nach sich zieht.” (Lautenbach, W. 1952)

Dabei sollte an dieser Stelle nochmal darauf hingewiesen werden, dass diese Unterscheidung in einem funktionalen Sinne zu verstehen ist, denn natürlich können auch “Kreditbanken” Sparvolumina annehmen und diese für eine Kreditvergabe verwenden. Entscheidend ist jedoch der Umstand, ob eine Kreditvergabe zu einer Schöpfung von Zentralbankgeld führen kann oder nicht. Und an genau dieser Stelle befindet sich der blinde Fleck der traditionellen Bankbetriebslehre die stets davon ausgeht, dass das Geld für die Kredite über die “Einlagen” schon immer da ist. Denn anders kann man die ganze “Transformationstheorie” von Banken seitens der Bankbetriebslehre nicht interpretieren, so dass von vornherein eine Erkenntnis genau des funktionalen Kriteriums, welches eine Differenzierung von Sonnen- und Schattenbank möglich machen würde letzten Endes durch den Glauben an eine Quantitätstheorie, welche die Existenz von Geld als exogene Komponente setzt, vollends verhindert wird.

Man kann diesen ganzen Schlamassel so zusammenfassen: die Bankbetriebslehre hat mit ihrer Transformationstheorie das letzte halbe Jahrhundert über die Finanzierungsbedingungen des Schattenbankensystems diskutiert und tut heute so, als wäre die Existenz von Banken, die sich tatsächlich aus Einlagen von Sparern finanzieren müssen, eine Angelegenheit neueren Datums. Denn wenn irgendwo Risiko-, Fristen- und Losgrößentransformation betrieben wird, dann genau in diesem Schattensektor, weil die weitgehende Abwesenheit von Regulierung ihm überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet Risiko zu übernehmen, ohne deswegen bei eintretenden Verlusten mit dem Entzug einer Lizenz rechnen zu müssen. Von daher ist es auch nicht mehr schwer zu begreifen, warum für die Sonnenbanken umgekehrt das Instrument der Verbriefung so wichtig ist: es geht darum, dass diese Banken, die der geballten Regulierungswut staatlicher Stellen ausgeliefert sind, auf jeden Fall verhindern müssen in irgendeiner Weise größere Verluste aus Kreditengagements zu realisieren. Das heißt aber, dass hier überhaupt nur noch Risiken übernommen werden die entweder staatlich mit einer Bürgschaft abgesichert sind oder die notfalls geräuschlos an eine angegliederte Zweckgesellschaft verschoben werden können.

Und dann kommt frei nach der Morgensternschen Pseudologik der Regulierer um die Ecke, weil ja nicht sein kann, dass in einem Bereich, der ja auch und gerade zur Risikotransformation da ist, gelegentlich auch mal Verluste anfallen, deren Ausmaße dann die üblichen Schönwetter-Vorstellungen sprengen. Geht man nun aber an die “Regulierung” des Sektors Schattenbanken mit der Begründung heran, die Anleger müssten vor unseriösen Angeboten geschützt werden, was regelmäßig darauf hinausläuft, dass es Regressmöglichkeiten bei “nicht vollständiger Beratung” oder ähnlichen Ausreden gibt sobald ein Kreditengagement Verluste einfährt, wird damit genau der Puffer zerstört, der es den Sonnenbanken erlaubt in puncto Verluste eine weiße Weste zu behalten. Man kann es auch anders sehen: irgendwo müssen die Verluste ja anfallen und das Ansinnen per Regulierung das Verlustrisiko einzudämmen gleicht dem Versuch die ausgedrückte Zahnpaste wieder in die Tube zu bekommen.

Und genau hier liegt der Grund dafür, dass die Diskussion um das System der Schattenbanken so verquer gestaltet ist, da man durch die “Regulierung” die Sonnenbanken der Möglichkeit beraubt hat ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen zu können, nämlich über die Einnahme von Versicherungsprämien – wozu primär die Zinsen (auch) da sind – die aus der allgemeinen Zukunftsunsicherheit resultierenden Verluste aus Kreditabschreibungen tatsächlich neutralisieren zu können. Doch auch wenn es inzwischen anders strukturiert ist: an der “Schatten”-Instanz, die es vermag Verlustabschreibungen auch abfedern zu können, geht kein Weg vorbei. Regulierung hin oder her!

Comments on this entry are closed.

Previous post:

Next post: