Moral Hazard und Verhaltensrisiken als Ursachen der Finanzkrise

by dels on 18. März 2009

Gestern habe ich die Website RiskNet wieder entdeckt. Dort haben Voker Bieta und Dieter Sewing einen lesenswerten Beitrag unter dem “Moral Hazard und Verhaltensrisiken als Ursachen der Finanzkrise” veröffentlicht. Für sie liegt eine wesentliche Ursache der Finanzkrise in den durch Moral Hazard getriebene Off-Balance-Sheet-Risiken, deren Komplexität das Maß überstiegen hat, was das Risikomanagement der Banken noch meistern kann. Weiter nennen die Autoren sieben Gründe, warum durch eine verlorene Finanzwette in einem “kleinen” US-Markt (gemeint ist der Hypothekenmarkt) die Gefahr eines Flächenbrandes, dem große Institute zum Opfer fallen können, realistische Züge angenommen hat:

(1) Delegation: Banken hielten verbriefte Kredite nicht in den Büchern. Sie wurden nach mathematischen Kriterien gebündelt, nach Risikoklassen sortiert und in Scheiben als strukturierte Produkte (Collateralized Debt Obligations, CDOs) gehandelt. Käufer waren Finanzinvestoren und Banken.

(2) Fehlanreize: Da Käufer und nicht originäre Kreditgeber das Risiko trugen, waren die Anreize gering, konservative Standards bei der Auswahl der Deckungsmasse einzuhalten. Als Strukturierer hatten Banken keinen Anreiz, die Qualität des Pools nach der Kreditvergabe zu überwachen. So wurden zu viele risikoreiche Kredite vergeben und verbrieft. Ein Übriges tat die an kurzfristiger Performance orientierte Vergütung des Managements und das Interesse der Investmentbanken an Masse von ABS-Emissionen.

(3) Interessenkonflikte: Auf Grund der fehlenden Durchschau auf die Grundgeschäfte strukturierter Produkte und der fehlenden Expertise zur Bewertung von Kreditrisiken, haben CDO-Käufer die Wahrscheinlichkeit der Kreditausfälle unterschätzt. Sie verließen sich zu sehr auf die Urteile der Ratingagenturen, die als Bewerter den Produkten, die sie als Berater mit strukturierten, stets Bestnoten gaben.

(4) Intransparenz: Dem Markt oft nicht bekannte Bewertungsmodelle hatten unrealistische Annahmen, weil es für CDOs als neue Produktgeneration keine Zeitreihen gibt, um Ausfallwahrscheinlichkeiten zu berechnen. Per se sind CDO-Pools mit Tausenden von Einzelforderungen, deren Risiken nach Art und Umfang oft nicht erkennbar sind, kaum analysierbar.

(5) Käuferstreik: CDOs können derzeit kaum liquidiert werden. Was keinen Käufer findet, verliert nicht im Preis – es wird plötzlich wertlos. Die fehlende Käuferseite (Liquidität) behindert das Funktionieren des Marktes insgesamt.

(6) Aufsichtsarbitrage: CDOs wurden durch in Regulierungsoasen ansässigen Zweckgesellschaften „Off Shore“ aufgelegt. Unreguliert und außerhalb der Bilanz geführt aber mit Liquiditäts-/Beistandszusagen der Banken (Eigentümer) ausgestattet, waren diese „Töchter“ (Conduits) der Lagerplatz für risikoreiche Investitionen, für die Banken kein Eigenkapital vorhalten mussten. Es kam zu hohen Abschreibungen, als die Banken die Aktiva der „Töchter“ mit Verlusten auf ihre Bilanzen nehmen mussten und ihre Zusagen nicht mehr erfüllen konnten.

(7) Misstrauen: Das Wissen um den Liquiditätsbedarf einer Bank verschlechtert die Refinanzierung. Wird das Reputationsrisiko zum Hauptrisiko, zögern Banken, sich am Geldmarkt einander Geld zu leihen. Da auf Grund der gigantischen Akkumulation von Problemkrediten keine Bank genau weiß, welche Risiken sie durch CDOs in den Bilanzen hat, werden „Kriegskassen“ angelegt.

Ich habe diesen Beitrag in die Liste der Grundlagenartikel zur Finanzkrise aufgenommen, weil hier ein tiefer und qualifizierter Einblick gegeben wird. Die Deutungshoheit haben sie damit allerdings nicht, denn nach meiner Auffassung wird es noch dauern bis alle Ursachen und Auswirkungen der Finanzkrise wirklich erfasst sind.

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