
Autounfall für die Autoindustrie
In diesen Monaten der Finanz- und Wirtschaftskrise drängt sich der Eindruck auf, es gäbe nur Banken und Autoindustrie, die für den wirtschaftlichen Wohlstand und die Beschäftigung auf diesem Planeten sorgen. In den USA sind die Gesetzgeber dabei, einen Airbag mit 15 Mrd. US$ für die US-Autobauer zu stopfen.
Deutschland hat die Autoindustrie bereits mit mehreren Airbags gepolstert: Steuerliche Anreize beim Neuwagenkauf, Wiedereinführung der Pendlerpauschale, Finanzierungsunterstützung für die Autobanken und möglicherweise auch noch direkte Kreditbürgschaften für die Autokonzerne sowie Verschrottungsprämien sorgen für ungebremsten Fahrspaß. Und sicher werden die PR-Strategen der Autokonzerne noch weitere Ideen liefern, damit Autos mit Vollgas durch die Krise rasen können. Mit gutem Gewissen kann dann dank gesunkener Benzinpreise kräftig beschleunigt werden.
Der Mittelstand kocht derweil abseits der Leitplanken. Dass er nicht überkocht, liegt allein daran, dass er sich in den vergangenen Jahrzehnten an Milliarden-Subventionen für Großunternehmen gewöhnt hat, während er grundsolide seine Wege auch ohne staatliche Navigationshilfe findet. Dennoch, der Mittelstand kämpft mit den direkten und indirekten Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise und hofft dabei nicht einmal auf staatliche Gehhilfen.
Wer als Mittelständler schon einmal eine öffentliche Bürgschaft zur Finanzierungsunterstützung in Anspruch genommen hat, der weiß, welch ein bürokratischer Akt erforderlich ist, um überhaupt eine solche Fahrhilfe einbauen zu können. Da vergeht viel Zeit und muss viel Papier beschrieben und bewegt werden, um in den Genuss solcher Mittel zu gelangen. Der Aufwand ist für die meisten Unternehmen so hoch, dass sie im Zweifel lieber auf solchen Unterstützungen verzichten.
Dabei spürt der deutsche Mittelstand sehr intensiv die Schlaglöcher der Finanzkrise. Der Credit Crunch macht sich hier ebenfalls bemerkbar, allerdings nicht so spektakulär, wie bei Großunternehmen. Und die Hindernisse summieren sich. So sind Finanzierungen für Investitionen schwerer zu erhalten, die Finanzierungskosten für Leasing- und Kreditversicherungen sind gestiegen und Lieferanten haben ihre Lieferkreditlinien gekürzt. Die Liste lässt sich leicht verlängern. Neben diesen Finanzierungsbremsen, geraten viele Unternehmen zusätzlich unter Druck, weil die Umsatzerlöse ins Stottern geraten.
Trotz dieser Hindernisse jammert der deutsche Mittelstand nicht. Er jammert zumindest nicht öffentlich. Oder seine Klagen werden nicht gehört, weil ein hupender Mittelständler in der Öffentlichkeit so gut wahrgenommen wird, wie eine Fahrradklingel an einer Formel 1-Strecke, nämlich gar nicht.
Trotzdem brodeln die Kühler im Mittelstand, wenn sie sehen, wie einfach und schnell Konzerne per Lautsprecher und Öffentlichkeit die Abkürzung durch den Stau nehmen können. Während für Großunternehmen das „to big to fail“ in Mode kommt, gilt für den Mittelsand „to small to yell“, was nichts anderes heißt, sie sind zu klein, um aufzuschreien.
Das Kalkül der Autokonzerne ist klar. Politiker folgen nicht der wirtschaftlichen Vernunft, sondern einer politökonomischen Rationalität, was im Klartext heißt, sie versuchen mit gegebenen Mitteln den Politikmix zu verfolgen, der ihnen ein optimales Wahlergebnis verspricht. So wundert es nicht, dass ausgerechnet Roland Koch, der zufällig im Januar die Neuwahlen in Hessen gewinnen will, den Autoschirm aufspannen möchte.
Welchen Anreiz die Autokonzerne da haben sollen, strukturelle Probleme anzugehen bleibt unklar. Sie können bei Schieflagen mit staatlicher Unterstützung rechnen. Mittel- und langfristig richtet die massive Förderung der Autoindustrie mehr Schaden an. Strukturelle Änderungen werden aufgeschoben, Innovationen verschleppt und Klimaaspekte sofort verschrottet.
Dabei könnten andere Produktionszweige oder Startups viel eher eine Starthilfe gebrauchen. Sie wollen in zukunftsträchtige Geschäfte investieren und stecken im Treibsand der Finanzkrise, weil ihre Finanzierungstöpfe ausgetrocknet sind. Mittelständlern könnte z.B. ein schnellerer und unbürokratischer Zugang zu Bürgschaften helfen, überhaupt wieder Fahrt aufzunehmen.
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Presseschau der letzten Tage zu Hilfen für die Autoindustrie.
TROTZ RETTUNGSPAKET Nobelpreisträger Krugman gibt die amerikanische Autoindustrie verloren
NYT: Taking Risks With Bailout
NYT: Deal to Rescue American Automakers Is Moving Ahead
NYT: G.M., Under Pressure, Turns to Robert Lutz
HB: Wagoners Zeit für den Abgang ist da
FAZ: Daimler schickt 20.000 Menschen in Kurzarbeit
HB: Fiat fürchtet Massensterben der Autobauer
HB: Nach Zuliefererpleite – eine Branche im Schockzustand
FAZ: Staatskredite für amerikanische Autobauer
FAZ: Amerikas Politiker rütteln an Stühlen der Autochefs
U.S. Could Take Stakes in Big Three
Chrysler’s Bid for Loans Faces Opposition
Chrysler Ends Talks With China’s Chery
GM’s Hourly Workers Losing Edge
Many Car-Parts Makers Could Go Under
Autos Blog: Summary of Bailout Bill
Complete Coverage: Detroit in Crisis
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