Tetlock und Gardners Superforecaster schlagen prominente Experten

by Dirk Elsner on 31. Oktober 2016

In diesem Blog befasse ich mich ja immer wieder gern mit “Experten” und ihren Prognosen. Ich pflege dabei die Kultur, dass ich insbesondere eloquent vorgetragene Vorhersagen renommierter Fachleute eher anzweifele. Ein aktuelles Buch bestärkt mich in dieser Ansicht. Gleichzeitig arbeitet es gut heraus, dass unter bestimmten Bedingungen bessere Vorhersagen möglich sind: Philip E. Tetlock und Dan Gardner haben “Superforecasting – Die Kunst der richtigen Prognose”.

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Tetlock und Gardner misstrauen dem Igel

Neugierig gemacht hat mich der Egghat von der “Wunderbaren Welt der Wirtschaft” auf dieses Buch, dessen englische Fassung bereits im vergangenen Jahr erschien ist. Im Sommer dieses Jahres folgte dann die deutsche Übersetzung. Ob Egghat dank dieses Buches zumindest überlegene Bundesligaprognosen erstellt, sei einmal dahingestellt. In jedem Fall geht der Nutzes des Buchs deutlich über den Horizont von Prognosen hinaus und ist ein guter Ratgeber für Manager und – weil ich mich damit derzeit viel beruflich beschäftige – für das Innovationsmanagement von Unternehmen.

Ob man nach der Lektüre des Buches bessere Prognosen erstellen kann, sei einmal dahingestellt. Tetlock, der Professor für Psychologie und Politikwissenschaft an der Universität von Pennsylvania ist, und der Journalist Gardner räumen mit einigen Vorurteilen über Prognosen auf und arbeiten für meinen Geschmack manchmal eine Spur zu blumig heraus, unter welchen Rahmenbedingungen Vorhersagen besser werden.

Und nein, auch Tetlock und Gardner wissen nicht, wie man die Zukunft hundertprozentig richtig vorhersagt. Wer so etwas erwartet, sollte lieber in den Esoterik-Regalen nachschauen. Tetlock und Gardner machen einige Anleihen bei Daniel Kahneman. Kahneman und “andere Pioniere der modernen Psychologie haben gezeigt, dass sich unser Gehirn nichts mehr wünscht als Gewissheit, und wenn es sie nicht bekommt, dann erfindet es sie eben.” In der Prognostik ist dies eine Todsünde. Und so erhält man auch hier nach der Lektüre keine Gewissheit, was ich für absolut angemessen halte.

Tetlock und Gardner glauben, dass man zumindest in bestimmten Situationen und innerhalb bestimmter Grenzen in die Zukunft blicken kann. Für sie ist es wichtig, die Grenzen der Vorhersagbarkeit anzuerkennen, aber auch nicht jeden Versuch der Vorhersage als sinnlos zu bezeichnen. Eine Aussage, die ich so unterschreiben würde, denn im Alltag hantieren wir ja ohnehin ständig mit Vorhersagen.

Tetlock und Gardner schreiben, dass gute Prognosen kein Hexenwerk sind. Sie arbeiten in dem Buch die verschiedenen Eigenschaften heraus, die helfen, die Prognosegüte zu verbessern. Und diese Eigenschaften sind eher Denkhaltungen, die ich auch für das Management und Innovationsmanagement für ganz wichtig halte, dazu gehören etwa Neugierde, Skepsis, sich unabhängig in neue Themen einzuarbeiten, sich kritisches Feedback einzuholen und aus Fehlern zu lernen.

Daneben gibt es ein paar konkrete Hinweise, die man aber in dem Buch suchen muss. Ein Beispiel dazu aus Kapitel 7. Dort schreiben sie:

“Zerlegen Sie eine Frage in ihre Bestandteile. Unterscheiden Sie so klar wie möglich zwischen Bekanntem und Unbekanntem und lassen Sie keine Annahme unhinterfragt. Nehmen Sie die Außensicht ein, um die anstehende Frage mit anderen vergleichen zu können, ihre Einmaligkeit in den Hintergrund zu rücken und sie als Spezialfall in einer größeren Gruppe ähnlicher Phänomene zu behandeln. Nehmen Sie dann die Innensicht ein, um die Einmaligkeit der Frage in den Vordergrund zu stellen. Untersuchen Sie außerdem die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Ihrer Sicht und anderen Sichtweisen und achten Sie besonders auf Prognosemärkte und andere Methoden, die sich die Schwarmintelligenz zunutze machen. Bringen Sie nun diese verschiedenen Sichtweisen zu einer Synthese zusammen, die so scharf ist wie der Blick durch ein Libellenauge. Drücken Sie schließlich Ihr Urteil so klar wie möglich aus und benutzen Sie dazu eine möglichst detaillierte Wahrscheinlichkeitsskala.”

Jeweils eigene Kapitel widmen die Autoren der Teamarbeit und der Führungsarbeit von Managern. Mit Blick auf Gruppendynamik warnen die beiden vor kleinen, geschlossenen Gruppen mit einem eigenen Korpsgeist. Sie schaffen unbewusst eine Atmosphäre für gemeinsame Fehlwahrnehmungen und entwickeln Normen, “die kritisches Denken und den Abgleich mit der Realität unterbinden.” Aber auch “Gruppen, die allzu reibungslos funktionieren, vermeiden es, ihre Annahmen zu hinterfragen und unangenehmen Tatsachen ins Auge zu sehen. Alle sind sich einig, was als sehr angenehm empfunden wird, und die Tatsache, dass sich alle einig sind, wird als Beweis gewertet, dass die Gruppe auf dem richtigen Weg ist. Wir können uns doch schließlich nicht alle irren, oder?”

Aber in Gruppen tauschen Menschen auch Informationen und Meinungen aus. Das halten die Autoren natürlich für gut, wirkt aber nur, wenn sich die Angehörigen der Gruppe unabhängig voneinander ein Urteil bilden. “Die Unabhängigkeit stellt sicher, dass Fehler zufällig verteilt sind und sich gegenseitig aufheben. Wenn Menschen ein Team bilden und diskutieren, dann geht diese Unabhängigkeit des Denkens und Urteilens schnell verloren. Die Diskussion kann von Großsprechern, Tyrannen, charismatischen Rednern oder Experten dominiert werden, die die anderen auf ihre Linie bringen. Es gibt viele Gründe, warum die Mitglieder einer Gruppe ihr eigenständiges Urteil aufgeben und sich falschen Sichtweisen anschließen. Wenn das passiert, addieren sich die Fehler, statt sich gegenseitig aufzuheben.”

Die größte Schwäche des Buches ist eine, die viele us-amerikanische Sachbücher auszeichnet. Sie erzählen zu langatmige Beispielgeschichten, mit denen Aussagen belegt werden sollen. Mich stört dieser Stil, denn anhand von Beispielen lässt sich alles und das Gegenteil belegen.

Gelernt habe ich übrigens auch noch, dass Teams mit sogenannten Superprognostikern im Durchschnitt besser abschneiden als Prognosemärkte. Damit werde ich mich wohl noch im Zusammenhang mit den anstehenden US-Wahlen befassen.  Insbesondere schlagen die Superforcaster die öffentlichkeitswirksame Experten, die Tetlock und Gardner Igel nennen. Sie schreiben (Pos 1232):

“Je bekannter ein Experte ist, umso schlechter sind seine Prognosen. Das liegt nicht daran, dass die Verantwortlichen der Fernsehsender nach schlechten Prognostikern suchen. Aber beseelt von ihrem einen großen Gedanken, erzählen Igel eben die einfachen und klaren Geschichten, wie sie die Medien lieben. Vor allem aber strotzen Igel vor Selbstbewusstsein. Ausgehend von ihrem einen großen Gedanken können sie endlos Gründe anführen, warum sie recht haben – »außerdem« und »darüber hinaus« -, ohne sich mit anderen Sichtweisen und den damit einhergehenden lästigen Zweifeln und Einwänden herumschlagen zu müssen. Deswegen sind Igel eher bereit vorherzusagen, dass etwas ganz sicher eintritt oder gar nicht. Für viele Leser und Fernsehzuschauer ist das beruhigend. Sie empfinden Ungewissheit als beängstigend, und ein »Vielleicht« unterstreicht diese Ungewissheit dick und rot. Das selbstbewusste Auftreten der Igel verstellt zwar den Blick auf die Realität, aber es beruhigt die Nerven, und das nutzt der Karriere der Igel.”

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