Warum ich nicht an die Singularität maschineller Intelligenz glaube

by Dirk Elsner on 17. Juli 2017

Die Wochenenden sehen in den letzten Monaten bei uns so aus, dass wir nach dem Auszug der Kinder unser Haus umräumen. Dabei wandert viel ins Altpapier, in den Sperrmüll und in den Keller. Insbesondere unsere CD und DVD-Sammlung wird nicht mehr als Deko benötigt, denn seit einiger Zeit nutzen wir verschiedene Streamingdienste für Audio und Video. Die Suche nach Musik, Hörbüchern und Filmen können wir uns mittlerweile ebenfalls sparen, weil wir neuerdings einen Sprachassistenten verwenden.

 

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Der Sprachassistent Echo Alexa ist praktisch, wenn man nicht zu hohe Erwartungen an ihn/sie stellt. Mit künstlicher Intelligenz hat das mittlerweile für verschiedene Geräte erhältliche Teil imho allerdings nichts zu tun. Er verfügt zwar über eine erstaunlich gute Spracherkennung (aber übrigens keine Sprechererkennung), aber im Prinzip werden, wenn die Befehle erkannt werden, diese wie an einem Computer oder Smartphone abgearbeitet.

Maschinen und Algorithmen mit künstlicher Intelligenz lernen einzelne Fähigkeiten, die sie emotionslos und mechanisch ausführen. Das sorgt anfangs für einen Wow-EFfekt, ist aber eigentlich unspektakulär. Experten-Gurus müssen, um gehört zu werden, extreme Positionen vertreten. Auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz gehört dazu bekanntlich die Idee der Singularität. Mit der Singularität, so wird behauptet, wird der Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte erreicht, an dem von Menschen geschaffene Technologie mehr Intelligenz haben soll als wir Menschen selbst.

Wenn man den Ausdruck Singularität mag, dann findet man man bereits heute unzählige Beispiele dafür, wo Maschinen die Fähigkeit des Menschen übertrumpft haben. Man denke etwa an die jüngsten Fortschritte beim autonomen Fahren. Schon heute sind Fahrzeuge mit entsprechender Technologie in der Lage ohne menschlichen Eingriff ihre Ziele sicherer und effizienter zu erreichen. Niemand wird bezweifeln, dass zum Autofahren eine gewisse menschliche Intelligenz gehört. Die Maschinen sind hier besser und in unzähligen anderen Technologiefeldern ebenfalls.

Seriöse Forscher sagen aber, dass wir noch weit davon entfernt sind, dass menschliche Bewusstsein und seine elektrochemischen Signaturen zu begreifen. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari schreibt in seinem unbedingt lesenswerten Buch Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen:

“Niemand weiß jedoch so recht zu sagen, wie eine Ansammlung biochemischer Reaktionen und elektrischer Ströme im Gehirn die subjektive Erfahrung von Schmerz, Wut oder Liebe erzeugt. Vielleicht werden wir in zehn oder fünfzig Jahren über eine stichhaltige Erklärung verfügen. Doch bislang fehlt uns eine solche Erklärung.”

Akzeptiert man die Darstellung des Hirnforschers David Eagleman vom menschlichen Gehirn in seinem Buch “The Brain” zur gleichnamigen Videoreihe, dann wird deutlich, dass keine künstliche Intelligenz den Menschen ersetzen kann. Der Grund ist trivial. Jedes Gehirn ist einzigartig und wird im Laufe des Heranwachsens und weiteren Lebens geformt. Er spricht von der Plastizität, die uns ermöglicht neue Dinge zu lernen und neuen Input zu interpretieren. Eagleman schreibt:

“Viele Tiere kommen mit festen Instinkten oder Verhaltensweisen zur Welt, weshalb man davon spricht, dass ihre Gehirne »fest verdrahtet« sind. Gene steuern die Entwicklung des Körpers und Gehirns und geben die Eigenschaften und Verhaltensweisen dieser Tiere vor. Wenn eine Fliege beim Anblick eines Schattens flieht, ein Star im Herbst nach Süden fliegt, ein Bär Winterschlaf hält und ein Hund sein Herrchen beschützt, dann handelt es sich um feste Instinkte und Verhaltensweisen. Dank dieser Programmierung können diese Tiere gleich nach der Geburt laufen, fressen und manchmal sogar allein überleben.

Anders der Mensch. Im menschlichen Gehirn ist manches vorgegeben (zum Beispiel Atmung, Weinen, Saugen, Gesichtserkennung und die Fähigkeit, eine Sprache zu erlernen). Aber im Vergleich zum Rest der Tierwelt ist unser Gehirn bei der Geburt unfertig. Der genaue Schaltplan ist nicht vorgegeben. Stattdessen geben die Gene nur eine ungefähre Anleitung für den Aufbau des Netzwerks und erlauben dem Gehirn, sich an die Gegebenheiten anzupassen. Dank der Formbarkeit des Gehirns konnte der Mensch jedes Ökosystem der Erde besiedeln und die Reise in den Weltraum antreten.”

Künstliche Intelligenzen können zwar schon seit Jahren dazu lernen. Aber im Grunde kann sie dabei nur bestimmte standardisierte Fähigkeiten von Menschen nachbilden, nie aber die Einzigartigkeit eines Menschen. Standardisierbare Fähigkeiten beherrschen sie dafür oft besser als wir Menschen (siehe das Beispiel autonome Fahren). Man könnte hier von partieller Singularität sprechen. Aber im Grunde dient die Vorhersage einer globalen Singularität nur dem Erheischen von Aufmerksamkeit.

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