Was passiert da zwischen VW und seinen Zulieferern?

by Dirk Elsner on 22. August 2016

Als ich Ende der vergangenen Woche mit dem Auto von Frankfurt nach Bielefeld fuhr, schien es in den Nachrichtensendungen nur ein Thema zu geben. Der Streit der Volkswagen AG mit zwei Zulieferern. Dieser Streit eskalierte in der vergangenen Woche öffentlich und so erfuhren wir, dass die Zulieferer für Getriebeteile und Sitzbezüge Volkswagen zwingen, einen Teil ihrer Produktion für ihr Modell Golf zu stoppen.

Wir kennen derzeit nicht die Geschichte, die hinter dem Streit steckt. Aber sorry Volkswagen, meine ersten Gedanken galten nicht dem Bedauern für den Autokonzern aus Wolfsburg, sondern der Frage, wie VW mit seinen Zulieferern wohl umgeht, wenn sie eine derartige Eskalation wagen, die sogar die eigene Existenz gefährdeten. Mein zweiter Gedanke galt dem Risikomanagement von VW.

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Kann auch die Lieferkette unterbrechen: Lava

Zu der überaus interessanten Frage der Gründe dafür, dass Zulieferer einen so mächtigen Konzern so angreifen gibt es bisher eher Andeutungen und Spekulation. So schreibt das Handelsblatt

“Die genauen Hintergründe für den Streit sind ungeklärt. Aus Sicht von ES und Car Trim ist die schwierige Lage Folge einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen seitens VW. Volkswagen habe keinen Ausgleich dafür gewährt. Deswegen „sahen sich Car Trim und ES Automobilguss letztlich zum Lieferstopp gezwungen“, hieß es.”

Die Süddeutsche konkretisierte diese Informationen am Wochenende. Danach würden die Prevent Firmen Car Trim und ES Guss 58 Millionen Euro von VW verlangen, weil der Konzern eine Entwicklungskooperation einseitig beendet habe.

Mich erinnert der Fall aber an eine Geschichte aus dem Jahr 2009, die ich von einem mittelständischen Zulieferer der Autoindustrie hörte. Dieser Mittelständler ärgert sich damals über einen langfristigen Liefervertrag mit einem Automobilkonzern (es war übrigens nicht Volkswagen), der ihn unter erheblichen Druck setzte, den Vertrag zu ändern und die Preise um etwa 1/4 abzusenken. Das Unternehmen hatte damals die Wahl zwischen den Qualen: dem “Wunsch” zuzustimmen und kurz vor der Insolvenz zu stehen oder den Vorschlag ablehnen und damit einen zentralen Kunden zu verlieren.

Klar ist es in einer Marktwirtschaft legitim, hart über Preise zu verhandeln. Allerdings kann das natürlich immer die Konsequenz haben, dass einer der Partner das Interesse am Geschäft verliert. Problematisch wird es auch, wenn ein bereits geschlossener Vertrag nachträglich und rückwirkend unter Druck eines starken Partners geändert werden soll.

Erstaunlich ist aber, dass ein einziger Zulieferer die gesamte Produktion eines Autokonzern gefährden kann. Das Just-in-Time-Prinzip sorgt in der Industrie dafür, dass es kaum Lagerhaltung gibt. Zulieferer liefern ihre Komponenten direkt in die Produktionsstraße, wenn diese benötigt werden. Die Verfahren sind mittlerweile sehr ausgefeilt und werden im Rahmen der Digitalisierung weiter perfektioniert.

Diese Verfahren mögen auch in 99,9% aller Fälle funktionieren. Allerdings sind sie hoch fragil gegen kleinste und vor allem unerwartete Störungen. Ältere Semester erinnern sich vielleicht noch daran, wie der isländische Vulkan Eyjafjallajökull 2010 die Produktion beeinträchtigt hat. Und VW, so liest man im Handelsblatt, habe sich bei der Lieferung von Sitzbezügen und Getriebeteilen auf einen einzigen Zulieferer zu verlassen. “Zu extremes Kosten- und Effizienzdenken haben jetzt in Wolfsburg zu einem Eigentor geführt”, kommentiert Stefan Menzel.

Wie auch immer, ein solcher Streit zwischen Vertragspartnern gehört zum Alltag der Wirtschaftspraxis. Bemerkenswert ist nur, dass er in der Öffentlichkeit eskaliert wird und die Just-in-Time-Produktion von Volkswagen so auf Kante konzipiert sein soll, dass es keine Alternativen gibt. Manche mutmaßen sogar der Stillstand passe dem Autobauer ganz gut, weil wegen der Abgas-Affäre ohnehin weniger Autos gebaut werden.

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