Portugal Si, Griechenland No

by Karl-Heinz Thielmann on 11. Juni 2015

Ich weiß nicht, wie es den Lesern dieses Blogs geht, aber ich kann das Wort „Griechenland“ nicht mehr hören, insbesondere in Kombination mit dem Begriff „Reformen“. Seit Monaten werden wir mit Nachrichten und Kommentaren bombardiert, ob und wie das Land zu retten ist, ob es noch eine allerallerallerallerletzte Chance bekommt.

Es interessiert mich ehrlich gesagt nicht mehr, wann Griechenland das erste Mal seine Zinsen tatsächlich nicht mehr zahlt; oder was die Herren Tsipras und Varoufakis wirklich meinen, wenn sie ständig unterschiedlichen Leuten völlig verschiedene Dinge erzählen.

Praktisch ist Griechenland längst pleite, sämtliche Erholungsansätze und Reformbemühungen des vergangenen Jahres sind eingedampft. Egal, ob mit mehr oder weniger Sparen, Griechenland ist wirklich nicht zu retten. Austerität schadet weiter den Armen, eine Aufgabe des Sparkurses wird nur raffgierigen Oligarchen und korrupten Politikern helfen. Steuern zahlen nach wie vor nur die ganz Doofen. Game over, es ist Zeit, die Realitäten anzuerkennen.

Der italienische Ökonom Francesco Giavazzi hat diese Woche in der FT einen sehr lesenswerten Beitrag geschrieben mit dem Titel „Greeks chose poverty, let them have their way“ – „Die Griechen haben die Armut gewählt – lasst sie gewähren„. Für ihn ist ein Staatsbankrott von Griechenland keine Gefahr für die Eurozone oder für die Kapitalmärkte, dazu ist Griechenland mit einem Anteil von 1,8% am Eurozone-BIP wirklich zu klein.

Laut Giavazzi kann der Euro nur überleben, wenn die europäische Integration weitergeht.  Griechenland steht dem im Wege, weil sich es mit der Wahl von Syriza als Regierungspartei der Moderne verweigert hat. Er macht klar, dass es nicht Aufgabe des übrigen Europa sein kann, notwendige Reformen in Griechenland durchzusetzen. Wenn die Griechen nicht wollen, dann wollen sie halt nicht. Sie müssen dann aber auch die Konsequenzen tragen: Ihre Verelendung ist durch die Reformverweigerung selbst gewählt.

Das Geld, das seit Beginn der Währungsunion nach Griechenland floss (400 Mrd. € = 1,7-mal das BIP von Griechenland), ist definitiv weg. Weitere Mittel für Athen bedeuten ein Festhalten an der Illusion, irgendwann noch einmal etwas davon wiederzusehen. Doch dieses Weitermachen wie bisher heißt in Wirklichkeit nur, gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen.

Wie stark die derzeitige Misere von der fehlenden Veränderungsbereitschaft abhängt, zeigt der Vergleich mit Portugal. Das andere südeuropäische Krisenland war bisher alles andere als ein Reformverweigerer. 2011 hatte Portugal ähnlich katastrophale wirtschaftliche Kennzahlen wie Griechenland, was die Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit oder Arbeitsproduktivität betraf. Doch im Gegensatz zu Griechenland hat man echte Reformen durchgeführt, auch wenn sie speziell den Arbeitnehmern sehr weh taten. Seit 2014 sieht man deswegen auch dort eine deutliche Verbesserung der Wirtschaftszahlen: Die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Handelsbilanz hat einen geringen Überschuss. Die öffentliche Verschuldung hat sich stabilisiert und soll ab 2015 sogar zurückgeführt werden.

Jeder Euro aus dem EU-Rettungsprogramm für Portugal war gut angelegtes Geld; genau so übrigens wie die Hilfsmittel für Irland oder Spanien. Wenn man jetzt Griechenland abschreibt, ist das zwar ein fetter Schönheitsfehler, bedeutet aber nicht ein Scheitern der EU-Rettungspolitik. Im Gegenteil, stellt man jetzt Hilfsgelder zur Verfügung, die nur durch Pseudo-Reformversprechen gedeckt sind, werden die bisherigen Erfolge gefährdet.

Portugal hat inzwischen das EU-Hilfsprogramm verlassen und steht wieder auf eigenen, wenn auch noch sehr wackligen Füssen. Es bleibt noch viel zu tun: So war das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-BIP 2013 mit 25.737 US$ immer noch weit unter dem OECD-Durchschnitt von 39.274 US$. Das Land hat sich auf einen mühsamen Weg gemacht, um Anschluss an das übrige Europa zu finden, und verdient weiterhin jede Unterstützung. Den Luftschloss-Architekten in Athen hingegen sollte man keinen einzigen Euro mehr geben.

 

Hardy Juni 13, 2015 um 17:40 Uhr

@Thielmann:

Rede ich Suaheli?

Haben die Kürzungen der Löhne und Gehälter in Griechenland um rund 30% die Wettbewerbsfähigkeit verbessert oder nicht?

Alles andere Geschwurbel interessiert mich nicht.

Karl-Heinz Thielmann Juni 14, 2015 um 13:39 Uhr

a) es tut mir natürlich sehr leid, wenn Sie das „andere Geschwurbel“ nicht interessiert, aber um es noch einmal deutlich zu sagen: Nein, ich denke nicht, dass Lohnsenkungen die Wettbewerbsfähigkeit von Griechenland erhöht haben. Vielleicht haben sie sogar geschadet.

b) jetzt kommt noch mehr Geschwurbel: in der heutigen komplexen Welt kommt es beim Aussenhandel auf andere Dinge als Lohnkostendifferenzen an. Der Entwicklungsökonom Ricardo Hausmann hat das griechische Problem vor ein paar Tagen ganz gut erklärt, deswegen kopiere seine Passage im Anschluss ein:

„The problem is that Greece produces very little of what the world wants to consume. Its exports of goods comprise mainly fruits, olive oil, raw cotton, tobacco, and some refined petroleum products. Germany, which many argue should spend more, imports just 0.2% of its goods from Greece. Tourism is a mature industry with plenty of regional competitors. The country produces no machines, electronics, or chemicals. Of every $10 of world trade in information technology, Greece accounts for $0.01.

Greece never had the productive structure to be as rich as it was: its income was inflated by massive amounts of borrowed money that was not used to upgrade its productive capacity. According to the Atlas of Economic Complexity, which I co-authored, in 2008 the gap between Greece’s income and the knowledge content of its exports was the largest among a sample of 128 countries.

Too much of the debate since then has focused on what Germany, the EU, or the International Monetary Fund must do. But the bottom line is that Greece needs to develop its productive capabilities if it wants to grow. The unfocused set of structural reforms prescribed by its current financing agreement will not do that. Instead, Greece should concentrate on activist policies that attract globally competitive firms, an area where Ireland has much to teach – and where Stiglitz has sensible things to say.“

Quelle: http://www.project-syndicate.org/commentary/greece-export-problem-by-ricardo-hausmann-2015-03

Hardy Juni 12, 2015 um 14:16 Uhr

@Thielmann:

Nochmal die ganz einfache Frage: Haben die Kürzungen der Löhne und Gehälter in Griechenland um rund 30% die Wettbewerbsfähigkeit verbessert oder nicht?

Karl-Heinz Thielmann Juni 13, 2015 um 09:05 Uhr

Offensichtlich sind in Griechenland andere Faktoren wichtiger für die Wettbewerbsfähigkeit als die Lohnkosten, die da wären: Bürokratie, Korruption, fehlende Stabliltät, fehlende Technologie, etc.

Bernie Juni 16, 2015 um 08:47 Uhr

Das weiß ich nicht, ich habe das nicht untersucht. Gegenfrage: Wenn die Senkung der Löhne um 30% keine positiven Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit hatten, war es dann das richtige Mittel? Wenn nein, hat dann die griechische Regierung (in diesem Punkt) nicht Recht, wenn sie sagt, dass die Strategie der Troika fasch war und ist? Die Lohnsenkung war eine wesentliche Vorgabe von EU und IWF!

Hardy Juni 11, 2015 um 19:20 Uhr

@Thielmann

Senkung der Löhne und Gehälter um rund 30% trägt also nicht zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit bei??

Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein.

Karl-Heinz Thielmann Juni 12, 2015 um 08:13 Uhr

Ist es nicht eine zu einfache Denke, Wettbewerbsfähigkeit auf Lohndifferenzen zu reduzieren? Es kommt heute auf qualitative Faktoren an, deswegen sind Hochlohnländer wie die Schweiz sehr wettbewerbsfähig und Niedriglohnländer wie Griechenland eben nicht, egal wie tief man die Löhne dort drückt.

Moritz Juni 11, 2015 um 15:59 Uhr

Die Story das es in Portugal gut läuft ist leider falsch. Die makroökonomischen Daten
sind ähnlich verheerend wie in Griechenland. Hier ein kurzer Link :

http://think-beyondtheobvious.com/stelter-in-den-medien/das-maerchen-von-der-sanierung-portugals/

P.S. Habe gerade keine Zeit, man kann aber wesentlich zu diesem Thema finden.

Beste Grüße Moritz

Hardy Juni 11, 2015 um 14:18 Uhr

Ah, und wo wir gerade dabei sind:

http://mainlymacro.blogspot.ch/2015/06/why-sen-is-right-about-what-is-being.html

„The hubris of the Troika is incredible. They have convinced themselves that they must override the democratic wishes of the Greek people because the Troika have the wisdom about what is good for the Greek economy. This is the same body that with its superior wisdom prevented full default, and imposed ridiculously strong austerity on Greece and crashed the economy as a direct result. To cover up these errors they play to stories in the media about the lazy and privileged Greek people, stories that largely disintegrate when confronted with evidence.“

Keine Ahnung haben darf man – sollte man aber besser nicht zeigen.

Hardy Juni 11, 2015 um 14:14 Uhr

Ah, und wenn wir gerade dabei sind:

http://mainlymacro.blogspot.ch/2015/06/why-sen-is-right-about-what-is-being.html

„The hubris of the Troika is incredible. They have convinced themselves that they must override the democratic wishes of the Greek people because the Troika have the wisdom about what is good for the Greek economy. This is the same body that with its superior wisdom prevented full default, and imposed ridiculously strong austerity on Greece and crashed the economy as a direct result. To cover up these errors they play to stories in the media about the lazy and privileged Greek people, stories that largely disintegrate when confronted with evidence.“

Besser?

Hardy Juni 11, 2015 um 12:36 Uhr

So so, all‘ das kann man aber auch anders sehen. Und dann wird auch klar, dass der eine oder andere Blog bei der eher ahnungslosen Griechenhetze mitmacht:

https://medium.com/bull-market/the-ft-lets-itself-down-again-francesco-giavazzi-on-greece-92988bc675eb

Bernie Juni 11, 2015 um 12:14 Uhr
Bernie Juni 11, 2015 um 12:11 Uhr

Sehr spannend wie unterschiedlich die Analysen sein können. Man lese folgenden Beitrag zum gleichen Thema:

Wie kommen Sie darauf, dass Griechenland keine Reformen durchgeführt hat? Die Staatsaausgaben betrugen 2009 etwa 128 Mrd Euro, 2014 nur noch ca. 88 Mrd. Euro. Das sind Einsparungen von 31%! Wie kann man da behaupten, die Griechen hätten nichts getan?
Ich vergleiche das mal mit dem angeblichen Musterknaben Portugal: 2009 lagen die Staatsausgaben etwa bei 84 Mrd Euro, 2014 bei 79 Mrd Euro.
Ich denke mal, es ist klar welcher Staat die größeren Anstrengungen unternommen hat. Hier zu behaupten die aktuell sichtbare Verelendung in Griechenland ist Ergebnis der Reformverweigerung macht mich sprachlos.
Interessant auch die Aussagen über eine demokratisch gewählte Regierung: „Griechenland steht dem (der europäischen Integration) im Wege, weil sich es mit der Wahl von Syriza als Regierungspartei der Moderne verweigert hat.“ Hätten die Griechen also nicht Syriza gewählt, wäre alles gut?? Wird Griechenland jetzt „bestraft“ weil es gewagt hat eine linke Regierung zu wählen? Wen hätten sie den sonst wählen sollen? Die alten bis ins Mark korrupten Regierungsparteien, die Griechenlands Misere erst herbeigeführt haben? Die Nazis der Goldenen Morgenröte, die nicht mehr sind als eine mafiöse Vereinigung? Syriza war (und ist) die einzige mögliche Alternative, wenn man Veränderungen wollte. Als Demokrat akzeptiere ich das, auch wenn ich mit manchen Aussagen und Positionen nicht einverstanden bin.

Karl-Heinz Thielmann Juni 11, 2015 um 14:18 Uhr

a) Man sollte nicht Reformpolitik mit Ausgabensenkungen verwechseln, hier liegt übrigens auch ein Fehler vieler Sparauflagen. Klar hat Griechenland mehr gespart, aber leider fast nichts für die Einnahmenseite getan und zum Beispiel auch mal die Wohlhabenden mit Steuern belastet. Hier besteht übrigens ein interessanter Grundkonsens in der griechischen Politik, auch bei den angeblich linken Syriza. Ich sehe Syriza nicht als Alternative, viele dortige Führungskräfte waren ja auch schon in anderen Parteien tätig und haben dort „griechische“ Politik gemacht.
b) Griechenland hat im Gegensatz zu Portugal nur sehr wenig getan, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Das wenige wurde wieder zurückgenommen.
c) Natürlich muss man als Demokrat die Wahl von Syriza akzeptieren. Aber man muss diese Politik nicht mitmachen, da sie im Wesentlichen darauf hinaus läuft, Griechenland zum Dauersubventionsempfänger zu machen.

Bernie Juni 11, 2015 um 17:50 Uhr

Hallo Herr Thielmann,
natürlich haben Sie Recht: Ausgabensenkung ist nicht gleich Reformen. Aber: diese Ausgabensenkung ist von der EU und dem IWF als notwendige „Reform“ gefordert und von Griechenland auch umgesetzt worden. Denkbar ist, dass das die falsche Strategie war. Diese Position wird nicht alleine von Syriza vertreten.
Zu b) würde mich interessieren, worauf Sie sich beziehen.

Karl-Heinz Thielmann Juni 12, 2015 um 07:00 Uhr

zu b) die Drangsalierung der Privatwirtschaft in Griechenland; insbes. der kleinen und mittleren Unternehmen; die Wiedereinstellung überflüssiger Beamter; sich wieder ausbreitende Vetternwirtschaft (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/griechenland-wahl-syriza-steht-fuer-die-rueckkehr-zur-korruption-13390452.html); Geschenke für befreundete Oligarchen (http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/griechenland-erlaesst-fussballverein-paok-saloniki-steuerschuld-a-1026241.html), Zickzackkurs bei Privatisierungen, usw.

Griechenland braucht eine Modernisierung der Wirtschaftsstruktur (http://www.nzz.ch/wirtschaft/eine-kleine-geschlossene-volkswirtschaft-1.18482603), und natürlich hat hier insbesondere die Troika-Politk bisher auch mehr geschadet und genützt. Giavazzi stellt – meiner Ansicht nach zurecht – infrage, ob die Mehrheit der Griechen eine solche Modernisierung überhaupt will. Syriza jedenfalls will sie offensichtlich nicht.

Gerald Fix Juni 14, 2015 um 07:24 Uhr

Syriza jedenfalls will sie offensichtlich nicht.

Ich habe mal gelernt, Vortragende würden das Wort offensichtlich dann benutzen, wenn sie das Gesagte nicht belegen können 🙂

Egal wie: Syriza ist grade ein halbes Jahr im Amt, stützt sich weitgehend auf verwaltungsunerfahrenes Personal und steckt seit dem ersten Tag im Dauerfeuer. Aus den Handlungen dieser Zeit zu schließen, was Syriza wirklich will, ist Kaffeesatzleserei.

Karl-Heinz Thielmann Juni 14, 2015 um 08:00 Uhr

Zugegebenermaßen habe ich zu unsauber formuliert. Syriza ist eine sehr heterogene Bewegung mit unerfahrenen Leuten, die unterschiedliche Dinge können und wollen. Insofern hätte ich besser schreiben sollen: Die Politik von Syriza läuft darauf hinaus, dass die notwendige Modernisierung ausbleibt.

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