Krugman ist nicht der böse Bube

by Gastbeitrag on 14. März 2009

In einem gestern erschienen Beitrag kritisierte der Blick Log die Zunft der Ökonomen, weil sie der US-Wirtschaftpolitik schlechte Noten erteilten und ich glaube, dass diese Kritik (noch) nicht berechtigt ist. Unter den Kritisierten befand sich auch Paul Krugman, der im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt und der regelmäßig seine Gedanken in einem Blog der New York Times veröffentlicht. Zu dem Beitrag erhielt der Blog gestern einige Kommentare, u.a. diesen hier vom Leser Knut. Der Kommentar gefällt mir so gut, dass ich ihn in einem eigenen Beitrag ungekürzt herausstelle:

Also ich versteh jetzt nicht warum Krugman der böse Bube ist (und erst recht nicht, dass er mit „Anglosaxons“ in einen Topf geworfen wird). Ich versuch ihn hier mal ein bisschen zu verteidigen:

1.) Krugman ein Anglosaxon = marktradikaler Ökonom?

Krugman fordert ein stärkeres Konjunkturpaket (expansivere Fiskalpolitik), die direkt auf den Theorien von Keynes aufbaut. Er glaubt also nicht, wie einige andere, einzig und allein an die Selbstheilungskräfte des Marktes, oder dass sich nur einige Preise anpassen müssen (Im Gegenteil er hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Preise „sticky“ sein können und man nicht einfach wichtige Erkenntnisse der Ökonomie vergessen sollte)

http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/03/01/equilibrium-decadence-wonkish/#more-1479

2.) Warum fordert Krugman ein noch größeres US-Paket? Ist es nicht eh schon zu groß?

Vielleicht (und sicherlich wird es eine Reihe von Verschwendung von Steuergeldern geben), aber er befürchtet das wir WELTWEIT in eine Situation geraten könnten, ähnlich derjenigen in der sich die Japaner seit geraumer Zeit befinden: Deflation, geringes Wirtschaftswachstum und Zentralbankzinsen nahe Null.

http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/03/09/japan-reconsidered/

Da die Zinsen sich bei Null oder nahe Null Prozent befinden, sind die klassischen Mittel der Zentralbank ausgeschöpft, d. h. es gibt eigentlich nur noch die Fiskalpolitik, um gegen die Situation anzukämpfen (Liquiditätsfalle).

3.) Jetzt könnte man einwenden, dass Japan in den letzten Jahren doch keine so schlechte Performanz hingelegt hat.

Die Graphik in dem unten aufgeführten Link zeigt uns allerdings, dass ein 1/3 der japanischen Erholung (GDP-Wachstum ca. 9% zwischen 2003-2007) auf eine Exportüberschuss in dieser Zeit zurückzuführen ist (NX ca. 3%) – also auf eine höhere weltweite Nachfrage nach japanischen Produkten.

http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/02/18/the-eschatology-of-lost-decades/

Wenn wir jetzt weltweit in eine Liquiditätsfalle rutschen, m. a. W. die Nachfrage weltweit einbricht – na ja dann kann uns auch keine erhöhte weltweite Nachfrage retten, oder?

4.) Krugman vs. Steinbrück (bzw. die Deutschen)

Krugman hat sich damals darüber aufgeregt, dass sich Steinbrück scheinbar gegen ein abgestimmtes Verhalten innerhalb der EU gewehrt hat.
Steinbrück verwies damals u. a. darauf, dass Deutschland zum einen sein Hausaufgaben gemacht hat (im Gegensatz zu einigen anderen EU-Staaten ohne Haushaltskonsolidierung), und zum anderen sich auch in einer anderen Situation befand (kein Hausmarktboom, wie in Spanien, Irland, oder UK – immer noch ein starkes verarbeitendes Gewerbe, relativ kleiner Finanzsektor, usw.).

Super Youtube-Video:
http://www.youtube.com/watch?v=NMENQcp2wGk&feature=PlayList&p=EB829EC68D488A15&index=0&playnext=1

Mittlerweile ist das Konjunkturpaket 2 beschlossen und Deutschland leistet seinen Betrag, um gegen die größte Rezession seit dem WWII zu kämpfen.

5.) Außerdem denke ich schon, dass er, aber auch andere mit dem 1400 Seiten auseinandergesetzt haben (Wenn auch nicht mit jedem kleinen Projekt).

http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/02/17/1400-page-documents/
6.) Ich hab damals auf dem Greg Mankiw Blog einen Beitrag von David Backus (26.12) gefunden, der meiner Meinung nach genau ins Schwarze trifft. Als erstes zählt er kurz einige Kritikpunkte auf, die man bei einem Konjunkturpaket im Hinterkopf haben sollte:
I.) Hard to do – ineffektive, langsame Ver(sch)wendung der neuen Mittel
II.) bad timing – Paket wirkt erst voll Ende 2009. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Konjunktur u. U. auf dem Weg der Besserung – Standard Argument
III.) Small Multiplier – selbst Krugman verwendet nur einen von 1,1
IV.) It’s the financial system, stupid
Aber dann kommt ein wunderbares Fazit, dem ich nur zustimmen kann:
“(…) I guess I’d say the following: Go ahead, spend a few hundred billion over the next two years; it may help, especially if the economy performs worse than we expect. But spend it on things that have clear social value. At the same time, try to make some progress on the long-term spending issues built into our current retirement and health-care systems. (..) And make sure you keep your eyes on the financial system: if the banks don’t recover, none of us will. Good luck!“
http://gregmankiw.blogspot.com/2008/12/backus-on-spending-stimulus.html
In die gleiche Richtung schießt auch Robert Solow, wenn er in einem Handelblatt-Interview (29. Dez.) meint, dass wir uns in einer Situation befinden, in der die Gefahr, zu schwach zu reagieren, höher ist als die, zu stark zu reagieren.
http://www.handelsblatt.com/politik/nachrichten/solow-wir-haben-aus-1929-gelernt;2116813

ketzerisch März 16, 2009 um 22:40 Uhr

Hallo Knut,

Die meisten (afaik fast alle) US-Staaten haben ein Schuldenverbot. Sie laufen aber aktuell ein Defizit – nicht zuletzt, weil sie für die Auszahlungen des Arbeitslosengelds zuständig sind.

http://verlorenegeneration.wordpress.com/2008/12/15/us-staaten-geht-das-arbeitslosengeld-aus/

43 von 50 Staaten planen weitere Einsparungen in diesem Fiskaljahr, um die Bilanz wieder glatt zustellen. Die kumulierte Finanzlücke ist bislang 132 Milliarden Dollar.
http://www.metro.us/us/article/2009/02/22/21/4959-78/index.xml

Nicht wenige Staaten haben schon Steuern erhöht und Ausgaben gesenkt. Das Ende ist nicht absehbar und auch der totale Effekt nicht.

Auch die von Dir zitierte Quelle scheint das nicht zu berücksichtigen, denn die 4,8% vom BIP sind ja ca. 700 Milliarden. Da wurde offenbar die Gegenbewegung der Staaten nicht eingerechnet. Oder jedenfalls nur mit 150 Milliarden was aber nur das Defizit (s.o.) wäre und nicht die bereits durchgeführten Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen. Auch wenn Du die da zitierte IWF-Studie aufmachst, wirst Du das sehen. Trotzdem kommt der Autor zu dem gleichen Schluss wie ich „Overall, the US is doing more than other big, high-income countries, but not so much more: relative to the pre-crisis year, the change in the overall fiscal balance is forecast at 5.7 per cent of GDP in the US this year, against 4.4 per cent in Germany.“. Klingt ja wie mein Satz von oben: „Die liegen defacto nicht sooo weit auseinander und ich weiß nicht wer den stärkeren Stimulus gesetzt hat.“

Übrigens hat sagt der von Dir verlinkte Artikel von „Economists View“, dass es sich bei S=I nicht um eine Accounting-Identität handelt, sondern um eine Gleichgewichtsgleichung. Das hatte auch mein Co-Autor behauptet und ist dafür vom Marginal Economist rüde angegangen worden. Das Dark Age der Volkswirtschaftslehre ist also auch in Deutschland angekommen.

Beste Grüße
ketzerisch

Knut März 14, 2009 um 15:57 Uhr

Hallo Ketzerisch,

ich weiß gar nicht, ob Krugman sich über unterschiedliche Maßnahmen aufgeregt hat (Link?). Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er etwas dagegen hat, wenn sich die unterschiedlichen Präferenzen der Länder in den Maßnahmen widerspiegeln.

Ich glaube es ging ihm viel mehr darum, dass die EU sich in einer Art Gefangenendilemma befindet und er dachte, dass Steinbrück einen auf Freerider machen wollte.

http://krugman.blogs.nytimes.com/2008/12/11/the-economic-consequences-of-herr-steinbrueck/

Jedes Land, oder jeder Finanzminister sieht sich grundsätzlich zwei Zielen gegenüber: Einmal möchte er sein Budget nicht unnötig belasten, aber zusätzlich soll auch die Krise bekämpft werden.

Da der Handel der EU-Länder untereinander sehr stark ausgeprägt (viel stärker als mit dem Rest der Welt) ist, befriedigt Deutschland einen Teil seiner inländischen Nachfrage z. B. mit französischen Gütern befriedigt (gilt auch für staatliche Nachfrage – Ausschreibungen müssen ab einer gewissen Größe europaweit erfolgen). Deshalb spüren auch die Franzosen positive Auswirkungen eines deutschen Konjunkturpakets (gilt natürlich auch umgekehrt).

Wenn die Finanzminister jetzt an keine EU-weiten Regeln gebunden sind, gemeinsam zu handeln, hat jeder Finanzminister einen gewissen Anreiz, die Hände in den Schoß zu legen, sich auf seine „außergewöhnliche“ Situation zu berufen und die anderen machen zu lassen.

Das war meines Erachtens die Gefahr die Krugman gesehen hat (obwohl ich glaube, dass Steinbrück nur keine Schnellschüsse alla Sarkozy wollte, der ja damals ebenfalls druck ausgeübt hat – Germany is thinking, France is akting – oder irgendwie so).

Im zweiten Link hier ist eine ziemlich reduzierte Modellrechnung (zeigt aber wie wichtig Koordination ist).

http://krugman.blogs.nytimes.com/2008/12/14/european-macro-algebra-wonkish/

Gruß Knut

ketzerisch März 14, 2009 um 19:27 Uhr

Hallo Knut,

vielen Dank für Deine Antwort. Ich stimme voll zu. Krugmans Sicht der Dinge ist so wie Du es darstellst.

Nur impliziert Krugman in seiner „Freerider“-Argumentation, dass ein Stimulus überhaupt notwendig ist. Nur dann müssten die anderen Länder die Ausgaben erhöhen und Deutschland würde davon profitieren. M.E. ist der Stimulus aber gar nicht nötig. Und Steinbrück sah das damals auch so. Die Korrekte Empfehlung wäre meiner Meinung nach gewesen, dass die anderen auf ihre Stimuli (ausser die automatischen) auch verzichten.

Gruß
ketzerisch

ketzerisch März 14, 2009 um 09:35 Uhr

An Krugman missfällt mir im Wesentlichen, dass er mit seine aggressiven Art jede Diskussion um das beste Vorgehen zu unterbinden versucht. Zudem scheint er der Auffassung zu sein, dass alle Länder die gleichen Maßnahmen benötigen. Die Unterschiede der Länder blendet er viel zu oft aus.

Bspw. fand ich seine Kritik an Steinbrück und Merkel ungerechtfertigt. Auch schon vor de zweiten Paket. Denn während Deutschland automatisch über die Sozialleistung einen massiven Stimulus setzt, ist das in den USA nicht der Fall. Während die US-Staaten massiv sparen und Obamas Ausgabenpakete kontakarieren, erhöhen die Bundesländer auch die Ausgaben.

Man kann Deutschland und die USA einfach nicht so platt vergleichen wie Krugman das tut. Eine Rechnung Obama spendiert 1,7 Billionen und Steinbrück nur 100 Miliarden ist Unsinn. Bei Obama sind noch die Einsparungen von Kalifornien et. al abzuziehen und bei Steinbrück noch die Sozialausgaben und Länderausgaben zu addieren. Die liegen defacto nicht sooo weit auseinander und ich weiß nicht wer den stärkeren Stimulus gesetzt hat.

Knut März 14, 2009 um 23:10 Uhr

Hallo Ketzerisch,

Ich hab gesehen, dass du vom Blog Verlorene Generation kommst, wo ihr euch schon mit dem Blog Marginal Economist über dieses Thema angelegt habt (oder er sich mit euch?). Leider denke ich, dass er in diesem Punkt absolut Recht hat.

Deshalb verweise ich nur auf eure Diskussion im Blog

http://verlorenegeneration.wordpress.com/2009/03/10/sorgen-eines-nobelpreistragers/

und hänge die beiden angesprochenen Beiträge von Krugman und DeLong hinten ran.

http://delong.typepad.com/sdj/2009/01/eugene-fama-rederives-the-treasury-view-a-guestpost-from-montagu-norman.html

http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/01/27/a-dark-age-of-macroeconomics-wonkish/

Gruß Knut

P.S. Meine Meinung zu Konjunkturpaketen s. oben David Backus (also notwendig) & Ich glaube, dass die 1,7 Billionen US$ bei Dir zu hoch gegriffen sind. Wir reden hier ja über Konjunkturpakete und das beläuft sich in den USA auf 787 Milliarden US$.

Im Link ist eine Excel Tabelle über die bisherigen Maßnahmen weltweit (vielleicht für euren Blog auch interessant, wo ihr ja was Ähnliches versucht):
http://rodrik.typepad.com/dani_rodriks_weblog/2009/02/a-global-survey-of-stimulus-plans.html

Knut März 15, 2009 um 00:31 Uhr

Eigentlich wollte ich in die Diskussion gar nicht weiter einsteigen, aber ich hab doch noch einige interessante Links zu der Debatte (auch weil die Beiträge z.T. ziemlich ruppig geschrieben wurden):

Arnold King geht die ganze Sache etwas unaufgeregter an:

http://econlog.econlib.org/archives/2009/01/boo_eugene_fama.html

Mark Thoma macht hier einen wichtigen Punkt. Fama & Co. sind alle mit einem Finance oder Business Background ausgestattet. Nichts gegen das Metier, aber ich geh auch nicht zum Zahnarzt, wenn mir der Rücken wehtut.

http://economistsview.typepad.com/economistsview/2009/01/a-dark-age-of-macroeconomics.html

Und ein letzter vom Bundesministerium für Finanzen bzw. dem wissenschaftlichen Beirat über die Notwendigkeit und Ausgestaltung von Konjunkturpaketen:

http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_17844/DE/BMF__Startseite/Aktuelles/Monatsbericht__des__BMF/2009/02/analysen-und-berichte/b06-handlungsbedarf/node.html?__nnn=true

Gruß

Knut

ketzerisch März 16, 2009 um 16:33 Uhr

Hallo Knut,

vielen Dank nochmals für Deine Infos.

Der „Marginal Economist“ hat ziemlich rüder auf meine Kritik an Krugmans Art geantwortet. Leider verwechselt er die Kritik Krugmans Art mit Kritik an Krugmans Inhalten. Die habe ich zwar auch, aber nicht in dem zitierten Artikel.

Die 1,7 von mir sind vertippert. Ich wollte 0,7 schreiben; richtig wäre 0,8 gewesen. Der Punkt ist aber, dass die USA kaum einen Nettostimulus setzen. Denn die Staaten sparen wie blöde. Da hat Deutschland auch schon vor Paket II mehr zu bieten.

Gruß
ketzerisch

Knut März 16, 2009 um 19:54 Uhr

Hallo Ketzerisch!

Hast du irgendeinen Beleg dafür, dass die Bundesstaaten ihre Ausgaben so drastisch zurück fahren (Link?), oder ist das nur eine Vermutung, weil Arnold pleite ist?

Martin Wolf (bzw. die zugrunde liegende Arbeit vom IMF) zeigt beispielsweise, dass auch unter Berücksichtigung der „automatischen Stabilisatoren“ der US-Stimulus immer noch größer ist.

http://www.ft.com/cms/s/0/87b6cd16-0daf-11de-8ea3-0000779fd2ac.html

Gruß Knut

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