Eigeninteresse und Opportunismus

by Dirk Elsner on 31. August 2008

In diesem Grundlagenbeitrag geht es um eine zentrale wirtschaftliche Annahme, mit der wir es sehr häufig in der Praxis zu tun haben.

Ökonomen unterstellen grundsätzlich, dass der Homo Oeconomicus auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Das im Deutschen weniger gebräuchliche Wort „eigeninteressiert“ beschreibt eigentlich besser, was gemeint ist, weil es weniger negativ klingt als das Wort „egoistisch“. Egoismus gilt gemeinhin in unserer Gesellschaft nicht als positive Charaktereigenschaft, weswegen sich viele sträuben, ihn als allgemeine Verhaltensannahme zu akzeptieren.

Häufig verhalten sich Individuen auch dann egoistisch, obwohl sie sich auch anders verhalten könnten und – von einem moralischen Standpunkt aus – möglicherweise auch sollten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie Eigeninteresse mit List verfolgen, wenn sie sich also „opportunistisch“ verhalten.

Oliver E. Williamson ist die Aufnahme des Opportunismus vor allem durch sein Werk „The Economic Institutions of Capitalism“  in die Wirtschaftswissenschaft zu verdanken.

Unter Opportunismus versteht Williamson die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Das schließt krassere Formen ein, wie Lügen, Stehlen und Betrügen, beschränkt sich aber keineswegs auf diese. Häufig bedient sich der Opportunismus raffinierterer Formen der Täuschung.

Allgemeiner gesagt bezieht sich Opportunismus auf die unvollständige oder verzerrte Weitergabe von Informationen, insbesondere auf vorsätzliche Versuche irrezuführen, zu verzerren, verbergen, verschleiern oder sonst wie zu verwirren. Er ist für Zustände echter oder künstlich herbeigeführter Informationsasymmetrie verantwortlich, welche die Probleme ökonomischer Institutionen außerordentlich erschweren.

Der Opportunismus ist für Zustände echter oder künstlich herbeigeführter Informationsasymmetrie verantwortlich, welche die Probleme ökonomischer Organisationen außerordentlich erschweren. Prinzipale ebenso wie Dritte stehen infolgedessen vor viel schwierigeren Zurechnungsproblemen ex post.

Das Auftreten solchen Verhaltens ist wichtig, denn solange eingeschränkte Rationalität die Abfassung vollständiger Verträge verhindert, könnte man sich allgemein mit unvollständigen Verträgen begnügen, wenn die Wirtschaftssubjekte völlig vertrauenswürdig wären. Aber in Wirklichkeit muss der Abschluss umfassender Verträge unterbleiben, weil eine „Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List“ gibt und es für gewöhnlich sehr kostspielig ist, im Vorhinein zwischen opportunistischen und nicht opportunistischen Akteuren zu unterscheiden.

Gäbe es keinen Opportunismus, so könnte offensichtlich alles Verhalten nach Regeln erfolgen. Dazu bedurfte es überdies keiner umfassenden Vorausplanung. Unerwartete Ereignisse könnten in allgemeinen Regeln behandelt sein, denen zufolge die Parteien übereinkommen, sich durch Handlungen im Sinne einer gemeinsamen Gewinnmaximierung zu binden. Probleme der Vertragserfüllung ließen sich also dadurch vermeiden, dass man vor Vertragsschluss auf einer Generalklausel der folgenden Art besteht: „Ich erkläre mich bereit, alle relevanten Informationen ehrlich bekannt zu geben und danach, im Zuge der Vertragserfüllung, Maßnahmen im Sinne einer gemeinsamen Gewinnmaximierung vorzuschlagen bzw. an solchen mitzuwirken, deren Erträge ohne Widerrede entsprechend dem hier vereinbarten Verteilungsschlüssel aufgeteilt werden.

Im Hinblick auf die Untersuchung ökonomischer Organisation ist die wichtigere Lehre folgende: Auf Transaktionen, die durch Opportunismus ex post gefährdet sind, wird es sich günstig auswirken, wenn entsprechende Absicherungen ex ante eingebaut werden können. Statt also opportunistischem Verhalten mit einem ebensolchen zu begegnen, wird der kluge Machthaber bemüht sein, „glaubhafte Zusicherungen“ zu machen und zu erhalten. Anreize können neu angeordnet werden bzw. bessere Beherrschungs- und Überwachungssysteme zur Organisation von Transaktionen geschaffen werden.

Der Opportunismus ist eine lästige Ursache von Verhaltensunsicherheit in ökonomischen Transaktionen – wobei diese Unsicherheit verschwinden würde, wenn entweder die einzelnen Beteiligten sich völlig offen und ehrlich um ihren individuellen Vorteil bemühten oder alternativ völlige Unterordnung, Selbstverleugnung und Gehorsam angenommen werden könnten. Gehorsam entspricht einer Nicht-Verfolgung von Eigeninteresse.

Wie Williamson gezeigt hat, haben sich im Laufe der Zeit eine ganze Reihe gesellschaftlicher Institutionen entwickelt, deren Zweck es ist, opportunistischem Verhalten zu begegnen. So soll durch die Zivilgerichtsbarkeit ermöglicht werden, eine „korrekte“ Erfüllung eingegangener Verträge zu erzwingen. Durch die Strafgerichtsbarkeit kann opportunistisches Verhalten in bestimmten Fällen sogar mit Strafe belegt werden. Auch im vorstaatlichen  Raum sind eine Reihe von Mechanismen entwickelt worden, die starke Anreize zu vertragsgemäßem Verhalten bewirken. Dies gilt z.B. für Bonus-Systeme bei privaten Krankenkassen oder für die Übereignung von Sicherheiten beim Abschluss von Kreditverträgen. Könnte man in aller Regel davon ausgehen, dass die Individuen ihr Eigeninteressen lauter, d.h. ohne List verfolgen oder dass sie sich gar altruistisch verhielten, wären solche Institutionen kaum notwendig.

Literaturhinweise

G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 2., erg. U. erw. Aufl. Tübingen 2000.

R. Richter u. E. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 3. Aufl. 2003.

O.E. Williamson, Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, Tübingen 1990.

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